„Die Reise aus dem Dunkel ins Licht“ | 07.09.2022
Joona Linna kehrt zurück. Zum neunten Mal wird er sich in „Spinnennetz“ der dunklen Seite der Macht stellen, stets auch, so seine Schöpfer, im Bewusstsein, dass auch in ihm eine dunkle Seite existiert, die er zu besiegen versucht. Und wieder wird Saga Bauer ihn unterstützen, deren Leben am Ende von „Der Spiegelmann“ am seidenen Faden hing. Sie hat überlebt. Ehe sie ihren Dienst wieder aufnehmen kann, erhält sie eine Postkarte mit einem verstörenden Text: „Eine blutrote Pistole liegt vor mir. In deren Magazin befinden sich neun weiße Kugeln. Eine dieser Kugeln ist für Joona Linna bestimmt. Die einzige Person, die ihn retten kann, bist du.“ Unterschrieben ist die Karte mit einem Anagramm des Serienmörders Jurek Walter. Doch der ist längst tot. Das zumindest glaubt Joona. Was also verbirgt sich hinter dieser mysteriösen Botschaft, die in die Vergangenheit zurückreicht?
„Es gibt viele Rätsel in unserem neuen Buch“, sagt Alexandra Ahndoril, die gemeinsam mit ihrem Mann Alexander unter dem Pseudonym Lars Kepler seit ihrem Debüt 2009 zu den erfolgreichsten Kriminalautoren Schwedens zählt. Alexander ergänzt: „Und es gibt viele Momente, die uns selbst überrascht haben. Aber wenn wir nicht diese Augenblicke hätten, in denen wir von unseren Figuren vor erstaunliche Erkenntnisse gestellt würden, wäre das Schreiben nicht halb so aufregend.“
Das gemeinsame Schreiben, das die beiden in fast fünfzehn Jahren immer mehr zusammengeschweißt hat, und das sie bis ins kleinste Detail aufeinander abgestimmt haben, hat ihnen auch über die zwei letzten Jahre hinweggeholfen. Covid traf ihre Familie hart. Neben der Krankheit, die auch das Ehepaar durchmachen musste, war es vor allem die Tatsache, dass „wir nicht reisen und deshalb unsere Leser nicht treffen konnten. Das hat uns sehr gefehlt“, erzählt Alexandra. „In diesem Sommer waren wir beim Krimifest im englischen Harrowgate, was wie ein Befreiungsschlag wirkte. Endlich wieder unter Kollegen, endlich wieder Publikum.“ „Das war wie eine Therapie“, ergänzt Alexander. „Ein Grund, weshalb wir diese zwei Jahre nicht in unserem neuen Buch, das 2022 spielt, thematisieren, ist, dass wir diese Maskenzeit hinter uns lassen wollen.“
Auch das Schreiben selbst ist wie ein therapeutischer Vorgang, bei dem Lars Kepler stets Wert darauflegt, am Ende Licht ins Dunkel zu bringen. „Wir lieben ein Happy End“, betont Alexandra. „Es passieren in unseren Romanen, und jetzt auch ganz besonders in ‚Spinnennetz‘, so viele Verbrechen, dass wir unsere Leser nicht mit dieser Dunkelheit entlassen wollen. Unsere Aufgabe ist es, zu unterhalten, und am Schluss ist die Reise aus dem Dunkel ins Licht erfolgreich abgeschlossen.“
Besondere Freude haben die beiden, die jede Szene und jeden Dialog gemeinsam erarbeiten, vor allem an der Erschaffung ihrer Figuren. Längst hat sich der Finne Joona in Schweden etabliert, einem Land, das, wie Alexander betont, „viele Migranten hat. Zu Beginn unserer Serie war die Einführung von Joona als Ermittler noch eine Art Plädoyer für eine Minderheit. Aber das hat sich längst gegeben“. Und obwohl Lars Kepler Joona und Saga schon in neun Fällen ermitteln ließ, kennen Alexandra und Alexander, wie beide schmunzelnd zugeben, „noch lange nicht alle Eigenheiten und Geheimnisse von Joona und Saga“. Alexandra meint: „Wir werden oft gefragt, weshalb wir eine Serie schreiben, die nun schon neun Bände umfasst. Dahinter steckt manchmal die unterschwellige Annahme, dass wir uns allmählich doch mit unseren Figuren langweilen müssten. Doch genau das Gegenteil stimmt. Zum einen gibt uns die Serie die Gelegenheit, jeden unserer Charaktere immer genauer kennenzulernen und auch Nebenfiguren eine Chance einzuräumen, irgendwann einmal einen wichtigeren Part zu übernehmen. Und außerdem steht jedes unserer Bücher für sich allein. Natürlich tauchen immer wieder Protagonisten auf, die viele unserer treuen Leser schon erlebt haben. Aber man kann jeden Band getrennt lesen. Doch vielleicht ist ganz am Ende der Serie dann so etwas wie eine Gesamtchronik daraus geworden.“
An Themen mangelt es Lars Kepler auch für weitere neun Bücher nicht, die um ihr beliebtes Ermittler-Duo kreisen. Alexander: „Neben der Aufklärung von Verbrechen streifen wir in unseren Büchern viele gesellschaftliche Fragen. Und uns geht es neben aller Spannung vor allem um eines: um Empathie. Vorrangig für die Opfer von Gewalt. Doch auch für unsere Bösewichter, sogar für den Serienkiller Jurek Walter, muss bei uns eine Emotion sein. Verständnis für die Motive, wenn auch keine Entschuldigung für die Taten, ist uns wichtig. Faszinierend bleibt zudem die Frage: Wie kann sich jemand über jede Moral und jede Mitmenschlichkeit hinwegsetzen? Wir lieben nicht alle unsere Figuren, aber wir versuchen sie zu verstehen und dadurch authentisch erscheinen zu lassen.“ Alexandra fügt hinzu: „Bei allem Realismus sind wir in erster Linie Geschichtenerzähler, die im Gegensatz zur Realität die Gerechtigkeit siegen lassen. Das unterscheidet Fiktion vom Alltag.“
Zwei große Wünsche hat das liebenswürdige Autorenpaar derzeit: Dass ihre Romane bald verfilmt werden, wobei dafür die Verhandlungen schon weit fortgeschritten sind, und, wie beide einstimmig erklären: „wir bald wieder unsere Leser live treffen können, vor allem unser Publikum in Deutschland“.