Marie-Luise Marjan - Autor
© Manfred Eßer

Autor/Sprecher

Marie-Luise Marjan

Marie-Luise Marjan, geboren 1940 in Essen, hat Schauspiel an der Staatlichen Musikhochschule Hamburg studiert. Sie hatte 20 Jahre lang Engagements an den ersten Bühnen in Basel, Bochum, Karlsruhe, Bonn und Gastspiele an der freien Volksbühne Berlin und am Thalia-Theater in Hamburg. In zahlreichen Filmen, Serien und Fernsehspielen hat sie sich einen guten Namen gemacht.

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Interview

Die „Mutter der Nation“ über das Glück zu wissen, wer man ist | 07.07.2015

2015 ist ein ganz besonderes Jahr für Marie-Luise Marjan. Im August feiert sie ihren 75. Geburtstag, im Dezember das 30-Jährige Jubiläum der Lindenstraße und seit nunmehr 25 engagiert sie sich für das Kinderhilfswerk Plan und die Unicef. Es gibt also keinen passenderen Zeitpunkt für Marie-Luise Marj...


2015 ist ein ganz besonderes Jahr für Marie-Luise Marjan. Im August feiert sie ihren 75. Geburtstag, im Dezember das 30-Jährige Jubiläum der Lindenstraße und seit nunmehr 25 engagiert sie sich für das Kinderhilfswerk Plan und die Unicef. Es gibt also keinen passenderen Zeitpunkt für Marie-Luise Marjan um in ihrem neuen Buch „Ganz unerwartet anders“ ihre bewegende Lebensgeschichte zu erzählen. Erfahren Sie im Interview mehr über Marie-Luise Marjan und diese ganz besondere Suche.

Frau Marjan, Sie haben ja bereits eine Biografie geschrieben, nun veröffentlichen Sie mit Ganz unerwartet anders die Geschichte Ihrer Kindheit und der Suche nach Ihrem Vater. Wie wichtig war es Ihnen, dies alles nochmal von Anfang an und mit eigenen Worten zu erzählen?
Um bis zu einem Ende zu kommen, muss man bei A, also am Anfang, beginnen. Nur so kann man den Bogen spannen und ein schlüssiges Bild schaffen. Außerdem will man natürlich auch immer wissen, wo man her kommt.
Die brennendste Frage vorweg: Da hielten Sie sich 67 Jahre lang für eine waschechte Westfälin, und dann erfuhren Sie, dass Sie nur zur Hälfte Westfälin, zur anderen Hälfte Fränkin sind. Ist das Weintrinken da zur Verpflichtung geworden?
Auch als Westfälin hat mir ein Wein immer gut geschmeckt! Ein Gläschen Weißen im Sommer, ein Gläschen Roten im Winter (lacht).
Sie waren noch keine 16, als Ihnen eine Mitschülerin mehr oder weniger aus dem Nichts heraus steckte, Ihre Eltern seien gar nicht Ihre richtigen Eltern. Hat es zwischen Ihnen und diesem Mädchen jemals eine Aussprache gegeben? Und wie schwierig war es, ihr zu verzeihen?
Nein, eine Aussprache hat es nicht gegeben. Dieses Thema hat mich so überrannt, dass es mich viel mehr interessierte, was daran wahr war, und da konnte sie mir keine Auskunft geben. Dieses Mädchen war im Grunde nur der reitende Bote, der die schlechte Nachricht überbrachte, wie der Apotheker bei Romeo und Julia.
Ihre künstlerischen Talente wurden von Kindheit an gefördert. Sie bekamen ein Klavier, gingen zum Gesangsunterricht und standen schon mit 13 auf der Bühne. Wissen Sie, ob Sie Ihre Talente von Ihrer Mutter geerbt haben?
Wen meinen Sie? Meine Mutter oder meine Blutsmutter? Ich habe ja alles zweimal. Man sagt, dass meine Mutter, nach ihrer Auswanderung nach Kanada, dort im deutschen Club als Sängerin aufgetreten ist. Den Erzählungen nach habe ich mein Talent also von meiner leiblichen Mutter.
Sie haben Ihren Adoptiveltern Hanni und Emil Lause in „Ganz unerwartet anders“ ein rührendes Denkmal gesetzt. Welche Bedeutung haben diese beiden Menschen heute in Ihrem Leben?
Sie haben mich gut erzogen. Sie haben mich streng, aber gut erzogen. Gut insofern, dass sie mich vor den „Gefahren des Lebens“ bewahrt haben. Dafür bin ich ihnen noch heute sehr dankbar.
Zwischen Ihnen und Ihrer leiblichen Mutter, Hildegard alias Denise Wienkötter, ist niemals so etwas wie Nähe entstanden. Trotzdem haben Sie ihr verziehen. Wie wichtig war das für Sie und warum?
Wir sind geboren, um zu verzeihen. Wir wären verloren, würden wir es nicht tun. Der Mensch muss verzeihen, sonst kann er nicht ausgeglichen leben.
Ihre Adoptiveltern haben Ihnen trotz der schwierigen Kriegs- und Nachkriegsjahre eine nahezu idyllische, naturverbundene Kindheit beschert. Sie haben einmal in einem Interview gesagt, mit der Natur aufzuwachsen, sei sehr wichtig, weil es einem Menschen eine gewisse Stabilität gäbe. Warum ist das Ihres Erachtens so?
Das sehe ich einfach so. Ich könnte nicht in einer Häuserschlucht leben oder mitten in einer Stadt, wo es kein Grün gibt. Ich fühle mich sehr mit der Natur verbunden. Beispielsweise habe ich immer einen Lieblingsbaum in meiner Umgebung, den ich als Rückzugsort nutze. Ich habe auch einen Ginko in meinem Garten, den ich bei einer UNICEF-Aktion vom Hessischen Forstamt geschenkt bekommen habe. Jetzt ist er zu einem stattlichen Baum herangewachsen und erfreut mich in meinem Garten.
Sie wussten nie mehr über Ihren Vater, als seinen Namen, und dass er im Zweiten Weltkrieg den Fliegertot gestorben ist. Hatten Sie insgeheim Fantasien darüber, wie Ihr Vater sein könnte? Dass er noch lebte und eines Tages wie der Prinz aus dem Märchenbuch vor Ihnen stehen würde?
Ich dachte nicht, dass er ein Prinz war, dafür war ich zu geerdet, aber natürlich habe ich gerätselt, was er ist. Vielleicht Architekt oder Arzt? Heute hätte ich am liebsten einen erfolgreichen Musiker zum Vater (lacht).
Sie erfuhren, dass Ihre Mutter noch ein Kind zur Welt gebracht hat, Ihren Halbbruder Günter. Wie war das für Sie plötzlich einen Bruder zu haben? Haben Sie die Möglichkeit Geschwister zu haben jemals in Erwägung gezogen?
Das war eine Überraschung hoch 5! Ich dachte nur „Oh Gott, was kommt denn jetzt auf mich zu?!“. Damit hatte ich nie gerechnet.
Sie beschreiben in Ihrem Buch sehr eindringlich, wie seltsam sich das anfühlt, nach so vielen Jahren als Kind, das die Adoptiveltern jung verloren und die leiblichen Eltern kaum und gar nicht gekannt hat, plötzlich einen Brief in den Händen zu halten, der mit den Worten ‚Meine allerliebste Schwester!’ beginnt. Wie ist das heute? Haben Sie inzwischen verinnerlicht, einen Bluts- und Schicksalsverwandten und eine so große Familie zu haben?
Das hat mich sehr berührt. Der Kontakt zu meiner gesamten Familie in Würzburg ist großartig. Dort werde ich immer rührend umsorgt und aufgenommen, als würde ich schon ewig zur Familie gehören. Sie nehmen mich als Mensch, so wie ich bin, und sehen erst dann in mir die Schauspielerin.
Was sind die auffallendsten Ähnlichkeiten zwischen Ihnen und Ihrem Bruder?
Wir sind eigentlich sehr unterschiedlich. Er ähnelt unserer Mutter, während ich meinem Vater ähnlich sehe. Günter ist ein Allgäuer mit einem speziellen, typischen Humor. Außerdem hat er einen Allgäuer Akzent, sodass ich ihn manchmal gar nicht verstehe. Allerdings teilen wir das künstlerische Talent. Er war als junger Mann in einer Band und spielt noch heute Akkordeon.
Das erste große Familientreffen schildern Sie in „Ganz unerwartet anders“. In wenigen Wochen wird anlässlich Ihres Geburtstages das nunmehr neunte Familientreffen stattfinden. Und Sie haben auch Verwandte mit indonesischen Wurzeln. Wieso?
Einer meiner Cousins, den ich bisher noch nicht kennen gelernt habe, hat lange als Brückenbauer in Indonesien gearbeitet. Dort hat er eine Indonesierin geheiratet und einen Sohn mit ihr bekommen, den sie Franz genannt haben. Der wiederum hat eine entzückende Indonesierin geheiratet, und die beiden haben zwei goldige Mädchen, die ebenfalls deutsche Namen haben. Franz und seine Familie waren auch schon oft bei Familientreffen.
Bei Ihnen stimmen Image und Naturell schon immer überein. Sie sind herzlich, mütterlich und bodenständig. Haben Sie je anders sein wollen, als Sie sind?
Nein, meine Intention war schon immer Theater zu spielen und in eine andere Rolle zu schlüpfen. Dabei war es für mich nicht wichtig berühmt zu werden, sondern es ging mir darum, in andere Welten einzutauchen. Das Theater hat mich von Anfang an gefangen genommen.
Sie haben vor Ihrer Karriere als Helga Beimer in der „Lindenstraße“ auf renommierten Bühnen die großen Rollen des klassischen Schauspiel-Repertoires gespielt. Und Sie haben mal gesagt, dass Sie sich heute durchaus vorstellen könnten, bei einem Theaterstück Regie zu führen. Wenn sich das ergeben würde, was wären Ihre Wunsch-Stücke?
Mir wurde einmal angeboten, das Stück „Der Besuch der alten Dame“ von F. Dürrenmatt am Meininger Theater zu inszenieren. In diesem Stück spielte ich vor vielen Jahren am badischen Staatstheater Karlsruhe die Tochter – ich kenne also dieses Stück.
Sie haben seit über fünfzig Jahren kontinuierlich großen Erfolg in Ihrem Beruf und sind für Ihre Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Gibt es einen, der eine ganz besondere Bedeutung für Sie hat?
Da gibt es zum einen die Preise auf der politischen und sozialen Ebene, wie das Bundesverdienstkreuz oder den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Das ist eine ganz besondere Anerkennung meines konsequenten Engagements für die Gesellschaft und die Kinder dieser Welt. Auf der künstlerischen Seite gibt es Preise wie die Goldene Kamera oder den Bambi, die wir als Ensemble für die Lindenstraße bekommen haben.
Neben Ihrer Arbeit und Ihrer Familie hat Ihr soziales Engagement für die Unicef und die Marie-Luise Marjan Stiftung, sowie das Kinderhilfswerk Plan International, einen enormen Stellenwert in Ihrem Leben. Was ist die größte Bereicherung, die Sie daraus beziehen?
Dieses Engagement ist Teil meines Lebens geworden. Wenn man sieht, wie sich die Kinder und Dörfer in der Dritten Welt entwickeln, ist das eine große Bestätigung unserer Arbeit. Beim Stiftertreffen im Weimar vor Kurzem gab es eine besondere Überraschung: Einen Film über mein drittes Patenkind Yen aus Vietnam. Als sie 3 Jahre alt war, hielt ich sie auf dem Arm. Und heute ist sie eine erwachsene, hübsche Frau, ist verheiratet und hat selber schon ein Baby. In einer Szene schnitt sie Mangos und hauchte dabei »Marie-Luise, thank you so much, I miss you!« Das hat mich zu Tränen gerührt. Zu erleben, wie Menschen unsere Hilfe mit Plan dankbar annehmen, ist eine große Bereicherung meines Lebens. Ich bin dankbar, dass ich daran mitwirken kann, die Welt ein bisschen besser zu machen.
Was sind Ihre beruflichen und privaten Pläne für die Zukunft?

Berufliche und private Pläne gehen ja immer ineinander über. Vor allem hoffe ich, dass ich gesund und fröhlich bleibe, und weiterhin viele Menschen mit meinen Büchern und der Lindenstraße erreiche. Und natürlich hoffe ich, dass die Menschen mich weiterhin so akzeptieren, wie ich bin.

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