Im Interview: Charlotte Lucas über ihren Roman "Wir sehen uns beim Happy End" | 09.11.2017
Sie wagen sich mit dem Pseudonym Charlotte Lucas bereits zum zweiten Mal in das Genre „Happy Tears“ vor, was man vielleicht am ehesten als „humorvolle Frauenunterhaltung mit Tiefgang“ übersetzen kann. Worin liegt dabei für Sie der besondere Reiz?
Ich langweile mich schnell und möchte ständig etwas Neues ausprobieren. Schließlich esse ich auch nicht jeden Tag Pizza. Als Journalistin und ausgebildete Drehbuchautorin habe ich gelernt, unterschiedlichste Formate zu bedienen, habe für Frauenzeitschriften, Tageszeitungen, Online-Redaktionen sowie fürs Fernsehen Spielfilme, Serien und Comedy geschrieben. Da ist es nur konsequent, wenn ich mich auch als Schriftstellerin „austobe“. Einzige Ausnahme: Einen historischen Roman, den werden Sie von mir nie lesen. Das Genre „Happy Tears“, wie Sie es nennen, reizt mich vor allem, weil es eben keine reine Komödie ist. Da spielt Humor zwar durchaus eine große Rolle, aber auch die ernsteren, leiseren Töne – und diese Mischung macht das Schreiben spannend, es ist eine Herausforderung.
Wovon handelt Ihr neuer Roman „Wir sehen uns beim Happy End“?
Emilia Faust, genannt Ella, hat eine „Macke“: Sie kann es nicht ertragen, wenn eine Geschichte – ob Roman, Erzählung oder Film – schlecht ausgeht. Dann muss sie selbst ein Happy End schreiben, das sie in ihren Blog „Better Endings“ einstellt. Ihr Motto: „Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende“. Bei Ella flittern „Romeo und Julia“ in Venedig, die „Titanic“ legt sicher im New Yorker Hafen an ... Eines Tages trifft Ella auf einen Mann, dessen Leben ein einziges Trümmerfeld ist. Sie beschließt, ihm ein Happy End zu verpassen – ob er will oder nicht.
Wie kamen Sie darauf?
Durch die Serie „Dexter“, die ich echt geliebt habe. Aber der letzte Teil der finalen Staffel war eine Frechheit! Über dieses Ende habe ich mich tierisch geärgert, ich konnte danach kaum schlafen. Und schließlich habe ich mir überlegt: Was soll das? Ich bin Autorin, ich schreibe mir mein Ende selbst! Das habe ich dann zwar nicht gemacht, aber so entstand die schöne Idee zu „Wir sehen uns beim Happy End“.
Ella ist überzeugt davon, dass das Leben aller Menschen viel schöner wäre, wenn es mehr Happy Ends im Universum gäbe und jeder Mensch dementsprechend ‚positiv‘ handelt. Ist das eine Einstellung, nach der wir alle unser Leben ausrichten sollten?
Teilweise schon. Je älter ich werde, desto mehr glaube ich daran, dass ein Mensch, der mit positivem Blick durchs Leben geht, auch mehr positive Erfahrungen macht.
Welchen Büchern und Filmen hat Ella in den vergangenen vier Jahren, seitdem ihr Blog existiert, bereits ein anderes Ende verpasst?
„Romeo und Julia“ und „Titanic“ erwähnte ich ja schon. Dann zum Beispiel noch „Unterwegs nach Cold Mountain“, „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ und „Ein ganzes halbes Jahr“.
Ihre Vorliebe für Happy Ends hat sie von ihrer schon früh verstorbenen Mutter übernommen. Wie war die Beziehung der Beiden zueinander?
Sehr innig und nah. Fast ein wenig symbiotisch, denn ihren Vater hat Ella nie kennen gelernt. Allerdings war die Mutter-Tochter-Konstellation auch nicht ganz unproblematisch – warum, kann ich leider nicht verraten ...
In Ihrem Roman geht es zentral auch um das Thema Identität. Oscar de Witt, einer der Hauptcharaktere, verliert in Folge eines Unfalls sein Gedächtnis. Unser Gedächtnis ist auch eng an unsere persönliche Identität geknüpft. Wie geht er mit dieser Situation um?
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, heißt es ja so schön bei Hermann Hesse. Und so erschreckend die Erfahrung eines kompletten Gedächtnisverlustes auch sein muss, ist die Vorstellung, sich noch einmal ganz neu erfahren oder sogar „erfinden“ zu können, auch ungemein reizvoll. Keine belastenden Gedanken aus der Vergangenheit, kein Päckchen, das man mit sich herumschleppt. Oscar de Witt erhält – zunächst oberflächlich – die Chance, noch einmal ganz von vorn anzufangen.
Was hat Sie an dem Thema Gedächtnis- und Identitätsverlust besonders gereizt?
Mich hat die Frage gereizt, wer wir ohne Vergangenheit eigentlich sind. Immer noch derselbe Mensch? Oder jemand vollkommen anderes? Wie sehr prägt uns das Bild, das wir durch unsere Erfahrungen und unser Umfeld von uns haben? Wenn das auf einmal nicht mehr da ist, verändern wir uns dann und kehren zu unserem „Ursprungswesen“ zurück?
Ella ist nicht nur süchtig nach Happy Ends, sie ist auch sehr abergläubisch. Sie will Oscar zu einem Happy End verhelfen, damit sie selbst vom Schicksal mit einem Happy End beschenkt wird. Somit gibt sie die Verantwortung für eigenes Glück ans Universum ab. Durch die Bekanntschaft mit Oscar sieht sie sich plötzlich mit dem Leben eines fremden Menschen konfrontiert über dessen Schicksal sie bestimmt. Wie verändert das ihre Sicht auf die Dinge?
Das ist schwer zu erklären. Ella leidet an so genanntem „Magischen Denken“. Darunter versteht man den kindlichen Aberglauben, den Lauf der Dinge durch seine Gedanken oder bestimmte Ritualhandlungen (z. B. auf dem Gehweg nicht auf die Fugen zwischen zwei Steinplatten treten) beeinflussen zu können. Das ist natürlich Unsinn und die Frage ist, ob die Erfahrungen, die sie mit Oscar macht, sie von diesem „Irrglauben“ heilen. Wer das herausfinden will, liest einfach den Roman!
In „Wir sehen uns beim Happy End“ treffen wir zwei alte Bekannte Jonathan Grief und Hannah Marx aus „Dein perfektes Jahr“ wieder. Werden wir auch Ella und Oscar in einem Ihrer nächsten Romane wieder begegnen?
Das weiß ich noch nicht. Lassen wir das Schicksal entscheiden!
Ella ist ein großer Fan von Kalendersprüchen, die sie auf ihrem Blog mit ihren Followern teilt. Ihr Lieblingsspruch ist: Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende. Haben Sie einen Lieblingsspruch, der Sie durchs Leben begleitet?
Ich hatte viele Jahre lang einen: „If I got rid of my demons, I’d lose my angels“ von Tennessee Williams. Mittlerweile stimmt der für mich überhaupt nicht mehr, heute halte ich das eher für pubertär. So nach dem Motto „The poet needs the pain“. Quatsch! Ich brauche weder „demons“ noch „pain“, ich will ein glückliches und erfülltes Leben führen, vor allem für meine kleine Tochter. Solche Bukowski-Gedanken sind doch eher was für jüngere Leute.
Haben Sie einen Lieblingsplatz zum Schreiben? Was lieben Sie an ihm besonders?
Da bin ich ganz „old school“: Ich sitze zu Hause in meinem Büro am Schreibtisch. Und mein Lieblingsplatz ist das Sofa im Wohnzimmer während der Arbeitspausen.
An welchen neuen Projekten arbeiten Sie als nächstes?
Gerade fange ich wieder einen neuen Psychothriller an und arbeite bereits an Charlotte Lucas Nummer drei.
Was würden Sie eigentlich tun, wenn Sie keine Schriftstellerin wären?
Dann wäre ich gern Erzieherin und hätte so einen Kinderladen wie Hannah Marx in „Dein perfektes Jahr“. Ernsthaft.