Liebe Frau Beck, wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem Buch gekommen? Das ist ewig her. 2000 lief „Sunshine“ von István Szabó im Kino, eine Familiengeschichte über vier Generationen. Ein Freund aus einer jungen Filmproduktion sprach mich an, ob ich mir so etwas auch für die deutsche Geschichte vorstell...
Liebe Frau Beck, wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem Buch gekommen?
Das ist ewig her. 2000 lief „Sunshine“ von István Szabó im Kino, eine Familiengeschichte über vier Generationen. Ein Freund aus einer jungen Filmproduktion sprach mich an, ob ich mir so etwas auch für die deutsche Geschichte vorstellen könnte. Unter seiner dramaturgischen Begleitung entwickelte ich in vielen Gesprächen und noch mehr Papieren drei Biografien, Arbeitstitel: „Familie Deutschland“. Es sollte ein Dreiteiler für das Fernsehen werden. Ist es aber nie geworden, auch keine Serie, da damals niemand Serien wollte, wie wir sie heute kennen. Ich habe mich dann sehr viel später drangesetzt und den Roman begonnen, weil ich den Stoff immer noch gut und wichtig fand.
Das Buch beginnt mit einem Gedicht. Abschnitte davon stehen den fünf Teilen Ihres Romans voran. Was ist Ihre Intention dahinter?
Ich habe das Gedicht als eine Art Zusammenfassung des Romans geschrieben, um es als Motto voranzustellen. Es geht in allen drei Biografien mehr oder weniger um die Liebe: zu einer Frau, zu einem Kind und zu den nicht vorhandenen Eltern. Die Gliederung des Romans in Teil 1 bis 5, die für verschieden Phasen im Erzählbogen des Romans stehen, gab es schon. Irgendwann dachte ich, es wäre gut, das Gedicht auch auf die Teile aufzusplitten. Dafür habe ich das Gedicht etwas angepasst. So ist der Roman nicht nur in fünf Lebensabschnitte unterteilt, sondern es werden durch die Gedichtzeilen auch Erwartungen für den nächsten Abschnitt geweckt.
Vom Ersten Weltkrieg über die Weimarer Republik, die Diktatur der Nationalsozialisten, den Zweiten Weltkrieg, die deutsche Teilung, den Terror der RAF bis zur Wiedervereinigung: Ganz schön viel Stoff für ein Buch! Was war Ihnen besonders wichtig zu erzählen?
Alles. Ich wollte zeigen, wie das eine das andere bedingt. Die Ereignisse der deutschen Geschichte sollten von Beginn an der rote Faden der Geschichte sein. Insofern war das Gerüst vorgegeben, obwohl ich da auch ausgewählt habe. Als jemand aus dem Osten, wollte ich die Ereignisse auch im Osten stattfinden lassen. Die Herausforderung war, die Auswirkungen der politischen Ereignisse auf eine einzige Familie glaubhaft zu erzählen.
Können Sie die drei Protagonist:innen Ihres Romans, die in Deutschland zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen gesellschaftlichen Systemen leben, kurz beschreiben?
Charaktere werden durch ihre unterschiedliche Reaktion auf Ereignisse, durch ihr Handeln oder Nichthandeln sichtbar. Deshalb hatte ich weniger Figuren vor Augen, sondern eher Haltungen, also eine bestimmte Art zu reagieren: KONRAD: schüchtern, zögernd, bescheiden und unentschieden. BRIGITTE: spontan, oft rücksichtslos, ehrlich, aber selbstgerecht. ANDRÉ: wankend zwischen Verunsicherung und Selbstbewusstsein, einen Platz für sich suchend. Und jede Figur hat ein anderes Ziel im Leben: KONRAD, ein Arbeiterkind aus Berlin Prenzlauer Berg, verliebt sich mit elf Jahren in die bürgerliche Selma und versucht alles, um diese Liebe wahrwerden zu lassen. Als er sie hat, versucht er sie zu bewahren. BRIGITTE wird gleich durch drei Gesellschaftssysteme sozialisiert. Erst durch die Nazizeit, dann durch die Nachkriegszeit im Osten und gleich darauf durch die Nachkriegszeit im Westen. Jedes Mal muss sie sich neu anpassen und neu orientieren. Sie will sich emanzipieren, aber als sie es schafft, kommt ihr ihr Sohn abhanden, und die Suche nach ihm bestimmt ihr weiteres Leben. ANDRÉ hingegen fehlt komplett die familiäre Orientierung und er weiß nicht, wer er ist, woher er kommt. Er wächst ohne Eltern auf, aber die Informationen über sie sind widersprüchlich und bald weiß er nicht mehr, wem er überhaupt trauen kann. Doch er gibt die Suche nicht auf.
Der Roman springt zwischen den einzelnen Lebensläufen und ist demzufolge auch nicht chronologisch erzählt. Warum?
Ich wollte, dass alle drei Biografien im selben Alter, mit elf Jahren beginnen. So können Leser:innen parallel eine Kindheit um 1919, um 1950 und um 1976 erleben, miteinander vergleichen und die unmittelbaren Resultate aus dem Handeln oder Nichthandeln der vorangegangenen Generation spüren. Auch erhöht es die Spannung. Der Roman springt permanent in der Zeit und ist nur innerhalb der Biografien chronologisch erzählt. Am Anfang könnten Leser:innen deshalb glauben, dass es drei zufällig ausgewählte Biografien sind. Von Kapitel zu Kapitel wird jedoch klarer, dass es Verbindungen gibt, sich wiederholende Namen und Ereignisse, die von den drei Protagonist:innen aber manchmal unterschiedlich bewertet werden. So entstehen auch falsche Fährten. Man fragt sich beim Lesen, wie alles zusammenhängt. Das erzeugt eine große Spannung.
Gibt es reale Vorlagen zu ihren Romanfiguren?
Eher für die Situationen: Einer meiner Onkel musste zum Beispiel 1953 wie Johann in den Westen flüchten, weil er am 17. Juni in Berlin „ne´ kesse Lippe markierte“, wie meine Oma immer sagte, die das charakterliche Vorbild für Bertha Sollmann war. Und André habe ich Kunstspringer werden lassen, weil ich mich als ehemalige Kunstspringerin, die auch zwei Jahre die Sportschule besuchte, in dieser Sportart gut auskenne. Meinen Hass auf einen meiner alten Trainer habe ich in einer Kinderbadszene verarbeitet. 😊
„Das Licht zwischen den Schatten“ spielt hauptsächlich in Berlin. Sie selbst sind gebürtige Berlinerin und leben bis heute in der Hauptstadt. Hat das die Recherche vereinfacht?
Ja und Nein. Ich dachte, ich kenne mich gut aus, aber meine Lektorin Frau Dr. Geuder hat mir ziemlich oft bewiesen, dass ich gerade die Orte, die ich gut zu kennen glaubte, falsch geschrieben oder sogar falsch erinnert habe. Orte, Personen und Ereignisse aber, die ich recherchieren musste, waren dafür richtig. Dass der Roman hauptsächlich in Berlin spielt, war auch Programm. Ich wollte zeigen, wie sich das Leben am selben Ort durch Politik und Geschichte verändert. Und natürlich wollte ich auch Orte nehmen, die 1919, 1960 und 1980 dieselbe „Hülle“ dafür bieten.
Wie lief der Schreibprozess? Konnten Sie sich in alle Zeiten und Protagonist:innen gleich gut hineinversetzen?
Mir waren alle drei Protagonisten gleich lieb, vielleicht weil ich alle drei Charaktere in mir selbst vereine, nicht ganz so stark, aber Momente von Wankelmütigkeit (Konrad), von mit dem Kopf durch die Wand wollen (Brigitte) und von sich nicht zugehörig fühlen (André) kenne ich gut und kann darüber dann auch schreiben.
Sie haben das Drehbuch für einen Kinofilm und für verschiedene TV-Serien geschrieben. Was unterscheidet die Arbeit an einem Drehbuch von der an einem Roman?
Dass ich Gedanken und Gefühlsäußerungen und einiges mehr direkt einer Person in den Mund legen und auch mitten im Satz rückblickend und zusammenfassend erzählen kann. Im Drehbuch muss ich dafür Szenen, Flashbacks und Handlung erfinden, damit die Zuschauer:innen sehen, was die Person für eine Haltung, einen Charakter hat. Ich kann die Person im Film nicht nur stumm dasitzen und klug oder dumm gucken lassen, nach dem Motto: Oh, sie denkt. Deshalb sind viele enttäuscht, wenn ihr eher handlungsarmer Lieblingsroman verfilmt wird. Entweder es wird nur die Handlung des Romans umgesetzt, dann fehlen die inneren Gedanken und besonders der Ton der Autorin oder des Autors. Oder es werden Handlungen hinzuerfunden, um die Gedankenwelt der Personen zu zeigen, aber dann beschweren sich viele, dass das so nicht im Roman vorkam.
Planen Sie bereits ein neues Buch?
Ja, ich bin gerade bei der Stoffsammlung, arbeite an der Konzeption und habe eine Probe von etwa 30 Manuskriptseiten geschrieben. Mehr will ich erst einmal nicht verraten.