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Autorin

Ulla Mothes

Ulla Mothes, 1964 geboren, wuchs in der Mark Brandenburg sowie in Ostberlin auf. Als Studentin stellte sie einen Ausreiseantrag, weil sie nicht wollte, dass ihre Kinder mit einem Maulkorb aufwachsen müssen. Es folgten Exmatrikulation, Arbeit als Garderobenfrau, Ausreise 1986. Heute lebt Ulla Mothes als Lektorin, Autorin und Schreibcoach in Berlin. Ihre zwei erwachsenen Kinder dürfen bis heute sagen, was sie wollen.

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Interview

"Heimat ist etwas tief Vertrautes" | 27.01.2022

Mit FLÜCHTIGES GLÜCK erscheint Ihr zweiter Roman, der sich ebenfalls mit der DDR-Zeit beschäftigt und den Fokus zugleich auch auf die Nachwendezeit legt. Welche Themen lagen Ihnen diesmal besonders am Herzen?Der Zusammenbruch der DDR brachte für viele Menschen dort einen biografischen Bruch mit sich...

Mit FLÜCHTIGES GLÜCK erscheint Ihr zweiter Roman, der sich ebenfalls mit der DDR-Zeit beschäftigt und den Fokus zugleich auch auf die Nachwendezeit legt. Welche Themen lagen Ihnen diesmal besonders am Herzen?
Der Zusammenbruch der DDR brachte für viele Menschen dort einen biografischen Bruch mit sich. Besonders die Abwertung ihrer Lebensleistung machte und macht vielen zu schaffen. Mir waren in diesem Zusammenhang drei Fragen besonders wichtig. Welche gestalterische Kraft haben Menschen in der Diktatur aufgebracht? Das illustriert meine Figur Renate. Wie haben Menschen innerhalb des Machtapparats versucht, positiv zu wirken? Meine Figur Agnes wählt diesen Weg. Und was geschieht, wenn die Lebensleistung eines aufrechten Mannes, dessen Frau Opfer wurde, nichts mehr gilt? Für meine Figur Matthias ist auf diese Weise alles zusammengebrochen.
Wie ist die Idee zu FLÜCHTIGES GLÜCK entstanden?
Mein Roman GETEILTE TRÄUME zieht sich durch alle Jahrzehnte der deutschen Teilung und endet kurz nach der Wiedervereinigung. In dem, was ich zur deutschen Teilung und Wiedervereinigung sagen wollte, fehlte die Nachwendezeit. Ihre Nachwehen begleiten uns bis heute. Deshalb habe ich FLÜCHTIGES GLÜCK geschrieben, dessen Gegenwartsebene heute spielt, der aber bis in die Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts zurückreicht. Seine Konflikte kulminieren in den Jahren kurz vor und nach dem Untergang der DDR.
Warum haben Sie sich für diesen Titel entschieden?
Das Schlimme, was in diesem Roman geschieht, passiert, weil Menschen nicht offen miteinander umgehen. Ein entscheidendes Machtinstrument einer Diktatur ist erzwungenes Schweigen. Wer offen Kritik übt, hat Repressionen zu fürchten. Wenn Menschen einander etwas verschweigen, werden sie mehr als flüchtiges Glück nicht gewinnen. Die beiden in der Diktatur geborenen Generationen müssen dies in meinem Roman leidvoll erfahren. Aber die jüngste, die Generation des neuen Jahrtausends, besteht auf einem offenen Umgang, was ihr Glück auf eine feste Basis stellt und auch rückwirkend zur Heilung beiträgt.
Im Mittelpunkt steht die 21-jährige Milla, die von ihrem afghanischen Freund Navid ihr erstes gemeinsames Kind erwartet. Sie selbst ist mit zwei Ziehvätern aufgewachsen, und auf Drängen Navids beginnt sie sich verstärkt für ihre Herkunft zu interessieren. Was zeichnet Milla als Figur aus?
Lebenslustig ist sie, temperamentvoll, begeistert von Chemie, offen und unerschrocken. Sie ist im Multi-Kulti-Berlin-Kreuzberg der Nullerjahre aufgewachsen, gesellschaftliche Vorurteile sind ihr fremd. Sie schwankt zwischen Leben und Lebenlassen und der Klärung von Familiengeheimnissen, die alten Schmerz aufwühlen. Letztlich gibt ihre Liebe zu Navid den Ausschlag, um beherzt in altem Hass zu graben.
Wie gestaltet sich die Beziehung der Protagonistin zu ihrer Mutter und inwiefern beeinflusst ihre bevorstehende Mutterschaft ihren Blick auf vergangene Ereignisse?
Jola ist eine liebevolle werdende Großmutter. Ihr vertrautes Verhältnis mit ihrer schwangeren Tochter Milla ist ein Quell der Freude für beide und sorgt auch dafür, dass es nicht zum Bruch kommt, als Milla auf Antworten bezüglich ihres leiblichen Vaters drängt, die Jola nicht geben möchte, um nicht alten Schmerz aufzuwühlen und Millas sorglose Kindheit mit ihren Ziehvätern aus dem Mittelpunkt zu rücken. Milla wiederum sieht sich durch ihre Schwangerschaft in eine Generationenfolge gestellt, in der sie eine eigene Position finden muss.
Frau Mothes, Sie sind selbst in der Mark Brandenburg und in Ostberlin aufgewachsen. Mit Anfang 20 haben Sie einen Ausreiseantrag gestellt, der 1986 genehmigt wurde.

Was bedeutet für Sie der Begriff „Heimat“?
Heimat ist etwas tief Vertrautes. Der Duft der Brandenburger Kiefern im Sommer. Das Berliner Licht an einem sonnigen Februartag. Der Breitengrad, auf dem ich lebe, mit dem Wechsel von Winter und Sommer, langen und kurzen Tagen. Vor allem eine Einbettung in meine Familie und meinen Freundeskreis, das Verständnis und die Kenntnis meiner Person, die mich dort umweht.
Wie haben Sie die ersten Jahre in Westdeutschland erlebt?
Der Bruch war denkbar klein. Ich wurde von einem Freund aufgenommen. Ich konnte mein Studium wiederaufnehmen, ein zweites anschließen, und als Studentin war das Knüpfen neuer Kontakte unkompliziert. Wir hatten Familie und Bekannte in Westdeutschland, ich wusste, wo ich hinkomme, ich habe den „Westen“ nicht verklärt.
Was empfinden Sie heute, wenn Sie an ihre Zeit in der DDR zurückdenken?
Die DDR war ein gespaltenes Land. Ich empfand mich auf der Seite der Guten. Der Kritischen, die sich gemeinsam mit vertrauten Mitstreitern durchlavierten, subversive Kleinaktionen starteten. Als ich ein Teenager war, war die DDR längst in der Diktatur erstarrt. Leute, die in der Stasi waren, waren Verbrecher, Punkt. Mit meiner Figur Agnes durchbreche ich dieses Schwarz-weiß-Denken.
Der Schauspieler und Künstler Armin Mueller-Stahl hat Einblick in seine Stasi-Akten genommen. In seinen Bildern hat er seine grenzenlose Enttäuschung und Wut künstlerisch verarbeitet, angesichts der Tatsache, dass einige seiner engsten Vertrauten aus DDR-Zeiten, keine echten Freunde gewesen waren.

Haben Sie vergleichbare Erfahrungen gemacht?
Glücklicherweise nicht. Aber das kann immer noch kommen. Einige Fragen sind offen. Natürlich haben sich Menschen, die ich näher kannte, als Stasispitzel erwiesen.
Die Tätigkeit für die Stasi spielt in Ihrem Roman ebenfalls eine Rolle. Worauf haben Sie bei Ihren Schilderungen Wert gelegt?
Wenn ich einen Roman schreibe, stelle ich mir Warum-Fragen. Ich bin quasi eine „Erforschungsschreibende“. Warum macht ein Mensch etwas? Warum geht Agnes zur Stasi? Wie steht sie selbst dazu? Was macht sie dort? Meine Antworten sind wie die Figur selbst frei erfunden, aber es könnte so gewesen sein. Das war der Maßstab. Ich habe recherchiert, Agnes’ Aufgabengebiet gab es tatsächlich. Auch solche Berichte, wie sie in meinem Roman erwähnt werden.
Mit Ihrem letzten Roman GETEILTE TRÄUME wollten Sie ein Buch schreiben „dass Leser in Ost und West anstiftet zusammenzufinden“. Welche Reaktionen haben Sie auf Ihren Roman erhalten?
Viele! Viele ganz verschiedene, sehr bewegende von Zeitzeugen darunter. Ich bin dankbar dafür. Ich habe mir gewünscht, dass eine Diskussion entsteht, dass Menschen sich erinnern. Dass junge und westliche Lesende sich für eine Perspektive interessieren, die jenen eine Stimme verleiht, die im Kalten Krieg auf der Verliererseite standen. In den Beiträgen haben alte und junge Deutsche zusammengefunden, vielstimmig, lebendig. Die Diskussion ist auf verschiedenen Buchportalen nachzulesen.

Interview

»Ich wollte ein Buch schreiben, das Leser in Ost und West anstiftet zusammenzufinden – und sie neugierig aufeinander macht.« | 26.02.2021

Warum haben Sie einen Roman über die deutsche Teilung geschrieben?Meine Familiensaga Geteilte Träume entstand, weil ich ein Buch schreiben wollte, das Leser in Ost und West anstiftet zusammenzufinden – und sie neugierig aufeinander macht. Ich habe den Wunsch, den Einigungsprozess voranzutreiben.Gibt...

Warum haben Sie einen Roman über die deutsche Teilung geschrieben?
Meine Familiensaga Geteilte Träume entstand, weil ich ein Buch schreiben wollte, das Leser in Ost und West anstiftet zusammenzufinden – und sie neugierig aufeinander macht. Ich habe den Wunsch, den Einigungsprozess voranzutreiben.
Gibt es eine Verbindung zwischen Ihrer eigenen Lebensgeschichte und dem Inhalt Ihres Buches?
Ich bin im nördlichen Brandenburg und Berlin aufgewachsen, wo das Buch hauptsächlich spielt. Wie der Protagonist Ernst in meinem Roman habe ich auch den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ getragen, im Wissen um sehr wahrscheinliche Repressionen. Ich wurde von der Stasi bespitzelt wie meine Figuren Ingrid und Bernhard und im Rahmen meines Ausreiseantrags verhört, mit der guten alten Good-Cop-Bad-Cop-Methode, die auch Dicki und Specki aus meinem Buch bei Rosa anwenden.
1986 bin ich mit 22 Jahren ausgereist, habe die Mauer im Zug von der anderen Seite entschwinden sehen wie meine Figur Petra – ein erhebendes Erlebnis – und habe das verspielt-anarchische Westberlin noch kennengelernt.
In Ihrem Roman geht es um die 18-jährige Ingke, die anlässlich einer schweren Krankheit ihrer Mutter erfährt, dass sie zu DDR-Zeiten adoptiert wurde, nachdem sie ihrer leiblichen Mutter nach einem Fluchtversuch weggenommen worden war. Zwangsadoptionen sind ein bis in die heutige Zeit hineinreichendes dunkles Kapitel der DDR-Geschichte, da immer noch viele Kinder und Eltern einander suchen. Welche Bedeutung hat dieses Thema für Sie?
Persönlich glücklicherweise keine. Bedeutsam ist ein Gedankengang, den ich Ingke zugeordnet habe. Sie fragt sich, ob sie selbst in den Westen geflüchtet wäre, wenn sie ein Baby gehabt hätte. Mit dem Risiko, erschossen zu werden, und auch dem der Trennung vom eigenen Kind. Derartige Fragen stellen sich heute viele Eltern auf der Welt. Versündigen sie sich an ihren Kindern, wenn sie sich und ihre Familie einer großen Gefahr aussetzen? Oder ist es bewundernswert, wie sie unter Lebensgefahr dafür kämpfen, dass ihre Kinder es einmal gut haben? Ingke ist zunächst ratlos, später begreift sie, wie hochmütig es ist, das für andere zu entscheiden.
Wie haben Sie für das Buch recherchiert?
Im Gegensatz zu zweien meiner Protagonisten war mir das Glück beschieden, in der DDR nicht „eingeknastet“ zu werden, weshalb ich mit einem ehemaligen Häftling des Stasigefängnisses in Berlin-Hohenschönhausen gesprochen habe, der mich auch durch das berüchtigte U-Boot geführt hat, den Keller, in dem meine Figur Bernhard einsitzt. Und ich durfte mit einer Frau reden, die Mitte der Siebziger zeitgleich mit meiner Protagonistin Petra im Frauengefängnis Hoheneck eingesessen hat.
Beiden Recherchepartnern bin ich sehr dankbar, dass sie sich für Geteilte Träume dem Schmerz der Erinnerung gestellt haben und ich Lesern dadurch einen gewissermaßen authentischen Einblick geben kann.
Warum trägt Ihr Roman den Titel GETEILTE TRÄUME?
Es tut mir im Herzen weh, wenn meine alte Heimat missverstanden wird und Menschen abqualifiziert werden. Im Kalten Krieg, der in meinem Buch zu Ende geht, hat der Westen gesiegt, aber für den Einheitsprozess ist es wichtig, Träume, die die Menschen in der DDR hatten, den Traum von einer Gesellschaft gleichberechtigter Teilhabe zum Beispiel, ernst zu nehmen.
Und so kommt es in dem Buch eben neben Flucht und Repression auch zur Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft „Morgenröte“, in der es basisdemokratisch und gemeinschaftsorientiert zugeht, und es gibt Protagonisten, die sehr fortschrittlich denken, wie viele Menschen damals in der DDR. Und die Träume haben, die viele Menschen heute teilen.
In Ihrem Roman verarbeiten Sie eine Vielzahl an Themen, wie Enteignung nach 1945, die Kollektivierung in der Landwirtschaft, den Kampf um Meinungsfreiheit, Mode, Kunst und Wissenschaft in der DDR sowie die Suche nach Identität. Warum haben Sie dafür die besondere Form des Unterhaltungsromans gewählt?
Ich will zuvörderst unterhalten und Freude und Spannung vermitteln. Ich möchte, dass Menschen einfach in meine Romanwelt hineinspazieren können – und es en passant genießen, Tatsächliches zu erfahren. Einen leichten Zugang zu gehaltvollen Themen zu verschaffen, das hat mich ungemein gereizt.
Am 13. August 2021 jährt sich der Mauerbau zum 60. Mal. Was bedeutet dieses Datum für Sie persönlich?
Wenn mich jemand nachts um drei weckt und fragt, was war am 13. August 1961, werde ich wohl zeit meines Lebens wie aus der Pistole geschossen die richtige Antwort geben, obwohl ich da noch nicht auf der Welt war. Das Datum ist eine fantastische Gelegenheit, sich zu fragen, inwieweit man eigentlich selbst ein Kind oder Enkel des Kalten Krieges ist. Da kann Erstaunliches zutage kommen.
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