Dr. Ulrich Bahnsen - Autor
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Dr. Ulrich Bahnsen

Dr. Ulrich Bahnsen promovierte in Neurogenetik am Hamburger Uniklinikum. Seit 1994 ist er als Wissenschaftsjournalist tätig, seit 2001 im Ressort Wissen der Wochenzeitung DIE ZEIT. Seine Beiträge über Themen aus der Genetik, Evolution, Altersforschung und Medizin werden viel gelesen und kommentiert. Ulrich Bahnsen wurde für seine journalistische Arbeit mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Best Cancer Reporter Award (2008) und dem Medienpreis Deutsche Gesellschaft für Neurologie (2016). 

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Interview

»ES GIBT WOHL KAUM EINEN BEREICH IN DER MEDIZIN, IN DEM RNA-THERAPIEN KÜNFTIG KEINE ROLLE SPIELEN WERDEN.« | 02.09.2022

Worum geht es in „Das Ende aller Leiden“?Es geht um ein bislang völlig unterschätztes Molekül, die RNA. Als Impfstoff hat sie jetzt ihren großen Auftritt. Aber tatsächlich hat die Idee, durch RNA Krankheiten zu heilen oder zu lindern, bereits in den 70-ern ihren Ursprung. Nur wusste man nicht, wie m...

Worum geht es in „Das Ende aller Leiden“?
Es geht um ein bislang völlig unterschätztes Molekül, die RNA. Als Impfstoff hat sie jetzt ihren großen Auftritt. Aber tatsächlich hat die Idee, durch RNA Krankheiten zu heilen oder zu lindern, bereits in den 70-ern ihren Ursprung. Nur wusste man nicht, wie man dieses sensible Molekül handhaben sollte. Erst in den vergangenen Jahren wurden die Techniken entwickelt, mit deren Hilfe aus RNA wirklich Medikamente und Impfstoffe werden können.
RNAs sind die „wahren Akteure des Lebens“, wie Sie schreiben. Womit haben die RNAs diesen Titel verdient?
Wir vergleichen die RNA gern mit Apps. Stellen Sie sich unser Erbgut als Handy oder Computer vor. Die DNA ist unsere Festplatte, dort liegen die ganzen Informationen: Kontaktdaten, Bilder, Nachrichten und so weiter. Aber was würden wir ohne Apps damit anfangen? Wir brauchen Programme, Messengerdienste, eine Foto-App, um auf all diese Informationen zugreifen und sie nutzen zu können. Und genau diese Aufgabe übernimmt die RNA in unseren Zellen. Wenn sie die Informationen nicht übermitteln und der Zelle zur Verarbeitung präsentieren würde, dann bliebe unser Genom stumm.
Was Sie über die Entdeckung der RNAs und den Weg der Forschung bis zum heutigen Stand schreiben, liest sich fast wie ein Krimi. Was macht diesen Bereich der Medizin so spannend – auch abseits vom Wettrennen um den ersten Corona-Impfstoff?
Schon die entscheidende Entdeckung der Boten-RNA war in den 1950er und 1960er Jahren ein Wettrennen der klügsten Köpfe. Dann begann das Ringen von Wissenschaftler:innen und Unternehmen, um die RNA einsetzbar zu machen. Bis heute wetteifern sie darum, erste RNA-Therapien gegen Krebs und Herzerkrankungen und Impfstoffe gegen Infektionen zu entwickeln. Wer schafft die erste Impfung gegen HIV oder Tuberkulose? Das wäre ein Hauptgewinn.
Und womit hat das Buch, das Sie beide geschrieben haben, seinen Titel verdient? Worin liegt die Hoffnung der neuen Erkenntnisse?
Wir können tatsächlich Hoffnung auf eine Therapie für sehr, sehr viele Krankheiten haben. Das liegt vor allem daran, dass Wissenschaftler:innen nun verstehen, wie sie diese kleinen Moleküle nutzen und transportieren können. Biontech hat zum Beispiel einen ausgeklügelten Mechanismus entwickelt, wie ihre mRNA-Impfung quasi automatisch zu den wichtigen Abwehrzellen geleitet wird. Andere RNA-Unternehmen zielen mit ihren Molekülen in die Leber. Inzwischen zielen sie weitere Gewebe an. Deswegen glauben wir, dass in den nächsten Jahren wahnsinnig viel passieren wird. Es gibt wohl kaum einen Bereich in der Medizin, in dem RNA-Therapien künftig keine Rolle spielen werden.
Wer wird in Zukunft von diesen Entwicklungen profitieren? Welche Patienten profitieren schon jetzt, neben allen mRNA-Geimpften?
Die vielen Millionen Menschen allein in Deutschland mit einer der 8000 seltenen Erkrankungen, die auf einem Gendefekt beruhen, werden sicherlich profitieren. Patienten mit Multipler Sklerose könnte zum Beispiel bald effektiv geholfen werden mit einer RNA-Behandlung. Schon jetzt gibt es eine RNA-Therapie für Menschen, die an sehr hohen Cholesterinwerten leiden. Und hoffen wir, dass die RNA-Medizin uns große Chancen für bessere Krebsbehandlungen eröffnet.
(Warum) kann man von einer Revolution in der Medizin sprechen?
Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass mindestens die Hälfte aller Erbkrankheiten auf mRNA-Fehler zurück gehen - und wenn es möglich wird, diese Fehler zu beheben, dann haben wir auf einen Schlag die Welt von einer unglaublichen Krankheitslast befreit. Und wenn es gelingt, Herzschwäche zu stoppen, weil man winzige RNA-Moleküle blockiert, dann würde allein in Deutschland etwa 2,5 Millionen Menschen geholfen. Das ist doch ganz schön groß.
Wann und wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?
Eigentlich lag das Thema in der Luft. Vor knapp 15 Jahren begannen die ersten klinischen Versuche von CureVac mit einer mRNA-Impfung gegen Krebs. 2018 wurde die erste wirkliche RNA-Therapie gegen eines der schrecklichsten Muskelleiden, die spinale Muskelatrophie, zugelassen. Das war der große Startsprung. Vor drei Jahren dann, machten zwei kleine Start-ups die Entdeckung, dass winzige microRNAs eine Rolle beim Herzstoffwechsel spielen. Aber erst der Corona-Impfung ist es zu verdanken, dass die Menschen zu verstehen beginnen, was dieses Molekül alles steuert.
Was hat Sie dazu bewegt, „Das Ende aller Leiden“ zu schreiben? Was wollen Sie Ihren Leser:innen in erster Linie mitgeben?
Wir wollen ihnen Hoffnung und Zuversicht vermitteln. Wir haben bei unseren Gesprächen mit Wissenschaftler:innen, akademischen wie Pharmaforschern, so viel Enthusiasmus erlebt. So viel Optimismus, Mut und Engagement. Es sind ja nicht nur die Biotech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci, die mit ihrem ganzen Herzblut eine neue Technologie vorantreiben. Solche Wissenschaftler:innen sitzen in München, Hannover, Heidelberg, in Marseille oder London - eben nicht nur in den USA. Sie werden die Medizin verändern. Nicht über Nacht, aber gerade in den wenigen vergangenen Jahren ist der Fortschritt so schnell wie noch nie.
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