Suat Yilmaz - Autor
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Autor

Suat Yilmaz

Der Autor Suat Yilmaz, selbst 1978 aus der Türkei in Deutschland eingewandert, musste die Ungerechtigkeit des deutschen Bildungssystems bitter erfahren. Nach einem nicht ganz geraden Bildungsweg und seinem Studium der Sozialwissenschaften, hat er die deutsche Bildungsmisere sehr gut erkannt und setzt sich heute für die Kinder und Jugendlichen ein, die in Zukunft unser Land mitfinanzieren müssen. Er ist der erste Talentscout an einer deutschen Hochschule und geht gezielt in Schulen, um das Potenzial junger Talente zu entdecken und zu fördern. In seinem Buch zeigt der Autor wie Deutschland tausende Talente verschwendet und damit sein Entwicklungspotenzial verspielt. Denn die Zukunft dieser Kinder bestimmt die Zukunft unseres Landes.

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Interview

Im Interview: Suat Yilmaz über sein Buch "Die große Aufstiegslüge" | 29.09.2016

Herr Yilmaz, Ihr Buch heißt „Die große Aufstiegslüge“ – was meinen Sie damit?Ich meine damit, dass wir es leider nicht schaffen, mehr junge Menschen an den Möglichkeiten unserer Gesellschaft teilhaben zu lassen. Für viele Kinder gibt es keinen sozialen Aufstieg, egal wie talentiert sie sind. Ist das...

Herr Yilmaz, Ihr Buch heißt „Die große Aufstiegslüge“ – was meinen Sie damit?
Ich meine damit, dass wir es leider nicht schaffen, mehr junge Menschen an den Möglichkeiten unserer Gesellschaft teilhaben zu lassen. Für viele Kinder gibt es keinen sozialen Aufstieg, egal wie talentiert sie sind. Ist das ein ehrlicher Umgang mit diesen Kindern?
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Probleme des deutschen Bildungssystems?
Das deutsche Bildungssystem ist in Teilen derzeit nicht in der Lage, Talente unabhängig von der Herkunft zur Entfaltung zu bringen. Es spielt immer noch eine zu große Rolle, was die Eltern, verdienen, wo sie herkommen und wie gebildet sie sind. Hinzu kommt, dass wir nicht in einer Bildungskette – ähnlich einer Kühlkette – von der Kita bis hin zur Ausbildung oder Studium denken, sondern jedes Systemteil für sich. Da entstehen Verzerrungen und Zwischenräume, die die Biografien vieler verbauen.
Warum haben Sie sich dazu entschieden, dieses Buch zu schreiben?
Ich wollte nicht ein hochwissenschaftliches Fachbuch mit der hundertsten Statistik schreiben, sondern aus meiner Arbeitspraxis berichten und das Thema aus meiner ganz persönlichen Perspektive beschreiben. Was bedeuten die vielen Ungerechtigkeitsstatistiken für die einzelnen Menschen und ihren Lebensweg? Was machen sie aus ihren Hoffnungen? Es ist eine Einladung, mit mir ein Stück weit in das Bildungssystem einzutauchen, „embedded“ sozusagen das Feld zu erkunden.
Sie sind als Talentscout einer Hochschule ein Pionier. Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben?
Es ist eine Arbeit nicht nur für, sondern auch mit den jungen Menschen, Eltern, Lehrern und vielen anderen Akteuren, immer entlang der individuellen Lebenswelt der Kids. Ich habe die Chance, junge Menschen über Jahre hinweg durch das Schul- und Hochschulsystem oder die Ausbildung zu begleiten, mit ihnen Misserfolge zu erleben, aber auch zu sehen, wie der eine oder andere seinen Traum verwirklicht, den Traum vom Aufstieg.
Auf welche Widerstände stoßen Sie bei Ihrer Arbeit und in Diskussionen?
Mich überrascht es immer wieder, wie wenig wir unseren Kindern und Jugendlichen zutrauen und wie wenig Respekt wir vor ihren Hoffnungen und Träumen haben. Am meisten aber nerven mich die Leute, die sagen, dass man es schon alleine schaffen kann, wenn man genug Talent hat. Die Realität ist nun mal nicht so einfach und ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der das Kind einer weniger privilegierten alleinerziehender Mutter dort landet, wo es mit seinem Talent auch hingehört, und nicht aufgrund der fehlenden finanziellen Möglichkeiten oder Netzwerke irgendwo im System untergeht. Wir können es doch nicht dem Zufall oder dem Geldbeutel der Eltern überlassen, ob ein Jugendlicher eine Chance in unserer Gesellschaft bekommt.
Gibt es besonders einprägsame Begegnungen oder Erfolge, an die Sie sich in solchen Momenten erinnern und die Sie motivieren?
Es gibt viel Momente, die mir zeigen, wieviel Power in den meisten Kids steckt. Insbesondere die Jugendlichen, die Zuhause noch auf drei jüngere Geschwister aufpassen, den Haushalt schmeißen und trotzdem mit top Leistungen die Schule absolvieren, beeindrucken mich jedes Mal. Da komme ich mir manchmal wie ein Jammerlappen vor, wenn ich mich über zu viel Stress beklage.
Wie machen Sie den Talenten Mut, die Sie an den Schulen treffen? Gelingt es Ihnen immer, die Jugendlichen zu überzeugen?
Es ist wichtig, den jungen Menschen zuzuhören und authentisch zu sein. Was auch definitiv dazugehört ist, ihnen klarzumachen, dass auch Misserfolge zum Leben dazugehören, und wir bereit sind, mit ihnen gemeinsam aufzustehen, wenn sie hinfallen. Die Kids merken dann schnell, dass wir es ernst meinen, wenn wir sagen: „Wir laufen die nächsten Jahre mit dir, du schaffst das!“ Natürlich gibt es auch Schüler, die wir nicht erreichen oder die wir aus den Augen verlieren. Das Scheitern ist auch ein Teil unserer Arbeit, wir leben ja nicht in einem Hollywood-Film.
Halten die Talente, die Sie ins Studium begleiten, später noch Kontakt zu Ihnen? Bekommen Sie mit, was aus ihnen wird?
Da der Ansatz von der Schule, durch das Studium bis zum Abschluss geht, sind ich und meine Kollegen auch im Studium die Ansprechpartner. Die ersten schließen gerade ihr Bachelorstudium ab.
Sie sind selbst als Kind nach Deutschland gekommen und das hiesige Bildungssystem hat es auch Ihnen nicht immer leichtgemacht. Sind die Probleme für eingewanderte Kinder heute noch dieselben oder hat sich seit Ihrer Kindheit etwas geändert?
Ich glaube, vieles hat sich verbessert, aber dennoch fallen leider zu viele trotz Talent durch das System, übrigens auch die ohne Zuwanderungsgeschichte. Es hat sich viel zum Positiven verändert, aber um mit den Herausforderungen einer globalisierten Zukunft erfolgreich umzugehen, müssen wir das deutsche Bildungssystem weiter verbessern, es anpassen, nach oben sozial durchlässiger machen. Die einzige Währung ist das Talent!
Was und wen wollen Sie mit Ihrem Buch bewegen?
Ich würde mich freuen, wenn dieses Buch nicht nur von den Fachleuten gelesen und verstanden wird, sondern vielleicht auch von den „normalen“ Bürgerinnen und Bürgern. Wenn ich mit diesem Buch nur einen weiteren Menschen dazu kriege, positiver auf unsere Kinder zu schauen und vielleicht sogar Verantwortung für eines dieser Talente zu übernehmen, hat sich jede Zeile, jede Mühe gelohnt.
Wenn Sie Sylvia Löhrmann, Angela Merkel oder Johanna Wanka ein Exemplar von „Die große Aufstiegslüge“ überreichen würden, was würden Sie als Widmung hineinschreiben?
Ich muss Sie ganz dringend sprechen, Zeit für einen Kaffee?
Wer sollte – außer den Dreien – Ihr Buch unbedingt lesen?
Natürlich alle, die sich privat oder beruflich für das Thema Bildung interessieren. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn viele Eltern dieses Buch lesen und nicht nur die mit einem akademischen Hintergrund, denn um ihre Kinder geht es.

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