Monica Isakstuen - Autor
© Paal Audestad

Autorin

Monica Isakstuen

Monica Isakstuen, geboren 1976 in Oslo, debütierte 2009 mit ihrem Roman "Avstand". Es folgten der Gedichtband "Alltid nyheter" (2011) sowie der Roman "Om igjen" (2014). "Elternteile" wurde 2016 mit dem renommierten Brage-Preis ausgezeichnet, dem wichtigsten Literaturpreis Norwegens.

Download Autorinnen-Foto

Steckbrief

Autorensteckbrief: 13 Fragen an Monika Isakstuen

Lieblingssatz aus dem Buch?„Ich weiß, es ist kein Wettkampf. Aber ich will ihn gewinnen.“Die Stelle im Buch, die am schwierigsten zu schreiben war?Ich glaube, das war die Szene, in der Karen ihre Tochter an einem der Abende, bevor die Kleine zu ihrem Vater geht, badet. Karen sucht nach Anzeichen, di...

Lieblingssatz aus dem Buch?
„Ich weiß, es ist kein Wettkampf. Aber ich will ihn gewinnen.“
Die Stelle im Buch, die am schwierigsten zu schreiben war?
Ich glaube, das war die Szene, in der Karen ihre Tochter an einem der Abende, bevor die Kleine zu ihrem Vater geht, badet. Karen sucht nach Anzeichen, die darauf hindeuten, dass ihre Tochter lieber bei ihr wohnen bliebe, kann die aber irgendwie nicht finden. An dieser Stelle wird das Ganze plötzlich überwältigend für sie, und sie bricht vor ihrer Tochter in Tränen aus – warum ist die Dreijährige nicht genauso traurig wie sie? Und im Endeffekt versucht ihre Tochter dann, sie zu trösten. „Da kommt ihre Hand, schaumig, schrumpelig und erschreckend klein, was jetzt passiert, darf nicht sein, solchen Szenarien möchte man nicht beiwohnen, ihre nassen Finger berühren meine Wange, ihre Stimme sagt: Alles wird gut, Mama. Alles wird gut.”
Der optimale Soundtrack zum Buch?
Ich höre nie Musik, wenn ich schreibe oder lese, aber ich habe mir für das Epigraph ein paar Zeilen aus dem Highasakite-Song „Someone Who’ll Get It“ ausgeborgt: “Send somebody to me tonight // send somebody bolder // send someone not likely to break // send someone who´s older // send a soldier.”
Der perfekte Ort, um das Buch zu lesen?
Zu Hause, würde ich sagen. Ich meine: es ist wichtig, das Gefühl zu haben, sich keinen Zwang antun zu müssen, weinen oder lachen zu können, wie es einem beliebt.
Welchem Prominenten würden Sie Ihr Buch gern überreichen und welche Widmung stünde drin?
Ich würde es gerne jedem von sich selbst sehr überzeugten Mann geben, der nicht geschieden ist, keine eigenen Kinder hat und ich würde hineinschreiben: Hier, mein Herzchen, DAS gibt es auch, das ist auch ein Teil des Lebens.
Was darf beim Schreiben auf keinen Fall fehlen – abgesehen von Rechner, Schreibmaschine oder Stift?
Kaffee oder Tee. Ich muss wissen, dass ich etwas Leckeres und Heißes zu trinken habe.
Was ist schöner: den letzten Satz zu Ende gebracht zu haben oder das fertige Buch in Händen zu halten?
Da ich in der Regel nicht weiß, welcher der letzte Satz ist (der letzte könnte beispielsweise auch in der Mitte stehen oder ganz plötzlich – der erste sein) würde ich sagen, das fertige Buch in Händen zu halten.
Wer oder was hilft, wenn es mal schwierig ist, weiterzuschreiben?
Ein Spaziergang zu machen oder zu lesen. In diesem Fall Sachbuchliteratur.
Was war zuerst da: die Story oder eine Figur aus dem Buch?
Für mich fängt das Schreiben mit einem bestimmten Thema an, mit einem Problem, mit Fragen, über die ich mir Gedanken mache, oder mit etwas, was mich wirklich beängstigt. Es muss sich akut und dringend anfühlen. Und von diesem Augenblick an geht es darum, das zu erforschen.
Wie wichtig sind Freunde, Familie, Berater beim Schreiben?
Meine Familie und meine Freunde sind ungemein wichtig für mich. Ein Beispiel: Würde mein Ehemann mich nicht so unterstützen, wie er das tut, würde ich gar nicht wagen zu schreiben, wie ich schreibe. Während des Schreibprozesses habe ich allerdings nur einen einzigen Leser, meinen Lektor Karl Ove Knausgård. Später, wenn das Textchaos so ganz allmählich Ähnlichkeit mit einem Roman annimmt, lasse ich es meinen Mann, der auch Literaturkritiker ist, lesen.
Lieber akkurat durchplanen oder erstmal drauflosschreiben?
Vor einigen Jahren, vor allem bei der Arbeit an meinem ersten Roman, habe ich das mit dem akkuraten Durchplanen versucht. Das Ergebnis war keine gute Literatur, das kann ich Ihnen versichern. Ich komme nicht damit klar, so zu schreiben. Bei mir muss das Schreiben aus einem Bedürfnis heraus geschehen, und deshalb dauert es im Allgemeinen eine ganze Weile, bis ich den Text deutlich vor Augen sehe. Zu Anfang schreibe ich einfach nur drauflos, schreibe und schreibe VIEL. Danach kann ich anfangen wegzunehmen und Neues hinzuzufügen. Auf diese Weise schrumpft der Text ständig, und zugleich wächst er, bis dann ganz plötzlich das Buch da ist.
Welche Farbe hätte das Cover auf keinen Fall haben dürfen und warum?
Alle Farben würden passen, vorausgesetzt das Design und die Typografie stimmen. Würde indes jemand versuchen, meinen Roman „niedlich“ oder „feminin“ und damit missverständlich zu gestalten, käme das einer Lüge gleich. Meiner Meinung nach muss das Buchcover den Text und dessen Ton spiegeln.
Wer das Buch liest, fühlt sich nach der letzten Seite…?
Ich hoffe, die Leser sind ergriffen, verwirrt und hoffnungsfroh. Ich hoffe, sie haben eine faszinierende Lektüre hinter sich und verzehren sich nach mehr.

Interview

Monika Isakstuen erzählt über ihren Roman "Elternteile" | 18.02.2018

Karen und ihr Ehemann lassen sich scheiden, als ihre Tochter Anna drei Jahre alt ist. Ihre Zukunft: gemeinsames Sorgerecht. Ein Begriff, der fair klingt, für Karen aber zur Hölle wird. Was hat Sie bewogen, sich in Ihrem Roman "Elternteile" mit diesem Thema zu befassen?Ich weiß nie, worüber ich schre...

Karen und ihr Ehemann lassen sich scheiden, als ihre Tochter Anna drei Jahre alt ist. Ihre Zukunft: gemeinsames Sorgerecht. Ein Begriff, der fair klingt, für Karen aber zur Hölle wird. Was hat Sie bewogen, sich in Ihrem Roman "Elternteile" mit diesem Thema zu befassen?
Ich weiß nie, worüber ich schreiben werde, wenn ich mit einem neuen Projekt anfange. Als ich mit der Arbeit an dem begann, was Elternteile werden sollte, musste ich mich an das geteilte Sorgerecht für meinen Sohn gewöhnen und habe mich schwer damit getan. An irgendeinem Punkt hat dieses Gefühl seinen Weg in die Prosa gefunden, und es ist etwas damit passiert. Im Endeffekt habe ich mich davon leiten lassen und den Roman in seiner Gesamtheit auf diese Erfahrung konzentriert. Auf diese unerträgliche Erfahrung, sich damit arrangieren zu müssen „ihre Tochter entzwei zu schneiden“. Ich selbst habe mich nie wirklich damit arrangieren können.
Worin besteht aus Ihrer Sicht, das größte Problem beim geteilten Sorgerecht?
Es ist so schwer, damit zu leben, für viele von uns zumindest. Vielleicht nicht immer, aber manchmal, vor allem zu Anfang. Es ist eine seltsame Art, ein Kind großzuziehen, es in der einen Woche zu tun und in der nächsten Woche dann etwas anderes zu machen. Manche Menschen kommen damit zurecht. Manche nicht.
Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Ich hatte diesen diffusen Traum, eines Tages mal irgendetwas zu schreiben, aber ich habe mich nie wirklich damit auseinandergesetzt. Das habe ich erst getan, als ich schon Ende zwanzig war. Mein Vater starb unerwartet, und ich habe kurze Texte und Gedichte geschrieben, um mich selbst zu trösten und Antworten zu finden, die er mir nicht mehr geben konnte. Seither habe ich nicht mehr aufhören können. Das Schreiben ist für mich wie ein Sicherheitsventil und zudem mein Weg, die Welt zu sehen. Über das Schreiben versuche ich, sie zu verstehen und darin zu leben.
Elternteile ist Ihr dritter Roman. Er wurde mit dem renommierten Brage-Preis, dem Norwegischen Literaturpreis 2016, ausgezeichnet und wird vielerorts bei familientherapeutischen Beratungen eingesetzt. Hat Sie dieser große Erfolg bei Publikum und Kritik überrascht, und inwiefern hat er Ihre schriftstellerische Karriere verändert?
Der Kontrast zwischen der Erfahrung, das Buch zu schreiben, und der überwältigenden Resonanz war gewaltig. Als ich Elternteile schrieb, habe ich mir immer wieder gesagt, dass „das niemals jemand lesen wird“. Das musste ich mir einreden. Der Schreibprozess war furchterregend, und ich habe versucht, nicht über das Minenfeld nachzudenken, in das ich mich da hineinschrieb. Was mich nach wie vor rührt, ist die Tatsache, dass so viele Menschen das Buch lesen und es ihnen gefällt. Zu erleben, wie das Buch seinen Weg machte und Leser fand, war eine großartige Erfahrung.
Sie sind heute hauptberuflich als Schriftstellerin tätig. Wie darf man sich Ihren Alltag vorstellen?
Ich bin nach der Veröffentlichung des Buches sehr viel gereist, aber jetzt schreibe ich wieder. Ich stehe morgens gegen 6.00 Uhr auf, frühstücke mit meinen Kindern und bringe dann die Mädchen (Zwillinge, 4) in den Kindergarten und meinen Sohn (7) in die Schule. Ab etwa 8.30 Uhr sitze ich dann an meinem Schreibtisch. Da ich zu Hause arbeite, sollte ich aber eher ‚an meinen Schreibtischen’ sagen. Ich bewege mich innerhalb des Hauses und setze mich an die Stelle, an der ich mich am wohlsten fühle. Es gelingt mir, mich bis zum Mittagessen auf das Schreiben zu fokussieren, und dann packt mich das Internet. Oder irgendetwas anderes. Manchmal gönne ich mir den Luxus, mal woanders zu schreiben, aber immer nur für ein paar Tage, nie für längere Zeit. Ich liebe die Routine und die Unterbrechungen, die der Alltag mit sich bringt.
In Elternteile lebt die kleine Anna nach der Scheidung jeweils eine Woche bei ihrer Mutter Karen und eine Woche bei ihrem Vater. Karen stürzt diese Regelung in eine Identitätskrise. Was ist für sie das Hauptproblem an der gerichtlich verfügten Teilzeitmutterschaft?
Sie hat Sorge, dass sie ihre Tochter irgendwie kaputtmacht, und sie hat wahnsinnige Angst vor dem, was diese Art der Teilung einem drei-, bald vierjährigen Mädchen antun wird. Vor allem geht es in diesem Buch aber darum, wie schlecht sie selbst damit fertig wird. Wie schaltet man etwas so Fundamentales wie Mutterschaft ein und dann wieder aus? Wenn sie in der einen Woche eine Mutter ist, was ist sie dann in der anderen Woche?
Was ist Mutterschaft Ihrer persönlichen Empfindung nach? Eine Rolle? Eine Aufgabe? Ein Geschenk? Eine Symbiose?
Meiner Meinung nach treffen alle vier Aussagen zu. Ein Kind zu bekommen, ist ein Geschenk. Ist das Kind auf der Welt und Bestandteil des eigenen Lebens, bringt das gewisse Aufgaben mit sich. Eine Art von Symbiose hat man zu akzeptieren, zumindest in den ersten Jahren, und darauf kann man sich schwer vorbereiten. Und die Rolle des Betreuers und Ernährers muss man annehmen. Meiner persönlichen Erfahrung nach überschneiden sich diese Dinge. Manchmal sind Kinder ein Geschenk, manchmal repräsentieren sie all die Aufgaben, die mit ihnen einhergehen. Und die Rolle? Ich gehe davon aus, die zu füllen, gelingt den meisten Menschen mal besser und mal schlechter, je nach Tagesverfassung.
Karen selbst hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter. Wie wirkt sich dies auf ihre eigene Mutterschaft aus?
Karens Mutter wurde geschieden, als sie noch ein kleines Mädchen war. Und Karen hat kein Interesse daran, die Rolle des Opfers zu kopieren, die ihre Mutter gespielt hat. Diese Rolle steht ihr auch gar nicht offen. „Ich bin verlassen worden, du hast verlassen“, sagt ihre Mutter. Mitgefühl hat sie von dieser Seite nicht groß zu erwarten, obwohl Karen frisch geschieden ist und sichtlich trauert. Ich glaube, das erklärt, wie hart sie mit sich zu Gericht geht und wie sehr sie sich selbst verurteilt.
Karen rügt sich an einer Stelle des Buches selbst: „Meine Tochter ist kein Farbkasten, mein Leben ist kein Blatt Papier...“ Aber ist es nicht normal, dass Mütter sich durch ihre Kinder identifizieren, und (kleine) Kinder versuchen, die Erwartungen ihrer Mütter zu erfüllen?
Das kann schon sein. Ich nehme aber an, dass Karen versucht, sich in Erinnerung zu rufen, dass man auch in anderen Dingen einen Sinn finden kann. Es kann nicht alles von der Tochter abhängen. Dass sie sich damit tröstet, sich an das Kind zu klammern, ist für beide Seiten keine Lösung.
Elternteile fängt da an, wo andere Bücher zu dem Thema aufhören. Betroffene werden sich nicht nur verstanden fühlen, sondern zudem die Erlaubnis erhalten, gewisse Gefühle und Gedanken zuzulassen. War es Ihnen von Anfang an ein Bedürfnis, Betroffenen ein Buch an die Hand zu geben, dass sie in dieser schwierigen Situation zu Rate ziehen können?
Ich wäre überglücklich, wenn ich diese Frage mit Ja beantworten könnte, aber so funktioniert das bei mir mit dem Schreiben nicht. Dieser Roman ist entstanden, weil ich genau das zu genau diesem Zeitpunkt schreiben musste. Heute bin ich begeistert, dass Leser weiterhin Trost darin finden. Aber das ist eine Art von Bonus. Das zu erreichen, war nicht mein Ziel, als ich mit dem Schreiben begonnen habe.
Der norwegische Originaltitel Ihres Romans hieße im Deutschen „Seid nett zu den Tieren“, und um Tiere geht es häufiger in „Elternteile“. Was hat es mit den Tierepisoden auf sich? Welche dieser Passagen hat Sie am meisten erstaunt bzw. bestürzt?
Karen ist Bibliothekarin, und Bücher und Filme sind irgendwie die Filter zwischen der Welt und ihr. Wenn sie versucht, sich an das „geteilte“ Leben zu gewöhnen, erfasst sie das unheimliche Gefühl, selbst ein Tier zu sein: Dieses Kind gehört mir! Und das obwohl sie die üblichen Vereinbarungen unterzeichnet und sich so benimmt, wie es von ihr erwartet wird. „Für Tiere ist die Frage einfach“, liest sie irgendwo, „Das Kind gehört zu dem Körper, der es geboren hat.“ In anderen Geschichten findet sich weniger Trost, wie beispielsweise in der Passage über Katzenmütter, die ihre Kleinen ab einem gewissen Alter zurückweisen, oder wie in der über die Sattelrobbe, die ihre Säuglinge einfach verlässt. Ich sollte hier aber sicher anmerken, dass einige dieser Tiergeschichten faktisch nicht wahr sind. Ich habe mir da im Zuge meiner Bemühungen, frisch geschiedenen Müttern Angst einzujagen (oder sie zu beruhigen), ein paar Freiheiten erlaubt.
Elternteile ist eine leichte, spannende, extrem lehrreiche und zutiefst berührende Lektüre. War es für Sie schwierig, diesen besonderen Erzählton für das Buch zu finden?
Ich hatte in meinem vorherigen Roman auch mit derartigen Fragmenten gearbeitet, und fand, dass ich in dieser Form am besten schreibe. Bei diesem Roman hier war ich schon frühzeitig zu dem Schluss gelangt, dass mir nicht daran gelegen war, eine konventionelle und fortlaufende Geschichte zu erzählen. Die fragmentierte Form fühlte sich befreiend an, vor allem, als ich mich dem völlig ergab. Auf diese Weise kann der Roman irgendwie alles fassen. Sämtliche Situationen, die Erfahrungen, die kleinen Dinge, die Verzweiflungsausbrüche und Erinnerungsfetzen. Unsere eigenen Geschichten sind alles andere als geradlinig, unser Gedächtnis speichert die Dinge nicht chronologisch genau, erst recht nicht, wenn wir eine Krise durchleben. So gesehen, dient die Form dazu, den Inhalt auszuschmücken, beziehungsweise zu spiegeln.
Wie sehen Ihre beruflichen Pläne für die Zukunft aus? Arbeiten Sie bereits an einem neuen Buch, und wenn ja, worum wird es darin gehen?
Ich arbeite im Moment an einem Roman, der im Herbst erscheint. Der Arbeitstitel ist Vernichtung, und kurz gesagt, geht es darin um Zerfall. Eine Person wird bombardiert: mit den Lebenserwartungen der Vergangenheit, den Lebensrealitäten der Gegenwart, einer Beziehung, schmelzenden Gletschern und einem alten Haus. Einem wirklich alten Haus, von dem sie fürchtet, es könne jeden Moment „vernichten“ oder einstürzen und alles andere mit sich reißen.
Alle Verlage