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Thomas Mücke

Thomas Mücke, geboren 1958, ist Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe. Als Mitbegründer und Geschäftsführer von Violence Prevention Network hat er langjährige Erfahrung mit Gewalttätern, Gewaltopfern und Extremismus-Prävention. Als Dozent, Referent und Coach ist er bundesweit im Bereich Konfliktmanagement sowie Jugendarbeit, Islamismus, Radikalisierung und Deradikalisierung tätig. Dabei hat er insgesamt mit über 500 jungen Menschen zusammen gearbeitet. Er arbeitet und lebt in Berlin.
Mehr zum Violence Prevention Network und der Arbeit von Thomas Mücke auf www.violence-prevention-network.de
 

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Interview

Im Interview: Thomas Mücke über "Zum Hass verführt" | 10.05.2016

Seit 25 Jahren arbeiten Sie intensiv mit Jugendlichen zusammen, die in radikale Szenen geraten sind, kriminell wurden, sogar in den Dschihad gezogen sind. Wann haben Sie sich dazu entschieden, diesen Jugendlichen zu helfen? Gab es eine Art Schlüsselerlebnis?Meine frühere Arbeit mit einer rechtsextre...


Seit 25 Jahren arbeiten Sie intensiv mit Jugendlichen zusammen, die in radikale Szenen geraten sind, kriminell wurden, sogar in den Dschihad gezogen sind. Wann haben Sie sich dazu entschieden, diesen Jugendlichen zu helfen? Gab es eine Art Schlüsselerlebnis?
Meine frühere Arbeit mit einer rechtsextremen Jugendszene war hier sicherlich mein eigener persönlicher Lernprozess, auf junge Menschen zugehen zu können, obwohl sie zutiefst menschenverachtende Einstellungen vertreten. Ich kann mich noch gut an eine frühere Situation mit einem 13-jährigen Jungen erinnern. Er gehörte zu einer neonazistischen Aktionsgruppe und fragte mich, ob ich mit ihm über Zeitungsartikel reden würde. Wir saßen stundenlang in einem Treppenflur und er las mir Artikel aus einer rechtsextremen Zeitung vor. Er fragte mich, wie ich darüber denken würde und ich diskutierte lange und ausführlich mit ihm. Wir mussten dann auch immer wieder das Treppenlicht einschalten. Er hörte gar nicht mehr auf, reden zu wollen. Er suchte das Gespräch, die Auseinandersetzung, vor allem die Akzeptanz über seine jetzigen Denkweisen reden zu dürfen. Er konnte sich die Sache aus meiner Perspektive anhören und ich sagte mir: Wenn ich nicht bereit bin mit ihm zu reden, werden es andere tun.
Wie gehen die Salafisten vor? Wie kann es sein, dass sie gerade eine so junge Zielgruppe so gut erreichen?
Die extremistische salafistische Szene kennt die Bedürfnisse und die Sprache junger Menschen. Sie bedienen zuerst deren emotionale Bedürfnisse, nach Gemeinschaft, Geborgenheit, Zusammengehörigkeit, Halt und Identität. Sie verstehen es, für die alltäglichen Probleme und die Lebensgeschichte eines jungen Menschen ein offenes Ohr zu haben und binden ihn so immer fester an ihre Gruppe, bzw. lösen ihn von anderen. Junge Menschen sind immer auf Orientierungssuche und suchen den Kontakt zu Gleichaltrigen. Und genau in dieser Gruppe wird rekrutiert. Gleichaltrige finden den richtigen Ton, um sie anzusprechen und führen sie in diese Szene ein. Dort werden sie sofort akzeptiert und lassen sich dann auch schnell von charismatischen Autoritäten verführen.
Was geht in einem jungen Menschen vor, der sich selbst aufgibt für den Krieg und zu solchen Taten hinreißen lässt? Sind diese Entwicklungen immer auf Identitätskrisen zurückzuführen und sind dementsprechend alle Jugendlichen gefährdet?
Wenn extremistische Szenen bei jungen Menschen rekrutieren, gibt es aufgrund ihrer altersbedingten Beeinflussbarkeit immer eine Gefährdungssituation. Natürlich sind eher die gefährdet, die sich von ihrer Familie und ihrer sozialen Umgebung nicht verstanden fühlen oder deren soziale Perspektive unerschlossen ist – wenn sie das Gefühl haben, nicht mehr zu einer sozialen Gemeinschaft dazuzugehören. Aber es sind eben nicht nur junge Menschen aus prekären Lebenssituationen, sondern es können immer wieder auch junge Menschen aus Familien sein, in denen sich offensichtlich keine tiefere Problematik offenbart. Es kann die Tochter einer Lehrerin ebenso treffen wie den Sohn eines Polizeibeamten. Gemeinsam haben aber fast alle diese jungen Menschen, dass sie von den religiösen Werten des Islams kein Wissen haben. Religiöse Analphabeten sind für Extremisten eine besonders geeignete Zielgruppe, denn die Extremisten können dann unwidersprochen ihren sogenannten ‚wahren Islam‘ verkünden. Und in dieser Szene wird verkündet, nicht diskutiert. Wenn man dazugehören will, muss man der Ideologie bedingungslos folgen, darf nicht fragen, darf nicht zweifeln. Ansonsten wird man vom Diesseits und Jenseits ausgeschlossen. Gehorcht man den Gesetzen der Extremisten, wird persönliches Glück versprochen. Folgt man aber nicht, wird Angst und Druck erzeugt.
Jeder Mensch ist anders, jede Geschichte einzigartig und jede Begegnung ein eigener Fall. Wenn Sie zum ersten Mal Kontakt mit einem Jugendlichen aufnehmen, wie gehen Sie das an? Wie versuchen Sie, einen Dialog zu entwickeln?
Ich bewerte ihn erstmal nicht, stelle mich nicht über ihn, versuche ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe zu führen. Aber vor allem zeige ich Interesse für ihn, als Person mit seiner eigenen Lebensgeschichte. Wenn er wissen will, wer ich bin und mir Fragen stellt, nehme ich ihn damit ernst und gebe ihm dazu eine ehrliche Antwort. Es hört sich erstmal einfach an, aber hier geht es um Gespräche mit jungen Menschen, die hochgradig misstrauisch sind, und gegen dieses Misstrauen laufe ich nicht an, akzeptiere es erstmal. Geduld und Authentizität helfen hierbei.
Gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen der Arbeit mit rechtsradikalisierten und salafistischen Extremisten?
Im Grunde nicht. Beide Phänomene haben eine vergleichbare menschenverachtende Ideologie. Ihre Vorstellung ist die erzwungene Gemeinschaft unter Gleichen, alles andere verliert sein Existenzrecht. Beide lehnen Demokratie, Menschenrechte, sowie eine vielfältige und offene Gesellschaft ab. Ihre Rekrutierungsstrategien gegenüber jungen Menschen sind ähnlich. Und so ist auch die Arbeit mit diesen jungen Menschen im Prinzip nicht unähnlich. Allerdings ist die Arbeit mit jungen Menschen aus der extremistisch salafistischen Szene etwas leichter. Denn mit diesen jungen Menschen werden auch viele theologische Fragen diskutiert. Sie erkennen meist bald, dass Terrororganisationen wie der IS religiöse Werte verraten. Die extremistisch salafistische Szene missbraucht bewusst die Religion für ihre politischen Machtzwecke. Wenn junge Menschen diesen Missbrauch erkennen, haben sie die Möglichkeit, sich vom politischen Extremismus zu distanzieren und sich trotzdem – oder gerade deswegen – mit ihren muslimischen Wurzeln zu identifizieren. Es hilft Ihnen, wenn sie erfahren, dass Islam, Menschenrechte, Gewaltlosigkeit und Demokratie nicht im Widerspruch stehen.
Gibt es Jugendliche, die Sie trotz aller Maßnahmen und Bemühungen einfach nicht erreichen können? Wie gehen Sie damit um?
Geduld haben und abwarten, ob sich eine neue Kontaktmöglichkeit ergibt. Aber letztlich muss jeder Mensch selbst entscheiden, ob er Unterstützung und Beratung annimmt. Das zu akzeptieren ist auch Bestandteil professioneller Arbeit. Die Kontaktaufnahme ist immer schwierig, wenn junge Menschen noch gar nicht ausstiegswillig sind. Daher ist die Arbeit auch immer eine aufsuchende Tätigkeit und die Erfahrung zeigt, dass in der überwiegenden Anzahl die Kontaktaufnahme und die Beziehungsgestaltung gelingen. Zur Zeit arbeiten wir intensiv mit über 160 gefährdeten Jugendlichen zusammen. Bisher ist es uns in allen Fällen gelungen, Schäden an Menschen zu verhindern und zumeist haben die jungen Menschen währenddessen einen überzeugenden Distanzierungsprozess zum extremistischen Milieu geschafft. Das ist nicht nur einem unterstützenden Umfeld zu verdanken, sondern es ist vor allem eine erhebliche Eigenleistung des betroffenen Jugendlichen, einen Lebensweg ohne Gewalt und Hass zu gehen. Dass dies möglich ist, will ich mit den Geschichten in meinen Buch illustrieren.
Wie beeinflusst Sie Ihre Arbeit in Ihrem privaten Leben? Gibt es Dinge, die Sie grundsätzlich anders sehen, seitdem Sie für die Organisation Violence Prevention Network arbeiten?
Ich arbeite seit 35 Jahren im Bereich der Antigewalt- und Deradikalisierungsarbeit und habe auch einige Jahre mit jungen Gewaltopfern gearbeitet. In meinem bisherigen Arbeitsleben musste ich mich immer wieder auf neue Gewalt- und Extremismusphänomene einlassen. Diese Arbeit ist ein ständiger Lernprozess und birgt immer wieder neue Herausforderungen. Violence Prevention Network hat eine Kultur, in denen alle MitarbeiterInnen aus Überzeugung mit viel Engagement und Teamgeist zusammenarbeiten. Wir glauben gemeinsam daran, dass Menschen sich ändern können. So hatte ich bisher in meinen Arbeitsleben immer sehr fordernde und interessante Tätigkeiten. Für ein Privatleben ist es immer entlastend, wenn man das Gefühl hat, im beruflichen Leben das Richtige zu tun.
Wie erreichen Sie auch die Jugendlichen, die sich nicht direkt an die Beratungsstelle wenden und damit die Bereitschaft zeigen, sich helfen zu lassen?
Betroffene Jugendliche wenden sich gewöhnlich nicht direkt an eine Beratungsstelle, sondern wir müssen sie aufsuchen. Meist sprechen uns besorgte Eltern an oder Lehrer machen sich Sorgen, weil sie Wesensveränderungen bei den jungen Menschen feststellen konnten. Gemeinsam mit der ratsuchenden Person suchen wir dann nach Möglichkeiten, wie wir mit den betroffenen Jugendlichen Kontakt aufnehmen können. Den ersten Kontakt haben wir daher oft im Elternhaus oder in der Schule.
Sie betonen in Ihrem Buch, dass die Gefahren nicht nur von den extremistischen Organisationen herrühren, die junge Menschen für ihre Ideologien rekrutieren, sondern auch die passiven Reaktionen des sozialen Umfelds. Können Eltern alleine überhaupt verhindern, dass ihr Kind einen solchen Weg einschlägt?
Die Eltern sind unsere wichtigsten Bündnispartner. Sie können durch Zuwendung und laufenden Gesprächsangeboten viel erreichen. Jedem Elternteil kann es passieren, dass Kinder Wege in die extremistische Szene einschlagen. In dieser Zeit ist es wichtig, das ruhige Gespräch zu suchen und das gemeinsame Familienleben zu beachten. Wenn der gefährdete junge Mensch seinen familiären Ort nicht mehr erlebt, ist eine weitere Radikalisierung die Folge. Aber viele Eltern wissen nicht, wie sie mit ihrem Kind reden sollen, wenn es mit Extremisten sympathisiert. Oft enden diese Gespräche in einer Sackgasse der Eskalation und der Sprachlosigkeit. Eltern und Kind fühlen sich fremd zueinander. Und dann haben Eltern zunehmend Angst, was ihrem Kind in dieser Szene passieren kann, dass es z.B. in ein Kampfgebiet ausreisen könnte. Sie fühlen sich in dieser Situation oft hilflos und alleine. Ich kann betroffenen Eltern in einer solchen Situation nur eindringlich empfehlen, sich frühzeitig an die zentrale Elternhotline zuwenden. Innerhalb kurzer Zeit nimmt dann ein örtlicher Berater Kontakt mit ihnen auf. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass dann gemeinsam Wege gefunden werden können, das Kind aus der extremistischen Gefährdungssituation zu lösen.
Vielen Jugendlichen haben Sie bereits geholfen, wieder in die normale Gesellschaft zurückzufinden. Wie denken diese Menschen heute über diese Zeit?
Diejenigen jungen Menschen, die über längere Zeit in einer extremistischen Szene waren, sprechen sehr oft von einer verschenkten Zeit ihres Lebens. Sie halten es für wichtig, dass anderen gefährdeten jungen Menschen schnell Ausstiegshilfen gegeben werden. Andere sind erschrocken, wie sehr sie in der Szene manipuliert und missbraucht wurden. Sie sind froh, dass sie heute ein normales Leben führen können. Manche wissen auch, dass sie diese Zeit auch beinahe mit ihren Leben bezahlt hätten.
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