Arttu Tuominen - Autor
© Mikko Rasila 

Autor

Arttu Tuominen

Arttu Tuominen, geboren 1981, wurde für sein Krimidebüt „Was wir verschweigen“ in Finnland und international mehrfach ausgezeichnet und stand damit auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Mit den folgenden Bänden der Krimireihe hat er die Erfolgsgeschichte fortgesetzt. So war „Was wir nie verzeihen“ als „Bester nordischer Krimi 2021“ nominiert, und Arttu Tuominen hat sich damit endgültig als hervorragende neue Stimme in der Nordic-Noir-Literatur etabliert. 
Der Autor lebt mit seiner Familie in der Küstenstadt Pori, in Mittelfinnland, dem Schauplatz seiner Krimireihe. Neben dem Schreiben hervorragender Kriminalromane arbeitet der Autor auch als Ingenieur für Umwelttechnik.

Download Autorenfoto

Interview

Der glücklichste Mann von Pori | 20.09.2023

Text: Margarete von SchwarzkopfIn Skandinavien leben laut diverser Umfragen seit längerer Zeit die glücklichsten Menschen in Europa. An dieser Auffassung hat sich auch während der Covid-Pandemie nichts geändert. Selbst wenn, wie Arttu Tuominen selbst sagt, in Finnland die Selbstmordrate sehr hoch is...

Text: Margarete von Schwarzkopf

In Skandinavien leben laut diverser Umfragen seit längerer Zeit die glücklichsten Menschen in Europa. An dieser Auffassung hat sich auch während der Covid-Pandemie nichts geändert. Selbst wenn, wie Arttu Tuominen selbst sagt, in Finnland die Selbstmordrate sehr hoch ist, gelten die Finn:innen als besonders glücklich, und Arttu wurde 2021 sogar zum zufriedensten Mann seiner Region und seiner Heimatstadt Pori, rund 250 Kilometer westlich von Helsinki am Bottnischen Meerbusen, gewählt. »Ich will nicht leugnen, dass ich zufrieden bin mit meinem Leben«, sagt der Autor, der mit Frau und drei Kindern in Pori lebt, dort, wo er seit seiner Geburt am 16. November 1981 fast sein ganzes Leben verbracht hat. Er liebt diese Stadt, die schon fast selbstzum Charakter in seinen Büchern wurde und umgeben ist von einer Landschaft mit vielen Reizen. Das Meer ist nicht weit entfernt, und die Stadt mit ihren rund 80.000 Einwohnern, 1558 gegründet, ist überschaubar, harmonisch und mit interessanten Gebäuden, geschaffen vom Architekten Carl Ludwig Engel, geboren in Berlin, 1840 in Helsinki gestorben.

Von den 1940-er Jahren in der Ukraine bis ins heutige Finnland

Natürlich geschehen auch hier Verbrechen. Dennoch ist es eine eher friedliche Gegend, in der es sich gut leben lässt. Kein Wunder, wenn Arttu gesteht, dass er allen Grund zur Zufriedenheit hat. Noch hat er seinen »Brotjob«, aber er hofft, sich bald nur noch »dieser Berufung«, dem Schreiben, widmen zu können. Er ist auf dem besten Wege zu diesem Traum. In Finnland ist gerade der vierte Band seiner Serie über sein Ermittlerteam um Jari Paloviita, Henrik Oksman und Linda Toivonen erschienen. Im dritten Teil, der jetzt auf Deutsch vorliegt, finden sich die Opfer mehr im Zentrum der Handlung als die Ermittler:innen. Es sind Opfer sowohl von Mordanschlägen als auch Opfer von Horrortaten im Zweiten Weltkrieg. WAS WIR NIE VERZEIHEN spielt auf zwei Zeitebenen, zum einen in den 1940er-Jahren in der Ukraine und zum anderen im heutigen Pori.

Finnische Freiwillige bei der deutschen Waffen-SS

Nach dem Anschlag auf den fast 98-jährigen Albert, Insasse eines Altenpflegeheims, ist die Truppe um Jari alarmiert. Wer hätte ein Motiv, einen so alten Mann zu töten, ihn erhängen zu wollen, wie sich bei den Ermittlungen herausstellt? Jari, den sein Privatleben und seine immer weniger glückliche Ehe mit Terhi bedrückt, ist zunächst nicht bei der Sache. Aber dann stirbt ein ebenfalls uralter Mann, Klaus Helminen, der erhängt im Wald aufgefunden wird. Dass beide Taten zusammenhängen, ist eindeutig. Doch wer oder was steckt hinter dieser »Hinrichtung«? Jari beginnt sich mit Hilfe von Linda und Henrik in den merkwürdigen Fall hineinzuarbeiten und entdeckt eine Verbindung in die Vergangenheit. Albert und Klaus waren beide bei der Waffen-SS als Freiwillige. Und darin muss der Ursprung dieser Racheaktion an den alten Männern liegen.

Genaue Recherche der historischen Fakten

»Auf die Idee, mich mit dem Thema der finnischen Freiwilligen bei der SS während des Zweiten Weltkrieges zu befassen und sie zur Basis meines dritten Krimis zu machen, bin ich eher durch Zufall gekommen«, erzählt Arttu. »Während einer Busfahrt las ich in einem Magazin darüber. Bisher war wenig von Verwicklungen finnischer Soldaten in der Nazi-Zeit bekannt. Nach dem Krieg wurde nicht drüber gesprochen, alles blieb geheim, und die Überlebenden aus jener Zeit schwiegen eisern. Sie verdrängten dieses sehr dunkle Kapitel. Etwa 1.400 Finnen meldeten sich zum Dienst in der SS. Viele der Division ‚Wiking‘ starben, und diejenigen, die zurückkehrten, kämpften dann gegen die Sowjets und wurden zum Teil später als Kriegsveteranen wie Helden geehrt.« In der Aufarbeitung der Geschichte aber blieb der Einsatz der finnischen Freiwilligen lange ein Geheimnis, da es keine vertrauenswürdigen Zeugen mehr zu geben schien. »In den letzten Jahren aber wurde immer mehr darüber geforscht und publiziert. Ich selbst musste sehr gründlich recherchieren. Auch wenn meine Figuren wie Albert oder Klaus fiktiv sind, war es essenziell, dass die historischen Fakten stimmen.«

Gebrandmarkt durch Schuld

Die Recherche war sehr umfassend. Arttu studierte Hunderte von Seiten, sprach mit Fachleuten, vor allem, was ein sehr bedeutendes Thema aus dieser Vergangenheit betrifft: »Viele der Heimkehrer littenunter dem, was heute posttraumatische Belastungsstörung genannt wird. Damals gab es diesen Begriff noch nicht. Und mancher junge Mann, der in den Krieg zog und die Gräueltaten unter den Nazis zumBeispiel in der Ukraine erlebte, kam als ein anderer Mensch zurück, für immer gebrandmarkt durch seine Schuld und dadurch, was er als Zeuge gesehen hatte. Viele dieser Männer, die von Haus aus sicherlich keine grausamen Bösewichter waren, wurden durch diese Erfahrungen seelisch verkrüppelt und wollten oft auch aus Scham darüber nicht reden und alles möglichst verdrängen.«

Die Vergangenheit ist Teil von uns

Wie schon in den beiden ersten Büchern geht es in Arttus Geschichte um Schuld, Sühne, Rache und Vergebung, aber auch um Taten, die nach menschlichem Ermessen unverzeihlich sind. Eine Rolle spielt in der Handlung das Märchen vom Mädchen mit den Schwefelhölzern von Hans Christian Andersen. Vergeblich versucht das Kind durch seine Streichhölzer die Dunkelheit zu vertreiben, und ebenso vergeblich kämpft Albert um Licht in der eigenen Finsternis seines Gewissens. Das Mädchen findet am Ende Erlösung und kehrt ein in die Freudenfeier des ewigen Weihnachten, Albert, beladen von den Vergehen aus seiner Jugend, hofft nicht auf diese Gnade. Das Bewusstsein seiner Taten verdeckt das Licht, selbst wenn er hofft, sich der Verantwortung und dem Wissen um seine Vergangenheit durch Verneinen entziehen zu können. »Die Vergangenheit, das wissen wir, bleibt immer da, ist Teil der Gegenwart und irreparabler Teil der eigenen Biografie.«

Die Ambivalenz der Charaktere

Das Mädchen mit den Schwefelhölzern ist ein sehr starkes symbolisches Bild, das zeigt, dass Albert kein Monster ist, sondern ein ambivalenter Mensch. »Bei mir gibt es nicht schwarz oder weiß. Alle meine Figuren tragen auch einen Hauch von Dunkelheit in sich«, sagt Arttu. »Zum Beispiel Oksman, dem der zweite Band gewidmet war. Er muss immer wieder mit seinen Dämonen ringen. Und so haben auch die ‚Guten‘ in meinen Büchern oft große Bürden zu tragen und sind keine makellosen Gestalten.« Jaris wachsende Verzweiflung, in einer inzwischen trostlosen Ehe gefangen zu sein, gehört genauso zum Plot wie in Band zwei Oksmans Geheimnis, das er versucht hat zu wahren: seine Homosexualität.

Moral spielt eine elementare Rolle

»Ich glaube, meine Leserschaft will auch in meinen Ermittler:innen Abgründe sehen. Und obwohl sie sich mit all diesen allzu menschlichen Erfahrungen tagtäglich auseinandersetzen müssen, sind sie doch Teil von Recht und Moral. Und Moral spielt in meinen Büchern eine wichtige Rolle.« Im vierten Band wird es vor allem um Lindas komplexen Charakter und ihre Verletzlichkeit gehen, im fünften Band rückt die Chefin der Truppe ins Rampenlicht. »Und in Band sechs, dem Finale meiner Reihe, werden dann die letzten Geheimnisse gelüftet, die letzten Fragen beantwortet und zu einer Lösung gebracht. Allerdings kann ich nicht garantieren, dass es ein Happy End im üblichen Sinn geben wird. Mich reizt es, die Leser:innen zu überraschen, nicht erahnte Wendungen einzubauen und von gewissen Erwartungenabzuweichen.«

Sechsteilige Reihe

Alle sechs Bände zusammen sollen am Ende wie ein großer Roman mit sechs Kapiteln sein. Mehr als diese geplanten sechs Bücher der Reihe sollen es aber leider nicht werden. Denn Arttu hat, wie er sagt, »sehr, sehr viele Ideen für viele weitere Bücher, die aber von anderen Charakteren handeln müssen. Deshalb ist wirklich nach dem sechsten Buch Schluss, und danach kommt wahrscheinlich eine dreiteilige Reihe, an der ich aber noch nicht konkret arbeite. Erst einmal muss Band sechs noch geschrieben werden, für mich sehr hart. Denn mit ihm verabschiede ich mich von Figuren, die mir nahestehen, und die oft genug in mein Schreiben eingegriffen und mich beeinflusst haben. Sie sind für mich sehr lebendig und haben den Plot vorangetrieben oder sogar verändert.«

Der Krimi made in Finland

Arttu Tuominens Romane sind vor allem »character driven«. Die Handlung rankt sich um seine Figuren. Das macht sie so spannend, denn so wichtig Action und die Ermittlungsarbeiten auch sind, steht bei ihm mehr die Frage nach dem Warum einer Tat als das Wer im Mittelpunkt. Das birgt ein gewisses Suchtpotential und beweist einmal mehr, dass der Krimi made in Finland inzwischen mit den anderen Skandinavier:innen mithalten kann. Warum Finnland seit einigen Jahren mit Autor:innen wie Max Seeck, Arttu Tuominen, Leena Lehtolainen und Taavi Soininvaara bei der deutschen Leserschaft besonders punktet, versucht Arttu zu erklären: »Wir haben noch viel unerforschtes Territorium und viele Schauplätze, die sich wunderbar für Krimis eignen. Und eine Vielfalt an bemerkenswerten Typen. Immer mehr Menschen kommen nach Finnland als Tourist:innen, aber vielleicht hilft der Krimi dabei, auch andere Aspekte hier neben unserer vielseitigen Landschaft zu entdecken. Schweden ist seit langem Vorreiter und unser Vorbild, aber ich glaube, wir können, ohne in Konkurrenzdenken zu verfallen, inzwischen mithalten. Und unsere Sprache ist längst kein Hindernis mehr, da es viele gute Übersetzer:innen gibt, die für uns diese Hürde beseitigen.« Frei nach Theodor Fontane kann man mit Recht sagen: »Der finnische Krimi ist ein weites Feld.«

Interview

Die Stars der finnischen Krimiszene | 07.09.2022

Text: Margarete von SchwarzkopfDer eine schreibt aus Prinzip nicht über Covid, der andere baut den Beginn der Pandemie in seinen vierten Roman ein, der gerade in Finnland erschienen ist. Der eine hat drei schulpflichtige Kinder, der andere zwei noch sehr kleine Sprösslinge. Der eine lebt in Pori, 25...

Text: Margarete von Schwarzkopf

Der eine schreibt aus Prinzip nicht über Covid, der andere baut den Beginn der Pandemie in seinen vierten Roman ein, der gerade in Finnland erschienen ist. Der eine hat drei schulpflichtige Kinder, der andere zwei noch sehr kleine Sprösslinge. Der eine lebt in Pori, 250 Kilometer von der finnischen Hauptstadt entfernt, der andere in Helsinki. Der eine schreibt Kriminalromane, die sich sehr intensiv mit persönlichen Geheimnissen und Gefühlen seiner Figuren beschäftigen, der andere Thriller, die vor allem Themen streifen, die ein Spiegelbild der finnischen Gesellschaft sind. Viele Unterschiede, doch Arttu Tuominen, Jahrgang 1981, und Max Seeck, geboren 1985, haben auch viel gemein. Sie sind derzeit sozusagen die Stars der finnischen Krimiszene und begegnen einander mit höchster Achtung und freundschaftlichen Gefühlen.

Skandinavischer Krimi

„Ich gönne Arttu von Herzen, dass er Nummer eins auf der SPIEGEL-Bestsellerliste wird“, sagt Max Seeck, der übrigens in Helsinki die deutsche Schule besucht hat und fließend Deutsch spricht. Und sein Kollege bemerkt: „Max ist der Vorreiter des modernen finnischen Krimis. Ihm verdanken wir, dass das Genre inzwischen auch außerhalb unseres Landes Anerkennung gefunden hat.“ In der Tat sind es nicht länger nur die Schweden und Norweger, die für den skandinavischen Krimi stehen. Immer häufiger mischen sich die Namen finnischer Autoren darunter. Max Seeck sieht die Erklärung dafür weniger als persönlichen Verdienst, sondern vielmehr in der simplen Tatsache, dass „wir heute im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten gute Agenten haben, die für uns Autoren die Auslandsverträge abschließen. Es hat schon immer viele finnische Kriminalschriftsteller gegeben, doch leider blieben sie meist unübersetzt. Das hat sich glücklicherweise inzwischen geändert“.

Dritter Band

Von Max Seeck liegt der dritte Band seiner Reihe um die Ermittlerin Jessica Niemi vor, die zuvor schon in „Hexenjäger“ und „Teufelsnetz“ recherchiert hat und dabei schwer traumatisiert wurde. Es scheint zunächst, als ob ihr Kollege Jusuf das Heft in die Hand nimmt, um den Mord an einem höchst unbeliebten Geschäftsmann namens Eliel Zetterborg aufzuklären. Ein rätselhafter Fall von Anfang an, da, als Hommage an die guten alten Agatha-Christie-Romane, das Verbrechen in einem verschlossenen Raum stattfindet. Dass Jusuf als Ermittler mit dunkler Haut zunächst stärker im Vordergrund steht, soll, so Seeck, untermauern, dass es noch immer auch in Finnland Rassismus gibt und Jusufs Figur deshalb eine Ausnahme bedeutet. „Wir haben auch bei uns im Land viele Emigranten, und Jusuf gehört zu einer Minderheit, die es nicht immer leicht hat.“

Krimi-Fragen und soziale Themen

Aber Jessica spielt auch in diesem dritten Buch eine wichtige Rolle, und, wie Max Seeck sagt, verstärkt im vierten Band. Im Original lautet der Titel von „Feindesopfer“ ins Deutsche übertragen „Groll“. Und um Zorn, lang unterdrückte Emotionen und um die Schatten der Vergangenheit geht es in dem Buch. Seeck hängt an seinen Charakteren, auch an denen, die, wie er sagt, auf „der dunklen Seite der Macht stehen“. Dass er neben den klassischen Krimi-Fragen nach dem Motiv eines Verbrechens und dem „Wer war’s“ stets soziale Themen wie unter anderem Außenseitertum und Mobbing und das Verhältnis der Gesellschaft zu mental beeinträchtigten Personen in seine Handlung einbringt, ist für ihn selbstverständlich. „Mich interessieren diese Themen, die längst universal sind, mehr noch als die Kriminalfälle.“

„Facettenreichtum des Genres“

Arttu Tuominen meint von seinen Büchern, er entwickele im Vergleich zu Max seine Plots eher gemächlich. „Aber wer die Bücher von Max mag, der greift vielleicht auch gerne zu meinen. Wir sind sehr unterschiedlich, aber unsere Bücher spiegeln den Facettenreichtum des Genres wider und ergänzen sich.“ In seinem zweiten Roman aus der Reihe um das Team der Ermittler Linda und Jari, in Finnland schon vor zwei Jahren erschienen, steht wieder das Geheimnis eines der Polizisten aus der Gruppe im Mittelpunkt. Nach Jari ist es jetzt Henrik Oksman, der in den Fokus rückt. Der Titel „Was wir verbergen“ deutet an, dass auch Oksman ein Geheimnis hat, dass er nicht freiwillig preisgeben will. Doch als auf einen Nachtclub, Treffpunkt für Homosexuelle, ein Anschlag mit fünf Toten und zahlreichen Verletzten verübt wird, begangen von einem Fanatiker, der sich in einem Bekennervideo als „Abgesandter“ bezeichnet, übernimmt Oksmann von der Kripo in Pori die Ermittlungen. Oksman war kurz vor dem Anschlag auch in dem Club – wovon niemand etwas wissen darf. Zumal er dort in Frauenkleidern auftrat, wie in einem Video belegt ist. Und Oksman gerät auf die Liste der Verdächtigen. Er aber muss mögliche weitere Anschläge verhindern, eine gewaltige Herausforderung. Doch Jari und Linda unterstützen ihn.

Fünf Ermittler

„In jedem meiner auf sechs Bände angelegten Serie tritt ein jeweils anderer Ermittler aus dieser Gruppe in den Vordergrund. Aber das heißt nicht, dass die anderen Mitglieder des Teams nicht auch dabei sind“, sagt der Autor. Fünf Ermittler, fünf Bücher, und Band sechs, so Arttu, „bringt die Synopsis und Auflösung noch ungeklärter Geheimnisse“. In Finnland ist Band vier im August veröffentlicht worden. „Eines Tages, so hoffe ich, kann ich mich ganz auf das Schreiben konzentrieren und muss nicht Lücken in meinem Alltag für diese Beschäftigung finden.“ Vier Tage in der Woche arbeitet er als Umweltingenieur, am Freitag ist dann vor allem „Schreibtag“.

Schauplatz Pori

Wichtig ist für ihn besonders die Umgebung, in der seine Bücher spielen. Vor „Was wir verschweigen“ hatte er schon vier Bücher veröffentlicht, „bei einem kleinen Verlag, aber kein so großer Erfolg“, wie er ehrlich zugibt. Mit seinem fünften Roman, der in und um seine Heimatstadt Pori angesiedelt ist, kam dann der Durchbruch. Pori, eine alte Industriestadt, in der Tuominen aufgewachsen ist, kennt er in- und auswendig und könnte sich keinen anderen Schauplatz vorstellen. Und das scheinen seine Leser anzunehmen. Dennoch ist er jedes Mal, wenn ein neuer Roman kurz vor der Veröffentlichung steht, nervös. Auch bei seinem vierten Roman um die Fälle von Jari und Linda. „Eine Art Lampenfieber“ nennt er das.

Verfilmungen geplant

Sein Kollege Max Seeck wirkt dagegen gelassener. Kritiker bezeichneten ihn schon als Meister des „Finnisch noir“ Er hat als Filmproduzent, Regisseur und Drehbuchautor gearbeitet. Mit seinem 2019 erschienenen ersten Roman um Jessica Niemi, „Hexenjäger“, der in 35 Länder verkauft wurde, gelang ihm der internationale Durchbruch. Hollywood sicherte sich die Rechte für eine zwölfteilige Serie. Die Dreharbeiten in Finnland mit einer amerikanischen Crew sollten noch in diesem Jahr beginnen. „In Hollywood mahlen die Mühlen langsam“, hat Max Seeck erkannt. Er selbst wird demnächst mit den Dreharbeiten zu einem seiner Bücher beginnen.

„Krimi-Nation“ Finnland

Auch Arttu Tuominen wartet, dass sein Buch „Was wir verschweigen“ verfilmt wird. „Der Vertrag steht, die Praxis muss noch folgen.“ Genug Stoff für zahlreiche Mehrteiler bieten die Romane der beiden finnischen Autoren allemal. Dass Finnland viele spannende Schauplätze für die Umsetzung der oft sehr dunklen Dramen um Hass und Rache, Groll und Verrat, Gier und Neid bietet, hat auch schon die Serie „Bordertown“ bewiesen, die an der Grenze zu Russland entstand. Auch Pori und Umgebung und die sehr internationale Großstadt Helsinki eignen sich als Settings für die fesselnden Thriller von Arttu Tuominen und Max Seeck, die sich zwar in manchem unterscheiden, aber eines gemeinsam haben: Beide meistern ihr Genre und werden damit hoffentlich auch in den kommenden Jahren Finnlands Ruf als ernst zu nehmende „Krimi-Nation“ unterstützen.

Interview

Eine faszinierende Geschichte um Schuld, Sühne, Rache und Vergebung und um die Frage, was Freundschaft bedeutet. | 16.02.2022

Text: Margarete von SchwarzkopfPori ist eine alte Industrie- und Handelsstadt im Südwesten Finnlands am Fluss Kokemäenjoki. Rund 250 Kilometer von der Hauptstadt Helsinki entfernt, die genau auf der anderen Seite des Landes liegt. In Pori lebt Arttu Tuominen, von Haus aus Umweltingenieur, Vater von...

Text: Margarete von Schwarzkopf
Pori ist eine alte Industrie- und Handelsstadt im Südwesten Finnlands am Fluss Kokemäenjoki. Rund 250 Kilometer von der Hauptstadt Helsinki entfernt, die genau auf der anderen Seite des Landes liegt. In Pori lebt Arttu Tuominen, von Haus aus Umweltingenieur, Vater von drei Kindern und begeisterter Fußballfan. Doch die wahre Leidenschaft des 40-Jährigen gehört dem Schreiben. In Finnland erschien von ihm schon eine vierteilige Krimireihe, die, so Arttu, „in einem sehr kleinen Verlag herauskam, ohne Chance, jemals international verlegt zu werden“.
Doch schon während Arttu an seiner früheren Serie arbeitete, bewegte ihn eine Idee. „Drei Jahre habe ich an dem Ausgangspunkt für mein Buch Was wir verschweigen gefeilt. Und dann habe ich das Buch innerhalb von acht Wochen geschrieben, es wurde in Finnland von einem großen Verlag veröffentlicht und bekam den finnischen Krimipreis“. Dieser Roman ist der erste einer auf sechs Bände konzipierten Reihe. Arttu hat gerade in seiner Heimat den dritten Band herausgebracht. Was aber war die Grundidee zu Was wir verschweigen? „Mich fesselte der Gedanke über die Freundschaft zwischen zwei Jungen, die aus völlig unterschiedlichen Milieus stammen zu schreiben, der eine, Jari, hat ein schönes Zuhause, tolerante, freundliche Eltern, der andere, Antti, dagegen lebt in einem sozialen Ghetto mit einem alkoholsüchtigen Vater. Dennoch sind diese beiden Jungen eng befreundet, teilen sich Freud und Leid, schwören sich ewige Freundschaft, selbst wenn das Schicksal sie trennen sollte. Und genau das geschieht“.
Jari Paloviita geht zur Polizei, sein Jugendfreund Antti Mielonen dagegen versinkt in einem Morast aus Elend und Gewalt. Dreißig Jahre später treffen sie wieder aufeinander. Ein Mann wird bei einer Saufparty in einer Wochenendhütte erstochen, der Täter scheint eindeutig Antti zu sein. Und auf einmal wird die Vergangenheit wieder lebendig. Jari Paloviita muss sich den Dämonen seiner Jugend stellen. Und sich vor allem mit dem Opfer auseinandersetzen, das einst schon einmal eine Rolle im Leben der Freunde Jari und Antti gespielt hatte. Keine gute Rolle.
Es ist eine faszinierende Geschichte um Schuld, Sühne, Rache und Vergebung und um die Frage, was Freundschaft bedeutet und welche Werte und Wünsche die Zeit überdauern. Dass der Tote während eines Saufgelages erstochen wird, ist, wie Arttu, sagt, „in Finnland nichts Ungewöhnliches. Ein Großteil der bei uns begangenen Tötungsdelikte haben mit Alkohol und der damit verbundenen Gewalt zu tun. Das ist Polizeialltag. Aber ich wollte daraus eine etwas andere Geschichte machen. Der Fall scheint schnell gelöst, doch daraus entwickelt sich eine Lawine an Ereignissen, die alle Ermittlungen in Frage stellt“.
Ein dunkler Roman, der zudem auch noch zum größten Teil im November spielt, wenn die Tage bereits wieder kurz geworden sind.
Jeder Autor, so sagt man, verarbeitet in seinen Werken eigene Erlebnisse. So auch Arttu. Einige der Erlebnisse der beiden Freunde basieren auf seiner Kindheit. Jari und sein Freund gehen zum Beispiel gerne fischen. „Da Pori am Wasser liegt, habe ich auch als Kind viel gefischt. Aber glücklicherweise sind die Dramen der beiden Jungen nicht autobiografisch. Doch ich kenne die Gegend um Pori, ich liebe diese Stadt und diesen Teil Finnlands, und deshalb spielen meine Bücher hier und ich versuche nicht, sie irgendwo anders anzusiedeln“. Ob er glaubt, dass durch seine Romane, ähnlich wie bei Autoren, die durch die Einbeziehung bestimmter Gegenden Europas als Krimischauplätze diese attraktiv für Touristen machen, auch in und um Pori plötzlich ein Touristenboom entstehen könnte? „Nein, das glaube ich nicht. Ich mache ja keine Idylle aus dieser Gegend. Pori ist eine Stadt mit rund 85 000 Einwohnern in einer schönen Gegend Finnlands, aber meine Romane sind sicher keine Werbung für den Tourismus. Zu viel Alltag, zu wenig Essen und Trinken“.
Das Ende von Büchern darf man bekanntlich nicht verraten, aber so viel sei gesagt: Es ist Arttu gelungen, eine überraschende Wendung einzubauen, die den Eigenschaften der im Mittelpunkt stehenden ambivalenten Charaktere gerecht wird. Dazu Arttu: „Ehrlich gesagt, bin ich persönlich sehr viel mehr an meinen Charakteren interessiert und an ihrer Entwicklung als an der Frage des ‚Who dunnit‘. Natürlich ist der Plot wichtig, aber das tragende Element bleiben für mich die Figuren. Und da habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass diese oft ihren eigenen Willen entwickeln und sich manches Mal nicht von mir gängeln lassen. Ich lasse das dann auch zu, selbst wenn ich damit Teile der Handlung verändern muss“.
In jedem der sechs Bände spielt eine andere Figur die Hauptrolle. In Was wir verschweigen ist es Jari, im zweiten Band dann ein Ermittler namens Oksman, dessen Geheimnisse und dunkle Seiten thematisiert werden. „Jeder meiner Ermittler hat seine Geheimnisse, die in den Büchern aufgeschlüsselt werden. Im dritten Band wird das Linda sein, Oksmans Partnerin. Auch sie, die auf den ersten Blick eher harmlos wirkt, hat etwas zu verbergen“. Am Ende sollen, so Arttu, alle sechs Bücher zusammen wie ein einziges umfangreiches Werk wirken – ein „dickes Buch mit sechs Kapiteln. Dann kennt der Leser alle Zusammenhänge, die familiären Hintergründe, die dunklen und die hellen Seiten meiner Charaktere, ein breites Panorama mit vielen Aspekten“.
Arttu hofft, dass er eines Tages nur noch schreiben kann. Trotz seines Berufs arbeitet er jeden Tag sehr diszipliniert an seinen Büchern. Meistens abends, wenn seine drei Kinder, zehn, acht und sechs Jahre alt, zu Bett gegangen sind. „Ich schreibe jeden Tag 500 Wörter. Ganz konsequent, egal, was kommt. Wenn ich das nicht so eisern durchhalten würde, könnte ich mein Pensum nicht schaffen“. Der Druck ist natürlich inzwischen gewachsen, da er den wichtigsten finnischen Krimipreis gewonnen hat und sich und seine Leser nicht enttäuschen möchte. „Ich versuche deshalb immer neue Ideen und Tricks einzubauen und habe inzwischen ziemlich hohe Ansprüche an mich selbst. Schon als Kind habe ich Geschichten und Figuren erfunden. Umso schöner, dass dies jetzt ist Teil meines Lebens geworden ist“.
Obwohl er ernste und auch dunkle Themen nicht scheut, wird Arttu Tuominen über eines nicht schreiben: „Ich vermeide Covid-19. Das ist eine Thematik, die uns alle zu lange bedrückt und unterdrückt hat, obgleich wir in Pori recht gut davongekommen sind. Das Thema mögen andere Autoren in ihre Bücher einbauen. Ich habe genügend spannende Ideen, die meine Leserschaft unterhalten und nicht mit dieser Art Realität konfrontieren sollen“.
Alle Verlage