Sarah Goodwin über ihren Thriller »DAS RESORT« und das Alleinsein in Extremsituationen | 14.07.2023
Ohne zu viel zu verraten, worum geht es in Ihrem neuen Buch „Das Resort“?
In „Das Resort“ geht es um eine Frau (Mila), die sich auf dem Weg zur Hochzeit der ihr fremd gewordenen Schwester in den Alpen verirrt. Mila und ihr Mann sitzen in einem geheimnisvollen verlassenen Dorf fest, als ein Schneesturm aufzieht. Dann verschwindet ihr Mann in der Nacht. Verängstigt und allein zurückgelassen kämpft Mila um ihr Leben in der unwirtlichen Umgebung.
Ihr Roman „Stranded – Die Insel“ spielt auf einer verlassenen Insel, die Protagonistin von „Das Resort“ ist in einer verlassenen Geisterstadt gefangen. Was gefällt Ihnen an diesen geschlossenen Schauplätzen?
Ein geschlossener Schauplatz bedeutet, dass man ein hohes Maß an Kontrolle hat, dass alle Variablen wie andere Menschen, Technologie und Behörden ausgeschaltet sind und dass es nur die Hauptfigur gibt. Ich mag es, meine Protagonist:innen zu isolieren und sie dann dabei zu beobachten, wie sie entdecken, wer sie sind, wenn niemand sonst in der Nähe ist. Wenn man dann langsam die Elemente der Außenwelt wieder hereinlässt, hat das interessante Konsequenzen.
In den Alpen gibt es einige verlassene Bergdörfer. Waren Sie jemals in den Alpen und haben sich eine dieser Geisterstädte angesehen?
Ich würde Bayern gerne einmal besuchen. Die meisten Schauplätze dieses Buches wurden durch Besuche in anderen Teilen Europas vor der Pandemie inspiriert. Nach meiner umfangreichen Recherche für den Roman hoffe ich, einige dieser Orte besuchen zu können, da die Aussicht auf Reisen nun weniger beängstigend ist.
Leere oder verlassene Orte und die Dinge, die Menschen dort zurücklassen, haben mich schon immer fasziniert. Wäre ich ein mutigerer Mensch, würde ich definitiv in verlassene Dörfer, Geisterstädte und leere Krankenhäuser reisen. Im wirklichen Leben bin ich einfach zu ängstlich!
Wie sind Sie auf die Idee für den Thriller gekommen?
Ich habe eine interessante Geschichte über einen Mann gelesen, der vor der Pandemie eine Geisterstadt in Amerika gekauft hatte. Er hat sie besucht und wurde dort von einem Rekordschneefall eingeschlossen. Die Vorstellung, monatelang allein in einer solchen Situation zu sein, war für mich sowohl verlockend als auch beängstigend. Die Idee für „Das Resort“ war, dies in einer Handlung zu vereinen – ein schöner Ort mit einer faszinierenden Geschichte und die Gefahren und Ängste, die mit dem Alleinsein in einer extremen Umgebung einhergehen.
Wie würden Sie Ihre Protagonistin Mila charakterisieren?
Mila ist ein wildes Kind, das damit aufgewachsen ist, sich für alles schuldig zu fühlen, was sie ihrem Umfeld angetan hat. Vor allem ihrer älteren Schwester. Sie war dieser Teenager-Albtraum, der sich im Wald betrank und mit Drogen zu tun hatte, während ihre Eltern nichts unternahmen, um sie zu stoppen. Ich glaube, Mila traut sich selbst nicht genug zu. Sie erwartet von sich selbst mehr als von anderen, und deshalb wird sie immer enttäuscht sein.
Wie würden Sie die Beziehung zwischen Mila und ihrem Mann Ethan beschreiben?
Mila und Ethan stehen sich schon fast zu nahe. Er war ihre erste große Liebe, sie sind an der Universität zusammengezogen, haben gemeinsam ein Unternehmen gegründet und geheiratet – das sind viele gemeinsame erste Male. Sie sind in vielerlei Hinsicht eng miteinander verbunden und haben eine lange gemeinsame Geschichte. Ungeachtet von Milas neurotischer Einstellung zu ihrer Vergangenheit und ihrer Beziehung zu ihrer Schwester ist ihre Ehe mit Ethan das Einzige, auf das Mila stolz sein kann, und er ist der einzige Mensch, auf den sie sich verlassen kann. Bis er plötzlich verschwunden ist.
Mila und ihre Schwester Jess scheinen sich entfremdet zu haben, denn sie haben sich nicht oft gesehen und sind in jeder Hinsicht gegensätzlich. Warum ist ihre Beziehung so schwierig und warum ist sie ein wichtiger Teil der Geschichte?
Während Mila die Wilde ist, war Jess die verlässliche ältere Schwester, und das ist etwas, dessen sich beide sehr bewusst sind. Ihre Beziehung zu ihren Eltern war sehr unterschiedlich, und das fand ich interessant – wie zwei Menschen dieselbe Familie haben können, sie aber auf völlig unterschiedliche Weise erleben.
Der Roman beginnt mit Mila auf dem Weg zu Jess Hochzeit. Mila ist sehr darauf bedacht, dass Jess und ihr perfekter Tag im Mittelpunkt stehen, denn sie hat viele Erinnerungen daran, wie sie ihre Schwester in den Schatten gestellt hat, als sie aufwuchsen. Ihre Beziehung ist ein wichtiger Teil der Geschichte, denn sie ist eines der Dinge, die Mila am Boden halten – der Gedanke, dass sie es zu ihrer Schwester zurückschaffen muss.
Nachdem Ethan spurlos verschwindet, bleibt Mila allein zurück. Wie reagiert sie auf die Einsamkeit in dieser Extremsituation?
Milas erste Reaktion ist ziemlich verständlich: Sie gerät in Panik. Allein im Wald zu sein, hat mir schon immer Angst eingejagt. Ich glaube, das liegt daran, dass Wälder von sich aus so lebendig sind. Sie sind nie ruhig oder still, und selbst wenn man allein ist, fühlt man sich umringt und beobachtet. Mit der Zeit zermürben die Kälte und der Hunger Mila, aber ich glaube, die Einsamkeit und das Gefühl, beobachtet zu werden, sind es, die ihren Geist brechen und ihre Ängste nähren.
Welche Charaktereigenschaften helfen Mila in dieser Situation?
Obwohl sie sich selbst nicht so sieht, ist Mila ziemlich mutig. Es gehört viel Mut dazu, toxisches Verhalten in sich selbst zu erkennen und zu versuchen, es zu ändern und wiedergutzumachen, und genau das versucht sie zu Beginn des Romans. Dieser Mut lässt sie vorwärts drängen, während sie versucht zu überleben. Zusammen mit ihrer natürlichen Neugier auf die Vergangenheit hilft ihr das, die Geheimnisse zu entschlüsseln, mit denen sie konfrontiert wird. Auch wenn sie manchmal wegläuft, kehrt sie immer zurück, um Antworten zu finden.
Durch die Konfrontation mit ihren Fehlern in der Vergangenheit hat Mila auch eine Art Selbstlosigkeit entwickelt, die fast schon pathologisch ist. Sie ist unglaublich zögerlich, wenn es darum geht, sich selbst in den Vordergrund zu stellen, und fühlt sich ständig gezwungen, sich selbst und ihr Glück für das der anderen zu opfern – was für die Situation, in der sie sich befindet, von entscheidender Bedeutung ist.
Ihr Buch beschreibt den Überlebenskampf während eines Schneesturms mitten in den Bergen, ist das Ihr persönlicher Albtraum?
Ich glaube, ich würde viel lieber in einer Berghütte festsitzen als in einer Wüste oder irgendwo, wo es heiß ist und wo es Schlangen und andere gruselige Krabbeltiere gibt. Das wäre mein Albtraum. Allerdings bin ich ziemlich paranoid, was mein Auto angeht. Ich denke ständig daran, dass es kaputt gehen könnte und ich mitten im Nirgendwo festsitze. Das ist mir letzten Sommer tatsächlich passiert, und ich hatte mein Handy nicht dabei, sodass ich kilometerweit über Land laufen musste und ewig niemanden gesehen habe. Es war sehr unheimlich, sogar an einem Ort, an dem ich aufgewachsen bin.
Haben Sie für solche Szenarien irgendwelche Überlebensutensilien dabei?
Ich habe immer lose Quittungen und Zuckerpäckchen in meinen Taschen, also stimmt dieser Teil des Buches. Seit mein Auto kaputt gegangen ist, habe ich immer ein Telefon, mein Ladegerät und eine ausgedruckte Kopie meiner Versicherungsdaten dabei. Nichts davon würde mir helfen, einen Schneesturm zu überleben!
Ich bin nicht wirklich für das „Überleben“ gerüstet, aber wenn ich reise, vor allem ins Ausland, packe ich immer so ziemlich alles ein, was ich brauchen könnte, von Teebeuteln bis hin zu Medikamenten.
Warum haben Sie „Das Resort“ als Titel für Ihr Buch gewählt?
Die Idee für den Titel kam tatsächlich von meinem Lektor bei Avon. Er gefällt mir sehr gut, weil er den Leser:innen vorgaukelt, dass die Situation erst im Resort gefährlich wird. In Wirklichkeit ist es ein sicherer Ort, den Mila gerne erreichen würde und den sie die meiste Zeit des Buches über zu erreichen versucht.
Was ist das Schwierige am Schreiben eines Thrillers mit nur einer Figur?
Ohne Dialoge kann es ziemlich schwierig sein, das Tempo hochzuhalten. Ich finde immer, dass Dialogszenen wie im Flug vergehen, während die Teile, in denen die Hauptfigur allein ist, mehr Zeit in Anspruch nehmen, weil unsere Gedanken oft komplizierter sind als unsere Kommunikation mit anderen Menschen. Unsere Gedanken und Gefühle sind vielschichtiger.
Was darf in einem wirklich guten Thriller nicht fehlen?
Ein Geheimnis. Jeder Thriller braucht ein furchtbares Geheimnis, das irgendwo unter der Oberfläche lauert. Vorzugsweise mehr als eines! Je düsterer und schockierender, desto besser. In Thrillern geht es meist um Menschen, die nach der Wahrheit suchen und oft feststellen, dass die Wahrheit schlimmer ist, als sie sich vorgestellt haben.
Arbeiten Sie bereits an einem neuen Thriller mit einem besonderen Schauplatz, oder was sind Ihre nächsten Pläne beim Schreiben?
Seit der Fertigstellung von „Das Resort“ habe ich einen weiteren Roman für Avon geschrieben – „The Blackout“ – der im August 2023 erscheinen wird. Auch hier ist der Schauplatz sehr atmosphärisch: ein verfallenes Cottage auf einer bröckelnden Klippe über dem Meer. Wie der Titel schon andeutet, spielt der Roman im Laufe einer Nacht während eines Sturms, der einen Stromausfall verursacht. Es gibt einige gemeinsame Themen zwischen dem neuen Roman und „Das Resort“ – Geheimnisse und die Vergangenheit, die einen einholt.
Zurzeit arbeite ich an meinem fünften Buch für Avon. Es spielt auf einer Luxusyacht, die nach einer Silvesterparty auf Grund läuft und sechs Freunde auf dem eisigen Meer stranden lässt.