Annick Klug - Autor
© Jens Roth

Autorin

Annick Klug

Annick Klug, geboren 1967, ist Schauspielerin, Sängerin und Drehbuchautorin. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, u. a. das NÜRNBERGER AUTORENSTIPENDIUM. Als Drehbuchautorin arbeitete sie u. a. für die UFA und STUDIO HAMBURG. Für DER PORZELLANER erhielt sie das Stipendium des Landes Brandenburg mit Aufenthalt auf Schloss Wiepersdorf.

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Interview

„Emotionale Beweggründe verbinden uns mit den Menschen von damals“ | 01.08.2023

Liebe Frau Klug, wie ist die Idee entstanden, die Geschichte des Porzellans in Romanform aufzuschreiben?Mir fiel ein Zeitungsartikel über die Entstehung der Meißener Porzellanmanufaktur in die Hände. Der Porzellanarbeiter Samuel Stöltzel und seine Flucht nach Wien kamen dort nur in einigen wenigen S...

Liebe Frau Klug, wie ist die Idee entstanden, die Geschichte des Porzellans in Romanform aufzuschreiben?
Mir fiel ein Zeitungsartikel über die Entstehung der Meißener Porzellanmanufaktur in die Hände. Der Porzellanarbeiter Samuel Stöltzel und seine Flucht nach Wien kamen dort nur in einigen wenigen Sätzen vor, aber bei mir setzte das sofort etwas in Gang, und ich fragte mich, was sich dahinter für eine Geschichte verbergen mochte. Wie war es dazu gekommen, dass ein langjähriger Mitarbeiter der Manufaktur dieses Risiko eingeht? Welche Not hatte ihn dazu getrieben, diesen abenteuerlichen Weg einzuschlagen, seine Heimat zu verlassen und seine – wie ich annahm – doch nahe Beziehung zu Böttger auf diese Weise zu verraten?
Was fasziniert Sie besonders daran? Warum eignet sich die Geschichte für einen Roman?
Als ich begann, mich mit der historischen Figur des Samuel Stöltzel und der Zeit, in der er gelebt hat, zu beschäftigen, erfuhr ich zunächst vieles über die Politik August des Starken. Über den Krieg, den dieser in Polen führte, über seine Liebe zur Kunst, zum Porzellan und zu seiner damaligen Mätresse, der Gräfin Cosel. Es reizte mich, so unterschiedliche Figuren wie den Bergknappen Samuel Stöltzel und eine Gräfin Cosel über das Porzellan in Verbindung zu bringen und nach den emotionalen Beweggründen zu forschen, die sich hinter den trockenen Daten verbergen, die man über diese Figuren findet. Diese Beweggründe, die Emotionen und zutiefst menschlichen Vorgänge sind es letztlich, die uns mit den Menschen von damals verbinden und die reinen Fakten, die wir über die Zeit wissen, lebendig – und daher auch geeignet für einen Romanstoff – werden lassen.
Das Leben im 18. Jahrhundert ist sehr bildlich beschrieben. Woher stammt Ihr Wissen und wie viel Zeit haben Sie mit der Recherche verbracht?
Neben den historischen Daten, von denen man viele über diese Zeit findet, hat mich immer auch das alltägliche Leben interessiert und die Frage, wie Menschen in dieser Zeit gedacht und gefühlt haben. Diese Details habe ich mir zusammengesammelt aus Schilderungen von Zeitzeugen, in Museen, Büchern oder auch im Internet. Bevor ich mit dem Schreiben anfing, habe ich möglichst viele der Orte besucht, die im Roman vorkommen, aber auch während des Schreibens habe ich fast bis zuletzt weiter recherchiert und Details gesammelt, die eine Szene anschaulicher machen oder das Handeln einer Figur verständlicher.
Im Buch tauchen viele historische Figuren auf, etwa Samuel Stöltzel. Im Buch wird er dargestellt als intelligenter junger Mann, der neugierig und offen für Neues ist. Wie viel Wirklichkeit und wie viel Fiktion stecken in der Charakterbeschreibung?
Beim Schreiben eines Romans nehme ich mir zwar bei der Entwicklung der Charaktere mehr Freiheiten als vielleicht ein Biograf, dennoch ist die Entstehung dieser Charaktere nicht willkürlich. Ich wollte mit der Geschichte ein ganz bestimmtes Thema beleuchten. Es geht bei Samuel stark um seine Beziehung zu Böttger, um eine Freundschaft, die aus einer Meister-Lehrling-Beziehung erwächst und schließlich in einer Entzweiung mündet, die von beiden als Verrat empfunden wird. Bei Samuels Geschichte kann man vielleicht davon ausgehen, dass er ein gewisses Maß an Wissbegier und Abenteuerlust besessen haben muss – ich, als Autorin, habe mich dann entschieden, ihn zudem als einen loyalen und ernsten jungen Mann zu zeichnen, der ohne Not diesen Verrat nicht begangen hätte.
Johann Friedrich Böttger, Alchemist und Chemiker, und der deutsche Forscher Ehrenfried Walther von Tschirnhausen sind ebenfalls historische Persönlichkeiten, die im Roman eine wichtige Rolle spielen. Wie schwierig ist eine angemessene Fiktionalisierung solch bekannter Figuren?
Auch bei den bekannteren historischen Figuren habe ich alles, was ich über sie in Erfahrung bringen konnte, als Eckpunkte genommen. Die Fiktion entsteht eher in den Teilen, die dazwischen liegen. Die Fakten, die man über den Charakter einer historischen Figur findet, sind lückenhaft und oft sogar widersprüchlich. Ich habe versucht, nah an den Fakten zu bleiben und dennoch eine lebendige Figur entstehen zu lassen, was tatsächlich manchmal nicht ganz einfach ist. Die Charaktere sollten immer glaubhaft bleiben und dennoch überraschen.
Die Geschichte wird aus vier unterschiedlichen Perspektiven erzählt: aus der Sicht von Samuel, Sophie, Constantia und August. Können Sie die vier kurz vorstellen? Warum ist es wichtig die unterschiedlichen Sichtweisen zu kennen?
Samuel, Constantia und August sind mehr oder weniger bekannte historische Figuren. Über Sophie weiß man nur – oder vermutet, dass es eine Frau gab, die Samuel Stöltzel schwanger in Meißen zurückgelassen hat. Es sind zwei Männer und zwei Frauen aus sehr unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die jeweils ihren eigenen Bezug zum Porzellan haben. Samuel, der wissbegierige Schüler, der sich ganz dem Porzellan verschreibt und den Erfolg der Manufaktur und des Porzellans letztlich über die Treue zu Böttger und seine Liebe zu Sophie stellt. Sophie dagegen fühlt sich zwar angezogen von dem idealistischen Samuel und seinen Träumen, sieht sich aber von den unsteten Verhältnissen der Porzellanmanufaktur in ihrem Bestreben nach einem sicheren und halbwegs selbstbestimmten Leben eher behindert. Die Gräfin Cosel, die selbst – in ihren begrenzten Möglichkeiten – eine Forscherin ist, begeistert sich vor allem für den genialen Miterfinder des Porzellans, Böttger. Und diese Begeisterung wiederum reizt die Eifersucht des Königs August, der hin- und hergerissen ist zwischen seiner Liebe zum Porzellan, seinem Hass auf Böttger und der Hoffnung, dass dieser ihm doch noch eines Tages Gold und unbegrenzten Reichtum bescheren könnte. Die vier Figuren beleuchten die Geschichte rund um die Entstehung der Porzellanmanufaktur aus unterschiedlichen Perspektiven und tragen auf ihre Weise etwas dazu bei. Geschichte entsteht – so glaube ich – eben nicht nur durch einzelne mächtige Akteur:innen, die im Vordergrund handeln, sondern durch das Zusammenspiel so unterschiedlicher Menschen, wie sie meine Protagonist:innen darstellen.
Welche Perspektive fiel Ihnen beim Schreiben am leichtesten?
Das war ganz unterschiedlich. Tendenziell war es immer die, an der ich gerade schrieb – aber es gab auch Ausnahmen.
„Das weiße Gold“ – warum wird Porzellan so genannt?
Der Begriff bezeichnet allgemein einen wertvollen Stoff, der eine weiße Farbe besitzt – auch Salz oder Elfenbein haben diesen Beinamen bekommen.
Im Roman wird immer wieder vom Stein der Weisen geredet. Diesen kennt man aus der Literatur vor allem als Hilfsmittel zur Unsterblichkeit. Was verbirgt sich wirklich hinter dem Stein der Weisen und welche Rolle spielt er im Roman?
Den Stein der Weisen findet man einerseits als Mittel zur Unsterblichkeit, für ewige Jugend und als Allheilmittel, aber eben auch als einen Stoff, der beispielsweise Blei in Gold verwandelt. Man könnte vielleicht sagen, dass er ein geheimnisvoller Stoff ist, der Unedles in Edles verwandelt und Unvollkommenes oder Unreines, vollkommen und rein werden lässt. In meinem Roman steht der Stein der Weise auch für eine alte Methode der Wissenschaft, die in der Zeit der Aufklärung von einer modernen und rein an nüchterne Beobachtungen gebundene Methode abgelöst wird. Diese neue Methode hat die Erfindung des Porzellans so erst möglich gemacht. Die Figur Samuel wächst daran und entwickelt sich auch darüber weiter, während sein Meister dem Alten verhaftet bleibt und wieder dorthin zurückfällt.
Sie sind Schauspielerin, Sängerin und Drehbuchautorin und nun auch Romanautorin. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Auch auf der Bühne oder vor der Kamera habe ich mich neben der Darstellung einer Figur immer auch für die Geschichten begeistert und hatte bald den Ehrgeiz, selbst Programme oder Texte für die Bühne zu schreiben oder zusammenzustellen. Dabei habe ich schnell gemerkt, wie sehr mich das Schreiben erfüllt und erste Erfolge haben mich darin bestätigt, damit weiterzumachen.
Sie sind in der Schweiz geboren, leben aber jetzt in der Nähe von Berlin. Waren Sie schon einmal in Meißen? Und haben Sie dort auch die Albrechtsburg besucht, Deutschlands erstes Schloss und die erste Porzellanmanufaktur?
Ich war sowohl in Meißen als auch in Dresden, in Pillnitz, in Scharfenberg, Freiberg und auch auf der Burg Stolpen und habe dort die Handlungsorte besucht. Die Albrechtsburg war dabei besonders wichtig, aber auch die neue Manufaktur habe ich besucht und bin dort in die Welt der Porzellananfertigung eingetaucht. Vieles ist natürlich heute, nach über 300 Jahren, verändert, aber für mich waren nicht nur das Aussehen der Gebäude und Orte wichtig, sondern auch eine Stimmung, die sich vermittelt, oder vielleicht ein besonderer Geruch oder ein Gefühl. Im Übrigen ist mein Urgroßvater Ende des 19. Jahrhunderts von Sachsen in die Schweiz ausgewandert. Ich habe also auch persönlich, wenn auch über viele Ecken bzw. Generationen, einen Bezug zu dieser Gegend.
Die Handlung spielt auch in der zweitältesten Porzellanfabrik in Wien, die 1718 gegründet wurde. Sind Sie für ihre Recherche nach Wien gereist und haben sich das Museum angeschaut?
Ja, auch nach Wien bin ich gereist und habe mir das Museum angesehen und das Viertel in dem die Wiener Manufaktur gegründet wurde.
Wie ist das schöne Cover entstanden? Hatten Sie konkrete Vorstellungen davon?
Das Cover habe ich der Gestalterin des Umschlags, Christin Wilhelm, zu verdanken, die sich von einem typischen Muster des Meißner Porzellans inspirieren ließ. Auch wenn dieses bekannte „Zwiebelmuster“ ein wenig später entstanden ist, nach den ersten Anfängen der Manufaktur, so versteht man doch sofort, worum es geht.
Wer sollte Ihr Buch unbedingt lesen?
Alle, die sich gerne von einem Buch in eine andere Zeit versetzen lassen, die nicht nur Historie mögen, sondern auch die sinnlichen und emotionalen Geschichten, die dahinterstecken und natürlich alle, die sich für Porzellan begeistern.
Was können die Leser:innen aus der Geschichte des Porzellans lernen?
Man erfährt in meinem Roman nicht nur etwas über die Entstehung des Porzellans, sondern auch über die ersten schwierigen Jahre der Meißner Manufaktur. Die Geschichte des Porzellans, so wie ich sie darstelle, lehrt, dass eine Errungenschaft und deren Bestehen nicht nur von einem einzelnen Genie abhängt, sondern vom Zusammenspiel vieler Mitwirkender. Sie zeigt auch, dass Geheimniskrämerei und ein Alleingang eine Erfindung nicht weiterbringt und es das Teilen von Wissen ist, dass diese sich letztlich entwickeln lässt.
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