Autor

Farida Khalaf

Farida Khalaf ist neunzehn Jahre alt. Als Angehörige der Jesiden, einer uralten religiösen Minderheit, ist sie im Norden des Iraks geboren und aufgewachsen. Im August 2014 muss sie mit ansehen, wie Soldaten des sogenannten Islamischen Staates ihr Dorf überfallen und ein Massaker verüben, das durch die Vereinten Nationen mittlerweile als Völkermord eingestuft und vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht wurde. Nach monatelanger Gefangenschaft kann Farida Khalaf den IS-Kämpfern entkommen. Heute lebt sie in Deutschland. Ihre Co-Autorin Andrea C. Hoffmann ist politische Redakteurin und Nahost-Expertin beim Nachrichtenmagazin Focus. Sie bereist die Gegend seit mehr als fünfzehn Jahren.

 

Interview

Im Interview: Farida Khalaf über "Das Mädchen, das den IS besiegte" | 25.01.2016

Warum haben Sie den Entschluss gefasst, mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?Ich hatte während der Zeit meiner Gefangenschaft oft den Gedanken, ein Buch darüber zu schreiben. Dahinter stand der Wunsch, der Welt mitzuteilen, was man mir und den anderen Mädchen angetan hat. Es ist ein s...


Warum haben Sie den Entschluss gefasst, mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?
Ich hatte während der Zeit meiner Gefangenschaft oft den Gedanken, ein Buch darüber zu schreiben. Dahinter stand der Wunsch, der Welt mitzuteilen, was man mir und den anderen Mädchen angetan hat. Es ist ein schreckliches Gefühl, wenn man völlig isoliert ist und keiner da draußen mitbekommt, was diese Verbrecher mit einem machen. Man weiß in diesem Moment ja auch nicht, ob man überlebt, um es jemals zu erzählen.
Haben Sie in Gefangenschaft oft Todesangst verspürt?
Ja, natürlich. Ich bin mehrere Male halbtot geschlagen worden, weil die IS-Leute mich disziplinieren wollten. Man wusste nie, was sie als nächstes mit einem machen würden. Wenn mich meine Freundin nicht wieder gesund gepflegt hätte, hätte ich ihre Prügel vermutlich nicht überlebt.
Ist es für Sie eine große Überwindung, von Ihren Erlebnissen zu erzählen?
Anfangs war es das schon. Das hat mit unserer Erziehung zu tun: Uns Mädchen ist es so eingetrichtert worden, dass wir uns dafür schämen müssten, wenn so etwas passiert. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, dass ich nichts dafür konnte. Heute weiß ich, dass ich Opfer eines Verbrechens geworden bin.
Haben Sie innerhalb der jesidischen Gemeinschaft mit dem Problem der Stigmatisierung zu kämpfen?
Ja. Laut sagt zwar niemand etwas zu mir, aber unterschwellig schwingt das immer mit. Die älteren Frauen machen sich große Sorgen um uns jüngere: Sie meinen, unsere Leben seien nun für immer und ewig verpfuscht.
Sehen Sie das auch so?
Nein, ich versuche diesen Abschnitt in meinem Leben zu überwinden und nach vorne zu blicken. Ich möchte mich davon nicht unterkriegen lassen. Denn das wäre ja so, als hätten die Verbrecher am Ende doch den Kampf gewonnen. Diesen Triumpf gönne ich ihnen nicht.
Gibt es auch Erlebnisse, die so schlimm waren, dass Sie sie nicht vergessen können?
Am schlimmsten war für mich die Ohnmacht: das Gefühl, diesen Typen und ihrer menschenverachtenden Ideologie ausgeliefert zu sein. Ich werde wohl nie vergessen, wie sich das anfühlt. Und natürlich die Ungewissheit. Ich wusste ja nicht, ob ich je wieder ein freier Mensch werden würde. Vielleicht würde ich für den Rest meines Lebens eine Sklavin sein. Das war sehr schwer zu ertragen.
Gab es auch glückliche Momente?
Ich hatte das große Glück, dass fast die ganze Zeit über meine Freundin bei mir war. Wir beide haben uns gegenseitig immer wieder aufgepäppelt, wenn eine schlappgemacht hat, und sind auch zusammen geflohen. Das hat mir psychisch enorm geholfen: nicht ganz allein in der Hölle zu sein.
Wie haben Sie Ihre innere Stärke, die im Buch sehr deutlich wird, aufrechterhalten können?
Ich bin ein gläubiger Mensch. Für mich war klar, dass ich meine Religion nie verraten würde, auch wenn ich dafür sterben müsste. Wann immer ich konnte, habe ich heimlich gebetet. Das hat mir großen inneren Halt gegeben: Auch wenn sie meinen Körper misshandelten, meiner Seele konnten sie nichts antun.
Gab es auch schwache Momente?
Ja, die gab es. Auch davon berichte ich in meinem Buch: Ich habe mehrmals versucht, mich selbst zu töten. Auf die unterschiedlichste Art und Weise.
Wie haben Sie Ihre Selbstmord-Phantasien überwunden?
Ich habe begriffen, dass mir ein Selbstmord nichts nützen würde. Ich hätte damit nichts bewirken, nichts verhindern oder gar rückgängig machen können. Alles, was sie mir angetan hatten, hatten sie mir angetan. Und wenn ich den Tod wählte, würde ich den Tätern damit nur noch mehr Macht über mich geben.
Hatten Sie während der Zeit beim IS Nachrichten von Ihrer Familie?
Ich wusste nicht, wie es ihnen ging. Nicht einmal, ob sie noch am Leben waren. Das quälte mich sehr. Erst nach meiner Flucht traf ich meinen zweitältesten Bruder wieder und erfuhr von ihm, dass meine Mutter zusammen mit meinen beiden jüngeren Brüdern ebenfalls in Gefangenschaft war. Inzwischen sind sie aber wieder frei. Von meinem Vater und meinem ältesten Bruder haben wir seit dem Überfall auf unser Dorf nichts gehört: Wahrscheinlich haben sie diesen Tag nicht überlebt.
Fühlen Sie sich heute noch vom IS bedroht?
Ja. Ich lebe mit der Angst. Sie ist ein Teil von mir geworden. Wenn man einmal so etwas erlebt hat, wird man dieses Gefühl nicht mehr los. Aber vor allem sorge ich mich natürlich um meine Verwandten, die im Irak geblieben sind.
Wie sollte man international mit der Terrorgruppe verfahren?
Zuerst muss man den IS militärisch bekämpfen und besiegen. Alle Länder sollten dabei mithelfen. Und danach gehören alle, die mitgemacht haben, vor Gericht gestellt und verurteilt.
Kann das, was Ihnen diese Menschen angetan haben, je wieder gut gemacht werden?
Nein, dieses Unrecht kann nie abgegolten werden. Dazu sind die Verbrechen zu schwerwiegend.
Wie gelingt Ihnen die Rückkehr in ein normales Leben? Gefällt es Ihnen in Deutschland?
Deutschland gefällt mir sehr. Nach meinem langen Aufenthalt im Flüchtlingscamp genieße ich es, hier mit meiner Familie nun wieder eine eigene Wohnung und eine Privatsphäre zu haben. Meine jüngeren Brüder gehen zur Schule und auch ich lerne fleißig deutsch. Mittlerweile verstehe ich fast alles und spreche auch schon ganz gut.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Mein Traum war es immer Mathelehrerin zu werden. Vielleicht kann ich in Deutschland die Schule beenden und dann studieren. Das würde mir gefallen.
Alle Verlage