Jodi Picoult - Autor
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Jodi Picoult

Jodi Picoult, geboren 1967 auf Long Island, studierte in Princeton Creative Writing und in Harvard Erziehungswissenschaften. Seit 1992 schreibt sie mit sensationellem Erfolg Romane. Sie wurde für ihre Werke vielfach ausgezeichnet, beispielsweise mit dem New England Bookseller Award. Ihre Romane erscheinen in 35 Ländern. Jodi Picoult gehört zu den erfolgreichsten und beliebtesten amerikanischen Erzählerinnen weltweit. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Hanover, New Hampshire.

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Interview

Interview | 19.08.2010

Ein Gespräch mit Bestsellerautorin Jodi Picoult über ihren neusten Roman "Zerbrechlich".Was hat Sie dazu bewegt, Osteogenesis imperfecta zum Thema dieses Buches zu machen? Kam das Thema einer Klage wegen "ungewollter Geburt" vorher oder nachher? Bitte, erzählen Sie uns etwas über die Recherchen, die...

Ein Gespräch mit Bestsellerautorin Jodi Picoult über ihren neusten Roman "Zerbrechlich".
Was hat Sie dazu bewegt, Osteogenesis imperfecta zum Thema dieses Buches zu machen? Kam das Thema einer Klage wegen "ungewollter Geburt" vorher oder nachher? Bitte, erzählen Sie uns etwas über die Recherchen, die für dieses Buch nötig gewesen sind.
Die Idee für "Zerbrechlich" kam mir durch einen Zeitungsartikel über "ungewollte Geburt", den ich zufällig gelesen habe: Eine Mutter in New York hatte kurz zuvor eine Schmerzensgeldklage in Millionenhöhe gegen ihren Gynäkologen gewonnen, nachdem ihr Sohn mit schweren chromosomalen Schäden geboren worden war. Aus dem Artikel war klar ersichtlich, dass sie das Kind von ganzem Herzen liebte, aber um an die finanziellen Mittel zu kommen, um ihm ein besseres Leben zu ermöglichen, musste sie der Welt sagen, dass sie den Fötus abgetrieben hätte, hätte sie die Gelegenheit dazu bekommen. Dieses ethische Problem hat mich zum Nachdenken angeregt: Was, wenn ihr Kind nicht schwer geistig behindert gewesen wäre, sondern nur körperlich? Was, wenn ihr Kind im Gericht hätte HÖREN können, wenn sie sagt, sie wünsche, es wäre nie geboren worden?
Das hat mich dann auf Osteogenesis imperfecta gebracht. Auch unter dem Namen "Glasknochenkrankheit" bekannt, handelt es sich dabei um eine genetisch bedingte Knochenkrankheit; die Knochen der Betroffenen sind stark geschwächt, sodass sie leicht brechen. Die Ursache ist eine Mutation jenes Gens, das für die Kollagenproduktion im Knochen verantwortlich ist. Insgesamt gibt es acht Typen von OI, die von tödlich bei der Geburt bis hin zu einem gemäßigten Krankheitsverlauf mit wenigen Symptomen reichen. Ein Mensch mit schwerer OI kann unter Hunderten von Brüchen in seinem Leben leiden und muss mit einer verkürzten Lebensspanne rechnen. Weitere Symptome sind eine kleine Statur (Menschen mit schwerer OI werden in etwa drei Fuß groß – knapp über einen Meter), Gehörverlust, Rückgratverkrümmung, Atemprobleme und Gelenk- sowie Muskelschwäche. Körperlich gesehen ist das ein äußerst schwerwiegendes Krankheitsbild; aber geistig sind Menschen, die unter OI leiden, vollkommen normal. Viele Kinder mit OI sind sogar klüger als ihre gleichaltrigen Spielkameraden, weil sie weit mehr lesen, wenn sie nach einem Knochenbruch mal wieder nicht laufen können.
Aus Recherchegründen habe ich versucht, ein kurzes Stück in den Schuhen einer Mutter zu gehen, deren Kind unter OI leidet, indem ich mehrere betroffene Familien besucht habe. Das erste Mädchen mit OI, das ich kennengelernt habe, leidet unter der Krankheit vom Typ I – einer harmloseren Form –; trotzdem hat sie sich in acht Jahren fast fünfzig Knochen gebrochen, weil ihre Eltern wollten, dass sie so normal wie möglich lebt. Anstatt sie auf allen Vieren laufen zu lassen, um ihre Aktivitäten einzuschränken, erlaubten sie ihr alles, was sie wollte ... wohl wissend, dass das zu Knochenbrüchen führen würde. Ich erinnere mich daran, Rachel – so heißt das Mädchen – gefragt zu haben, wie es sich anfühlt, wenn das passiert. „Es fühlt sich wie ein Blitz unter meiner Haut an“, hat sie gesagt, und ich erkannte, dass der Schmerz, den diese Kinder fühlen, nicht anders ist als der, den auch wir empfinden, wenn wir uns einen Knochen brechen – nur dass ihnen das wesentlich häufiger passiert. Von Rachel zog ich dann weiter zu Kindern mit OI vom Typ III, der schwersten Form, die nicht direkt bei der Geburt tödlich ist. Ich erinnere mich an das Blitzen in den Augen der fünfjährigen Hope, als die Kellnerin in einem Restaurant sie aufgrund ihrer Körpergröße für ein Baby gehalten hat, und an den Schmerz in der Stimme von Jonathans Mom, als sie mir erzählt hat, wie sie ihn manchmal im Stich lassen und einfach nur weglaufen wollte, weil sie Angst hatte, ansonsten der Grund für einen weiteren Knochenbruch zu sein. Während eines Besuches bei Matthew hat seine Mutter mich gebeten, ihn aus seinem Kindersitz im Auto zu nehmen ... und ich bin in Panik geraten. Was, wenn ich diejenige war, die ihm diesmal einen Knochen brach? Genau das ist es, so wurde mir bewusst, was diese Eltern Tag für Tag durchmachen müssen.
Die Kinder mit OI, die ich kennengelernt habe, waren allesamt süß, klug, einnehmend und liebenswert – und weit mehr als die Summe ihrer Behinderungen. Das wurde mir besonders am Fall einer jungen Frau bewusst, die meine technische Beraterin bei ZERBRECHLICH geworden ist. Als ich sie gefragt habe, was die Menschen über OI wissen sollten, hat sie geantwortet, OI sei eine herausfordernde und schmerzhafte Krankheit, die aber keineswegs zwingend Grund für ein tragisches Leben sei. Die liebevollsten Erinnerungen ihres Lebens stehen allesamt genauso mit OI in Verbindung wie die medizinischen Probleme. Auch hat sie mir erklärt, dass kein Kind OI allein erleide; die Krankheit betreffe Familie und Freunde ebenso.
Viele Menschen schrecken vor einem Kind im Rollstuhl zurück; aber wenn man ein wenig Zeit mit OI-Kindern verbringt, staunt man nicht darüber, wie anders sie im Vergleich zu anderen Kindern sind, sondern darüber, wie viel sie gemeinsam haben. Sie erzählen dieselben Witze, jammern über viel zu lange Autofahrten und hassen Brokkoli. Aber sie wissen auch über Dinge Bescheid, die gesunde Kinder nicht kennen: Schienen, Stützgestelle, Parathormoninfusionen und Marknagelungen. Und wenn man sie mit ihren Eltern zusammen sieht, erkennt man, dass ihre Väter und Mütter genau wie der Rest von uns sind: Sie tun einfach alles, um ihren Kindern das bestmögliche Leben zu ermöglichen.
Selbst wenn das bedeutet, einen Richter und die Geschworenen anlügen zu müssen.
Und plötzlich kann man gar nicht mehr so genau sagen, ob das rundweg falsch ist ... oder auf eine unmögliche Art richtig.
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