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Autorin

Annalena Thomas

Annalena Thomas ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Gründerin der Mental-Health-Plattform dayã, Autorin und Yogalehrerin. Mit ihrer Arbeit bestärkt sie Heranwachsende seit über 15 Jahren in ihrer Entwicklung und begleitet sie durch schwierige Lebenssituationen. In ihren Onlinekursen, ihrer eigenen Praxis und in ihrem Podcast "SeelenSchnack" teilt sie ihr Wissen aus den Bereichen Mentale Gesundheit, Psychotherapieforschung und Embodiment. Besonders wichtig sind ihr dabei die Entstigmatisierung von seelischen Erkrankungen, der Umgang mit Leistungs- und Erwartungsdruck sowie die Stärkung einer selbstbewussten Beziehung zu sich selbst und anderen, Sie liebt und lebt dafür, vor allem weiblich gelesene junge Menschen auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden durch Mentoring und Community zu ermutigen, auf sich und die eigene Stimme zu hören. Weitere Informationen unter: wearedaya.de und annalenathomas.de

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Interview

KINDER- UND JUGENDPSYCHOTHERAPEUTIN ANNALENA THOMAS IM INTERVIEW ÜBER MENTALE GESUNDHEIT UND IHR NEUES SACHBUCH „ON YOUR OWN“ | 26.07.2023

In deinem neuen Sachbuch „On Your Own“ behandelst du die Phase nach dem Schulabschluss und Ängste auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Wieso hast du dieses Thema gewählt? Jugendliche und junge Erwachsene sind zunehmend belastet. Das ergeben diverse aktuelle Studien und auch Studien der vergangenen Jahr...

In deinem neuen Sachbuch „On Your Own“ behandelst du die Phase nach dem Schulabschluss und Ängste auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Wieso hast du dieses Thema gewählt?
Jugendliche und junge Erwachsene sind zunehmend belastet. Das ergeben diverse aktuelle Studien und auch Studien der vergangenen Jahre. Der Angriffskrieg auf die Ukraine, die zuletzt steigende Inflation, Leistungsdruck und hohe Erwartungen, Sorgen um die Klimakrise und fast drei Jahre Pandemie haben ihren Schatten auf Heranwachsenden hinterlassen. Eine Vielzahl an jungen Erwachsenen gibt an, sich seelisch belastet und orientierungslos zu fühlen. Die Zahl der Ess- und Angststörungen stieg in den letzten Jahren nochmals deutlich an und auch Schwierigkeiten wie Konzentrationsstörungen und Hoffnungslosigkeit nehmen stetig zu. Gleichzeitig haben wir weiterhin einen Versorgungsengpass an Therapieplätzen und die Schulen greifen mentale Belastungen zu wenig auf. Es war mir wichtig, diese Thematik anzusprechen und gleichzeitig möglichst niedrigschwellig Wissen und Tools an die Hand zu geben, um junge Erwachsene zu entlasten und möglichst konkret in der Phase der Verselbstständigung zu bestärken.

Du sprichst in deinem Buch viele Ängste und Schwierigkeiten an, mit denen junge Erwachsene zu kämpfen haben. Was ist dir am wichtigsten, wenn du mit jungen Erwachsenen sprichst?

Sie ernst zu nehmen, ihnen auf Augenhöhe und mit Wertschätzung zu begegnen und sie in ihren Sorgen und Ängsten zu validieren. Viele junge Erwachsene fühlen sich von Erwachsenen nicht verstanden oder haben das Gefühl „kleingeredet“ zu werden. Dabei ist ein Gespräch auf Augenhöhe und „gefühltes Verständnis“ so wichtig, damit sich etwas in ihrer Perspektive verändern kann. Darüber hinaus ist es mir immer wichtig, einen Ausblick und dadurch Mut zu vermitteln, in dem ich Heranwachsenden alternative Umgangsweisen mit ihren Ängsten und Sorgen zeige.

Du bist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Durch deine Arbeit hast du sicher viele Erfahrungen für dieses Buch gesammelt. Was sind die wichtigsten Voraussetzungen, damit du jungen Menschen helfen kannst?

Die Sorgen und Ängste sowie Themen der jungen Generation zu kennen und ihnen die Möglichkeit zu geben, diese auszudrücken. Ich habe das Privileg, täglich mit jungen Menschen im Kontakt zu sein, dadurch lerne ich viel von ihnen. Darüber hinaus ist es mir sehr wichtig, im Kontakt absolut präsent zu sein und die Tools, die ich anbiete und weitergebe, selbst zu praktizieren und gut zu kennen. Nur so kann ein safe space entstehen, in dem Heranwachsende sich anvertrauen und etwas „Heilsames“ mitnehmen.

Du hast 2019 dayā als Onlineplattform und Community für mehr mentale Gesundheit und Selbstvertrauen gegründet. Ist dieses Buch auch im Rahmen dieses Projekts entstanden oder hast du es losgelöst von deinem Unternehmen geschrieben?

„On Your Own" ist sozusagen dayā im Buchformat. In dem Buch bekommen die Leser:innen das Wissen und die Tools vermittelt, die ich sonst in Onlinekursen und meiner Praxis an die Hand gebe. Da sich viele junge Menschen nicht in Onlinekurse trauen oder auch keinen Zugang dazu haben und die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sowohl in der Stadt als auch in ländlicheren Regionen in Deutschland unfassbar lange sind, war es mir wichtig, noch niedrigschwelliger Zugang zu diesen wichtigen Informationen und Techniken zu ermöglichen.

Auch über deine Website hinaus bist du in sozialen Netzwerken sehr aktiv. Wie nutzt du diese Kanäle, um jungen Erwachsenen zu helfen?

Egal auf welcher Plattform oder in welchem Format, ich versuche über mentale Gesundheit und seelische Erkrankungen aufzuklären, mit anderen Expert:innen und Heranwachsenden in den Austausch zu gehen und das Thema dadurch zu entstigmatisieren. Viele junge Menschen haben das Gefühl, mit ihren Herausforderungen alleine zu sein oder irgendetwas falsch zu machen, wenn es ihnen nicht gut geht, dabei geht es wie gesagt vielen Heranwachsenden ganz ähnlich. Die Kernbotschaft „Du bist mit deinen Sorgen nicht alleine! Und es gibt Möglichkeiten dir zu helfen!“ ist mir deshalb bei allem, was ich mache mit am wichtigsten.

Du schreibst, dass „On Your Own“ kein Buch zur Selbstoptimierung sei, vielmehr ist es ein Ratgeber, um das Erwachsenwerden zu navigieren. Wie schaffst du es, den Leser:innen hilfreiche Tipps zur Verbesserung ihrer mentalen Gesundheit und Lebenssituation zu geben, ohne auf die Selbstoptimierung zurückzufallen?
Durch das Einbeziehen von neurobiologischen Techniken und Wissen sowie Mitgefühl. Neuere Forschungsbereiche, wie u.a. die Embodimentforschung, aber auch Studien zu Selbstmitgefühl, können heute ziemlich gut belegen, dass der Einbezug unseres Körpers und Nervensystems sowie Verständnis für uns selbst wichtig sind, um uns nachhaltig entlastet und wohlzufühlen. Gerade bei unserem oft vollen und stressigen Alltag und der mangelnden Bewegung. Auch die Beziehung zu uns selbst und anderen ist ausschlaggebend für unser Wohlgefühl und unsere körperliche und mentale Gesundheit. Wenn wir ausschließlich bei unseren Kognitionen ansetzen, fühlen wir „es“ oft nicht; wenn wir unseren Körper miteinbeziehen und uns gegenseitig bestärken, können wir viele Lebensbereiche verändern, ohne in „Perfektionswahn“ zu verfallen.

Immer wieder geht es um die eigene Entwicklung und das Erwachsenwerden. Würdest du sagen, dass man eines Tages erwachsen ist oder ist dieser Prozess fortlaufend? Was glaubst du, könnten auch Menschen, die sich vielleicht nicht mehr als Heranwachsende verstehen, aus deinem Buch mitnehmen?

Entwicklungspsychologisch betrachtet sind wir auf alle Fälle irgendwann erwachsen, wobei sich in den letzten Jahrzehnten das Alter, in dem wir uns erwachsen fühlen, deutlich nach hinten verschoben hat, was diverse Herausforderungen mit sich bringt. Die Psychologie spricht hier von „Emerging Adulthood“. Mein Wunsch war es, dass sich Leser:innen, egal in welchem Alter, gesehen und unterstützt fühlen. Ich glaube für uns alle, egal in welchem Alter, können Embodimenttechniken und der Ansatz des Selbstmitgefühls von Bedeutung und hilfreich sein.

Dein Buch bietet viele Ansätze für junge Erwachsene, sich selbst zu finden und sich im eigenen Leben zu orientieren. Hast du noch einen besonderen Tipp, wie sich diese Techniken nachhaltig in den Alltag integrieren lassen?
Wir dürfen es uns einfach machen. Der Alltag von Heranwachsenden, und ehrlicherweise vielen von uns, ist sehr voll. Viele leiden unter Stress, langen Lern- und Arbeitszeiten und zu wenig Bewegung. Dazu kommt unfassbar viel Medienzeit. Wenn dann auch noch Techniken zur Förderung unserer Mentalen Gesundheit aufwendig sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir diese umsetzen, gering. Jeden Tag fünf bis zehn Minuten bewusst zu atmen und uns zu bewegen oder auch Atemtechniken zu nutzen, die unseren Stoffwechsel unterstützen und Stress in unserem Nervensystem ausgleichen, kann sehr hilfreich sein. Auch im Alltag immer wieder bewusst eine Hand aufs Herz zu legen, kurz zu spüren „wie atme ich eigentlich gerade“ und bewusst durchzuatmen, fördert unser Selbstempfinden. Sonst braucht es Geduld und immer wiederkehrendes Commitment. Und ich plädiere dafür, dass all diese Techniken auch in der Schule vermittelt und aufgegriffen werden.

Was wünscht du dir, was die Leser:innen aus deinem Buch mitnehmen sollen?
Die Botschaft, dass sie nicht allein mit all diesen Herausforderungen sind und nichts an ihnen falsch ist, wenn sie sich verunsichert fühlen. Heranwachsende stehen unter so viel Leistungsdruck und durch Serien, Social Media und unseren Zeitgeist, tragen viele „perfektionistische Ideale“ mit sich umher und sind permanent enttäuscht oder fühlen sich demotiviert. Mein größter Wunsch ist, dass sie durch und durch fühlen, dass sie wertvoll und wichtig sind, genau so wie sie sind, dass sie mutig ihren ganz eigenen Weg gehen dürfen und ihre Stärken und Fähigkeiten für sich und andere einsetzen können.
Darüber hinaus wünsche ich mir, dass unser Schulsystem revolutioniert wird und das Wissen und die Techniken, die uns zur Förderung der mentalen Gesundheit von Heranwachsenden zur Verfügung stehen, im Schulalltag integriert werden.

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