Interview mit Sabine Martin

Frau Klewe, Herr Conrath, Sie schreiben seit fast zehn Jahren als Duo unter dem gemeinsamen Autorennamen Sabine Martin. Viele von uns stellen sich den Schreibprozess als einen recht einsam, wenig gesellig vor. Deshalb ganz direkt gefragt: Wie kann man zu zweit an einem Roman arbeiten? Wie teilen Sie sich die Arbeit auf? Und was sind dabei die besonderen Herausforderungen?

Wir entwickeln gemeinsam die Figuren und die Geschichte, dann schreiben wir abwechselnd jeweils ein paar Kapitel. Wer an der Reihe ist, darf alles nach Belieben ändern und umschreiben. Das geht so lange hin und her, bis wir beide mit dem Ergebnis zufrieden sind. Eine Herausforderung ist, dass wir bei Meinungsverschiedenheiten (ja, die gibt es wirklich), so lange diskutieren, bis wir uns einig sind. Das kann manchmal dauern, aber in der Regel kommen wir bei einer langen Autofahrt, bei einer Wanderung oder einem Spaziergang am Meer schnell zu einer Einigung. Manchmal muss eine Idee aber auch ein paar Tage reifen.

Ihr neuster Roman, DAS SCHICKSAL DER HENKERIN, ist soeben erschienen. Worum geht es in diesem Roman?

In DAS SCHICKSAL DER HENKERIN gerät Melisande in tödliche Gefahr, als sie versucht ihren totgeglaubten Bruder zu retten. Um der perfiden Falle zu entkommen, die ihr Gegner für sie aufgestellt hat, muss Melisande in ihre Heimatstadt Esslingen zurückkehren und ein letztes Mal ins Henkersgewand schlüpfen. Und sie muss eine wichtige Entwicklung durchmachen, muss die Lektion ihres Lebens lernen, um ihre Familie zu retten.

Sie kehren damit zu einer Protagonistin zurück, der Sie schon 2012 und 2013 zwei Historische Romane gewidmet haben, der Henkerin Melisande. Was war der Grund dafür?

Wir hatten das Gefühl, dass die Geschichte um Melisande noch nicht zu Ende erzählt ist. Und, ganz ehrlich: Wir haben Melisande vermisst. Es hat riesigen Spaß gemacht, wieder in ihre Welt einzutauchen, sie, ihren Gatten Wendel und ihre Tochter Gertrud wiederzusehen, die inzwischen ein Brüderchen mit Namen Antonius bekommen hat.

Wie sind Sie damals auf das Thema gekommen? Was fasziniert Sie an dieser Figur? Im Mittelalter wollte doch niemand Kontakt zum Henker bzw. Scharfrichter haben.

Genau deswegen. Henker waren Unreine, Ausgestoßene. Das ergibt ein wunderbares Potenzial für Konflikte, Geheimnisse, Gefahren und dramatische Entwicklungen. Unser ältester Sohn, der Geschichte studiert hat, brachte den Stein ins Rollen. Ganz beiläufig meinte er, dass wir doch mal etwas über eine Henkerin schreiben sollten. Wir konnten erst gar nicht glauben, dass es tatsächlich weibliche Henker gab, und haben recherchiert. Es gab sie tatsächlich, und da war uns klar, dass wir darüber schreiben mussten. Auch wenn unsere Henkerin dann letztlich ihr wahres Geschlecht verbergen muss, weil sie vom Erzfeind ihrer Familie verfolgt wird.

Gibt es ein besonderes „Histörchen“, auf das Sie bei Ihren Recherchen gestoßen sind und das Sie erstaunt hat?

Uns war nicht bewusst, dass es ganze Henker-Dynastien gab, die über Jahrhunderte hinweg die Scharfrichter einer Region stellten. Aus der Familie Hirschfeld, zum Beispiel, kamen von 1528 bis 1804, also fast 300 Jahre lang, in Thüringen, Franken und Hessen die Henker.
Auch fanden wir es spannend, dass Hinrichtungen immer auf zentralen Plätzen oder an weithin sichtbaren Orten stattfanden. Jeder sollte sehen, dass in dieser Stadt Recht gesprochen wurde und was einem drohte, wenn man sich nicht an die Gesetze hielt.
Wir haben bei unseren Recherchen herausgefunden, dass heutzutage viele Menschen eine fast liebevolle Beziehung und alten Richtstätten pflegen, dass es noch immer Folterkeller gibt, in denen arme Seelen unter den Torturen der Folterknechte stöhnen. Gottseidank kamen die Klagen der Opfer nur vom Band. Aber bei dem Gedanken, einem mittelalterlichen Henker in die Hände zu fallen, wurde uns schon anders.

Was müssen Leser mitbringen, wenn sie Historische Romane schreiben wollen?

Damit ein historischer Roman gelingt, muss man in die Zeit eintauchen, sich in ihr bewegen können, als wäre es die eigene. Dazu ist viel Recherchearbeit nötig. Genauso wichtig wie die Kenntnis über die Fakten ist die Fähigkeit, sich in die Gedankenwelt der damaligen Zeit zu versetzen und all das Wissen, das wir heute haben, zu vergessen. Wenn man das Gefühl hat, die Epoche, in der man schreiben will, wirklich verinnerlicht zu haben, dann muss man all die Recherchen loslassen und seine Geschichte erzählen, denn es soll ja ein spannender Roman werden und kein Sachbuch. Und für einen wirklich mitreißenden Roman sind interessante Figuren und eine fesselnde Handlung wichtiger als historisch korrekte Details. Natürlich sollte man darauf achten, dass man zum Beispiel auf die Speisekarte des Mittelalters keine Kartoffeln setzt. Die kamen erst Mitte des 16. Jahrhunderts nach Deutschland, und es brauchte noch fast hundert Jahre, bis sie in großem Stil angebaut wurden. Es geht um ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Fakten und Fiktion.