
Veröffentlicht am 29.05.2023
Ein Genuss für Sprachliebhaber
"Babel" entführt uns in das Oxford eines alternativen 19. Jahrhunderts, in dem die Macht des britischen Empires vor allem durch Silberbarren entstanden ist, die durch das Aktivieren durch Wortpaarungen magische Kräfte freisetzen. Robin Swift, der als Kind von seinem mysteriösen Vormund Professor Lovell aus Kanton nach England geholt wurde und dort eine hervorragende Fremsprachenerziehung genoss, beginnt sein erstes Jahr am Oxforder Übersetzungsinstitut. Dieses ist vor allem mit der Herstellung und Instandhaltung eben dieser Silberbarren betraut und stellt somit einen wichtigen Bestandteil der Macht des Empires dar. Nun begleiten wir Robin durch seine Studienzeit, in der er Freunde und Zugehörigkeit findet, aber auch Verrat erfährt und immer mehr seine Umstände und seine Herkunft hinterfragt.
Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an die Sprachen - es war für mich als Übersetzerin eigentlich wie gemacht. Die Autorin gibt an einigen Stellen quasi populärwissenschaftliche Einblicke in die Übersetzungswissenschaft, was meiner Meinung nach, in einer Welt, in der Übersetzung oft und zum Teil zu Unrecht von Laien kritisiert werden, total angebracht ist - ich hoffe wirklich, dass durch dieses Buch mehr Menschen Wertschätzung für diese Tätigkeit bekommen. Gleichzeitig gibt es auch immer wieder recht intensive Ausflüge in die Sprachgeschichte und -theorie, die einigen Lesern sicher zu trocken werden könnten, ich fand sie dafür aber sehr spannend. In jedem Fall merkt man, dass die Autorin total begeistert von Sprachwissenschaften ist.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Buches, der meiner Meinung nach toll vermittelt wird, ist Kritik am Kolonialismus und die Diskussion von Aufarbeitungsversuchen. Sicherlich ist das gerade ein Thema, das viel diskutiert wird, doch selten habe ich die Problematik so gut erklärt bekommen wie hier. Ich denke, dass viele Menschen, die in dem Thema bisher noch nicht so gut aufgeklärt waren, hier ein deutlich besseres Verständnis bekommen. Auch das Thema Aktivismus und wie weit er gehen darf, werden hier sehr interessant behandelt.
Besonderes Lob verdienen auch die Übersetzerinnen Heide Franck und Alexandra Jordan. Ein Buch über Übersetzungen zu übersetzen ist sicher eine harte Nuss und ich habe eigentlich nie das Gefühl gehabt, dass es holprige Lösungen oder übersetzt klingende Stellen gab - und das stelle ich mir gerade bei diesem Buch sehr schwierig vor.
Ich kann die Kritiken, die bei diesem Buch teilweise angebracht werden, durchaus verstehen. 700 Seiten sind nicht gerade wenig und die sprachwissenschaftlichen Abhandlungen findet sicher nicht jeder interessant. Auch wer hier ein intensives Fantasy-Buch erwartet, wird da sicher eher enttäuscht werden, da die Fantasy-Elemente hier doch sehr wenig vorhanden sind. Ich hatte aber unheimlich viel Freude mit dem Buch und fand, dass es mich zu wichtigen Themen definitiv zum Nachdenken angeregt hat.
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