Im Interview
Katrin Lankers über ihren Roman »Kleine Wunder überall«
In KLEINE WUNDER ÜBERALL geht es um eine komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung. Mutter Barbara hat ihre Tochter Charlotte zwanzig Jahre zuvor verlassen, nun steht sie plötzlich wieder vor ihrer Tür. Sie ist schwerkrank und braucht Charlottes Hilfe. Tatsächlich schaffen die beiden ungleichen Frauen es, sich wieder anzunähern und schließlich liebevoll Abschied zu nehmen. Kein leichtes Thema. Dennoch gibt es in dem Roman eine Menge Trubel und viel zu lachen. Wie passt das zusammen?
Das passt unbedingt zusammen. Weil es in KLEINE WUNDER ÜBERALL in erster Linie um das Leben geht, und das besteht eben aus all dem: Konflikten und Problemen genauso wie aus einer Menge lustiger und bisweilen ausgesprochen skurriler Momente. Die Hauptfigur Charlotte nimmt das Leben sehr ernst und hat extrem hohe Ansprüche an sich selbst, sowohl als Mutter und Ehefrau als auch in ihrem Job. Erst durch ihre totkranke Mutter Barbara, die voller positiver Lebensenergie steckt, erkennt sie, was es heißt, ganz im Moment zu leben und seinen eigenen Wünschen zu folgen. Und es geht auch um die Kraft, die entsteht, wenn es uns gelingt, Fehler zu verzeihen, anderen und sich selbst.
Was hat es mit dem Titel KLEINE WUNDER ÜBERALL auf sich?
An einer Stelle im Roman sagt Barbara: „Es hat keinen Sinn, auf ein großes Wunder zu warten, weil ich sonst die vielen kleinen verpasse.“ Es geht um all die kleinen Dinge in unserem Alltag, die wir oft übersehen, auf die es sich aber zu achten lohnt. Für Charlotte klingt das zunächst wie ein Spruch aus einem Glückskeks – doch dann ist es genau diese Erkenntnis, die dazu führt, dass sie in ihrem Leben beginnt, neue Weichen zu stellen. Ich habe den Spruch übrigens im Schaufenster eines geschlossenen Ladens entdeckt, das voller Klebezettel mit Sprüchen hing, während ich an dem Roman gearbeitet habe – ob man nun an Schicksal glaubt, oder nicht, auf jeden Fall kam es im genau richtigen Moment.
Eine spontane Entführung nach Paris, Tanzen im Thalys, ein Picknick auf dem Wohnzimmerteppich, blau gefärbte Haare und Rock ’n‘ Roll im Hospiz. Das und noch einiges mehr erlebt Charlotte zusammen mit ihrer Mutter. Was macht das mit ihr?
Für Charlotte sind das natürlich erst einmal völlig verrückte Ideen. Sie muss sich weit aus ihrer Komfortzone herauswagen, um sich darauf einzulassen. Dann ist sie selbst überrascht, wie gut es sich anfühlt. Und sie begreift dadurch, wie viel Lebendigkeit eigentlich im Leben steckt. Ich denke, wir ändern ja selten etwas dadurch in unserem Leben, dass wir auf dem Sofa sitzen bleiben. Manchmal braucht es eine extreme Situation, damit man erkennt, was einem wirklich wichtig ist.
Wie ist denn die Idee für diesen Roman entstanden?
Die Idee zu diesem Roman entstand durch eine sehr persönliche Erfahrung. Vor fünf Jahren starb mein Vater an Krebs. Wir hatten kein leichtes Verhältnis. Aber die letzten zwei Monate seines Lebens verbrachte er bei uns. Und in dieser Zeit sind wir uns so nah gekommen, wie nie zuvor. Die Versöhnung und all die guten gemeinsamen Erlebnisse haben mir schließlich sehr geholfen, liebevoll Abschied zu nehmen. Und irgendwann ist mir klar geworden, dass ich diese Erfahrung unbedingt teilen möchte.
Warum fanden Sie das wichtig?
Abschiednehmen, Tod und Trauer gehören zu unserem Leben unmittelbar dazu. Aber ich habe selbst und auch in vielen Gesprächen erfahren, dass es noch oft ein Thema ist, über das nicht gern gesprochen wird. Einerseits verständlich, es ist ja auch kein leichtes Thema. Andererseits kann gerade der offene Umgang damit es etwas leichter machen. Und die Chance für einen guten, wertvollen Abschied bieten. Außerdem bin ich überzeugt, dass wir dadurch viel fürs Leben lernen können.
Wie meinen Sie das?
Wenn wir uns mitten im Leben auch mit der Endlichkeit dieses Lebens beschäftigen, macht uns das viel aufmerksamer für das Hier und Jetzt. Wenn ich mir bewusst mache, dass ich irgendwann auf mein Leben zurückschauen werde, dann schaffe ich es vielleicht jetzt, die Entscheidung zu treffen, von der ich dann sagen werde: Das war damals genau die richtige.
Ihr Roman enthält ja auch einige solche Lebenserkenntnisse. Eine zentrale Botschaft lautet: „Nimm dein Glück selbst in die Hand, warte nicht auf den richtigen Moment.“ Gibt es etwas, dass Sie Ihren Leser*innen noch mit auf den Weg geben möchten?
Esst mehr Maulwurfkuchen! Saugt die Spaghetti mit spitzen Mündern ein, bis die Bolognese-Soße spritzt! Tanzt im Regen. Ach, was, tanzt einfach, egal wann, egal wo. Ganz im Ernst: Sucht nach den kleinen Wundern im Alltag. Und bevor sich das Ganze zu sehr nach Glückskeks anhört, höre ich lieber auf. Aber ich hoffe sehr, dass alle Leser*innen in diesem Roman etwas finden werden, das sie aufmerken lässt, ihnen etwas in Erinnerung ruft, sie auf neue Gedanken bringt und sie ein Stückchen auf ihrem Weg begleiten wird.