Sabine Weiß - Autor
© André Poling

Autorin

Sabine Weiß

Sabine Weiß, Jahrgang 1968, arbeitete nach ihrem Germanistik- und Geschichtsstudium als Journalistin. Seit 2007 veröffentlicht sie erfolgreich Historische Romane, seit 2016 zusätzlich Krimis um Kommissarin Liv Lammers und ihr Team. Mit deren Fall DÜSTERES WATT gelang ihr 2022 der lang verdiente Sprung auf die Bestsellerliste. Wenn Sabine Weiß nicht auf Recherchereise für ihre Bücher ist, lebt sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn bei Hamburg. 

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Interview

"Mein Blick auf Sylt ist als Krimi-Autorin etwas schräg, weil ich natürlich vor allem darauf achte, wo man ungesehen Verbrechen begehen oder gar Leichen verstecken könnte." | 09.03.2022

DÜSTERES WATT ist der inzwischen sechste Fall für die Flensburger Ermittlerin Liv Lammers. Was erwartet die Leser:innen in dem neuesten Krimi?Einen Ertrunkenen in den Wanderdünen, ein verdurstetes Mordopfer im Watt und andere Rätsel. Liv bekommt es mit einem mysteriösen Fall zu tun, der mit einer re...

DÜSTERES WATT ist der inzwischen sechste Fall für die Flensburger Ermittlerin Liv Lammers. Was erwartet die Leser:innen in dem neuesten Krimi?
Einen Ertrunkenen in den Wanderdünen, ein verdurstetes Mordopfer im Watt und andere Rätsel. Liv bekommt es mit einem mysteriösen Fall zu tun, der mit einer reichen Familie aus altem schleswig-holsteinischen Adel in Verbindung steht. Sie muss in eine fremde Welt eintauchen und lernt neue Sylter Abgründe kennen.
Sie schreiben echte, brisante, abgründige Polizeikrimis – nichts für schwache Nerven. Woher nehmen Sie die Ideen für Ihre Fälle?
So manche abgründige Idee habe ich in schlaflosen Nächten oder wenn der Nachbar mal wieder den Laubbläser anschmeißt. Nein, Spaß beiseite: Die Realität schreibt die besten Geschichten. Ich recherchiere gerne und viel. Dazu gehört auch das Gespräch mit echten Mord-Ermittlern, Rechtsmedizinern oder das Studium wahrer Kriminalfälle.
Als Kulisse für Ihre Spannungsromane haben Sie die wunderschöne Nordseeinsel Sylt gewählt. Gibt es hier noch Geheimtipps oder versteckte Ecken, über die Sie in Ihren Büchern noch nicht geschrieben haben?
Ich entdecke auf Sylt immer wieder etwas Neues! Mein Blick ist als Krimi-Autorin allerdings etwas schräg, weil ich natürlich vor allem darauf achte, wo man ungesehen Verbrechen begehen oder gar Leichen verstecken könnte. Für „Düsteres Watt“ habe ich vor allem die Welt der Sylter Wanderdünen erkundet. Unbekannter dürfte das Weinanbaugebiet bei Keitum sein; Deutschlands nördlichste Rebstöcke haben einen Gastauftritt in „Düsteres Watt“.
Die Leser:innen begeistert unter anderem, dass Sie hier auch das Leben abseits der wohlsituierten Urlauber zeigen. Sie beschreibt vor allem die einfachen Leute, die in dem Urlaubsparadies täglich zu Hause sind. Wie oft sind Sie schon privat auf der Insel gewesen? Gibt es eine besondere Verbindung für Sie?
Puh, das zu zählen fällt mir schwer! Ich bin als Kind nach Sylt in die Vogelkoje verschickt worden – wie so viele Hamburger Kinder - und seitdem regelmäßig auf der Insel gewesen. Seit ich meinen Sylt-Krimi schreibe, bin ich pro Jahr mindestens zweimal auf Sylt. Jedes Mal wieder begebe ich mich auf Entdeckungsreise, versuche neue Ecken zu finden, neue Dinge zu tun. Und natürlich habe ich dabei auch einen Blick für den Alltag derjenigen, die auf der Insel leben und arbeiten.
Sie sind Mitglied des Syndikat e.V.. Der Verein von deutschsprachigen Krimiautor:innen schreibt jedes Jahr den Glauser-Preis – benannt nach dem Krimi-Autor Friedrich Glauser – in verschiedenen Kategorien aus. In diesem Jahr haben Sie in der Jury des Debüt-Preises gesessen. Was macht einen preisverdächtigen Krimi aus?
Ein origineller Erzählton, ein interessantes Thema, eine mitreißende Handlung (was nicht unbedingt Spannung oder Action bedeuten muss) und facettenreiche Figuren sind auf jeden Fall vielversprechend. Ich war begeistert, wie vielfältig die Krimi-Debüts waren, die für den Glauser eingereicht wurden. Es ist eine große Ehre für mich, auf diesem Wege Nachwuchsautor:innen zu der Aufmerksamkeit zu verhelfen, die sie verdienen. Übrigens bin ich in diesem Jahr auch in der Jury für das Stipendium der Mörderischen Schwestern e.V., das ich auch ganz großartig finde und freue mich schon sehr auf die Arbeiten, die bis 15. Juni 2022 eingereicht werden können.
Welche Krimiautor:innen lesen Sie privat gerne?
Viele! Zuletzt haben es mir die Lewis-Trilogie von Peter May und die Krimis von Deborah Crombie angetan. Ursula Poznanski reißt mich mit ihren Krimis und Thrillern regelmäßig mit. Ich mag die Cold Case-Reihe von Tina Frennstedt und die Pia Korittki-Fälle meiner Kollegin Eva Almstädt. Bewundernswert, wie Eva eine so lange Reihe so lebendig hält! Und ich liebe die Thriller von Tana French.
Sie haben sich mit dem Schreiben von historischen Romanen einen Namen gemacht. Was hat Sie dazu bewogen, auch Krimis zu schreiben?
Ich verschlinge zur Entspannung sehr gerne Krimis und Thriller und wollte mich in diesem Genre ausprobieren. Erzählton, Stil und Themen sind bei historischen Romanen und Krimis sehr unterschiedlich, sodass der Wechsel jedes Mal wieder aufregend ist.

Interview

»Gute Krimis erzählen auch immer etwas über die Gesellschaft und ihre Missstände« | 03.03.2021

TÖDLICHE SEE ist der fünfte Band Ihrer Sylt-Krimis um Ermittlerin Liv Lammers. Schauplatz ist die Insel Sylt. Was reizt Sie an diesem Setting besonders?Sylt ist erstens wunderschön – eine absolute Trauminsel. Gleichzeitig bietet Sylt eine große Vielfalt. Und mich reizt besonders die gesellschaftlich...

TÖDLICHE SEE ist der fünfte Band Ihrer Sylt-Krimis um Ermittlerin Liv Lammers. Schauplatz ist die Insel Sylt. Was reizt Sie an diesem Setting besonders?
Sylt ist erstens wunderschön – eine absolute Trauminsel. Gleichzeitig bietet Sylt eine große Vielfalt. Und mich reizt besonders die gesellschaftliche Fallhöhe: Auf der Insel treffen Arm und Reich, Jung und Alt aufeinander.
Was gefällt Ihnen am Krimi-Genre?
Gute Krimis lassen einen vor Spannung den Atem anhalten, miträtseln und in eine fremde Welt eintauchen. Gleichzeitig erzählen Krimis auch immer etwas über die Gesellschaft und ihre Missstände.
Was ist Ihr Rezept für einen richtig guten Krimi?
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten! Bei einem literarischen Krimi ist es nicht wie beim TATORT, wo der Mord in den ersten fünf Minuten passieren muss. Natürlich gibt es Lehrbuchwissen, wenn es darum geht wer ermittelt, oder wie falsche Fährten gelegt werden. Aber ein Krimi kann alle Regeln brechen – und trotzdem (oder gerade deshalb) großartig sein. Eines kann ich auf jeden Fall sicher sagen: ich brauche mindestens eine Figur, mit der ich mitfiebern kann.
Für die Zeit nach dem Lockdown, wenn man wieder reisen kann: Nennen Sie uns Ihre Top-5-Lieblingsausflugsziele auf der Insel?
Für jeden meiner Sylt-Krimis suche ich immer ein paar meiner Lieblingsorte auf der Insel aus, die ich den Leser­:innen näherbringen möchte. Top 1 ist für mich der Strand, oder sagen wir besser: die Strände, denn jeder ist anders. Ich liebe besonders den Rundgang um die Hörnum Odde: wilde Dünen und herrlicher Strand, beinahe wie in der Karibik. Top 2 ist der Sylter Ellenbogen mit seinen Wanderdünen, den Leuchttürmen und dem Königshafen. Top 3: Das Morsum-Kliff: Millionen Jahre Zeitgeschichte auf engstem Raum und zugleich ein großartiges Farbenspiel! Da ich ein Faible für Hügelgräber habe, sind sie meine Top 4. Ich empfehle die spannende Tour von Sylt Tourismus entlang der verschiedenen Hügelgräber, die man mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß erreichen kann. Die frühzeitlichen Denkmäler liegen oft in wunderschöner Heidelandschaft. Die Hügelgräber und der Wikingerschatz von Morsum haben mich zu FINSTERES KLIFF inspiriert. Wenn man Zeit hat, bietet sich ein Abstecher ins Binnenland zum Wikingermuseum nach Haithabu an. Top 5: die zauberhaften Dörfer, vor allem Keitum. Das alles hört sich für mich nach einem perfekten Urlaub an.
Wären Sie gern einmal in die Haut Ihrer Protagonistin geschlüpft?
Auf jeden Fall! Liv ist eine „coole Socke“, und ich mag besonders ihre „Frauen-WG“ mit ihrer Tochter und ihrer Großmutter. Außerdem würde ich gern so gut Schlagzeug spielen können wie meine Kommissarin.
Was macht Ihnen Angst? Und haben Sie sich schon einmal vor Ihrer eigenen Geschichte gefürchtet?
Ja. Zum Beispiel thematisiere ich in meinen Krimis die Gewalt gegen Frauen und Femizide, furchtbare Themen, die aber leider gesellschaftlich von hoher Relevanz sind.
Lassen Sie sich von interessanten Geschichten inspirieren, die Ihnen im Laufe der Recherchen begegnen?
Für TÖDLICHE SEE habe ich bei der Firma NORDSEE-TAUCHER in Bremerhaven recherchiert und dabei viel über die gefährliche Arbeit der Berufstaucher erfahren. Das war für mich als frühere Hobby-Taucherin faszinierend.
Ich bin auch den Kommissar:innen, LKA- und BKA-Beamt:innen, Opferschützer:innen und Rechtsmediziner:innen für die vielen Gespräche sehr dankbar, die sie sich immer wieder die Zeit für diese Einblicke in ihre wichtige Arbeit nehmen. Besonders beeindruckt hat mich der Austausch mit einer renommierten Expertin für forensische Bodenkunde.

Interview

"Episch ist der Roman, weil er einen ganzen Kosmos eröffnet - die Machtkämpfe der Königshäuser Englands, Frankreichs und Spaniens, die Schlachten des Achtzigjährigen Kriegs, die großen Entdeckungs- und Handlungsreisen, aber auch innerpolitische Intrigen." | 21.12.2020

„Krone der Welt“ ist ein 686 Seiten starkes Epos in dem Sie wunderbar die fiktive Geschichte dreier Weisen mit der Geschichte der Handelsstadt Amsterdam im 16. Jahrhundert verknüpfen. Worum geht es in Ihrem Roman?In „Krone der Welt“ – und dem geplanten zweiten Roman – erzähle ich die Geschichte Amst...

„Krone der Welt“ ist ein 686 Seiten starkes Epos in dem Sie wunderbar die fiktive Geschichte dreier Weisen mit der Geschichte der Handelsstadt Amsterdam im 16. Jahrhundert verknüpfen. Worum geht es in Ihrem Roman?
In „Krone der Welt“ – und dem geplanten zweiten Roman – erzähle ich die Geschichte Amsterdams im „Goldenen Zeitalter“. Es ist ein großartiges, enorm reichhaltiges Sujet, das ich auf verschiedenen Ebenen behandle. Wie wurde Amsterdam von einer einfachen Handelsstadt zu einer Metropole? Wie konnte aus den siebzehn Provinzen, die zum spanischen Königreich gehörten, eine Republik werden, in der die Bürger herrschten? Wie entstand der Grachtengürtel, den wir heute noch so bewundern? Ganz zu schweigen, von dem enormen Kunstboom, der uns noch immer staunen lässt.
Was das Epische angeht: Neben den Handlungsebenen in Amsterdam, in denen vor allem die Architektur und auch die gesellschaftliche Stadtentwicklung im Mittelpunkt stehen, weitet sich mein Blick. So spielen die Machtkämpfe der Königshäuser Englands, Frankreichs und Spaniens, die um die Vorherrschaft in den strategisch wichtigen Niederlanden rangen, eine wichtige Rolle. Wir erleben die Schlachten des Achtzigjährigen Kriegs, die großen Entdeckungs- und Handlungsreisen, aber auch innerpolitische Intrigen. Einen ganzen Kosmos also.
Es ist die Zeit der Religionskriege, Katholiken und Calvinisten streiten um den rechten Glauben, Engländer und Spanier um den Einfluss auf das Land am Meer, Kaufleute um die ökonomische Macht. Sie verknüpfen diese vielen Ebenen im Roman, wie behalten Sie beim Schreiben den Überblick?
Mit Hilfe einer ungeheuren Zettelwirtschaft! Ich plane erst den großen Bogen des ganzen Romans und dann die einzelnen Abschnitte bis hin zu jeder Szene. Gleichzeitig besteht aber immer die Gefahr, sich zu verzetteln, deshalb bin ich froh über den präzisen Blick meiner Lektorin.
Vincent träumt davon, als Architekt beim Aufbau der Stadt mitzuwirken und prachtvolle Grachtenhäuser zu errichten. Maßgeblich ist er am Bau des weltberühmten Grachtengürtels beteiligt. In Ihren Beschreibungen der Zünfte, der Bauweisen und der Gewinnung von Land durch Entwässerung zeigt sich Ihre gründliche Recherche. Wie bereiten Sie sich vor?
Einerseits natürlich vor Ort. Es gibt kaum ein Museum in Amsterdam, das diese Zeit behandelt, das ich noch nicht besucht habe. Und natürlich lesen, lesen, lesen. Meistens arbeite ich mich von Fußnote zu Fußnote, weil ich so die interessantesten Hintergründe finde. Ich habe mich intensiv mit Gemälden beschäftigt, weil sie so viel über die Zeit erzählen. Ach ja, und ich habe gelernt, Niederländisch zu lesen, denn viel Fachliteratur ist nur in Originalsprache erhältlich. Das war eine besondere Herausforderung.
Bei Ihren Recherchen haben Sie bestimmt vieles entdeckt. Wo kann man die Geschichte der Stadt am besten erleben, verraten Sie uns Ihre absoluten Top5 in Amsterdam?
Nur fünf? (lacht) Eine Grachtenfahrt ist immer zauberhaft und eine wunderbare Möglichkeit, sich erst einmal einen Überblick über die verschiedenen Grachten zu verschaffen. Bei einem Besuch im Museum Het Grachtenhuis in der Herengracht erfahren Sie viel über die Entstehung der Stadt und den Bau der Grachtenhäuser. Hier können Sie auf den Spuren meiner Hauptfigur, des Architekten Vincent, wandeln.
Wie aber lebten die Menschen? Im Amsterdam-Museum bekommt man einen guten Einblick in die Lebensbedingungen in der Stadt. Besonders berührend ist dort das Kleine Waisenhaus, in dem es um das Schicksal der Bürgerwaisen geht; Waisen, wie meine drei Hauptfiguren, besonders Betje.
Das Rijksmuseum ist natürlich ein Muss und absolut überwältigend, aber auch die Porträt-Galerie des siebzehnten Jahrhunderts in der Hermitage ist ein absolutes Highlight, weil sie die damaligen Menschen in großartigen Gemälden lebendig werden lässt. Spannend ist auch, wie dort der Begriff „Goldenes Zeitalter“ in Frage gestellt wird, denn natürlich gab es viele Menschen, für die diese Zeit ganz und gar nicht golden war, wie Arbeiter oder Sklaven. Konterkariert werden die historischen Porträts daher durch Fotografien bekannter holländischer people of colour, die in die Rolle historischer Persönlichkeiten schlüpfen.
Will man auf den Spuren von Ruben wandern, meinem Seemann in „Krone der Welt“, ist Het Scheepvaartmuseum die erste Adresse. Grandios, wie in dem ehemaligen Arsenal die Schifffahrts- und Entdeckungsgeschichte der Stadt aufgeblättert wird.
Neben dreißig männlichen Protagonisten, darunter fiktive, wie auch historische Figuren, sind in Ihrem Personenregister sieben Frauen aufgeführt. Zwei davon haben historische Vorbilder. Wie schwierig ist es, Quellen zu finden, die die Lebenswelt der Frauen dieser Zeit beschreiben?
Es ist deutlich einfacher, Quellen aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert für die Lebenswelten von Frauen zu finden als beispielsweise bei meinem Roman „Der Chirurg und die Spielfrau“, der im zwölften Jahrhundert spielt. Ich bin bei meinen Recherchen auf faszinierende Frauenleben gestoßen, wenn ich an die Malerin Judith Leyster denke, die Gelehrte Anna Maria von Schürmann, die Dichterin Maria Tesselschade Visscher oder – zeitlich etwas später – die Naturforscherin und Künstlerin Maria Sybilla Merian. Auch waren die Frauen in Amsterdam zu dieser Zeit zum Teil so unabhängig, dass Reisende staunend darüber berichteten. Gleichzeitig musste ich aber abwägen, welche Figuren ich für die Geschichte wirklich benötige. Bei einem so umfangreichen Stoff wie bei „Krone der Welt“ ist das ein schwieriger Spagat und mehr als einmal heißt es „Kill your Darlings“, d.h. nicht alles, was einen fasziniert, dient dem Lesefluss und muss daher gestrichen werden.
Sie schreiben an einem weiteren Roman über Amsterdams Geschichte, werden wir darin den Protagonisten aus Krone der Welt wieder begegnen?
Nur indirekt, denn der Zeitsprung ist zu groß. Aber die Geschichte meiner Architektenfamilie geht weiter und dieses Mal hat sie als Baumeister nicht nur in Amsterdam zu tun, sondern auch in einer großen deutschen Handelsstadt, die die Niederländer zu dieser Zeit sehr geprägt haben.

Interview

"Das Mittelalter ist faszinierend, weil es fremd und nah zugleich ist." | 08.04.2020

»Der Chirurg und die Spielfrau« ist schon Ihr zehnter historischer Roman. Und jedes Mal suchen Sie sich besondere Themen aus, wie z.B. die Kunst des Perlenfischens. In »Der Chirurg und die Spielfrau« ist es nun die mittelalterliche Medizin und die Heilkunst der Musik. Wie kommen Sie auf die Stoffe?O...

»Der Chirurg und die Spielfrau« ist schon Ihr zehnter historischer Roman. Und jedes Mal suchen Sie sich besondere Themen aus, wie z.B. die Kunst des Perlenfischens. In »Der Chirurg und die Spielfrau« ist es nun die mittelalterliche Medizin und die Heilkunst der Musik. Wie kommen Sie auf die Stoffe?
Oft hangle ich mich in wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Fußnote zu Fußnote, wie bei einer Schnitzeljagd, bis ich DAS Thema finde, das mich begeistert. Manchmal sind es auch Museumsbesuche oder persönliche Begegnungen, die mich inspirieren.
Sie sind für Ihre genaue Recherche bekannt. Wie war die Quellenlage für Ihren neuen Roman?

Grundsätzlich bietet das dreizehnte Jahrhundert genügend Quellen, wenn auch verwertbare Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen noch Mangelware sind. Die Musiktherapie spielte bereits in der Antike in der Medizin eine Rolle und wurde später sogar an den Universitäten unterrichtet. Dennoch gab es bei diesem Stoff eine große Lücke – und die ist es, die mich besonders gereizt hat: meine männliche Hauptfigur ist von dem sogenannten „Chirurgen von der Weser“ inspiriert. Diese medizinische Koryphäe ist uns durch zwei Manuskripte bekannt, die so gut waren, dass sie über die Jahrhunderte häufig kopiert wurden. Der Verfasser nennt aber weder seinen Namen noch seine Herkunft oder seinen Werdegang. Diese „Leerstellen“ logisch und auf der Basis von Recherchen auszufüllen und zugleich eine spannende Geschichte zu erzählen, war ein großer Reiz.

Und wo sind Sie überall hingereist?
Hier im Norden nach Bremen, in die Wesermarsch und nach Corvey. Die mittelalterlichen Manuskripte legen nahe, dass der Chirurg aus dem Weserraum stammte und in den Diensten des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg stand. In der untergegangenen Stadt Corvey waren zudem bei archäologischen Ausgrabungen medizinische Instrumente gefunden worden, die in Zusammenhang mit seinen Schriften gebracht werden konnten. Da Herzog Otto in den Stedinger-Kreuzzug bei Bremen verwickelt war, und der Chirurg auch über Erfahrungen bei Kriegen verfügte, ergab sich auch diese Verbindung.
Zudem habe ich in Bologna, Genua und Montpellier recherchiert – drei Städte mit einer großen (medizinischen) Geschichte, die sehr unterschiedlich sind, und die eine Rolle im Leben meines Chirurgen und seines Lehrmeisters Wilhelm spielten.
Sie bewegen sich mit Ihren historischen Romanen fast immer im Mittelalter, was fasziniert Sie an der Epoche besonders?
Es stimmt, die letzten Romane bewegen sich im Mittelalter. Allerdings habe ich auch bereits fünf Romane verfasst, die zwischen dem sechzehnten und neunzehnten Jahrhundert spielen. Das Mittelalter ist faszinierend, weil es fremd und nah zugleich ist. Man glaubt, so viel zu wissen, kann abseits der Klischees jedoch viel entdecken. Die Gegensätze sind extrem, es ist archaisch, so dass die Menschen – und insbesondere die Frauen – schnell an Grenzen gestoßen sind. Das allein bietet viel Stoff für Konflikte und lässt einen „mitfiebern“.
Hätten Sie selbst gerne im Mittelalter gelebt?
Nein. In Romanen tauchen wir oft in die „süffigen Aspekte“ des Mittelalters ein. Gerne verdrängen wir, warum die meisten Menschen damals nicht alt geworden sind, dass sie von Pocken und anderen Krankheiten vernarbt waren, keine Zähne mehr hatten oder an einer einfachen Blutvergiftung starben. Immer, wenn ich beispielsweise über mittelalterliche Heilmethoden lese, bin ich glücklich, heute zu leben. Wenn ich an die damals so beliebten Trepanationen denke, also Schädelöffnungen mit einem Bohrer, gruselt’s mich.
Was vielleicht gar nicht allen bewusst ist: Sie zeigen im Roman auf, wie verbreitet die Sklaverei im Mittelalter war. Wie sind Sie darauf gestoßen?
Auf das Thema Sklaverei im Mittelalter bin ich durch die Recherchen zur „Hansetochter“ gestoßen, denn viele der Lübecker Hansekaufleute profitierten von den Kreuzzügen ins Heidenland an der Ostsee – also ins Baltikum – und brachten auch Sklaven von dort mit. Ich las zudem die Tagebücher des italienischen Kaufmanns Marco Datini, der von 1335 bis 1410 lebte, und der häufig über die Sklaven berichtet, die er kaufte oder verkaufte. Ich konnte nicht fassen, dass es zu einer Zeit, die wir in Teilen schon als fortschrittlich betrachten, noch Sklaverei gibt, und begann dem nachzugehen.
Durch Ihre Hauptfiguren, die Sklavin Elena, dem jungen Adligen Thonis und dem Chirurgen Wilhelm, gelingt es Ihnen, den ungeheuren Kontrast zwischen den Ständen und zwischen Mann und Frau darzustellen. Wie behalten Sie, bei all den unterschiedlichen Lebenswelten, die Fäden in den Händen beim Schreiben?
Durch sehr umfangreiche Vorarbeiten, sowohl was die Figuren als auch die Handlungsstränge angeht. Ich finde es bewundernswert, wenn Autoren einfach losschreiben und abwarten, wohin der Schreibfluss sie treibt – das ist bei mir nicht der Fall.
Elena verfügt über die Gabe mit Ihrem Gesang zu heilen. Sie schreiben in der Anmerkung zum Buch, dass die Musiktherapie heutzutage leider für exotisch oder gar esoterisch gilt. Was halten Sie dagegen?
Mit der Musiktherapie lassen sich erstaunliche Erfolge beispielsweise bei Alzheimer-, Schlaganfall- oder Demenzpatienten erzielen, ebenso bei psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen und Störungen wie Autismus, Depressionen oder Tinnitus. Singen blockiert auch das Angstzentrum im Gehirn.
Sie haben eine Begeisterung für das Leben der Madame Tussaud. Inwieweit sind Ihre Romanfiguren Wachs in Ihren Händen?
Ha! Schön wär’s! Die meisten Figuren sind durchaus formbar. Allerdings gibt es auch Charaktere, die ein starkes Eigenleben entwickeln, und beispielsweise einfach nicht sterben wollen, obwohl ich sie dahinmeucheln will 😊
Und verraten Sie uns schon, wo und wann Ihr nächster historische Roman spielt?
Ich weiß gar nicht, ob ich das schon verraten darf, aber bitte: „Krone der Welt“ spielt im Amsterdam des Goldenen Zeitalters. Auch ein sehr reiches, faszinierendes Sujet.
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