Worum geht es in Ihrem neuen Buch, Frau Romberg? Ist der „Der Braune Bär fliegt erst nach Mitternacht“ eine Art Fortsetzung Ihres Bestsellers „Federnlesen“?Ja und nein. Ja, weil ich auch diesmal vom Naturerleben erzähle, von der Freude, die es macht, die Vielfalt um uns herum genau wahrzunehmen. Abe...
Worum geht es in Ihrem neuen Buch, Frau Romberg? Ist der „Der Braune Bär fliegt erst nach Mitternacht“ eine Art Fortsetzung Ihres Bestsellers „Federnlesen“?
Ja und nein. Ja, weil ich auch diesmal vom Naturerleben erzähle, von der Freude, die es macht, die Vielfalt um uns herum genau wahrzunehmen. Aber ich habe diesmal nicht nur die Vögel in den Blick genommen, sondern auch ganze Landschaften mitsamt allem, was darin lebt. Und ich habe einige Artengruppen näher kennengelernt, die mich schon immer interessiert haben: die Nachtfalter etwa, zu denen auch der „Braune Bär“ gehört.
Mit „Federnlesen“ haben Sie Tausende fürs Vögelbeobachten begeistert – was und wen würden Sie gern mit dem „Braunen Bären“ erreichen?
Alle, die beim Spazierengehen immer mal stehen bleiben, um einen Schmetterling oder Käfer näher anzuschauen, sich in das Rindenmuster eines Baums zu vertiefen, auf eine Vogelstimme zu horchen. Alle, die sich beim Anblick eines Tieres oder Gewächses gelegentlich fragen, wie es heißt, und weshalb es gerade hier vorkommt. Alle, die Natur lieben, sich um sie sorgen – und wissen wollen, was geschehen muss, um sie endlich wirksam zu schützen.
Ihre Leser lernen im Buch eine ganze Reihe unermüdlicher Naturschützer und -wiederaufbauer kennen, aus ganz Deutschland. Wie sind Sie selbst auf diese Experten gestoßen?
Ich schreibe schon seit vielen Jahren über Natur, für GEO und seit Kurzem auch für das Online-Wissenschaftsmagazin „Riffreporter“. Dadurch habe ich immer wieder naturkundige Menschen kennengelernt, die ich inspirierend und ermutigend fand; die mir Hoffnung machen, dass sich unsere Naturschätze doch noch bewahren lassen. Es gibt, zum Glück, sehr viele solche Menschen – eigentlich hätte mein Buch doppelt so dick werden müssen!
Wie haben Sie letztlich entschieden, welche dieser Naturkenner und -schützer Sie im Buch vorstellen möchten?
Ich habe mir diejenigen ausgesucht, die wie ich eine lange „Beziehungsgeschichte“ mit den Arten und Biotopen haben, um die sie sich kümmern. Die sich auf eine Weise für sie engagieren, die ich beispielhaft finde, und die über einen großen Wissensschatz verfügen – auf jeweils unterschiedlichen Gebieten. Denn ich wollte, zusammen mit den Porträtierten, auch ein möglichst breites Spektrum heimischer Natur vorstellen: nicht nur verschiedene Arten, sondern auch spezielle Lebensräume mit ihrem typischen Inventar von Tieren und Pflanzen. Wie etwa Moore, Wälder, Fließgewässer, das Wattenmeer und die Agrarlandschaft.
Wie steht es um die Natur in unserem Teil der Welt? Wie stark ist sie bedroht?
Da gibt es nichts schönzureden: Die Biodiversität, die Vielfalt der Arten und Lebensräume, ist in Bedrängnis wie nie zuvor, auch bei uns. Wir Deutschen halten uns ja gern für besonders umweltbewusst, aber gerade der Naturschutz ist seit Jahrzehnten Stiefkind der Politik – und findet auch in der Öffentlichkeit zu wenig Aufmerksamkeit. Immer dort, wo er in Konflikt mit wirtschaftlichen Interessen gerät, steht er von vornherein als Verlierer fest. Das Ergebnis: Wir haben allein seit den 80er Jahren über 75 Prozent der Insekten und die Hälfte aller Feldvögel verloren; die Agrarlandschaft, die noch vor wenigen Jahrzehnten von blühendem, summendem, singenden Leben erfüllt war, hat sich in weiten Teilen in eine öde, stumme Nutzpflanzensteppe verwandelt.
Sie setzen sich für eine neue Bewegung ein: für die hiesige Natur, für mehr Platz, Vielfalt, Schutz für Flora und Fauna, vergleichbar mit der Klimaschutzbewegung. Welche konkreten Ziele gilt es denn zu erreichen, um die unmittelbare Bedrohung vieler Arten noch abwenden zu können?
Anfang dieses Jahres haben sich, anlässlich des „One Planet Summit“, über 50 Staaten zu dem Ziel bekannt, 30 Prozent der Erde unter Naturschutz zu stellen. Auch Deutschland hat sich dieser „Koalition der Willigen“ angeschlossen. Bislang nehmen Nationalparks und Naturschutzgebiete kaum mehr als sechs Prozent der deutschen Landes- und Meeresfläche ein – es ist also noch Luft nach oben. Zusätzlich zu mehr Naturreservaten brauchen wir jedoch dringend eine ökologische Wende in der Agrarpolitik – damit Bauern für naturverträgliches Wirtschaften belohnt werden statt, wie bisher, für maximale Erträge auf Kosten der Biodiversität.
Wer ist Brodwin und warum könnte er gut zur Galionsfigur der Artenschützer:innen werden?
Brodwin ist ein Biber, benannt nach dem brandenburgischen Dorf Brodowin, das inmitten des größten zusammenhängenden Ökoanbaugebiets in Deutschland liegt. Die Landschaft dort wimmelt von Leben, und dazu tragen auch die dort heimischen Biber bei: Mit ihren Dämmen, die sie überall errichten, schaffen sie neue Lebensräume für eine Vielzahl von Arten. Und werden so zu natürlichen Verbündeten nicht nur der Artenschützer:innen, sondern auch der Umweltpolitik. Denn sie setzen, fleißig und unbeirrbar, genau jene Richtlinien zum Schutz von Natur und Gewässern um, die von Menschen oft missachtet werden.
Was kann jeder Einzelne von uns tun? Was könnten einfache Veränderungen in unserem Alltag sein, mit denen wir den Tieren und Pflanzen um uns herum effektiv helfen können?
Verwandeln Sie Ihren Garten oder Balkon in ein Schlemmerbuffet für Insekten und Vögel – mit heimischen Sträuchern statt exotischer Lorbeerkirschen und Koniferen, mit einer Blumenwiese statt eines Zierrasens, der leider immer noch DAS deutsche Gartenideal ist. Falls Sie weder Garten noch Balkon haben: Gehen Sie unter die Guerilla-Gärtner:innen, die öffentliches Einheitsgrün mit heimischen Wildpflanzen beleben! Und, am wichtigsten von allen: Treten Sie Politiker:innen und Behörden auf die Füße. Ohne öffentlichen Druck wird sich in puncto Naturschutz so schnell nichts ändern.
Was sollte die Politik tun, um zu helfen?
Ganz einfach: Sie sollte all die UN-Konferenzbeschlüsse und nationalen Biodiversitätsstrategien, die sie in den vergangenen Jahrzehnten feierlich verkündet hat, endlich in die Tat umsetzen, statt sie, wie bisher, ein ums andere Mal krachend zu verfehlen. Und sie sollte die Milliarden, mit denen sie umweltschädliches Wirtschaften subventioniert, zum Schutz von Natur und Klima einsetzen. Ein bescheidener Teil davon würde viel bewirken!
Was haben Sie selbst durch die Begegnungen mit den Protagonist:innen Ihres Buches dazugelernt? Gab es Aha-Momente während der Arbeit an dem Buch? Hat die Recherche in den letzten Monaten Ihr Leben (und sei es im Kleinen) verändert?
Das hat sie. Ich habe im vergangenen Jahr die Umgebung meines Dorfes neu erkundet – und dabei mehr Beobachtungen gemacht, mehr neue Tier- und Pflanzenarten entdeckt als in den zwei Jahrzehnten zuvor. Das verdanke ich den Exkursionen mit meinen Protagonist:innen, die nicht nur meinen Blick geschärft, sondern mir auch in puncto Artenkenntnis und Ökologie – ich bin ja keine studierte Biologin, sondern nur Hobby- Vogelguckerin – eine steile Lernkurve verschafft haben. Ich weiß jetzt, zum Beispiel, dass allein die Familie der Torfmoose über 300 Arten umfasst, dass manche Süßwassermuscheln über 200 Jahre alt werden können, dass man Uhus nie direkt in die Augen schauen darf und dass man, wenn man Tag- und Nachtfaltern etwas Gutes tun will, lieber Brennnesseln als Schmetterlingsflieder im Garten pflanzen sollte.
Warum hat es ausgerechnet der Braune Bär auf das Cover des Buchs geschafft? Was ist das Besondere an ihm – hat das damit zu tun, dass er gerade zum Schmetterling des Jahres 2021 gekürt wurde?
Er steht für die vielen verborgenen, teils verkannten Schönheiten der heimischen Natur. Und für die erstaunliche Farbenpracht der Nachtfalter. Die Kolleginnen aus der Sachbuch-Abteilung hatten ihn daher, auf meinen Vorschlag hin, schon im vergangenen Sommer für den Titel des Buches ausgewählt – weshalb wir uns alle sehr gefreut haben, als er dann, Monate später, zum Schmetterling des Jahres 2021 gekürt wurde!
Wenn Sie ein Buchhändler wären, wem würden Sie Ihr Buch zum Kauf empfehlen?
Allen, die schon „Federnlesen“ gern gelesen haben. Allen, die sich nicht nur für Vögel, sondern die gesamte lebende Vielfalt vor der Haustür interessieren. Allen, die gelegentlich am Zustand der Natur verzweifeln – sich aber dennoch die Freude bewahren wollen, sie zu beobachten.