Bärbel Körzdörfer - Autor
© Sophie Klementz

Autorin

Bärbel Körzdörfer

Bärbel Körzdörfer stammt aus Bremen, ist Reporterin und Autorin und lebt in Hamburg und Berlin. Als Journalistin berichtete sie u. a.  aus Indien, Sibirien, den USA und der deutschen Provinz und erhielt dafür den Axel-Springer-Preis. Bärbel Körzdörfer ist verheiratet und hat drei Kinder.

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Interview

Bärbel Körzdörfer spricht über Band 2 ihres Jugendbuches "Mädchen auf Whatsapp" | 17.08.2018

Ihre Bücher sind bei Kindern, Jugendlichen, Eltern und Kritikern ein sensationeller Erfolg. Was hat Sie ursprünglich mal auf die Idee gebracht, einen Chatroman zu schreiben?Unser Sohn David war 12 Jahre alt, als sein Freund mit der Familie plötzlich ins Ausland zog. Ich beobachtete, wie er - der ans...

Ihre Bücher sind bei Kindern, Jugendlichen, Eltern und Kritikern ein sensationeller Erfolg. Was hat Sie ursprünglich mal auf die Idee gebracht, einen Chatroman zu schreiben?
Unser Sohn David war 12 Jahre alt, als sein Freund mit der Familie plötzlich ins Ausland zog. Ich beobachtete, wie er - der ansonsten nie freiwillig etwas las - jeden Tag mit seinem Freund chattete. David entdeckte über diesen Chat, dass Schreiben und Lesen Spaß machen kann. Ich machte ein Buch daraus.
Ihnen ist mit Ihren Bestsellern „Jungs auf Skype“ und „Mädchen auf WhatsApp“ etwas gelungen, was Kinder- und Jugendbuchautoren zwar immer anstreben, aber nur den wenigsten gelingt: junge Menschen zum Lesen zu animieren. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass das heute bei so vielen ein Problem ist?
Ich sehe es nicht als Problem, sondern als eine ganz logische Anpassung an unser Leben. 1,5 Milliarden Menschen sind auf WhatsApp - d.h. wäre WhatsApp ein Land, wäre es über 18 mal so groß wie Deutschland.
Durch unsere digitale Welt werden wir alle zu einer Art „Lese-Känguru“. Der Austausch von Informationen und Gedanken hüpft hin und her. Unsere Kinder sind durch die Digitalisierung viel besser informiert, gebildet und weltweit mit Freunden im Kontakt als ich es war. Das Netz gibt uns die Freiheit alles zu hinterfragen, Leidenschaften zu entdecken und Spannendes auszubauen.
Marie-Lin und Manou sind inzwischen 16 bzw. 17 Jahre alt, und nur eines ist sicher: Die Eltern können es ihnen nicht mehr recht machen. Sie sind selbst dreifache Mutter. Haben Sie Erfahrungen auf diesem Gebiet und irgendwelche Ratschläge?
Stress zwischen Generationen gehört zum Leben - ganz normal. Aber wir sind unseren Kindern heute viel näher als es früher war. Diese Nähe ist Segen und ein bisschen auch Fluch. Das Handy ist zu einer Art „Lasso“ geworden. Wie eine ewig währende Nabelschnur. Wir wollen ständig wissen, wann wer wo ist. Auch mir gelingt es oft nicht loszulassen. Und ich verstehe, dass diese große und dauernde Erreichbarkeit und Nähe für Kinder oft nervig ist. Vertrauen ist mein einziger Rat!
Wie ist das überhaupt: Helfen Ihre Kinder Ihnen bei der Auswahl der Themen und Sprüche, die gerade angesagt sind?
Nein, helfen wäre das falsche Wort. Besser passt: Ich klaue gnadenlos bei ihnen - auch für meine Kolumnen in der WELT AM SONNTAG. Der Satz: „Wehe, wenn Du das schreibst, Mami“, fällt oft bei uns zuhause.
Kommen wir mal zum Buch: Vieles hat sich in den vergangenen zwei Jahren im Leben von Marie-Lin und Manou getan. Was war Ihnen bei der Konzeption der beiden Protagonistinnen am wichtigsten?
Dass sie authentisch sind, keine perfekten Traum-Mädchen. Das Leben ist irre kompliziert. Jeder von uns zweifelt, vergleicht sich, macht sich Sorgen über sein ICH und darüber, wie andere über ihn denken. Jeder von uns!
Ich versuche - immer, wenn ich schreibe - in diese Welt der unausgesprochenen Gedanken einzutauchen. Etwas zu finden, was ich kaum einem anderen erzählen würde. So, als würde ich meine eigenen Selbstgespräche belauschen. Nur die beste Freundin lasse ich in diese geheime Welt. Das ist das faszinierende unter wirklichen Freunden: Kein Blabla, sondern sich öffnen. Marie-Lin und Manou tun das!
Der Abschied von der Kindheit ist ein großes Thema in „Mädchen auf WhatsApp 2 – Immer Online“. Dabei wird deutlich, wie klug diese jungen Menschen tief drinnen schon sind. Haben Sie das bewusst so dargestellt oder hat sich das so ergeben, weil es vielfach schlichtweg so ist?
Ja, vielleicht hat es sich einfach so ergeben. Ich sehe unsere eigenen Kinder, wie intensiv sie sich mit dem Leben auseinandersetzen. Was ihnen wichtig ist. Die jungen Leute sind unglaublich offen, neugierig und schlau. Aber sie sind auch durch das große Angebot auf der anderen Seite dauernd auf der Suche nach Sinn, Erfolg und Anerkennung. Und wer sucht, der zweifelt auch mehr, ist unsicherer und manchmal auch unglücklicher. Das Erwachsenwerden ist viel komplizierter geworden. Als Mutter ist man immer nur so glücklich, wie sein traurigstes Kind. Glauben Sie mir, ich war oft sehr traurig.
Ein weiteres großes Thema ist Sex. Zitat: „Pubertät ist die totale Scheiße! Uns wachsen Brüste, und wir wissen in Wahrheit nix damit anzufangen!“ Wäre es Ihrer persönlichen Meinung nach wirklich an der Zeit, den Sexualkundeunterricht in den Schulen weniger „steril“ zu gestalten?
Sex ist nicht Mathe oder Englisch. Sexualität ist immer auch Geheimnis! Hat immer etwas mit der Entwicklung des einzelnen, seiner Seele und seines Körpers zu tun. Aber Pubertät läuft eben niemals gleich, das macht es natürlich für Schulen schwer. Der eine weiß mit 15 genau wie es geht und beim anderen ist der Finger noch niemals auch nur in die Nähe eines BH-Verschlusses gekommen.
Meine Freundin ist Sexualtherapeutin und sie erlebt jeden Tag, wie unwissend und verklemmt auch Erwachsene mit diesem so irre spannenden Thema umgehen. Entrümpeln wir also erst einmal selbst unsere Hemmungen. Sex begegnet den jungen Menschen überall im Internet, als Eltern (auch, wenn wir „peinlich“ sind) sollten wir versuchen entspannt über die natürliche Lust, die Pubertierende empfinden, zu sprechen. Ich versuche das jedenfalls.
Manous mittlerweile zwei Jahre alte Beziehung zu Jens ist schal geworden, aber laut Marie-Lin gehört für Manou ein fester Freund zum Leben wie für andere schicke Klamotten und ein cooles Handy. Warum ist das so, dass sich in den letzten 100 Jahren zwar das Bild der Frau in der Gesellschaft verändert hat, aber nicht das Bild, das die Frau von sich selbst hat?
Es hat sich verändert, sehr sogar! Ich habe zwei Söhne und eine Tochter. Unsere Tochter hat mindestens so viel Selbstbewusstsein wie ihre Brüder. Sie ist viel strukturierter und fokussierter was Lebensplanung angeht als ihre Brüder, und da ist sie sicher keine Ausnahme. Dennoch glaube ich, dass Frauen insgesamt mehr zweifeln und ihr eigenes Selbstbild mehr infrage stellen. Das ICH geht bei uns überall mit hin und quatscht dauernd dazwischen! Wir Frauen sind viel mehr auf der Suche nach uns selbst, das macht uns oft unsicher. Vielleicht wollen deshalb so viele auch einen festen Freund, das Morgen soll so sein, wie das Gestern, eine Bindung gibt Sicherheit.
Ausländerfeindlichkeit und Vorurteile, der Tod, die Angst vor dem Verlassenwerden und der Schmerz des Verlassenseins – trotz dieser Themen ist das Buch im Endeffekt die ultimative Feel-Good-Literatur. Warum ist das gerade bei Jugendbüchern so sehr wichtig?
Ganz einfach gesagt: Weil wir alle am Ende das Glück suchen. Es ist das Benzin unseres Lebens. Suchen - um am Ende zu finden. Darum geht es: Ankommen! Oft gelingt uns das natürlich nicht. Aber wenigstens in Büchern können wir das liefern.
Wollen Sie mit Ihren Büchern ausschließlich unterhalten oder auch zum Nachdenken und Diskutieren anregen?
Ich möchte, dass die jungen Leute, die meine Bücher lesen, spüren - sie zweifeln nicht alleine. Ich möchte, dass sie sich wiederfinden. Sich ernstgenommen fühlen. Wenn mir das gelingt, bin ich glücklich.
Ich habe lange überlegt, ob es zu abgedroschen ist, dass Marie-Lin sich in den syrischen Flüchtling Paruar verliebt. Und mich dann aber bewusst dafür entschieden. In meiner Heimatstadt Bremen ist der beliebteste Vorname inzwischen Mohammed. Die junge Generation ist eine Generation der offenen Herzen. Ich habe in Berlin in einem Flüchtlingsheim gearbeitet. Unser jüngster Sohn Dean hat dort Deutschkurse gegeben. Seitdem weiß ich um die extremen Probleme, die es gibt. Aber ich habe auch das Gute kennengelernt in denen, die zu uns kommen. Wir sollten nicht nur die Flüchtlingskrise, sondern auch die Flüchtlings-Chance sehen!
Nun ist alles, was sich leicht liest, bekanntlich schwer zu schreiben. Wie viel Zeit und Arbeitsaufwand waren für „Mädchen auf WhatsApp 2 – Immer Online“ vonnöten?
Goethe soll mal einem Freund geschrieben haben: „Entschuldige, dass ich Dir einen so langen Brief schreibe, ich hatte keine Zeit für einen kurzen!“ Es stimmt, kurz heißt nicht gleich schnell.
Ich schreibe aber seit über 30 Jahren für Zeitungen, da hat man gelernt auf den Punkt zu kommen. Darum bemühe ich mich auch bei jedem Chat in den Büchern.
Manou und Marie-Lin leben in meinem Kopf. Vor meinem Schreibtisch habe ich eine riesige Papierrolle, auf die ich mit Pfeilen Gedanken und Wege kritzele. Manchmal läuft’s. Manchmal hakt’s!
Wenn Sie eine typische 17-Jährige von heute mit drei Adjektiven beschreiben sollten, welche Adjektive wären das?
Mutig. Suchend. Zauberhaft.
Als Erwachsener fühlt man sich beim Lesen Ihres Buches, als würde man heimlich zwei Teenager belauschen – wären viele Eltern mehr als überrascht, wenn sie wüssten, worüber ihre Töchter sich mit der besten Freundin unterhalten?
Na, hoffentlich nicht! Ich wünsche meiner Tochter jedenfalls, dass sie ihrer besten Freundin echte Fragen stellt. Ihr echte Antworten gibt. Und umgekehrt. Empfangen und Senden von Wahrheiten. Blabla ist der Killer für Vertrautheit. Blabla-Freunde sind Co-Insider, das hat nichts mit echter Nähe zu tun.
Im Gegenteil: Je älter man wird, umso mehr schätzt man echte Freunde. Warum sollten wir also erstaunt sein, wenn junge Mädchen sich einer Freundin anvertrauen? Freundinnen sind wie eine schützende Mauer im Leben - für mich jedenfalls!
Wenn Sie heute noch einmal sechzehn Jahre alt wären (mit dem Verstand von heute, der alte Traum!), wovor hätten Sie dann am meisten Angst?
Dass der Verstand die Neugier bremst. Wissen macht leider manchmal Angst. Aber Erfahrung zeigt uns auch, dass man sich 99 % aller Sorgen umsonst macht. Ich möchte nicht mehr 16 sein, aber ich genieße die Nähe zur Jugend. Wir sollten alle versuchen, uns nicht so sehr einzuteilen in die Jungen und die Alten, sondern uns lieber einen gemeinsamen Fensterplatz im Leben suchen!
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