Die letzte Hoffnung für den Klimaschutz: Kernenergie
Dr. Anna Veronika Wendland: "Ich möchte dazu einladen, diese Technologie mit anderen Augen zu sehen, als Sie sie wahrscheinlich bislang gesehen haben. Ich habe diesen Blickwechsel selber vollzogen, denn ich bin eine ehemalige Atomkraftgegnerin, die in einem langen Lern- und Forschungsprozess ihre alten Überzeugungen ablegte."
Dr. Anna Veronika Wendland ist Osteuropa- und Technikhistorikerin in Marburg. Für ihre Habilitationsschrift über die Kerntechnische Moderne hat sie viele Jahre in Kernkraftwerken in Osteuropa und Deutschland geforscht. Wendland bloggt bei salonkolumnisten.com über Energie- und Klimafragen und ist eine viel gefragte Gesprächspartnerin in der aktuellen Klimadebatte. Wendland war als Osteuropa-Expertin jahrelang Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahesteht. Der Partei gehörte sie nie an. Trotzdem entschied sich die Stiftung für ihr Engagement – bis ihre Berufung im Frühjahr 2021 ohne Angaben von Gründen für beendet erklärt wurde.
Das Buch im Hinblick der aktuellen Geschehnisse
"Dieses Buch befand sich bereits im Satz, als am 24. Februar 2022 russische Angriffstruppen die Grenzen der Ukraine überschritten. Während ich dies schreibe, rollen Panzer auf das Atomkraftwerk Rivne zu, in dem ich geforscht habe, und ukrainische Städte liegen unter Raketenbeschuss. Nun ist es da, jenes disruptive Ereignis, das ich immer anführte, wenn man mich fragte, was den deutschen Atomausstieg in seinem Lauf noch aufhalten könne.
Diese Geschehnisse, von Osteuropa-Fachleuten lange befürchtet, haben massive und nachhaltige Folgen für die deutsche Energieversorgung. Russland finanziert seinen Angriffskrieg mit dem Verkauf von fossilen Energieträgern. Über die Hälfte unseres Erdgases, ein Teil unserer Kohle stammt aus Russland. Die Energiewende setzt kurz- und mittelfristig auf ein Erdgas-Backup. Dieser Weg hat sich als falsch erwiesen – wie wir sehen, nicht nur aus Klimaschutzgründen. Was nun auf der Tagesordnung steht, ist ein Kassensturz, eine Grundrevision unserer Energiepolitik.
Der größte Fan des deutschen Atomausstiegs heißt Wladimir Putin. Deutschland zerstörte ein Unterpfand seiner Energieunabhängigkeit und tauschte es gegen die Abhängigkeit von russischem Erdgas ein. „Die Zeit der Zimperlichkeit ist vorbei“, schreibe ich im Kapitel 4 und meinte den Klimanotstand; nun tritt eine neue Notstandsdimension hinzu. Wir werden auf die Lieferbeziehungen mit Russland verzichten müssen; wir werden jedes Megawatt an CO2-armer, gesicherter Leistung brauchen. Daraus folgt zwingend ein Ende des deutschen Atomausstiegs: eine Laufzeitverlängerung für die drei laufenden AKW und ein Wiederaufbau der deutschen Kernenergie in Staatsregie.
Die drei Anlagen können im sogenannten Streckbetrieb fast drei Monate mit ihrem jetzigen Brennstoff weiterbetrieben werden, was uns schon mal über den Winter 2022/23 hilft. Wenn spätestens Mitte 2022 neuer Brennstoff geordert wird, können die Anlagen im Winter 2023/24, nach einem Wartungsstillstand im Sommer, fit für einen Weiterbetrieb sein. Wie man das organisieren könnte, beschreibe ich in diesem Buch. Machen wir uns an die Arbeit."
Dr. Anna Veronika Wendland
Hier können Sie das 1. Kapitel lesen:
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