Arttu Tuominen - Autor
© Mikko Rasila 

Autor

Arttu Tuominen

Arttu Tuominen, geboren 1981, wurde für seinen Kriminalroman Was wir verschweigen in Finnland vielfach ausgezeichnet. Kritiker und Leser waren begeistert von den geschickt in die Story verwobenen Rückblenden in die Kindheit der Protagonisten sowie der sensiblen Zeichnung der komplexen Charaktere.
Arrtu Tuominen lebt mit seiner Familie in der Küstenstadt Pori, in Mittelfinnland, dem Schauplatz des vorliegenden Krimis. Neben dem Schreiben hervorragender Kriminalromane arbeitet der Autor auch als Ingenieur für Umwelttechnik.

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Interview

Die Stars der finnischen Krimiszene | 07.09.2022

Text: Margarete von SchwarzkopfDer eine schreibt aus Prinzip nicht über Covid, der andere baut den Beginn der Pandemie in seinen vierten Roman ein, der gerade in Finnland erschienen ist. Der eine hat drei schulpflichtige Kinder, der andere zwei noch sehr kleine Sprösslinge. Der eine lebt in Pori, 25...

Text: Margarete von Schwarzkopf

Der eine schreibt aus Prinzip nicht über Covid, der andere baut den Beginn der Pandemie in seinen vierten Roman ein, der gerade in Finnland erschienen ist. Der eine hat drei schulpflichtige Kinder, der andere zwei noch sehr kleine Sprösslinge. Der eine lebt in Pori, 250 Kilometer von der finnischen Hauptstadt entfernt, der andere in Helsinki. Der eine schreibt Kriminalromane, die sich sehr intensiv mit persönlichen Geheimnissen und Gefühlen seiner Figuren beschäftigen, der andere Thriller, die vor allem Themen streifen, die ein Spiegelbild der finnischen Gesellschaft sind. Viele Unterschiede, doch Arttu Tuominen, Jahrgang 1981, und Max Seeck, geboren 1985, haben auch viel gemein. Sie sind derzeit sozusagen die Stars der finnischen Krimiszene und begegnen einander mit höchster Achtung und freundschaftlichen Gefühlen.

Skandinavischer Krimi

„Ich gönne Arttu von Herzen, dass er Nummer eins auf der SPIEGEL-Bestsellerliste wird“, sagt Max Seeck, der übrigens in Helsinki die deutsche Schule besucht hat und fließend Deutsch spricht. Und sein Kollege bemerkt: „Max ist der Vorreiter des modernen finnischen Krimis. Ihm verdanken wir, dass das Genre inzwischen auch außerhalb unseres Landes Anerkennung gefunden hat.“ In der Tat sind es nicht länger nur die Schweden und Norweger, die für den skandinavischen Krimi stehen. Immer häufiger mischen sich die Namen finnischer Autoren darunter. Max Seeck sieht die Erklärung dafür weniger als persönlichen Verdienst, sondern vielmehr in der simplen Tatsache, dass „wir heute im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten gute Agenten haben, die für uns Autoren die Auslandsverträge abschließen. Es hat schon immer viele finnische Kriminalschriftsteller gegeben, doch leider blieben sie meist unübersetzt. Das hat sich glücklicherweise inzwischen geändert“.

Dritter Band

Von Max Seeck liegt der dritte Band seiner Reihe um die Ermittlerin Jessica Niemi vor, die zuvor schon in „Hexenjäger“ und „Teufelsnetz“ recherchiert hat und dabei schwer traumatisiert wurde. Es scheint zunächst, als ob ihr Kollege Jusuf das Heft in die Hand nimmt, um den Mord an einem höchst unbeliebten Geschäftsmann namens Eliel Zetterborg aufzuklären. Ein rätselhafter Fall von Anfang an, da, als Hommage an die guten alten Agatha-Christie-Romane, das Verbrechen in einem verschlossenen Raum stattfindet. Dass Jusuf als Ermittler mit dunkler Haut zunächst stärker im Vordergrund steht, soll, so Seeck, untermauern, dass es noch immer auch in Finnland Rassismus gibt und Jusufs Figur deshalb eine Ausnahme bedeutet. „Wir haben auch bei uns im Land viele Emigranten, und Jusuf gehört zu einer Minderheit, die es nicht immer leicht hat.“

Krimi-Fragen und soziale Themen

Aber Jessica spielt auch in diesem dritten Buch eine wichtige Rolle, und, wie Max Seeck sagt, verstärkt im vierten Band. Im Original lautet der Titel von „Feindesopfer“ ins Deutsche übertragen „Groll“. Und um Zorn, lang unterdrückte Emotionen und um die Schatten der Vergangenheit geht es in dem Buch. Seeck hängt an seinen Charakteren, auch an denen, die, wie er sagt, auf „der dunklen Seite der Macht stehen“. Dass er neben den klassischen Krimi-Fragen nach dem Motiv eines Verbrechens und dem „Wer war’s“ stets soziale Themen wie unter anderem Außenseitertum und Mobbing und das Verhältnis der Gesellschaft zu mental beeinträchtigten Personen in seine Handlung einbringt, ist für ihn selbstverständlich. „Mich interessieren diese Themen, die längst universal sind, mehr noch als die Kriminalfälle.“

„Facettenreichtum des Genres“

Arttu Tuominen meint von seinen Büchern, er entwickele im Vergleich zu Max seine Plots eher gemächlich. „Aber wer die Bücher von Max mag, der greift vielleicht auch gerne zu meinen. Wir sind sehr unterschiedlich, aber unsere Bücher spiegeln den Facettenreichtum des Genres wider und ergänzen sich.“ In seinem zweiten Roman aus der Reihe um das Team der Ermittler Linda und Jari, in Finnland schon vor zwei Jahren erschienen, steht wieder das Geheimnis eines der Polizisten aus der Gruppe im Mittelpunkt. Nach Jari ist es jetzt Henrik Oksman, der in den Fokus rückt. Der Titel „Was wir verbergen“ deutet an, dass auch Oksman ein Geheimnis hat, dass er nicht freiwillig preisgeben will. Doch als auf einen Nachtclub, Treffpunkt für Homosexuelle, ein Anschlag mit fünf Toten und zahlreichen Verletzten verübt wird, begangen von einem Fanatiker, der sich in einem Bekennervideo als „Abgesandter“ bezeichnet, übernimmt Oksmann von der Kripo in Pori die Ermittlungen. Oksman war kurz vor dem Anschlag auch in dem Club – wovon niemand etwas wissen darf. Zumal er dort in Frauenkleidern auftrat, wie in einem Video belegt ist. Und Oksman gerät auf die Liste der Verdächtigen. Er aber muss mögliche weitere Anschläge verhindern, eine gewaltige Herausforderung. Doch Jari und Linda unterstützen ihn.

Fünf Ermittler

„In jedem meiner auf sechs Bände angelegten Serie tritt ein jeweils anderer Ermittler aus dieser Gruppe in den Vordergrund. Aber das heißt nicht, dass die anderen Mitglieder des Teams nicht auch dabei sind“, sagt der Autor. Fünf Ermittler, fünf Bücher, und Band sechs, so Arttu, „bringt die Synopsis und Auflösung noch ungeklärter Geheimnisse“. In Finnland ist Band vier im August veröffentlicht worden. „Eines Tages, so hoffe ich, kann ich mich ganz auf das Schreiben konzentrieren und muss nicht Lücken in meinem Alltag für diese Beschäftigung finden.“ Vier Tage in der Woche arbeitet er als Umweltingenieur, am Freitag ist dann vor allem „Schreibtag“.

Schauplatz Pori

Wichtig ist für ihn besonders die Umgebung, in der seine Bücher spielen. Vor „Was wir verschweigen“ hatte er schon vier Bücher veröffentlicht, „bei einem kleinen Verlag, aber kein so großer Erfolg“, wie er ehrlich zugibt. Mit seinem fünften Roman, der in und um seine Heimatstadt Pori angesiedelt ist, kam dann der Durchbruch. Pori, eine alte Industriestadt, in der Tuominen aufgewachsen ist, kennt er in- und auswendig und könnte sich keinen anderen Schauplatz vorstellen. Und das scheinen seine Leser anzunehmen. Dennoch ist er jedes Mal, wenn ein neuer Roman kurz vor der Veröffentlichung steht, nervös. Auch bei seinem vierten Roman um die Fälle von Jari und Linda. „Eine Art Lampenfieber“ nennt er das.

Verfilmungen geplant

Sein Kollege Max Seeck wirkt dagegen gelassener. Kritiker bezeichneten ihn schon als Meister des „Finnisch noir“ Er hat als Filmproduzent, Regisseur und Drehbuchautor gearbeitet. Mit seinem 2019 erschienenen ersten Roman um Jessica Niemi, „Hexenjäger“, der in 35 Länder verkauft wurde, gelang ihm der internationale Durchbruch. Hollywood sicherte sich die Rechte für eine zwölfteilige Serie. Die Dreharbeiten in Finnland mit einer amerikanischen Crew sollten noch in diesem Jahr beginnen. „In Hollywood mahlen die Mühlen langsam“, hat Max Seeck erkannt. Er selbst wird demnächst mit den Dreharbeiten zu einem seiner Bücher beginnen.

„Krimi-Nation“ Finnland

Auch Arttu Tuominen wartet, dass sein Buch „Was wir verschweigen“ verfilmt wird. „Der Vertrag steht, die Praxis muss noch folgen.“ Genug Stoff für zahlreiche Mehrteiler bieten die Romane der beiden finnischen Autoren allemal. Dass Finnland viele spannende Schauplätze für die Umsetzung der oft sehr dunklen Dramen um Hass und Rache, Groll und Verrat, Gier und Neid bietet, hat auch schon die Serie „Bordertown“ bewiesen, die an der Grenze zu Russland entstand. Auch Pori und Umgebung und die sehr internationale Großstadt Helsinki eignen sich als Settings für die fesselnden Thriller von Arttu Tuominen und Max Seeck, die sich zwar in manchem unterscheiden, aber eines gemeinsam haben: Beide meistern ihr Genre und werden damit hoffentlich auch in den kommenden Jahren Finnlands Ruf als ernst zu nehmende „Krimi-Nation“ unterstützen.

Interview

Eine faszinierende Geschichte um Schuld, Sühne, Rache und Vergebung und um die Frage, was Freundschaft bedeutet. | 16.02.2022

Text: Margarete von SchwarzkopfPori ist eine alte Industrie- und Handelsstadt im Südwesten Finnlands am Fluss Kokemäenjoki. Rund 250 Kilometer von der Hauptstadt Helsinki entfernt, die genau auf der anderen Seite des Landes liegt. In Pori lebt Arttu Tuominen, von Haus aus Umweltingenieur, Vater von...

Text: Margarete von Schwarzkopf
Pori ist eine alte Industrie- und Handelsstadt im Südwesten Finnlands am Fluss Kokemäenjoki. Rund 250 Kilometer von der Hauptstadt Helsinki entfernt, die genau auf der anderen Seite des Landes liegt. In Pori lebt Arttu Tuominen, von Haus aus Umweltingenieur, Vater von drei Kindern und begeisterter Fußballfan. Doch die wahre Leidenschaft des 40-Jährigen gehört dem Schreiben. In Finnland erschien von ihm schon eine vierteilige Krimireihe, die, so Arttu, „in einem sehr kleinen Verlag herauskam, ohne Chance, jemals international verlegt zu werden“.
Doch schon während Arttu an seiner früheren Serie arbeitete, bewegte ihn eine Idee. „Drei Jahre habe ich an dem Ausgangspunkt für mein Buch Was wir verschweigen gefeilt. Und dann habe ich das Buch innerhalb von acht Wochen geschrieben, es wurde in Finnland von einem großen Verlag veröffentlicht und bekam den finnischen Krimipreis“. Dieser Roman ist der erste einer auf sechs Bände konzipierten Reihe. Arttu hat gerade in seiner Heimat den dritten Band herausgebracht. Was aber war die Grundidee zu Was wir verschweigen? „Mich fesselte der Gedanke über die Freundschaft zwischen zwei Jungen, die aus völlig unterschiedlichen Milieus stammen zu schreiben, der eine, Jari, hat ein schönes Zuhause, tolerante, freundliche Eltern, der andere, Antti, dagegen lebt in einem sozialen Ghetto mit einem alkoholsüchtigen Vater. Dennoch sind diese beiden Jungen eng befreundet, teilen sich Freud und Leid, schwören sich ewige Freundschaft, selbst wenn das Schicksal sie trennen sollte. Und genau das geschieht“.
Jari Paloviita geht zur Polizei, sein Jugendfreund Antti Mielonen dagegen versinkt in einem Morast aus Elend und Gewalt. Dreißig Jahre später treffen sie wieder aufeinander. Ein Mann wird bei einer Saufparty in einer Wochenendhütte erstochen, der Täter scheint eindeutig Antti zu sein. Und auf einmal wird die Vergangenheit wieder lebendig. Jari Paloviita muss sich den Dämonen seiner Jugend stellen. Und sich vor allem mit dem Opfer auseinandersetzen, das einst schon einmal eine Rolle im Leben der Freunde Jari und Antti gespielt hatte. Keine gute Rolle.
Es ist eine faszinierende Geschichte um Schuld, Sühne, Rache und Vergebung und um die Frage, was Freundschaft bedeutet und welche Werte und Wünsche die Zeit überdauern. Dass der Tote während eines Saufgelages erstochen wird, ist, wie Arttu, sagt, „in Finnland nichts Ungewöhnliches. Ein Großteil der bei uns begangenen Tötungsdelikte haben mit Alkohol und der damit verbundenen Gewalt zu tun. Das ist Polizeialltag. Aber ich wollte daraus eine etwas andere Geschichte machen. Der Fall scheint schnell gelöst, doch daraus entwickelt sich eine Lawine an Ereignissen, die alle Ermittlungen in Frage stellt“.
Ein dunkler Roman, der zudem auch noch zum größten Teil im November spielt, wenn die Tage bereits wieder kurz geworden sind.
Jeder Autor, so sagt man, verarbeitet in seinen Werken eigene Erlebnisse. So auch Arttu. Einige der Erlebnisse der beiden Freunde basieren auf seiner Kindheit. Jari und sein Freund gehen zum Beispiel gerne fischen. „Da Pori am Wasser liegt, habe ich auch als Kind viel gefischt. Aber glücklicherweise sind die Dramen der beiden Jungen nicht autobiografisch. Doch ich kenne die Gegend um Pori, ich liebe diese Stadt und diesen Teil Finnlands, und deshalb spielen meine Bücher hier und ich versuche nicht, sie irgendwo anders anzusiedeln“. Ob er glaubt, dass durch seine Romane, ähnlich wie bei Autoren, die durch die Einbeziehung bestimmter Gegenden Europas als Krimischauplätze diese attraktiv für Touristen machen, auch in und um Pori plötzlich ein Touristenboom entstehen könnte? „Nein, das glaube ich nicht. Ich mache ja keine Idylle aus dieser Gegend. Pori ist eine Stadt mit rund 85 000 Einwohnern in einer schönen Gegend Finnlands, aber meine Romane sind sicher keine Werbung für den Tourismus. Zu viel Alltag, zu wenig Essen und Trinken“.
Das Ende von Büchern darf man bekanntlich nicht verraten, aber so viel sei gesagt: Es ist Arttu gelungen, eine überraschende Wendung einzubauen, die den Eigenschaften der im Mittelpunkt stehenden ambivalenten Charaktere gerecht wird. Dazu Arttu: „Ehrlich gesagt, bin ich persönlich sehr viel mehr an meinen Charakteren interessiert und an ihrer Entwicklung als an der Frage des ‚Who dunnit‘. Natürlich ist der Plot wichtig, aber das tragende Element bleiben für mich die Figuren. Und da habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass diese oft ihren eigenen Willen entwickeln und sich manches Mal nicht von mir gängeln lassen. Ich lasse das dann auch zu, selbst wenn ich damit Teile der Handlung verändern muss“.
In jedem der sechs Bände spielt eine andere Figur die Hauptrolle. In Was wir verschweigen ist es Jari, im zweiten Band dann ein Ermittler namens Oksman, dessen Geheimnisse und dunkle Seiten thematisiert werden. „Jeder meiner Ermittler hat seine Geheimnisse, die in den Büchern aufgeschlüsselt werden. Im dritten Band wird das Linda sein, Oksmans Partnerin. Auch sie, die auf den ersten Blick eher harmlos wirkt, hat etwas zu verbergen“. Am Ende sollen, so Arttu, alle sechs Bücher zusammen wie ein einziges umfangreiches Werk wirken – ein „dickes Buch mit sechs Kapiteln. Dann kennt der Leser alle Zusammenhänge, die familiären Hintergründe, die dunklen und die hellen Seiten meiner Charaktere, ein breites Panorama mit vielen Aspekten“.
Arttu hofft, dass er eines Tages nur noch schreiben kann. Trotz seines Berufs arbeitet er jeden Tag sehr diszipliniert an seinen Büchern. Meistens abends, wenn seine drei Kinder, zehn, acht und sechs Jahre alt, zu Bett gegangen sind. „Ich schreibe jeden Tag 500 Wörter. Ganz konsequent, egal, was kommt. Wenn ich das nicht so eisern durchhalten würde, könnte ich mein Pensum nicht schaffen“. Der Druck ist natürlich inzwischen gewachsen, da er den wichtigsten finnischen Krimipreis gewonnen hat und sich und seine Leser nicht enttäuschen möchte. „Ich versuche deshalb immer neue Ideen und Tricks einzubauen und habe inzwischen ziemlich hohe Ansprüche an mich selbst. Schon als Kind habe ich Geschichten und Figuren erfunden. Umso schöner, dass dies jetzt ist Teil meines Lebens geworden ist“.
Obwohl er ernste und auch dunkle Themen nicht scheut, wird Arttu Tuominen über eines nicht schreiben: „Ich vermeide Covid-19. Das ist eine Thematik, die uns alle zu lange bedrückt und unterdrückt hat, obgleich wir in Pori recht gut davongekommen sind. Das Thema mögen andere Autoren in ihre Bücher einbauen. Ich habe genügend spannende Ideen, die meine Leserschaft unterhalten und nicht mit dieser Art Realität konfrontieren sollen“.
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