Interview mit Ulf Schiewe über sein neues Buch „Die Kinder von Nebra“

Würden Sie ganz kurz in eigenen Worten erzählen, worum es in Ihrem Roman „Die Kinder von Nebra“ geht?

Die bekannte Himmelsscheibe von Nebra ist vor etwas weniger als 4000 Jahren entstanden. Ein geheimnisvolles, mystisches Objekt, in dem erstaunlicherweise astronomische Erkenntnisse enthalten sind. Das führt zu Spekulationen, wozu sie gefertigt wurde, welche Symbolik sie verkörpert und wer dieses Volk war, das einen solchen Kulturgegenstand erschaffen hat.

Diese Fragen versuche ich in meinem Roman zu ergründen. Natürlich durch eine spannende, dramatische Handlung, die den epischen Kampf meiner Heldin Rana gegen die Gewaltherrschaft eines mächtigen Fürsten erzählt. Ein Kampf zwischen Gut und Böse mit vielen Höhen und Tiefen, und warum gerade die Himmelsscheibe dabei eine entscheidende Rolle spielt.

„Die Kinder von Nebra“ ist nicht Ihr erster historischer Roman. In „Der Attentäter“ nehmen Sie den Leser mit in das Jahr 1914 – in die Zeit des Attentats auf Thronfolger Franz Ferdinand. In „Land im Sturm“ beschreiben Sie die Zeit um das Jahr 1000, als Otto der Große König von Deutschland war.

Nun spielt Ihr Roman in Nebra vor 4000 Jahren. Wie haben Sie hierfür recherchiert? Gibt es überhaupt ausreichend Forschung darüber, wie die Menschen damals gelebt haben und wie war es, sich in eine so weit entfernte Zeit hineinzuversetzen?

Es gibt schon eine ganze Menge an Forschungsergebnissen zu diesem Thema. Mehr, als man meint. Ich bemühe mich ja immer, meine historischen Romane auf Fakten aufzubauen. So auch hier. Die wichtigsten Werke dazu habe ich im Nachwort erwähnt für jene LeserInnen, die sich etwas weiter für das Thema interessieren.

Durch diese Forschung weiß man heute, dass die Menschen, die damals zwischen Unstrut und Elbe gelebt haben, keine primitiven Stammesangehörigen waren, sondern dass es erstaunlicherweise auch bei uns schon einen gut organisierten, frühbronzezeitlichen Staat gegeben hat, nicht unähnlich jenen Staaten des Mittleren Orients. Nur dass ihnen die Schrift fehlte. Was dann 1600 vor Christus zum Niedergang dieses Staates geführt hat, wissen wir nicht.

Man weiß aber, dass es aus der ukrainischen Steppe eingewanderte Viehhirten waren, die das Pferd domestiziert hatten, sich bei uns niederließen und von der bestehenden Bevölkerung den Ackerbau übernahmen. Diese Menschen sind die eigentlichen Indoeuropäer. Dies können Sprachwissenschaftler und DNA-Spezialisten heutzutage eindeutig belegen.

Natürlich schreibe ich keine Sachbücher. Mich interessieren vorrangig Menschen und ihre Schicksale, ihre Gefühle, ihre Siege und Niederlagen, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen. Darum geht es auch in diesem Buch. Natürlich führt der Roman den Leser in eine Welt vor 4000 Jahren, wie die Menschen damals gelebt haben, welche Bedeutung die Himmelscheibe für sie hatte und mit welchen Herausforderungen sie zu kämpfen hatten, um sich zu behaupten und von einer grausamen Herrschaft zu befreien. Nicht zuletzt mit Hilfe ihrer Riten und Götter. Dazu gibt im Roman die Himmelscheibe den Anstoß.

Wie haben Sie sich mit der Himmelsscheibe beschäftigt? Waren Sie in Nebra? Waren Sie im Landesmuseum in Halle und konnten dort die Scheibe genauer betrachten? Wie kann man sich Ihre Recherche genau vorstellen?

Ich bin ein Büchernarr. Ich recherchiere in Büchern, in Werken von Historikern und Forschern. Das gibt mir wesentlich mehr als Museumsbesuche. Nicht zu vergessen das Internet. Da ich fließend drei Fremdsprachen beherrsche, erschließt sich mir vieles, das es in Deutschland nicht zu finden gibt. Seien es ausländische Publikationen oder lokale Quellen.

Gibt es ein Jahrhundert, in dem Sie lieber gelebt hätten als zur heutigen Zeit? Und, wenn ja, warum?

Ich habe zwar noch nie über die antike Welt geschrieben, aber das alte Rom hätte ich schon gern kennengelernt. Über das Forum Romanum zu wandeln, vielleicht Cicero bei einem seiner Prozesse zuzuhören oder Mäuschen im Senat zu spielen, das würde mir Spaß machen.

Wie sieht Ihr Schreibprozess aus? Was ist zuerst da – die Geschichte oder die Figuren? Und wie arbeiten Sie dann weiter?

Zuerst kommt das Thema. Manchmal gewollt ausgesucht, manchmal eher zufällig, ein Thema, das mich interessiert, aus dem man einen Roman stricken könnte, der genug Spannungselemente enthält, um Leser zu fesseln. Ich beginne, darüber zu recherchieren, besorge mir einen Armvoll Bücher, lese und mache Notizen. Daraus ergibt sich nach einer Weile eine grobe Handlungsidee, zumindest, um was es in dem Roman gehen soll. Das führt mich dann schon fast zu den Hauptfiguren, historische wie auch fiktive.

Nach dieser Grundidee geht es ans Plotten. Zuerst beschäftige ich mich schriftlich und in allen Einzelheiten mit meinen Hauptfiguren: Charakter, Background, Zwänge, Ziele, Beziehungen zu anderen. Weniger mit Nebenfiguren. Die entstehen beim Schreiben.

Dann erst beginne ich, die Handlung zu skizzieren. In einer grafischen Zeitskala im Computer füge ich die belegten historischen Begebenheiten ein. Dazu denke ich mir persönliche Ereignisse meiner Protagonisten aus, die mit den historischen in Beziehung stehen, und füge die zeitlich ebenfalls ein. Diesen Prozess verbessere und verfeinere ich im Computer, bis so etwas wie ein ganzes Netz von Ereignissen entsteht – mein Handlungsplot. Erst, wenn mir das alles schlüssig erscheint und genügend Spannungs- und Wendepunkte enthält, fange ich an zu schreiben.

Während des Schreibens ändert sich sicher noch das eine oder andere, manchmal kommen auch noch Figuren hinzu, aber im Großen und Ganzen folge ich meiner roten Linie bis zum Schluss. Ich gehe beim Schreiben chronologisch vor und überarbeite ständig das gestern oder vorgestern Geschriebene. Ich fange keine neue Szene an, bevor ich nicht mit dem zuvor Geschriebenen zufrieden bin. Das hat den Vorteil, dass ich eigentlich nie etwas umstellen muss und dass ich am Ende wenig zu überarbeiten habe.

Gibt es Vorbilder für Ihre Figuren? Nicht nur historischer Art, sondern vielleicht auch in Bezug auf Eigenschaften und Stärken – also Vorbilder aus der heutigen Zeit?

Direkte Vorbilder? Nein. Ich vermeide Ähnlichkeiten zu lebenden Personen oder Figuren aus anderen Romanen, Filmen oder Fernsehserien. Außer es handelt sich um historische Figuren. Im Roman „Der Attentäter“ sind ja die meisten Figuren historisch vorgegeben. Da habe ich mich natürlich durch meine Recherche bemüht, ihren Charakter aufzuspüren und im Roman nachzuempfinden.