*VORSICHT SPOILER in der Bewertung*
„Maybe this year – dieser eine Tag im Winter“, handelt von der zweiunddreißig-jährigen Norah, Gesangslehrerin an einer Mädchenschule und ehemalige Jazz-Musikerin, die vor zehn Jahren im Italienurlaub den Ausnahme-Musiker Andrew kennenlernte und eine Urlaubsromanze mit ihm erlebt hat. Die Liebe der beiden hielt später den unterschiedlichen Lebensweisen und der großen räumlichen Entfernung nicht stand. Während Norah in London lebt und arbeitet, verfolgt Andrew seine Musikerkarriere zunächst am Juilliard in New York, später in Berlin. In der magischen Woche, als sie sich kennenlernten, hatten sie verabredet, sich 2019 in Dublin im Bewley’s Café auf der Grafton Street zu treffen, sollten sie sich aus den Augen verlieren. Andrew feiert dort jedes Jahr Weihnachten mit seiner Familie, Norah hat verschüttete Verwandtschaft dort, zu der kein Kontakt bestand. Im Jahr 2019 ist Norah tatsächlich Single, hat Andrew alles andere als vergessen und hofft, dass es ihm geht wie ihr, und dass er sich an das Versprechen erinnert. Also bricht sie, zusammen mit ihrem besten Freund Joe nach Dublin auf. Die Autorin Emily Bell ist in Dublin aufgewachsen, lebt heute in London und arbeitete bereits als Tour Guide und Pubsängerin – beste Voraussetzung also, um diesen Roman zu schreiben.
Vorwarnung: Die Rezension enthält Spoiler.
*Meine Meinung*
Die Idee, dass zwei Menschen, die sich im Urlaub kennen- und lieben lernen, sich für zehn Jahre später in Dublin verabreden, weil sie befürchten, dass ihre Liebe im Alltag keinen Bestand hat, und zehn Jahre später tatsächlich vor der Frage stehen, ob der andere sich erinnert, und zum Treffpunkt kommt, könnte romantischer nicht sein und hat mich fasziniert. Sicher ist die Grundidee nicht ganz neu, man denke, was Film-Klassiker angeht an „Die große Liebe meines Lebens“ oder „Schlaflos in Seattle“. Ich finde, dass der Stoff immer wieder spannend und herzerwärmend ist, und nicht oft genug aufgegriffen werden kann. Nicht nur die Idee, auch Cover und Leseprobe hatten mich verzaubert, und die Erwartungen waren dementsprechend hoch.
Das Buch beginnt tatsächlich rasant. Als Norah ausgerechnet kurz vor Weihnachten in einem rappelvollen Kaufhaus einen Anruf von ihrer esoterisch-abgehobenen und emotional unterkühlten Mutter bekommt, war ich sofort bei ihr. Voller himmlischer Details wird der Roman stimmungsvoll eingeleitet, man ist sofort mitten drin. Beispielsweise hätte ich die Zitronenplätzchen für Mutter bei Chormusik und Duft nach Tee und Lebkuchen im Londoner Einkaufsparadies Fortnum und Mason am liebsten selbst schnell ins Regal zurückgestellt und wäre der Weihnachstvorhölle entkommen. Als Norah dann von ihrer Mutter für Weihnachten versetzt, und klar wird, dass sie nun frei ist, sich aufzumachen, ihren nach wie vor starken Gefühlen für Andrew auf den Grund zu gehen, indem sie ihrer Verabredung nachkommt, ist der Buchstart perfekt. Aber, um es vorwegzunehmen: So stark wie das Buch beginnt, mit Wortwitz im Sekundentakt, bleibt es nicht. Nachdem man sich über den fulminanten Einstieg gefreut hat und ungeduldig darauf wartet, dass Norah sich nach Dublin begibt, um ihren Andrew dort zu treffen, gibt es zunächst etwas langatmige Erzählungen über Norahs Leben in London, die meines Erachtens nach nichts zur Geschichte beitragen. Dann wird Norahs bester Freund Joe vorgestellt. Ihre Beziehung wird als warmherzig beschrieben, da sind zwei, die auf einer Wellenlänge liegen und die nicht nur eine gemeinsame Geschichte, sondern auch tiefe Gefühle füreinander haben. Zwar glaubt Norah bis kurz vor Schluss noch, dass es rein freundschaftliche Gefühle seien, aber dem Leser ist Joes künftige Rolle sofort klar. Bereits im zweiten Kapitel wird so die Spannung herausgenommen. Man fiebert nicht mehr so sehr mit Norah mit, ob sie und Andrew sich wirklich treffen und ob sie am Ende zusammenkommen werden oder nicht. Zwar beschreibt Emily Bell sehr einfühlsam und unterhaltsam in zwei Rückblenden, wie Andrew und Norah sich im Urlaub kennengelernt haben, wie besonders diese Begegnung war und wie verliebt besonders Norah war. Aber schon in der nächsten Rückblende, und dann in allen weiteren, wird Andrew als wenig liebenswert, als nur von der Karriere besessen und gar nicht an Norah interessiert – kurz als absolut ungeeigneter Partner für Norah beschrieben. Insofern wünscht man sich fast, dass er später nicht zum Treffpunkt erscheint. Die Reise nach Irland wird damit belanglos und das Ende des Romans zeichnet sich von Anfang an sehr eindeutig ab. Der Rest Unsicherheit diesbezüglich reicht meines Erachtens nicht, um diese Mikrospannung zu erzeugen, die den Leser durch ein Buch fliegen lässt. Was den Spannungsbogen anging, gab es also im Mittelteil keinen Höhenflug und kein Herzklopfen, eher Tiefenentspannung, aber ich habe mich gut unterhalten gefühlt, weil das Buch insgesamt schön geschrieben ist, und mit vielen originellen Ideen und klugen Lebensweisen aufgepeppt wurde.
Zum Ende hin nimmt die Geschichte wieder an Tempo auf und es gibt doch noch ein paar unerwartete Wendungen. Um aber nicht komplett zu spoilern, werden diese hier nicht näher ausgeführt.
Mein Fazit ist, dass ich das Buch allen Liebhabern romantischer Liebeskomödien empfehle, denen Spannung nicht ganz so wichtig ist und die gerne nach Irland reisen, denn die Beschreibung dieser faszinierenden Stadt kommt nicht zu kurz.
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Pressestimmen
Lizzynet, 10.2022