»Der Chirurg und die Spielfrau« ist schon Ihr zehnter historischer Roman. Und jedes Mal suchen Sie sich besondere Themen aus, wie z.B. die Kunst des Perlenfischens. In »Der Chirurg und die Spielfrau« ist es nun die mittelalterliche Medizin und die Heilkunst der Musik. Wie kommen Sie auf die Stoffe?O...
»Der Chirurg und die Spielfrau« ist schon Ihr zehnter historischer Roman. Und jedes Mal suchen Sie sich besondere Themen aus, wie z.B. die Kunst des Perlenfischens. In »Der Chirurg und die Spielfrau« ist es nun die mittelalterliche Medizin und die Heilkunst der Musik. Wie kommen Sie auf die Stoffe?
Oft hangle ich mich in wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Fußnote zu Fußnote, wie bei einer Schnitzeljagd, bis ich DAS Thema finde, das mich begeistert. Manchmal sind es auch Museumsbesuche oder persönliche Begegnungen, die mich inspirieren.
Sie sind für Ihre genaue Recherche bekannt. Wie war die Quellenlage für Ihren neuen Roman?
Grundsätzlich bietet das dreizehnte Jahrhundert genügend Quellen, wenn auch verwertbare Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen noch Mangelware sind. Die Musiktherapie spielte bereits in der Antike in der Medizin eine Rolle und wurde später sogar an den Universitäten unterrichtet. Dennoch gab es bei diesem Stoff eine große Lücke – und die ist es, die mich besonders gereizt hat: meine männliche Hauptfigur ist von dem sogenannten „Chirurgen von der Weser“ inspiriert. Diese medizinische Koryphäe ist uns durch zwei Manuskripte bekannt, die so gut waren, dass sie über die Jahrhunderte häufig kopiert wurden. Der Verfasser nennt aber weder seinen Namen noch seine Herkunft oder seinen Werdegang. Diese „Leerstellen“ logisch und auf der Basis von Recherchen auszufüllen und zugleich eine spannende Geschichte zu erzählen, war ein großer Reiz.
Und wo sind Sie überall hingereist?
Hier im Norden nach Bremen, in die Wesermarsch und nach Corvey. Die mittelalterlichen Manuskripte legen nahe, dass der Chirurg aus dem Weserraum stammte und in den Diensten des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg stand. In der untergegangenen Stadt Corvey waren zudem bei archäologischen Ausgrabungen medizinische Instrumente gefunden worden, die in Zusammenhang mit seinen Schriften gebracht werden konnten. Da Herzog Otto in den Stedinger-Kreuzzug bei Bremen verwickelt war, und der Chirurg auch über Erfahrungen bei Kriegen verfügte, ergab sich auch diese Verbindung.
Zudem habe ich in Bologna, Genua und Montpellier recherchiert – drei Städte mit einer großen (medizinischen) Geschichte, die sehr unterschiedlich sind, und die eine Rolle im Leben meines Chirurgen und seines Lehrmeisters Wilhelm spielten.
Sie bewegen sich mit Ihren historischen Romanen fast immer im Mittelalter, was fasziniert Sie an der Epoche besonders?
Es stimmt, die letzten Romane bewegen sich im Mittelalter. Allerdings habe ich auch bereits fünf Romane verfasst, die zwischen dem sechzehnten und neunzehnten Jahrhundert spielen. Das Mittelalter ist faszinierend, weil es fremd und nah zugleich ist. Man glaubt, so viel zu wissen, kann abseits der Klischees jedoch viel entdecken. Die Gegensätze sind extrem, es ist archaisch, so dass die Menschen – und insbesondere die Frauen – schnell an Grenzen gestoßen sind. Das allein bietet viel Stoff für Konflikte und lässt einen „mitfiebern“.
Hätten Sie selbst gerne im Mittelalter gelebt?
Nein. In Romanen tauchen wir oft in die „süffigen Aspekte“ des Mittelalters ein. Gerne verdrängen wir, warum die meisten Menschen damals nicht alt geworden sind, dass sie von Pocken und anderen Krankheiten vernarbt waren, keine Zähne mehr hatten oder an einer einfachen Blutvergiftung starben. Immer, wenn ich beispielsweise über mittelalterliche Heilmethoden lese, bin ich glücklich, heute zu leben. Wenn ich an die damals so beliebten Trepanationen denke, also Schädelöffnungen mit einem Bohrer, gruselt’s mich.
Was vielleicht gar nicht allen bewusst ist: Sie zeigen im Roman auf, wie verbreitet die Sklaverei im Mittelalter war. Wie sind Sie darauf gestoßen?
Auf das Thema Sklaverei im Mittelalter bin ich durch die Recherchen zur „Hansetochter“ gestoßen, denn viele der Lübecker Hansekaufleute profitierten von den Kreuzzügen ins Heidenland an der Ostsee – also ins Baltikum – und brachten auch Sklaven von dort mit. Ich las zudem die Tagebücher des italienischen Kaufmanns Marco Datini, der von 1335 bis 1410 lebte, und der häufig über die Sklaven berichtet, die er kaufte oder verkaufte. Ich konnte nicht fassen, dass es zu einer Zeit, die wir in Teilen schon als fortschrittlich betrachten, noch Sklaverei gibt, und begann dem nachzugehen.
Durch Ihre Hauptfiguren, die Sklavin Elena, dem jungen Adligen Thonis und dem Chirurgen Wilhelm, gelingt es Ihnen, den ungeheuren Kontrast zwischen den Ständen und zwischen Mann und Frau darzustellen. Wie behalten Sie, bei all den unterschiedlichen Lebenswelten, die Fäden in den Händen beim Schreiben?
Durch sehr umfangreiche Vorarbeiten, sowohl was die Figuren als auch die Handlungsstränge angeht. Ich finde es bewundernswert, wenn Autoren einfach losschreiben und abwarten, wohin der Schreibfluss sie treibt – das ist bei mir nicht der Fall.
Elena verfügt über die Gabe mit Ihrem Gesang zu heilen. Sie schreiben in der Anmerkung zum Buch, dass die Musiktherapie heutzutage leider für exotisch oder gar esoterisch gilt. Was halten Sie dagegen?
Mit der Musiktherapie lassen sich erstaunliche Erfolge beispielsweise bei Alzheimer-, Schlaganfall- oder Demenzpatienten erzielen, ebenso bei psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen und Störungen wie Autismus, Depressionen oder Tinnitus. Singen blockiert auch das Angstzentrum im Gehirn.
Sie haben eine Begeisterung für das Leben der Madame Tussaud. Inwieweit sind Ihre Romanfiguren Wachs in Ihren Händen?
Ha! Schön wär’s! Die meisten Figuren sind durchaus formbar. Allerdings gibt es auch Charaktere, die ein starkes Eigenleben entwickeln, und beispielsweise einfach nicht sterben wollen, obwohl ich sie dahinmeucheln will 😊
Und verraten Sie uns schon, wo und wann Ihr nächster historische Roman spielt?
Ich weiß gar nicht, ob ich das schon verraten darf, aber bitte: „Krone der Welt“ spielt im Amsterdam des Goldenen Zeitalters. Auch ein sehr reiches, faszinierendes Sujet.