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Autorin

Gemma Merino

Gemma Merino studierte Kinderbuchillustration an der Cambridge School of Art. Noch während ihres Masterstudiums wurde sie 2011 mit dem renommierten Macmillan Preis für Kinderbuchillustration ausgezeichnet. Gemma Merino wurde in Katalonien geboren und studierte ursprünglich Architektur in Barcelona. Sie hat in Spanien, Dublin und Tel Aviv gearbeitet. Heute lebt sie in London.

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Interview

Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert spricht im Interview mit Dr. Ina Nefzer über die Themen Mutmachen und Selbstvertrauen in den Bilderbüchern "Der kleine Drache, der kein Feuer machen konnte" von Gemma Merino und "Wenn du groß bist" von Milla Shan. | 11.10.2021

Welche Rolle spielt das Vorlesen bzw. das dialogische Vorlesegespräch bei der Vermittlung von Themen? Vorlesen ist soziale Interaktion. Auf der Website www.eltern-brauchen-vorlesen.de, die ich mit Studierenden gestalte, geht es uns darum, deutlich zu machen, dass wir mit dem Vorlesen ein Format etab...

Welche Rolle spielt das Vorlesen bzw. das dialogische Vorlesegespräch bei der Vermittlung von Themen?

Vorlesen ist soziale Interaktion. Auf der Website www.eltern-brauchen-vorlesen.de, die ich mit Studierenden gestalte, geht es uns darum, deutlich zu machen, dass wir mit dem Vorlesen ein Format etablieren, in dem wir durch gemeinsam geteilte Zeit und Aufmerksamkeit Beziehung und Bindung herstellen können. Die Themen und das Buch als Materialitätserfahrung selbst sind hier zunächst zweitrangig. Kuscheln, gemeinsame Entdeckungen, Muße und behagliche Gemütlichkeit lassen uns zu bindungsfähigen, sozialen Menschen werden. Hierbei spielt das dialogische Vorlesen eine wesentliche Rolle. Es gibt mir als Erwachsenem die Möglichkeit, den Blick des Kindes unbefangen kennenzulernen. Deshalb sind Fragen wie: ‚Was siehst du auf dem Bild?‘ ‚Was denkst du?‘ besser als die Frage ‚Was ist das?‘.

Für wie relevant halten Sie die Themen „Selbstvertrauen, Akzeptanz, Mut (machen)“ und welche Rolle spielen sie für die Entwicklung eines kindlichen Selbstkonzepts?

Diese Themen stellen Werte dar, nach denen wir unsere Kinder in westlichen Gesellschaften erziehen. Frei nach dem Motto: „Erkenne früh, wer du bist und was du willst und habe den Mut, danach zu leben.“ Geschichten bieten die wunderbare Möglichkeit, unsere eigene Gefühlswelt, unsere Vorstellungen, unsere Ichs überhaupt erst zu erkennen und geben uns Mittel an die Hand, sie zu beschreiben.

Selbstvertrauen hat nicht nur mit Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sondern auch mit einem vertrauenswürdigen Umfeld zu tun. In der Geschichte „Der kleine Drache, der kein Feuer spucken konnte“ haben die Eltern Erwartungen an ihren Sprössling, die sich nicht erfüllen. Welche Hilfestellung(en) kann in solch einem sensiblen Moment eine Bilderbuchgeschichte geben?

Das Großartige an diesem Buch ist, dass es mir als Leser*in meine eigene Bewertungsperspektive vor Augen führt. Der kleine Drache ist ‚anders‘, weil der Erwachsene eine bestimmte Erwartung an das Drachenjunge richtet; ändert sich diese Erwartung, löst sich der Sonderstatus des Andersseins auf. Die Dracheneltern bestärken ihr Drachenkind also nicht in seinem Anderssein, sondern erkennen, dass sie diese Dimension überhaupt erst einführen und verzichten letztlichdarauf. Das Buch ist deshalb aber nicht nur für Erwachsene geschrieben. Im Gegenteil, das kleine Drachenjunge führt uns sehr herzig vor, wie es sich trotz bestimmter Erwartungen seiner Eltern – eher durch Zufall – selbst entdeckt. Das Buch wirkt genau deshalb natürlich und nicht konstruiert. Für mich hat dieses Buch aus diesen beiden Gründen KIMI – das Siegel für Vielfalt in Kinderbüchern – verdient (www.kimi-siegel.de).

In einem dialogischen Vorlesegespräch kann ‚im Schutz der Fiktion‘ über sensible Themen gesprochen werden. Auf diese Weise spricht das Kind nicht über sich, sondern über den kleinen Drachen. Auf was sollte der Vorlesende hierbei achten?

Eine gute Geschichte zieht durchaus ungeplant in ihren Bann und hinterlässt ein angefülltes Lebensgefühl. Vorlesende sollten genau das im Blick haben. Gefällt die Geschichte, bannt sie alle Aufmerksamkeit, will das Kind die Geschichte erneut vorgelesen bekommen? Ist zu spüren, wie Empathie entsteht und das Nacheifern beginnt? Unterbricht das Kind den Lesevorgang, weil es von sich selbst erzählen will? Dann vermag eine Geschichte uns ein Erleben und den Blick auf uns zu schenken. Kinderliteratur kann identitätsförderndes Potential entfalten durch das Hineinfühlen in fremde Lebensumstände, Gedanken und Gefühle. Die Fähigkeiten zu Empathie und Fremdverstehen gehören zu den zentralen Bedingungen für eine stabile Ich-Identität.

Auf was kommt es bei der Buchauswahl an?

Zu berücksichtigen ist, dass Kinder im Kindergartenalter über die Fähigkeit des „magischen Denkens“ verfügen, Dinge und Geschehnisse von einem Kind also weitgehend magisch erlebt und durch „magische Theorien“ gedeutet und erklärt werden. Viele alterstypische Ängste und Befürchtungen, aber auch freudige Überraschungen und Erwartungen haben hier ihren Ursprung.
Tatsächlich würde sich kein Kind über sprechende Tiere wundern. Die alte Gattung Fabel hat eine lange Tradition im Vermitteln von Moral, moderne Tiergeschichten sind unterhaltsamer, vermitteln aber auch meist eine Botschaft. Inwiefern eigenen sich Tierfiguren besonders gut zur Vermittlung elementarer Themen?

Die Gattung Fabel ist ehrlich, sie wirbt offen mit einem moralischen Lehrsatz. Ein großer Teil unserer Kinderliteratur ist ebenfalls moralisierend, verdeckt die Moral aber. Hier wäre es denkbar, Themen bereits in Kinderbüchern offener anzubieten und den Kindern in ihrenSchlussfolgerungen mehr zuzutrauen. Generell lässt sich mit Tieren eine Geschichte gut und verständlich erzählen. Bestimmte Eigenschaften von Tieren können klar konturiert beschrieben werden. Tieren werden bestimmte Rollen zugewiesen, mit denen sich kleine Kinder leicht identifizieren können, ganz unabhängig von ihrem Geschlecht. Wir erreichen mit Tierfiguren eine größere Leser*innengruppe. Zudem regt die Tier-Mensch-Differenz die kindliche Phantasie an und schützt das Kind zugleich, wenn Themen noch nicht gut verarbeitet werden können.
In der Bilderbuchgeschichte „Wenn du groß bist“ gibt die Tiermutter ihrem Kind viele gute Ratschläge in Form von Tiervergleichen: „Es wird Tage geben, an denen wünsche ich dir, ein vergnügliches Äffchen zu sein“. An anderen Tagen rät sie ihm, ein Löwe zu sein. „Ein mutiger Anführer, der keine Angst davor hat, seine Meinung zu sagen. Brüll, so laut du kannst, mein Kind. Gegen das Unrecht in der Welt“. Fällt es Kindern durch eine bildhafte Ausdrucksweise leichter, den Sinn einer Aussage zu verstehen?

Zunächst zeigt auch diese Geschichte sehr eindrücklich, welche Erziehungswerte wir als Erwachsene vermitteln wollen. Da die im Buch verhandelten Themen sehr abstrakt sind, hilft es Kindern, durch die tierhaften Verhaltensweisen die Geschichte auf ihre Weise zu verstehen.
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