Moderatorin Patricia Küll im Interview zu ihrem Debütroman „Denn wir werden Schwestern bleiben“ | 25.05.2022
Frau Küll, auf den ersten Seiten Ihres Romans findet sich ein Schwarzweiß-Foto von vier Mädchen, es folgt eine Widmung für Ihre früh verstorbene jüngere Schwester. Wie autobio-grafisch ist die Handlung?
Die Aufnahme zeigt tatsächlich meine drei Schwestern und mich. Ich habe sehr autobiografisch begonnen, aber je länger ich schrieb, desto mehr habe ich mich davon befreit. Das war gar nicht so einfach: Schließlich bin ich Journalistin und damit der Wahrheit verpflichtet. Aber ich habe während der Arbeit am Buch gemerkt, dass ich eigentlich gar nicht alles preisgeben möchte, und es auch dramaturgisch besser ist, es anders aufzuschreiben. Es gibt also einen wahren Kern, auch in den Beziehungen der Schwestern untereinander. Aber der Rest ist erfunden.
Was sagen Ihre Schwestern dazu?
Die fanden die Idee grundsätzlich gut und waren auch mit der Veröffentlichung des Fotos einverstanden. Aber da sie im Vorfeld keine Zeile lesen durften, sind sie jetzt natürlich sehr gespannt. Und ich hoffe, dass sie sich beim Lesen daran erinnern, dass es sich nicht um unsere Familiengeschichte handelt. Ich höre schon meine Schwestern klagen: „Aber so war das doch gar nicht.“ (lacht)
Viele Menschen träumen davon, einen Roman zu schreiben. War das bei Ihnen auch so?
Eigentlich nicht – aber er war plötzlich da. Mein Problem ist, dass ich ständig tausend Ideen habe, die ich unbedingt umsetzen möchte. Deswegen bin ich auch immer furchtbar beschäftigt: Ich baue das Badezimmer um, gestalte die Terrasse neu oder fange eine neue Ausbildung an. In einem Plot-Seminar – wieder so eine Idee – hatte ich dann auf einmal die Anfangsszene auf dem Friedhof im Kopf. Und dann kam die Sache mit der magischen Realität dazu …
Stellen Sie sich gerne vor, wie das Leben mit ein bisschen Magie wäre?
(lacht) Ich tue das schon seit meiner Kindheit, immer abends im Bett!
Die Magie schenkt den vier Schwestern die Chance, ein Jahr ihres Lebens noch einmal zu erleben, Weichen anders zu stellen. Was ist für Sie das Charakteristische an Schwesternbe-ziehungen?
Ich habe den Eindruck, dass Schwestern sehr in den Rollen verharren, in denen sie groß geworden sind: Die Große bleibt die Große, die Kleine die Kleine. Natürlich entwickelt sich jede für sich weiter. Aber kaum kommt man wieder zusammen, sitzt jede sofort wieder in ihrer Schublade. Ich glaube, es würde helfen, wenn man mit Schwestern Gespräche führen würde wie mit Freundinnen: Denen rotzt man ja auch nicht alles einfach so vor die Füße, aus diesem großen Vertrauen heraus, dass da nicht viel schiefgehen kann. Das stimmt aber leider nicht.
Denken Sie, das ist unter Brüdern anders?
Ich beobachte, dass mein Mann mit seinen Brüdern längst nicht so emotional ist wie ich mit meinen Schwestern.
Ein anderes großes Thema Ihres Romanes ist die Frage, inwieweit wir unser Leben selbst beeinflussen können. Glauben Sie an Schicksal?
Ich glaube schon, dass manches in unserem Leben vorgeschrieben ist – etwa dadurch, in welche Familie und Umstände wir geboren werden. Was aber nicht heißt, dass das unumstößlich ist. Es gibt durchaus Knotenpunkte im Leben, an denen wir uns entscheiden können, wie es weitergeht: Mit welchen Menschen umgebe ich mich? Oder wie gut sorge ich für mich selbst? Das sind viele Kleinigkeiten, mit denen ich mein Leben aktiv verbessern kann – und kein Schicksal.
Das Zauberwort lautet „aktiv“?
Genau. Ich treffe viele Menschen, die auf eine gute Fee oder einen starken Prinzen hoffen, die ihnen das Leben schön machen. Und so viele, die nicht daran glauben, dass sie selbst etwas bewegen können. Sie machen sich zum Opfer – weil man dann passiv bleiben kann. Wenn ich in einer Ehe feststecke, die sprachlos geworden ist, dann hilft es aber nichts, darauf zu hoffen, dass der Partner sich über Nacht ändert. Ich selbst muss mit der Veränderung anfangen. Die muss aber nicht zwangsläufig so drastisch sein wie: Kündigung, Scheidung, Kinder zur Adoption freigeben (lacht). Ich glaube, dass man sein Leben mit vielen kleinen Handlungen viel nachhaltiger verbessern kann.
Im Buch fällt der Begriff der „Schicksalskompetenz“.
Genau. Das bedeutet, im besten Sinne für sich selbst zu sorgen. Je schlechter es einem geht, desto schwerer ist das, keine Frage. Aber auch da habe ich noch einiges selbst in der Hand: Es steht mir zumindest immer frei, meinen Blickwinkel zu ändern.
Zur Schicksalskompetenz gehört aber auch, zu wissen, was uns glücklich macht. Auch das ist ein zentrales Thema für Ihre vier Protagonistinnen.
Das stimmt. Ich habe parallel zum Schreiben meine Ausbildung zur Glückslehrerin gemacht. Ich war also drin in dem Thema (lacht).
Wie findet man es heraus?
Indem man zum Beispiel abends mal nachspürt: Wo waren heute die guten Gefühle, wann war ich im Flow? Und dann versucht, sich mehr davon ins Leben zu holen. Es ist aber wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein. Es gibt zum Beispiel Introvertierte, die sind am liebsten allein zuhause und lesen ein gutes Buch, das macht sie am glücklichsten. Das ist aber in unseren momentanen Zeiten nicht so wahnsinnig populär – deswegen sind alle Menschen ständig auf Achse, ob ihnen das gut tut oder nicht.
Wie schaffen Sie sich Ihren ersten Glücksmoment des Tages?
Wenn ich morgens die Fenster im Obergeschoss unseres Hauses öffne, nehme ich immer ein paar Minuten Zeit, um zu schauen, was sich im Garten verändert. Diese kleine Achtsamkeit lässt den Tag gut beginnen.