Thilo Winter - Autor
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Autor

Thilo Winter

Thilo Winter ist ein deutscher Schriftsteller und Wissenschaftsjournalist. In seinen Reportagen berichtet er über Unterwasserforschung mit Tauchrobotern, archäologische Funde in abtauenden Gletschern, den Klimawandel als Ursache für den Untergang früher Kulturen und die Zukunft der Polargebiete. Winter arbeitet u.a. für die Zeitschriften Spiegel Geschichte, bild der wissenschaft und Spektrum der Wissenschaft. Er studierte Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Ethnologie. Er ist ein versierter Romanautor, mit "Der Riss" legt er seinen ersten Wissenschaftsthriller vor. 

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Interview

„Was könnte bei Experimenten mit gentechnisch veränderten Moskitos in der freien Natur passieren?“ | 18.07.2023

Lieber Herr Winter, Ihr Wissenschaftsthriller „Der Riss“ spielte in der Antarktis. In „Der Stich“ geht es nun zu den tropischen Florida Keys. Wie kam es dazu?Die Ideen zu meinen Geschichten liefert die Realität. Ich arbeite als Wissenschaftsjournalist und stoße dabei manchmal auf ein Thema, das sich...

Lieber Herr Winter, Ihr Wissenschaftsthriller „Der Riss“ spielte in der Antarktis. In „Der Stich“ geht es nun zu den tropischen Florida Keys. Wie kam es dazu?
Die Ideen zu meinen Geschichten liefert die Realität. Ich arbeite als Wissenschaftsjournalist und stoße dabei manchmal auf ein Thema, das sich für einen Roman eignet. In diesem Fall war das sofort klar: Experimente mit gentechnisch veränderten Lebewesen können weltweite Auswirkungen haben, und solche Experimente werden derzeit auf den Florida Keys durchgeführt. Bewohner:innen der Inseln haben versucht, sich dagegen zu wehren. Die Behörden haben allerdings die Genehmigung erteilt. Außerdem saß mir die Kälte der Antarktis nach intensiver Beschäftigung mit diesem Kontinent für „Der Riss“ noch in den Knochen. Diesmal musste es wärmer werden.
Worum geht es in Ihrem Buch?
Um die gefährlichsten Tiere der Welt: Mücken. Einige Arten übertragen die Erreger von Krankheiten wie Denguefieber. Eine Firma für Gentechnik versucht deshalb die Fortpflanzung dieser Mücken zu bremsen, indem sie Artgenossen aus dem Labor auf sie loslässt. Beim Aussetzen der genmanipulierten Insekten passiert jedoch etwas Unvorhergesehenes – eine tödliche Bedrohung entsteht.
Wie realistisch ist das Szenario, das Sie in „Der Stich“ beschreiben, auf einer Skala von 1 bis 10?
Die Voraussetzungen für die Geschichte sind, wie gesagt, gegeben. Was geschehen kann, wenn genmanipulierte Lebewesen in die Natur entlassen werden, können weder Forschende noch Schriftstellerinnen und Schriftsteller bis in die letzte Konsequenz vorhersagen. Da ist viel möglich. Deshalb würde ich sagen: 9.
Überwiegen für Sie bei dieser Art von Forschung die Risiken?
Jede Art von Forschung birgt Risiken. Vor allem dann, wenn die Versuche die Isolation des Labors verlassen und in die Natur überführt werden. Es gibt natürlich viele Auflagen, die erfüllt werden müssen, Vorsichtsmaßnahmen in Hülle und Fülle. Aber die Möglichkeiten, wie sich ein gentechnisch manipulierter Organismus in Verbindung mit einer wilden Population verhält, sind so vielfältig, dass niemand alle Eventualitäten abschätzen kann. Ein gewisses Risiko bleibt immer bestehen.
Was reizt Sie daran, die harten Fakten mit Fiktion zu vermischen?
Forschung ist langsam. Das ist gut so, denn sonst wären viele Resultate nicht seriös. Für jemanden wie mich, der den Vorhaben mit großer Neugierde folgt, stellen sich aber immer Fragen: Was wird herauskommen, wenn das Projekt abgeschlossen ist? Welche Erkenntnisse wird es geben? Welche Gefahren könnten auftreten? In den meisten Fällen muss man Jahre warten, bevor diese Fragen beantwortet werden können. Deshalb greife ich in der Fantasie ein wenig vor und spiele in meinen Romanen mit Möglichkeiten.
Was ist für Sie das Herausforderndste beim Schreiben eines Wissenschaftsthrillers?
Wissenschaft ist spannend, in all ihren Facetten. Sie hat nur ein Problem: Sie kann das oft nicht vermitteln. Ich versuche deshalb, wissenschaftliche Fakten zum einen verständlich darzulegen und sie zum anderen in eine spannende Handlung einzubetten. Wenn Leserinnen und Leser nach der Lektüre des Buches das Gefühl haben, gut unterhalten worden zu sein und etwas Neues, für sie Interessantes erfahren zu haben, dann habe ich etwas richtig gemacht.
Haben Sie den Schauplatz Ihres Romans selbst besucht und vor Ort recherchiert? Was fasziniert sie an den Koralleninseln?
Tatsächlich war ich einige Zeit auf den Florida Keys, um das Leben auf den Inseln kennenzulernen und die Orte der Handlung zu besuchen. Was an den Inseln faszinierend ist: Die ungebändigte Natur und die Energie, mit der einige Menschen versuchen, sie zu bewahren.
Konnten Sie sich mithilfe von Anti-Mückenspray und Moskitonetz ausreichend schützen oder wurden Sie trotzdem erwischt?
Zum Glück bin ich vor der Mückensaison dort gewesen. Insektenschutzmittel helfen nur bedingt, da die Tiere Resistenzen entwickelt haben. Hilfe in Innenräumen verschaffen Deckenventilatoren, gegen deren Luftzug können die kleinen Biester nicht anfliegen. Im Freien muss man einfach mit Stichen leben.
Wie lief der Schreibprozess? Sind Sie eher der Typ akkurat durchplanen oder erstmal drauflos schreiben?

Beides. Ich plane die Geschichte erst durch. Dann zeigt sich beim Schreiben, dass die Figuren etwas ganz anderes wollen als der Autor, und ich muss Teile des mühsam erarbeiteten Plans umschmeißen. So ist das mit den Figuren: Wenn sie lebendig werden, entwickeln sie ihren eigenen Willen, und meist sind sie richtige Sturköpfe.

Wie würden Sie den Protagonisten Ihrer Geschichte beschreiben?
Quito Mantezza studiert Meeresbiologie in Key West und will den Freilandversuch mit den gentechnisch veränderten Mücken verhindern – mit allen Mitteln, auch mit Sabotage. Dabei gerät er mit dem Gesetz in Konflikt, was besonders deshalb problematisch ist, weil sein Vater der stellvertretende Polizeichef auf den Keys ist. Aus Quitos Protest entwickelt sich der Kampf gegen eine tödliche Gefahr.
Sind Sie selbst im Umweltschutz aktiv? Haben Sie schon einmal gegen ein Forschungsprojekt protestiert?
Als Journalist bin ich auf der Seite der Beobachtenden.
Haben Sie schon das nächste wissenschaftliche Thema im Blick mit einem spannenden Schauplatz für einen Thriller?
Verraten möchte ich nur so viel: Ich werde aus einer Mücke einen Elefanten machen.

Interview

„DIE ANTARKTIS – DER LETZTE WEIßE FLECK AUF DER WELTKARTE“ | 07.09.2022

Text: Christiane von KorffSie berichten als Wissenschaftsjournalist für renommierte Magazine und haben sich mit dem Klimawandel als Ursache für den Untergang früher Kulturen und mit der Zukunft der Polargebiete beschäftigt. Was hat Sie daran gereizt, in das fiktive Feld zu wechseln und einen Thrille...

Text: Christiane von Korff
Sie berichten als Wissenschaftsjournalist für renommierte Magazine und haben sich mit dem Klimawandel als Ursache für den Untergang früher Kulturen und mit der Zukunft der Polargebiete beschäftigt. Was hat Sie daran gereizt, in das fiktive Feld zu wechseln und einen Thriller zu schreiben?
Das Thema Antarktis ist mir häufig bei der Recherche zu wissenschaftlichen Reportagen begegnet. Je öfter ich darüber las, desto mehr Fragen hatte ich: Was geschieht, wenn das Eis der Antarktis weiter rasant schwindet? Was liegt seit Jahrmillionen unter den vier Kilometer hohen Eismassen verborgen und kommt dann zum Vorschein? Das ist praller Stoff für einen Wissenschaftsthriller. Die Geschichte war praktisch schon in meinem Kopf.
DER RISS führt an einen der letzten unberührten Orte der Welt, die Antarktis. Was hat Sie an diesem Schauplatz fasziniert?
Alles. Dieser Kontinent ist so riesig und zugleich so unbekannt, dass er auf einem anderen Planeten zu liegen scheint. Er ist der letzte weiße Fleck auf der Weltkarte. Dort gibt es nichts als Eis, Schnee und Stürme bei Temperaturen von bis zu minus 80 Grad Celsius. Obwohl dieses Land lebensfeindlich erscheint, ist es doch ein Biotop. Dort haben sich über Jahrmillionen einzigartige Lebensformen entwickelt. Die meisten sind der Wissenschaft noch unbekannt. Und: Die Antarktis ist der Maschinenraum der Weltmeere. Durch den Zirkumpolarstrom, die stärkste Meeresströmung der Welt, die um den Südkontinent herumwirbelt, werden alle anderen Meeresströmungen auf der Erde angetrieben. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn dieser Motor der Ozeane durch die Erwärmung der Meere schwächer werden würde.
Inwieweit hat Ihre Arbeit als Journalist das Schreiben Ihres Buches beeinflusst? Waren Sie selbst schon einmal vor Ort oder auf der Forschungsstation Neumayer III?
Die Recherche vor Ort in der Antarktis lässt sich leider nicht ohne Weiteres realisieren. Die touristischen Routen führen meist nur bis zu den vorgelagerten Inseln. Der Kontinent selbst ist ein in sich geschlossenes, empfindliches Ökosystem, das menschliche Besucher nicht gut verträgt. Jeder Stiefel, der dort in den Schnee gesetzt wird, hinterlässt einen schädlichen ökologischen Fußabdruck, im schlimmsten Fall Keime, die das biologische Gleichgewicht stören können. Deshalb habe ich mich gegen einen Besuch vor Ort entschieden. Doch ich konnte auf das Wissen und die Erfahrung derjenigen zurückgreifen, die dort Wissenschaft betreiben: Darunter Dr. Klaus Guba, der die Neumayer III-Station 2019/2020 leitete, und meine Fragen geduldig beantwortete. Auch Dr. Nicole Richter, die die Vulkane der Antarktis untersucht, hat mir sehr geholfen.
Wer an die Antarktis denkt, denkt an ein riesiges Eisfeld und nicht an lavaspuckende Vulkane. In Ihrem Thriller wird die Geologin Antonia Rauwolf mit einem ungewöhnlichen Auftrag ins nicht mehr ganz so ewige Eis geschickt: Sie soll herausfinden, ob die kürzlich entdeckten knapp 100 Vulkane aktiv werden könnten.
Tatsächlich gibt es recht viele Vulkane in der Antarktis. Etwa 50 waren schon bekannt. 2017 sind weitere 91 hinzugekommen – eine enorme Anzahl. Die meisten liegen unter dem Eis. Aber das heißt nicht, dass sie nicht aktiv sein können. Ob sie das sind, ist bislang nicht sicher.
Welche Auswirkungen hätte es auf den Klimawandel, wenn Vulkane in der Antarktis ausbrechen?
Das hängt davon ab, wie stark diese Ausbrüche sind und wie viele Vulkane betroffen wären. Forschende schauen derzeit mit Sorge auf das neu entdeckte Vulkanfeld in der Westantarktis, das auch in meinem Roman eine entscheidende Rolle spielt. Das schlimmste Szenario wäre eine Eruption, durch die die Eisschelfe vom Rand der Antarktis abbrechen. Ohne diese natürlichen Barrieren würden die Gletscher aus dem Landesinnern ins Meer fließen. Die unmittelbare Folge wäre ein abrupter Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter.
Ihr spannender Thriller ist actionreich und voller überraschender Wendungen. Legen Sie, bevor Sie mit dem Schreiben beginnen, das Handlungsgerüst fest?
Die Planung der Geschichte und der spontane Einfall sind beim Schreiben wichtig. Ich entwickle Geschichten von oben nach unten. Zunächst schaue ich aus der Vogelperspektive auf die Story. Dann sind nur der zentrale Konflikt und zwei oder drei Hauptfiguren sichtbar. Je tiefer ich in die Geschichte einsteige, umso mehr Konturen schälen sich heraus: Wendepunkte, Örtlichkeiten, falsche Fährten. Irgendwann bin ich mittendrin und beginne mit dem Schreiben. Dann kann sich durchaus noch etwas ändern, weil die Figuren ein Eigenleben führen und an bestimmten Punkten anderer Ansicht sein können als der Autor. Wenn man sie dann laufen lässt, entwickelt sich die Geschichte auf organische Weise wie von selbst. Das sind die schönsten Momente beim Schreiben.
Eine zentrale Rolle in Ihrem Buch spielt der Forscher Malatesta, der auch Morde nicht scheut, um privaten Profit aus einem Diamant-Vorkommen zu ziehen. Können Sie uns erklären, wieso es dazu kommen kann, dass unter dem Eispanzer der Antarktis Diamanten vermutet werden?
Die Antarktis war vor 250 Millionen Jahren Teil eines Superkontinents, einer riesigen Landmasse namens Gondwana. Damals hing die Antarktis mit Südafrika zusammen, das heute für seine Diamantvorkommen bekannt ist. Es ist möglich, dass diese Diamantlager auch auf jenem Teil des Superkontinents entstanden sind, der von Südafrika abgebrochen ist und heute zur Antarktis gehört.
Umweltschützer befürchten bereits die zukünftige Ausbeutung des Erdteils. Könnte die Antarktis zu einem neuen Schauplatz von Verteilungskämpfen um Rohstoffe werden?
In der Antarktis werden gewaltige Rohstoffvorkommen vermutet, und das weckt natürlich Begehrlichkeiten. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts drohte ein internationaler Konflikt um den Besitz von Land im ewigen Eis. Viele Länder stellten einfach Ansprüche auf Teile des Kontinents und zogen Grenzen auf der Landkarte, wie es ihnen gefiel. Bevor die Antarktis aber Schaden nehmen konnte, riefen 12 Staaten den Antarktischen Vertrag ins Leben, der die wirtschaftliche Ausbeutung des Eislands verbietet. Heute ist der Vertrag von 55 Staaten anerkannt. Seine Laufzeit ist zeitlich unbegrenzt.
Ein Teil der Spannung erzeugt Ihr Thriller damit, dass Sie geschickt Fakten mit Fiktion vermischen. Im Laufe der Handlung kommt Ihre Heldin Antonia Rauwolf einer sensationellen Entdeckung auf die Spur, lebende Organismen verbergen sich hunderte Meter unter dem Eisschelf. Können Sie uns aus wissenschaftlicher Sicht erklären, wie dieser überraschende Fund zu erklären ist?
Unter dem Eis der Antarktis liegt festes Land. Und dort, das weiß man heute, haben sich Süßwasserseen und -flüsse gebildet. Sie bilden seit vielen Millionen Jahren geschlossene Ökosysteme. Dort hat sich Leben auf bislang unbekannte Art entwickelt – das ist ein Spielplatz der Evolution. Bislang kommt man nicht tief genug hinunter, um diese Biotope zu untersuchen. Aber im Januar 2022 haben Forscher unter dem Filchner-Ronne-Schelfeis merkwürdige Lebensformen auf einem Felsen entdeckt, die aus einem dieser Ökosysteme stammen könnten. Die Untersuchungen dauern noch an.
Die Forscherin geht davon aus, dass die Zellkulturen dieser Lebewesen aus Schwämmen das Potential für die Entwicklung der Medizin haben, die sogar die Entdeckung des Penicillins in den Schatten stellt. Entspringt das der reinen Phantasie des Autors?
Ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel verraten. Aber auch die medizinische Hintergrundgeschichte aus „Der Riss“ hat ein reales Vorbild, auf das ich während meiner journalistischen Arbeit gestoßen bin.
Nach der Antarktis bleiben wenig unentdeckte Gegenden auf der Erde. Können Sie uns verraten, wo Ihr neues Buch spielt?
Dort, wo es deutlich wärmer ist: auf den Florida Keys.
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