Thomas Spitzer - Autor
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Autor

Thomas Spitzer

Thomas Spitzer wurde 1988 in Freiburg im Breisgau geboren. Nach dem Studium der Mathematik, Volkswirtschaftslehre und Philosophie begann er, als Poetry Slammer und freier Autor zu arbeiten. Seit 2009 ist Thomas Spitzer auf deutschen Slambühnen aktiv und hat seitdem über 150 Wettbewerbe in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Liechtenstein gewonnen. Bei den bayerischen Poetry-Slam-Meisterschaften 2015 in Ingolstadt belegte er den dritten Platz und hatte im Februar 2015 seinen ersten TV-Auftritt beim NDR Comedy Contest. Spitzer schrieb unter anderem für die Tageszeitung taz und das Satiremagazin Titanic.
2014 belegte er den 2. Platz beim Karl-Marx-Poesie-Preis und freute sich 2015 über den Erhalt des Preises „Ungewöhnlichster Buchtitel des Jahres 2014" für die Essaysammlung Wir sind glücklich, unsere Mundwinkel zeigen in die Ster-nennacht wie bei Angela Merkel, wenn sie einen Handstand macht.

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Interview

Im Interview: Thomas Spitzer über sein Buch "Goethe, Schiller, Chinakohl" | 13.10.2016

In Deinem Buch „Goethe, Schiller, Chinakohl“ erzählst Du von der Zeit, in der Du für das Goethe-Institut in China warst. Warum haben sie Dich dorthin geschickt? Was war Dein Auftrag?Wenn man vom Goethe-Institut kontaktiert wird, ist das immer ein bisschen wie in einem James-Bond-Film: Irgendjemand r...

In Deinem Buch „Goethe, Schiller, Chinakohl“ erzählst Du von der Zeit, in der Du für das Goethe-Institut in China warst. Warum haben sie Dich dorthin geschickt? Was war Dein Auftrag?
Wenn man vom Goethe-Institut kontaktiert wird, ist das immer ein bisschen wie in einem James-Bond-Film: Irgendjemand ruft einen aus irgendeinem Grund an. Fehlt nur noch, dass sie danach sagen: „Ihr Handy wird sich in drei Sekunden selbst zerstören. Tschüss.“ Bis jetzt war ich mit dem Goethe-Institut in den USA, in Brasilien und einmal in Taiwan und China. 2017 wird eine weitere Reise nach Chicago hinzukommen. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung.
Wie lang hat deine China-Reise gedauert?
22 Tage.
Ist das nicht ein bisschen kurz, um ein Buch über China zu schreiben?
Es wäre sicher zu kurz, um ein Buch wie Henry Kissingers „China – Zwischen Tradition und Herausforderung“ zu schreiben, das also den Anspruch hat, einfach ALLES zum Thema China zu sagen, was man so sagen kann und jeden noch so kleinen Kaiser-Pups in seiner Dauer, seiner Bedeutung und seinem Geruch zu beschreiben. Darum ging es mir aber gar nicht. Ich wollte ein Buch darüber machen, was die Reise in mir ausgelöst hat. Dazu hätten auch drei Tage gereicht.
Du hast also eher einen literarischen Ansatz gewählt.
Ja, genau. Es geht weniger um DAS China als mehr um das „China in mir“. Im Gegensatz zu vorherigen Urlauben hat sich die China-Reise fast wie eine spirituelle Erfahrung angefühlt. Oder wie ein Drogentrip. Das habe ich versucht mit einer lockeren, assoziativen Form einzufangen. Gerade darauf, wie das Buch aufgebaut ist, bin ich sehr stolz. Als ich eine erste Version fertig hatte, habe ich viele Bücher über China gelesen. Die meisten sind entweder trocken wie ein Telefonbuch oder respektlos. So nach dem Motto: „Schau mal, wie blöd die alle sind.“ Beides wollte ich nicht. Deshalb mache ich mich in dem Buch mehr über mich lustig als über mein Umfeld.
Was hat die Reise in dir ausgelöst?
Irgendwann dachte ich mir: Wie kann es sein, dass hier so wahnsinnig viel passiert ... Und man so wenig in Deutschland davon mitbekommt? Ich bin durchaus jemand, der sich informiert. Aber dass es in China 200 Millionenstädte gibt (in Deutschland gibt es vier, in den USA zehn) und Ampelkreuzungen, bei denen in einer einzigen Grünphase bis zu 10.000 Menschen über die Straße gehen ... Das hatte ich schlicht und ergreifend nicht gewusst. In der Geschichte der Menschheit gab es noch nie ein Land, das so bevölkerungsreich war und sich so schnell entwickelt hat wie China in den letzten fünf Jahren. Als ich nach Deutschland zurückgekommen bin, kam mir danach ausnahmslos jede deutsche Stadt – auch Hamburg, München oder Köln – wie ein kleines, verschlafenes Dörfchen vor.
200 Millionenstädte? Wow.
Ja. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es noch vor zehn Jahren um die 50 Millionenstädte gab. Das Land entwickelt sich in einem schwindelerregenden Tempo.
Hast du noch ein paar Zahlen für uns?
In China gibt es die 32-Millionen-Einwohnerstadt Chongqing, die mit Umland fast 83.000 Quadratkilometer fasst. Ganz Österreich hat circa 84.000 Quadratkilometer. Das heißt, die STADT Chongqing ist fast so groß wie das LAND Österreich.
Kannst Du Dich noch an den allerersten Tag in China erinnern?
Ja, es war grauenhaft. Ich habe den schlimmsten Fehler zuerst gemacht und bin am Flughafen Guangzhou in ein inoffizielles Taxi gestiegen. Mit nichts als einem kleinen Fresszettel in der Hand, wo ein paar Schriftzeichen – der Name meiner Unterkunft – draufgekritzelt waren. Bei der Fahrt hat sich herausgestellt, dass der Taxifahrer nicht richtig lesen konnte. Er hat geflucht und ständig an irgendwelchen Hinterhöfen angehalten, weil er mich rausschmeißen und das Problem beseitigen wollte. Ich war ihm hilflos ausgeliefert ... und dann nach drei Stunden am Ziel.
Wie hat der Aufenthalt dann konkret ausgesehen? Wie waren Deine Tage dort?
Oft wurde ich um sieben abgeholt. Dann gab es in der Früh zwei Workshops in Schulen oder Universitäten und am Nachmittag ein bis zwei Auftritte. Dazwischen habe ich in Gesprächen mit den jeweiligen Verantwortlichen versucht, so viel wie möglich über das Land und seine Kultur zu erfahren.
Du bist einer der erfolgreichsten Poetry Slammer Deutschlands. Wann warst Du nervöser: beim ersten Poetry Slam oder beim ersten Workshop mit Chinesen?

Weder noch. Bei meinen ersten beiden Mathe-Klausuren im Studium war die Nervosität unerträglich. Ich habe wochenlang nicht richtig geschlafen. Bei der einen Klausur sind 80 Prozent durchgefallen, bei der anderen 92. Und eine davon habe ich sogar geschafft, die andere später mit einer 1 nachgeschrieben.

Was ist absurder: Hühnerfüße essen in Deutschland oder Oktoberfest in Taiwan?
Hühnerfüße sind ein bisschen knorpelig, schmecken aber eigentlich nach nichts. Das Oktoberfest in Taiwan war abgefahren. Da hat sich eine kleine Asiatin hingestellt und gebrüllt: „Let’s celebrate the German freedom ... With superb German beer!“ Und dann haben sich alle besoffen. Dieser Enthusiasmus bezüglich der Wiedervereinigung war wirklich absurd. Generell, dass ich in meinem ganzen Leben nie am 3. Oktober gefeiert hatte – außer einmal in Taipeh.
China in drei Worten?
Groß. Laut. Chaotisch.
Deutschland in drei Worten – aus chinesischer Sicht?
Kartoffeln. Kartoffeln. Kartoffeln.
Was hast Du mehr vermisst: Youtube und Facebook oder Schlaf?
Schlaf. Schlaf macht alles besser. Irgendwann will ich mal eine Sekte gründen, wo man den Schlaf anbetet. Die Jogginghose ist die Gebetskleidung, das Bett der Altar und der Traum das Gebet.
Die größte Überraschung in China?
Boy. Einmal hab ich die öffentliche Toilette benutzt, die in China ohne Abgrenzung ist, und hockte da zwischen zwei Männern, von denen einer geraucht und der andere telefoniert hat. Das war wild.
Der schlimmste Moment in China?
Ich habe meinen Reisepass verloren. Ich glaube, es gibt keinen schlimmeren Ort dafür.
Die schönste Erinnerung an China?
Die Baby-Pandabären in Chengdu waren super sweet. Und die Workshops haben größtenteils wirklich Spaß gemacht.
Was hast Du von den Chinesen gelernt?
Wenn man nach China geht – also in den ursprünglicheren Teil, nicht nach Peking oder Shanghai – , kommt einem zuerst vieles fremd vor. Zum Beispiel der Klassiker: Hunde essen. Das ist für uns Westler ein No-Go. Ich mag Hunde, werde mir im Frühjahr 2017 wahrscheinlich selbst einen zulegen. Wenn man sich dann mit den Gründen und der Kultur befasst, kann man das aber zumindest nachvollziehen. Chinesen haben kein Konzept von Haustieren. Sie denken: „Ein Hund ist ein TIER. Wieso also sollten wir es anders behandeln als Schweine oder Ziegen?“ Viele Chinesen sagen: „Ihr Westler braucht Hunde und Katzen, um euch nicht alleine zu fühlen. Weil ihr eure Mitmenschen so schlecht behandelt. Das haben wir Chinesen nicht nötig!“ Und irgendwo haben sie ja Recht. In gewisser Hinsicht ist der Chinese näher beim Veganer als wir, weil er alle Tiere gleich behandelt. Also gleich schlecht. Wir hingegen ziehen eine willkürliche Grenze zwischen Tieren, lassen die einen auf unser Sofa und in unser Bett, und betrachten die anderen als lebendigen Müll, den man in den Mixer schmeißen und für 79 Cent pro Kilo im Supermarkt verkaufen kann. Solche Gedanken hatte ich bei der Reise nach China oft. Und das ist ein ganz wesentlicher Punkt von „Goethe, Schiller, Chinakohl“: Interkultureller Austausch bedeutet schlussendlich nicht, dass man irgendwo hinfährt, ein paar Selfies schießt, eine verrückt gewürzte Mahlzeit verputzt und wieder heimgeht, sondern, dass man sich auf das fremde Weltbild einlässt, was zwangsläufig einen Perspektivwechsel auf das eigene Weltbild zur Folge hat. Das ist ein sehr schmerzhafter Prozess. Weil man bemerkt, dass es Ansichten gibt, die sich schlicht nicht miteinander vereinen lassen: Für den einen ist „Hunde essen“ fast wie Kannibalismus, für den anderen Normalität. Beide haben irgendwo Recht ... Und trotzdem gibt es keinen Kompromiss. Man kann den Hund ja nicht „ein bisschen essen“.
Der wichtigste Tipp an jemanden, der vorhat, länger in China zu (über)leben?
Zunächst: Geh unbedingt nach China! China ist wie „Game Of Thrones“: Das musst du einfach gesehen haben. Und, der Tipp: Hab keine Angst! China ist ein sehr ungefährlicher Reise-Ort. Gerade für uns Deutschen und gerade zum Beispiel im Vergleich zum – viel beliebteren – Südamerika. Auch für Frauen ist China vollkommen unbedenklich. Ich würde sogar so weit gehen und sagen: China ist für uns eins der sichersten Reiseländer der Welt.

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