Wie ist die Idee zu Ihrer dreiteiligen Familiensaga entstanden?Wie so oft war es reiner Zufall. Mir ist ein alter Artikel über das G8-Treffen in Heiligendamm in die Hände gefallen. Darin stand, dass Adolf Hitler immer noch als Ehrenbürger in Bad Doberan geführt wird und sich die Rechtsgelehrten unei...
Wie ist die Idee zu Ihrer dreiteiligen Familiensaga entstanden?
Wie so oft war es reiner Zufall. Mir ist ein alter Artikel über das G8-Treffen in Heiligendamm in die Hände gefallen. Darin stand, dass Adolf Hitler immer noch als Ehrenbürger in Bad Doberan geführt wird und sich die Rechtsgelehrten uneins darüber wären, ob dieser Zustand mit seinem Tod erloschen sei oder, ob ihm diese Auszeichnung extra aberkannt werden müsse. Das hat umgehend mein Kopfkino anlaufen lassen … wie haben die Menschen wohl damals dort gelebt?
Der Schauplatz Ihres Romans ist Heiligendamm. Was fasziniert Sie so sehr an diesem Ort?
Die Atmosphäre. Niemand, der je auf der sturmumtosten Seebrücke gestanden und auf die wie Perlen aufgereihten schneeweißen Gebäude geblickt hat, wird sich der Schönheit und Anmut dieser außergewöhnlichen Landschaft entziehen können. Außerdem ist Heiligendamm – als erstes deutsches Seebad – ein sehr geschichtsträchtiger Ort, an dem man wunderbar die wechselhafte Chronik unseres Landes nachverfolgen kann.
Der Roman zeichnet sich durch seine besonderen Figuren aus. Eine ist beispielsweise die eigensinnige Tochter Elisabeth, die viel kaufmännisches Geschick besitzt und die das Luxushotel ihres Vaters weiterführen will, eine andere ihr Bruder Paul, der die klassische Musik und das Klavierspiel liebt und seine Zukunft nicht im familieneigenen Hotel sieht. Was war Ihnen bei der Figurenkonzeption besonders wichtig?
Auch wenn sich einige Klischees sicherlich nicht vermeiden lassen, wollte ich vor allem authentische Charaktere erschaffen. Vielschichtige Figuren, die sowohl positive als auch negative Eigenschaften haben – wie wir alle eben. Gleichzeitig hat mich die damalige Rolle der Frau interessiert. Unter welchen Umständen konnte man aus dem engen gesellschaftlichen Korsett ausbrechen? Die Figur des Paul Kuhlmann hat mir dagegen erlaubt, ein Schlaglicht auf die schwierige Lage von homosexuellen Männern zu werfen, die unter dem Damoklesschwert des Paragraphen 175 leben und lieben mussten.
Gibt es Figuren, die Ihnen beim Schreiben besonders ans Herz gewachsen sind? Welche sind das? Und gibt es Vorbilder im realen Leben?
Da ich mich mit Elisabeth, Paul und Minna am meisten beschäftig habe und aus ihrer Perspektive schreibe, stehen die drei mir natürlich sehr nahe. Hm … Vorbilder. Vielleicht ist Elisabeth in gewisser Weise meiner Großmutter nachempfunden, die eine ziemlich umtriebige, geschäftstüchtige und selbstbewusste Frau war. Nachdem sie in Dresden ausgebombt worden war, ist sie am nächsten Tag erneut in das einsturzgefährdete Gebäude gegangen, um möglichst viele Wertgegenstände zu retten. Diese Wertsachen hat sie dann auf der Flucht vor der Roten Armee in Lebensmittel eingetauscht und auf diese Weise verhindert, dass ihre Familie Hunger litt. Paul hat wahrscheinlich viele Eigenschaften meines homosexuellen Großonkels „geerbt“, der ein ausgesprochen schöner, kunstbeflissener und liebenswerter Mann war.
Sie selbst stammen von einer Hoteliersfamilie ab. Wie viel Autobiografisches steckt in Ihrem Roman? Gibt es besondere Anekdoten aus dieser Zeit?
Durch die Erzählungen meiner Mutter ist die spannende Welt von früher wieder für mich zum Leben erweckt worden. Viele Kleinigkeiten sind mir dabei überliefert worden: zum Beispiel, wie großzügig die Küchenangestellten ihr Leckerbissen zugesteckt haben. Der Geruch von frischem Bohnerwachs am Morgen. Der Duft der schweren Parfüms der Damen am Abend, der bis in ihr Schlafzimmer hinaufzog. Es gab auch negative Seiten: dass bei ihren Eltern die Gäste grundsätzlich vor der eigenen Familie kamen. Und dass die ganze Familie, selbst bei Schicksalsschlägen, wie aus dem Ei gepellt gekleidet sein musste. Überhaupt war die gesellschaftliche Etikette meinen Großeltern immens wichtig. Das habe ich auch am eigenen Leib gespürt. Bevor ich als Kind mit ihnen in Urlaub fahren und im öffentlichen Speisesaal essen durfte, musste ich auf dem Zimmer die richtigen Essmanieren einstudieren.
Wo finden Sie Inspiration für Ihre Geschichten?
Meistens beflügeln Zeitungsartikel oder Gespräche mit Familie, Freunden und Bekannten meine Fantasie. Ich habe schon immer gern geträumt und Geschichten weitergesponnen. „Was wäre, wenn …“ sind meine Lieblingsworte.
Wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?
Auch wenn ich da wahrscheinlich ein Klischee bediene: Ich lese wahnsinnig viel. Zum Ausgleich gegen das Sitzen, reite ich, fahre leidenschaftlich gern Ski und gehe mit meinen Hunden im Wald spazieren.
Gibt es außer Heiligendamm noch weitere Sehnsuchtsorte, die Sie gerne bereisen?
Vielleicht ist das einzig Positive an dieser schrecklichen Pandemie, dass wir uns darauf besinnen, dass es auch wunderschöne Sehnsuchtsorte in Deutschland und der nahen Umgebung gibt. Spontan fallen mir zum Beispiel der Chiemsee bei Seebruck und das Schloss Wernigerode im Harz ein. Aber auch in Lausanne, wo ich seit fünfzehn Jahren wohne, stockt mir immer noch der Atem, wenn ich nach einer steilen Kurve, plötzlich das zauberhafte, von Bergen gesäumte Seepanorama erblicke …
Ihr Roman spielt Anfang des 20. Jahrhunderts und sie verarbeiten Themen, wie die Stellung der Frau, Homosexualität und Diversität, die bis in die heutige Zeit aktuell sind. Wie stehen Sie persönlich zu diesen Themen?
Alle diese Themen sind mir sehr wichtig. Zum Beispiel ist es mir ein Anliegen die LGBT in unserer eher „heteronormativen Welt“ durch meine Charaktere ein wenig sichtbarer werden zu lassen. Eins meiner absoluten Lieblingsbücher ist „Maurice“ von E. M. Forster. In meinen Augen ist es ein unglaublich romantisches Buch. Herzzerreißend romantisch sogar. Forster erzählt darin die Geschichte eines jungen Mannes zur Jahrhundertwende, der sich während seines Studiums in Cambridge in seinen Kommilitonen verliebt und sich dadurch seiner Homosexualität bewusst wird. Deshalb hat es mich natürlich sehr interessiert, wie homosexuelle Männer damals in Deutschland gelebt haben.
Wie haben Sie für den ersten Teil von Palais Heiligendamm – Ein neuer Anfang recherchiert und sich mit der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts vertraut gemacht?
Die Geschichte Deutschlands hat mich schon immer fasziniert. Deshalb war ich sehr dankbar für die Zeit, in der ich mich ausschließlich mit der Recherche über die Kaiserzeit, den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik befassen konnte. Eigentlich dachte ich, dass ich schon viel wüsste …, doch dann habe ich noch viele neue Facetten entdeckt. Zum Beispiel, wie sehr sich die narzisstischen Persönlichkeiten von Kaiser Wilhelm II. und Donald Trump ähneln. Beim ersten Band haben mir besonders zwei Bücher die Recherche erleichtert: „Verborgene Chronik 1915 – 1918“, hrsg. vom Deutschen Tagebucharchiv, in denen die Tagebucheinträge verschiedener Zeitgenossen gesammelt sind, und „Pro Fide et Patria“, die Kriegstagebücher eines katholischen Feldgeistlichen im Großen Hauptquartier des Kaisers, hrsg. von Frank Betker und Almut Kriele.
Haben Sie literarische Vorbilder oder Lieblingsautoren?
Am besten beschränke ich mich auf die deutschsprachige Literatur, sonst sind es zu viele: Ich liebe Erich Kästner, Erich Maria Remarque und Stefan Zweig. Von den modernen Autoren lese ich gern die Bücher von Rebecca Gablé, Marie Lamballe, Eva Völler und die Krimis von Andreas Föhr.