Meik Wiking - Autor
© Justine Stoddard

Autor

Meik Wiking

Meik Wiking leitet das Kopenhagener Institut für Glücksforschung und ist damit der kompetenteste Absender zum Thema Glücklich Leben.

Download Autorenfoto

Interview

"Erinnerungen prägen, wer wir sind und wie wir handeln." | 12.08.2019

Warum sind Erinnerungen wichtig für unser Glück?Ich betrachte Erinnerungen als den Kitt, der uns hilft, uns als die gleiche Person im Laufe der Zeit zu verstehen und zu erleben. Sie ist unsere Superkraft, die es uns ermöglicht, in der Zeit zu reisen und uns von den Grenzen des gegenwärtigen Moments ...

Warum sind Erinnerungen wichtig für unser Glück?
Ich betrachte Erinnerungen als den Kitt, der uns hilft, uns als die gleiche Person im Laufe der Zeit zu verstehen und zu erleben. Sie ist unsere Superkraft, die es uns ermöglicht, in der Zeit zu reisen und uns von den Grenzen des gegenwärtigen Moments zu befreien. Erinnerungen prägen, wer wir sind und wie wir handeln. Sie beeinflussen unsere Stimmung und helfen, unsere Träume für die Zukunft zu gestalten.
Darüber hinaus deutet die Glücksforschung darauf hin, dass Menschen mit ihrem Leben glücklicher sind, wenn sie dazu neigen, eine positive, nostalgische Sicht der Vergangenheit zu haben. Nostalgie ist eine universelle und alte menschliche Emotion. Aktuell untersuchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt, wie Nostalgie positive Gefühle hervorrufen, unser Selbstwertgefühl steigern und uns das Gefühl geben kann, geliebt zu werden.
Das bedeutet, dass langfristiges Glück von der Fähigkeit abhängt, eine positive Geschichte deines Lebens zu schreiben – wobei die Erinnerungen im Mittelpunkt dieses Prozesses stehen. Je glücklicher deine Erinnerungen, desto glücklicher deine Gegenwart.
Was können die Menschen tun, um glückliche Erinnerungen zu schaffen und zu behalten?
Das Wichtigste, was ich bei der Recherche in diesem Buch erkannt habe, ist, dass Erinnerungen keine Informationen sind, die zufällig in unser Gehirn gelangen, sondern etwas, über das wir die Kontrolle haben und das wir zu unserem Vorteil nutzen können. Wir alle können unsere eigenen Gedächtnisarchitekten werden!
Es gibt so viele Dinge, die wir tun können, um Gedächtnisarchitekten zu werden, aber zuerst ist es nützlich zu wissen, wie Erinnerungen gespeichert werden. In unserem Gehirn spielt der Hippocampus eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung von Informationen aus dem Kurz- und Langzeitgedächtnis sowie bei der Wiederherstellung von Erinnerungen. Unser Langzeitgedächtnis ist nicht ein einzelner Ort im Gehirn, sondern über mehrere Orte verteilt. Der Hippocampus sammelt all die verschiedenen Informationen, die in ein Gedächtnis eingehen – ähnlich wie ein Regisseur, der zunächst alle wichtigen Informationen sammelt, um sie anschließend in einer Szene neu zu arrangieren. Der Hippocampus fragt dabei ab: Was waren die sensorischen Eindrücke des Tastens, Hörens, Sehens, Schmeckens und Riechens in der Erinnerung?
Deshalb wissen wir, dass, je mehr Sinne – Sehen, Riechen, Hören, Schmecken, Tasten – wir in einem Moment nutzen, desto lebhafter werden wir uns später an den Moment erinnern können. Es ist also wichtig, sich mit allen Sinnen zu erinnern, um alle Details noch einmal erlebbar zu machen.
Wenn Sie also besser werden und glückliche Momente erschaffen und sich daran erinnern wollen, stellen Sie sicher, dass Sie Ihre Sinne so gut wie möglich ansprechen. Um bei der Erinnerung zu helfen, können Sie auch ein Tagebuch führen. Denken Sie dabei daran, möglichst alle Sinneseindrücke darin festzuhalten, vielleicht sogar, indem Sie jeden Eintrag mit einem Absatz darüber beginnen, wie Sie den Tag mit jedem Ihrer Sinne erlebt haben.
Oder aber Sie können sich Gerichte ausdenken, die Sie mit wichtigen Ereignissen verbinden, weil Sie bestimmte Gewürze, einen Geruch oder einen Geschmack an eine glückliche Erinnerung denken lassen. Zum Beispiel habe ich in diesem Jahr mit meiner Freundin die Insel Bornholm besucht. Auf der Insel befindet sich eine Stadt namens Gudhjem (wörtlich übersetzt: „Gottes Haus“). Wir sahen den Sonnenuntergang und den Mondaufgang über der Stadt nach einem entspannten Tag am Meer. So haben wir an diesem Abend ein Gericht kreiert, das uns hilft, uns an den Tag zu erinnern. Wir nannten das Essen „Mond über Gottes Haus“. Es besteht aus einem pochierten Ei auf geräucherten Garnelen (eine Spezialität von Bornholm) auf Toast. Wenn Sie das Ei auf die dunklen Garnelen schneiden, können Sie förmlich den Mond aufgehen sehen – und sich an einen perfekten Sommertag erinnern.
Was können wir tun, um die Routine zu durchbrechen und mit zunehmendem Alter immer wieder neue Dinge zu tun?

Bitten Sie eine ältere Person, sich an einige ihrer Erlebnisse aus der Vergangenheit zu erinnern und die Chance ist groß, dass sie Ihnen Geschichten aus einer Zeit in ihrem Leben erzählt, als sie zwischen fünfzehn und dreißig Jahre alt war. Dies nennt man Reminiszenzeffekt oder Reminiszenzschub.

Eine Theorie hinter der Reminiszenzschwelle ist, dass unsere Teenagerzeit und die frühen Jahre des Erwachsenwerdens unsere entscheidenden Jahre sind, unsere prägenden Jahre, in denen sich unsere Identität und unser Selbstbewusstsein am schnellsten entwickeln. Eine andere Theorie ist, dass diese Zeit viele Neuerungen mit sich bringt. Unser erster Kuss, unsere erste Wohnung, unser erster Job. Eine Studie der britischen Forscher Gillian Cohen und Dorothy Faulkner ergab, dass 73% der lebendigen Erinnerungen entweder Ersterfahrungen oder einzigartige Ereignisse waren. Außergewöhnliche Tage sind unvergessliche Tage.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf gibt es so viel, was wir tun können, um die Routine zu durchbrechen und weiterhin neue Dinge zu tun, wenn wir älter werden.

Besuchen Sie einmal im Jahr einen Ort, an dem Sie noch nie zuvor waren. Das muss kein riesiger Urlaub im Ausland sein – es reicht im Zweifel ins Auto zu steigen und einen Ort in der Nähe zu besuchen, an dem Sie schon immer sein wollten, sich aber nie die Zeit dafür genommen haben. Ich habe kürzlich die weiße Klippe von Møn besucht, die von Kopenhagen aus in nur anderthalb Stunden zu erreichen ist, aber ich war noch nie zuvor dort gewesen. Die Klippe ist einer der besten Orte in Dänemark, um auf Fossiliensuche zu gehen, also habe ich den Nachmittag damit verbracht, nach Fossilien zu suchen und die Themenmelodie aus den Indiana Jones Filmen zu summen.

Falls Sie nicht in der Lage sind, viel zu reisen, ist eine andere ausgezeichnete und simple Möglichkeit, neue Dinge zu tun, regelmäßig neue Lebensmittel auszuprobieren – sei es, dass Sie eine Zutat im Supermarkt finden, mit der Sie noch nie zuvor gekocht haben, oder sich ein Restaurant aussuchen, von dem Sie schon immer fasziniert waren. Ich habe mal fermentierte isländische Haie und Schnecken auf einem Straßenmarkt in Marokko ausprobiert. Leider musste ich mich kurz übergeben, aber ich erinnere mich sehr lebhaft an diese Momente. Mein Punkt ist, dass erste Male nicht unbedingt mit neuen Orten zu tun haben müssen, sondern zum Beispiel auch in Form von Essen. Wenn Sie ein Abendessen ausrichten wollen, an das sich Ihre Gäste noch lange erinnern werden, servieren Sie etwas, was Sie vorher noch nie probiert haben (aber vielleicht keinen fermentierten Hai, wenn Sie wollen, dass Ihre Gäste nochmal wiederkommen).

Wie können wir für unsere Kinder eine glückliche Kindheit schaffen?

Einige meiner schönsten Kindheitserinnerungen spielen in der Landschaft rund um die Hütte statt, in der meine Familie und ich jedes Jahr von Mai bis September lebten. Der Geruch von Heu, der Geschmack von Himbeeren und die Wärme eines Holzbootes, das den ganzen Tag über Hitze aufgenommen hat, versetzen mich heute noch in diese Zeit. Das waren einfache Zeiten. Das waren glückliche Zeiten.

Ich bin nicht allein: Einfache Freizeitbeschäftigungen, wie das Klettern auf Bäume und das Barfußlaufen im Sommer bis zur Dunkelheit, gehören für Viele zu den wertvollsten Kindheitserinnerungen. Oder: Verstecken spielen, Muscheln sammeln am Strand, Hickelkasten spielen und Familienferien machen – das sind alles Ereignisse, die wir alle heute mit unseren eigenen Kindern erleben können.

Darüber hinaus können wir viel tun, um unseren Kindern zu helfen, glückliche Erinnerungen besser zu bewahren. Wenn wir sie zum Beispiel regelmäßig danach fragen, was sie Schönes erlebt haben, bringen wir unsere Kinder dazu, glückliche Anekdoten zu erzählen. Und das bedeutet ganz automatisch, dass sie eine Technik namens „spaced recognition“ verwenden, bei der ihr Gehirn mit gewissem zeitlichen Abstand Informationen abruft. Dabei muss das Gehirn diese Erinnerung rekonstruieren. Das trainiert die Fähigkeit des Gehirns, Erinnerungen im Allgemeinen zu rekonstruieren, so wie man Muskeln trainiert.

Man kann auch versuchen, Dinge zu sammeln, die für eine konkrete Erinnerung stehen – damit wären wir zum Beispiel wieder beim Muscheln sammeln – oder Orte umzubenennen, passend zu dem, was man dort erlebt hat, ganz egal, wie der richtige Name ist. Diese Methode kombiniert räumliche Orientierung (eine Technik, in der Menschen besonders gut sind, da wir uns einst daran erinnern mussten, wo es lebenswichtige Nahrung gab) mit unseren Erfahrungen. Jeden Sommer fahre ich auf die Insel Bornholm, eine wunderschöne Felseninsel in der Ostsee. Ich habe dort eine winzige Kabine und die Bereiche um die Kabine herum waren der Schauplatz vieler schöner Erinnerungen. Viele von ihnen haben mit der Suche nach Essen zu tun. Es gibt den Wildkirschwald, die Spearfishing Bay und die Himbeerfestung. Himbeerfestung heißt eigentlich Lilleborg und besteht aus den Ruinen einer Wikingerfestung aus dem zwölften Jahrhundert, aber dieser Name würde mich nicht an einen wunderbaren Nachmittag beim Himbeeressen erinnern – oder daran, wo ich im folgenden Sommer Himbeeren kaufen kann.

Alle Verlage