„Meine Großmutter und Mutter (Jg. 1901 und 1929) haben beide gern und viel aus ihrer Jugend erzählt und diese Erzählungen haben [den Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts] für mich so lebendig werden lassen, als hätte ich [diese Zeit] selbst erlebt.“ | 31.10.2019
Liebe Frau Lüders, mit Der Duft der weiten Welt läuten Sie ihre große Speicherstadt-Trilogie ein. Der Leser wird an den Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit-genommen. Was hat Sie dazu gebracht, ihre Geschichte genau in diese Zeit zu legen?
Meine Großmutter und Mutter (Jg. 1901 und 1929) haben beide gern und viel aus ihrer Jugend erzählt und diese Erzählungen haben diese Zeit für mich so lebendig werden lassen, als hätte ich sie selbst erlebt. So habe ich mich schon im Studium sehr für die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts interessiert. Da lag es nahe, diese Zeit durch die Augen einer jungen Frau näher zu betrachten.
Würden Sie kurz in eigenen Worten erzählen, worum es in Ihrer Geschichte geht?
Mina ist die Tochter einer alteingesessenen Kaufmannsfamilie aus Hamburg, die schon seit Generationen mit Rohkaffee handelt. Wäre sie ein Sohn, würde sie irgendwann die Firma übernehmen, aber da sie ein Mädchen ist, scheint das unmöglich, obwohl sie, wie ihr Vater immer sagt, „Kaffee im Blut“ hat. Der einzige Ausweg, die Firma in der Familie zu halten, scheint eine Heirat mit einem geeigneten Kandidaten aus der Kaufmannsschaft zu sein, aber Mina will sich nicht verheiraten lassen, sondern auf eigenen Füßen stehen.
Das Kaffeekontor „Kopmann & Deharde“ hat seinen Sitz in der bekannten „Speicher-stadt“ in Hamburg. Welchen Bezug haben Sie zu Hamburg?
Da Verwandte von mir einige Jahre in Hamburg gelebt haben, kenne ich die Stadt recht gut. Ich selbst bin in Sichtweite des Deiches und mit Seeluft in der Nase geboren worden und lebe schon seit vielen Jahren in der zu groß geratenen Kleinstadt Oldenburg. Der Gedanke reizte mich, einmal eine Geschichte in einer wirklichen Metropole anzusiedeln.
Wie würden Sie Ihre Hauptfigur Mina Deharde beschreiben?
Mina ist intelligent, durchsetzungsstark und eigensinnig. Dabei ist sie verantwortungsbewusst und stellt ihre eigenen Wünsche zurück, wenn es das Wohl der Familie oder Firma erfordern. Sie glaubt, keine weiblichen Reize zu besitzen, lehnt es aber strikt ab, nur wegen ihrer Mitgift geheiratet zu werden, daher will sie alles tun, um auf eigenen Füßen zu stehen – etwas, dass selbst im späten Kaiserreich für Frauen ihrer Schicht noch sehr schwer ist.
Gibt es reale Vorbilder für einige ihrer Figuren?
Ja, eigentlich gibt es für alle Personen reale Vorbilder, aber die durchmischen sich immerzu. So standen zum Beispiel für Minas Äußeres andere Personen Pate als für ihr Wesen.
Ihre Protagonistin Mina ist für ihre Zeit eine unglaublich emanzipierte, starke, junge Frau. Trotzdem lassen die Zeit und die damit verbundenen gesellschaftlichen Umstände nicht zu, dass sie ihre Träume vom Medizinstudium verwirklichen kann. Wir leben heute in einer anderen Zeit. Gab es in ihrem Leben dennoch Situationen, in denen Sie sich als Frau benachteiligt gefühlt haben?
Ich denke, es gibt kaum eine Frau, die das nicht irgendwann so empfunden hat. Sei es, dass man einen Job, für den man eigentlich perfekt geeignet war, nicht bekommen hat, dass man sich dumme Sprüche anhören oder sich gar gegen sexuelle Belästigung wehren musste. Auch wenn es verglichen mit früheren Zeiten sicher besser geworden ist, sind wir doch auch heute noch weit von einer perfekten Welt entfernt, in der Männer und Frauen wirklich gleichberechtigt und gleichwertig sind.
Der Duft der weiten Welt ist in Ihrem Roman vor allem der Duft des Kaffees. Wie haben Sie sich diesem Thema genähert? Haben Sie eigene Familienbezüge zum Kaffeehandel? Haben Sie sich in die Hallen der Speicherstadt reingeschmuggelt oder alte Bücher gewälzt?
Nein, ich habe keinen persönlichen Bezug zum Kaffeehandel. Wenn es ein Buch mit familiärem Hintergrund wäre, würde es um Milcherzeugung und Kühe gehen (lacht). Aber da das Buch in der Speicherstadt spielen sollte, musste ich mich in das Thema einarbeiten. Dazu habe ich natürlich die Speicherstadt und die dortigen Museen besucht und habe mich durch diverse Literatur zu diesem Thema gekämpft.
Gibt es eine Figur, die Ihnen beim Schreiben besonders ans Herz gewachsen ist und warum?
Eigentlich kann ich hier keine spezielle Figur nennen, da sie mir alle ans Herz gewachsen sind: Seien es Mina mit ihrem Kämpferherzen, Edo, der seinem Traum nachjagt, der idealistische Heiko, der viel mehr als ein guter Freund sein möchte oder Minas gewitzte Schwester Agnes – sie alle sind mir nah. Aber auch die Antagonisten wie Minas Großmutter, die nicht umsonst so hart geworden ist und der zwielichtige Frederik haben einen festen Platz in meinem Herzen. Vermutlich muss es so sein, dass man seine Figuren liebt. Ich finde, dann werden sie erst lebendig.
Wie können wir uns Ihre Arbeit als Schriftstellerin vorstellen? Wo schreiben Sie bevorzugt? Haben Sie feste Arbeitszeiten oder wachen Sie nachts auf und hauen in die Tasten?
Das kommt eher selten vor. Ich arbeite vormittags für eine hamburger Eventagentur im Homeoffice (mein Brötchenjob, wie ich zu sagen pflege) und gehe nachmittags mit einer Kanne Tee und meist begleitet von einem oder mehreren meiner Kater in mein winziges Schreibzimmerchen, wo ich mich bemühe, meine Muse zum Küssen zu bringen. Sollte die Dame richtig fleißig sein, kann das auch schon mal bis abends um zehn dauern, ehe ich mich wieder in den Kreis meiner Lieben zurückbegebe.
Der Duft der weiten Welt ist der erste Teil einer Trilogie. Stand die gesamte Geschichte für Sie bereits fest oder verändert sich im Schreibprozess so einiges und das Schicksal von Mina ist selbst für Sie noch völlig offen?
In Grundzügen steht die Geschichte schon fest, aber da ist immer noch genügend Platz, die Geschichte sich entfalten zu lassen.
Können Sie uns einen kleinen Ausblick auf die noch folgenden zwei Teile der „Speicherstadt-Saga“ geben? (Natürlich ohne zu viel zu verraten!)
Gern. Im zweiten Teil begleiten wir Mina durch die ersten Jahre der Weimarer Republik. Der große Krieg ist vorbei und ganz allmählich kommt auch der Kaffeehandel wieder in Gang. Aber die Inflation, ihr habgieriger Ehemann und auch ein Kriegsheimkehrer, mit dem sie nicht gerechnet hatte, werfen Mina immer wieder Stolpersteine in den Weg. Und im dritten Teil begleiten wir Mina und ihre Familie durch die Nazizeit und den Krieg, der aus Hamburg eine Flammenhölle macht.
Und zum Schluss die wichtigste Frage: Was löst in Ihnen eine Tasse Kaffee aus?
Die Erinnerung an meinen Großvater, der immer sehnsüchtig auf die Keksdose meiner Großmutter schaute und traurig feststellte, dass er seinen Kaffee doch nicht trocken runterwürgen könne.