„Da wir uns lieben, dachten wir, es wäre schön zusammen ein Buch zu schreiben“ Lars Kepler
Ehe Ihr 2010 Euer erstes gemeinsames Buch veröffentlicht habt, hat jeder von Euch eigene Bücher geschrieben. Was hat den Anstoß gegeben, gemeinsam Thriller zu schreiben?
LK: Es macht großen Spaß, Autor zu sein. Der einzige Nachteil ist, dass man oft alleine arbeitet. Da wir uns lieben und gerne Dinge gemeinsam tun, dachten wir, es wäre schön auch zusammen ein Buch zu schreiben. Wir haben uns zunächst an einem Kinderbuch versucht, da wir kleine Kinder hatten, denen wir täglich vorgelesen haben. Und deshalb dachten wir, dass uns das leichtfallen würde. Aber irgendwie klappte es nicht, da wir beide einen sehr unterschiedlichen Schreibstil haben. Wir konnten nicht miteinander harmonisieren. Dann haben wir versucht ein Theaterstück zu schreiben, da Alexander viele Stücke fürs Theater und für die Oper verfasst und Alexandra zehn Jahre als Schauspielerin gearbeitet hat. Aber auch dieser Versuch endete in einer Katastrophe. Wir konnten einfach nicht zusammenarbeiten. Und da hatten wir die Idee, eine dritte Person, einen neuen Autor zu erschaffen, den wir Lars Kepler nannten. Er hatte einen völlig eigenen Stil und schrieb Thriller. Seither geht es sehr gut mit unserer Zusammenarbeit, und die Kreativität kommt wie von alleine.
Was ist so attraktiv daran, aber sicher auch eine Herausforderung, Thriller mit einem starken psychologisch geprägten Hintergrund zu schreiben?
LK: Wir haben immer stark psychologisch geprägte Kernelemente in unseren Büchern, gepaart mit einer nicht weniger starken physischen Komponente und einem halsbrecherischen Tempo. Uns bereitet es kein Vergnügen, Täter von vorneherein als Monster darzustellen, da wir nicht daran glauben, dass Menschen böse geboren werden. Und so suchen wir nach Antworten. Es ist sehr reizvoll, Motive auszuloten, Antriebskräfte und Zufälle zu erforschen. Aber dazu muss man in sich eine gewisse Empathie für jeden Charakter entwickeln, selbst für die Figuren, die man eigentlich nicht besonders mag.
Was sind die stärksten Motive und Inspirationen für Eure Bücher?
LK: Einfach alles – das Leben, Träume, Dinge, die wir erleben oder lesen. Es ist unmöglich genau zu definieren, woher unsere Geschichten kommen. Plötzlich sind sie da und wollen erzählt werden. Wir glauben aber auch, dass Kriminalgeschichten bis zu einem bestimmten Maß mit dem Bedürfnis nach Kontrolle über Gefühle zu tun haben, die der eigenen und die des Lesers. Die erschreckenden Dinge, die in der realen Welt geschehen, sind oft schwer zu verstehen. Man erhält oft keine Antwort auf bestimmte Fragen, und die Verbrecher kommen ungeschoren davon. In unseren Romanen jedoch werden die Rätsel gelöst und die Fragen nach den Gründen für Verbrechen beantwortet. Am Ende ist es eine positive Reise, ein Gefühl, dass das Recht wiederhergestellt worden ist, so wie es das in der Wirklichkeit eigentlich auch sein sollte.
Fühlt Ihr Euch als Teil der schwedischen Krimitradition, nach der Kriminalromane oft ein Spiegelbild gesellschaftlicher Schwächen sind?
LK: Das ist eigentlich automatisch gegeben. Unsere Bücher spielen im Hier und Heute und eignen sich deshalb für eine Diskussion über Menschen in der Gesellschaft. Wenn ein furchtbares Verbrechen geschieht, ist das nicht nur eine persönliche Tragödie, sondern reflektiert das Versagen der Gesellschaft insgesamt.
Seit dem ersten Roman sind Joona Linna und Saga Bauer die wichtigsten Ermittler. Wie ist die Figur des Joona entstanden?
LK: Ehe wir mit dem Schreiben beginnen, planen wir die Handlung sehr genau und setzen ganz genaue Markierungen für unsere Figuren. Aber wenn wir dann mit dem eigentlichen Schreiben beginnen, geschieht eine Art Magie. Alles beginnt zu leben, und die Charaktere beginnen Form an- zunehmen, ohne sich darum zu kümmern, was die Autoren eigentlich wollen. Joona und Saga sind beide zu uns gekommen mit ihrem speziellen Erscheinungsbild und ihren Geheimnissen. Obwohl wir schon so lange mit ihnen zusammenleben und viele Bücher über sie geschrieben haben, sind wir ihnen nie so nahegekommen wie jetzt. Was in LAZARUS geschieht, verändert Joona auf dramatische Weise. Er blickt in den Abgrund, und der Abgrund blickt zurück. Wir möchten hier lieber nicht über Sagas Schicksal sprechen. Sie gleicht zwar einer Märchenprinzessin, trägt in sich aber eine große Dunkelheit, die sie verzweifelt verborgen halten möchte.
Wie viel müsst Ihr für Eure Bücher recherchieren?
LK: Wir stecken sehr viel Zeit und Mühe in unsere Recherchen, denn Authentizität bedeutet uns sehr viel. Unsere Romane müssen glaubwürdig sein. Deshalb sind wir mit ganz unterschiedlichen Experten in Kontakt: mit Polizisten, Ermittlern, Forensikern, Gerichtsmedizinern und Ärzten. Wir recherchieren stets gemeinsam wie zum Beispiel die Reichweite von Schusswaffen, oder wir besuchen gemeinsam Gefängnisse. Alles, was in LAZARUS geschieht, könnte so auch in der Wirklichkeit passieren. Wir haben kürzlich die Fahrerin eines Notarztwagens getroffen, die uns sagte, dass sie unsere Bücher liebt, da dort die Gewalt so realistisch dargestellt wird, wie sie in der Realität vorkommt. Und ein Nahkampfexperte, den wir getroffen haben, hat uns bestätigt, dass die Kampftechniken, die Joona anwendet, absolut realistisch sind. Er setzt sie genauso in Extremsituationen ein.
Als Ihr das erste gemeinsame Buch veröffentlicht habt, wolltet Ihr da schon eine Reihe dar- aus machen oder war es eher als „Stand Alone“ geplant?
LK: Nein, als wir den Schlüssel zu unserer Zusammenarbeit gefunden und die große Freude am Geschichtenerzählen und der damit verbundenen Kreativität entdeckt hatten, haben wir uns sofort gesagt: „Menschenskinder, lass uns das für ewig machen!”
In Eurem jüngsten Roman LAZARUS kommt ein alter Feind von Joona buchstäblich zurück aus dem Grab – deshalb der Titel des Buches. Was fasziniert Euch an diesem eiskalten Killer?
LK: Als Autor fühlt man für jede seiner Figuren eine gewisse Faszination, selbst für die schrecklichsten Charaktere. Menschen sind fähig zu großer Liebe und zu selbstlosen Taten, aber auch zu schlimmster Grausamkeit und Gewalt. Durch unser Schreiben versuchen wir, diesem Zwiespalt nachzuspüren und ihn zu verstehen. Doch der Verbrecher in LAZARUS ist so Furcht einflößend, dass wir selbst erschrocken sind. Ein niederländischer Journalist hat gesagt, dass er lieber Hannibal Lecter als Babysitter engagieren würde als mit unserem Killer in einem Raum zu sitzen.
LAZARUS ist ein sehr dunkles Buch, dunkler sogar noch als die früheren Joona Linna-Romane. Weshalb diese Düsternis? Ist das eine Art von Dystopie?
LK: Wir legen keinen Wert auf Dystopien, Folter oder unaussprechlichen Horror. Uns interessieren sehr starke Gefühle. Aber wir wollen erkennen, was Menschen in Extremsituationen empfinden, wenn sie an ihre Grenzen geraten. Uns geht es um Engagement, Suspense und Gefühl. LAZARUS dringt bis in die tiefste Dunkelheit vor und kehrt dann aber wieder daraus zurück. Wir ziehen ein glücklicheres Ende vor. Es ist genau diese Reise in die Dunkelheit und wieder zurück ins Licht, die uns beim Schreiben anspornt.
Fällt es Euch gelegentlich schwer, besonders gewalttätige Szenen oder Joonas Angst um seine Tochter zu beschreiben?
LK: Wir sind beim Schreiben sehr stark emotional engagiert. Alexandra hat während dieser Zeit sogar Albträume, die aber vorüber sind, sobald wir das Buch beendet haben. Eine wirklich schmerzvolle Erfahrung ist es aber, wenn wir bei unseren Recherchen echte Opfer von Verbrechen treffen und wirklichem Leid begegnen. Das kann sehr belastend sein.
Wie funktioniert Eure Teamarbeit? Wer schreibt welche Szenen, und wie stimmt Ihr Euch ab?
LK: Wir machen alles zusammen, vom ersten Wort bis zur letzten Szene. Es gibt keinen einzigen Satz in LAZARUS, den einer von uns alleine geschrieben hätte. Unsere enge Zusammenarbeit beruht auf Gedankenaustausch. Wir planen den Plot gemeinsam und posten unsere Ideen an eine Wand, ehe wir dann mit dem Schreiben beginnen. Dabei sitzen wir nebeneinander, jeder mit seinem eigenen Computer und tauschen ständig Mails miteinander aus.
Gibt es manchmal unterschiedliche Meinungen zu den Charakteren oder zu der Handlung?
LK: Wir sind schon manchmal unterschiedlicher Meinung. Dann aber stehen wir auf, gehen zusammen zu unserer Wand, betrachten die vielen geposteten Handlungsstränge, und sprechen so lange darüber, bis wir eine Lösung finden, die uns beiden gefällt.
Wie entwickelt Ihr die Handlung? Ist alles von A bis Z durchgeplant, oder kann es passieren, dass sich während des Schreibens etwas an der Handlung oder gar am Konzept des Täters doch noch verändert?
LK: Ehe wir beginnen, steht der Plot von Anfang bis Ende fest und ist gründlich durchdacht, da unsere Geschichten sehr viele komplexe Fragen enthalten, die genau ausgefeilt sein müssen. Aber sogar bei gründlicher Planung entwickeln die Geschichten dann doch manchmal ein Eigenleben. Darauf sollte man als Autor genau achten und reagieren. Wir müssen recht oft an unsere Wand gehen und die Handlung verändern, da die Figuren allzu sehr ein Eigenleben entwickelt haben.
Wie viele weitere Romane nach LAZARUS plant Ihr mit Joona Linna als Hauptprotagonisten? LAZARUS endet mit einem starken Cliffhanger, sodass noch mindestens ein Roman folgen muss.
LK: Wenn wir ein Buch beendet haben, denken wir immer, dass wir alles gegeben haben und nie wieder schreiben können. Aber meist dauert es nur wenige Tage, bis einer von uns schon wieder eine neue Idee hat. Wir arbeiten bereits am achten Buch und haben eine Idee für den neunten Roman. So lange wir noch Freude an Joona und Saga haben und voller Spannung ihr weiteres Schicksal begleiten möchten, werden wir sicher nicht aufhören.
Würdet Ihr manchmal gerne zu den literarischen Genres zurückkehren, die Ihr vor Eurer Arbeit als Lars Kepler bearbeitet habt?
LK: Das würden wir machen, wenn wir das Bedürfnis danach verspüren würden. Aber momentan genießen wir unsere Zusammenarbeit, zumal uns dadurch das Gefühl der Einsamkeit beim Schreiben erspart bleibt und wir die große Woge der Kreativität nutzen können, die uns miteinander verbindet.
Haben Eure Töchter Eure Bücher schon gelesen, oder sind sie noch zu jung dafür?
LK: Wir sind der Meinung, dass man ab fünfzehn Jahren unsere Bücher lesen kann. In Schweden darf man mit fünfzehn Jahren jeden Kinofilm sehen. Viele Jahre stand ganz oben auf der Wunschliste unserer Tochter Julia zu Weihnachten oder zum Geburtstag der Wunsch, endlich unsere Bücher lesen zu dürfen. Ihre Freunde, Freundinnen, deren Eltern und ihre Lehrer lesen auch alle unsere Bücher. Die Zeit vergeht so rasend schnell, und nun sind Julia und ihre ältere Schwester fünfzehn Jahre alt und lesen alles, was wir schreiben.
Ihr zählt zu den erfolgreichsten schwedischen Krimiautoren. Könnt Ihr Euch selbst das Geheimnis Eures Erfolges erklären?
LK: Wir schreiben mit großer Leidenschaft und legen unser ganzes Herz und all unser professionelles Können in unsere Bücher. Vielleicht spüren unsere Leser, dass wir wirklich lieben, was wir tun, und dass wir jede Möglichkeit nutzen, die uns dieses Genre für Spannung, Anspannung und Entspannung bietet.
Gibt es Pläne, Eure Bücher für das Fernsehen oder für das Kino zu produzieren?
LK: Ja, es gibt sowohl Pläne für eine Fernsehserie als auch für einen Hollywoodfilm. Die Fernsehserie wird sich auf die Bücher mit dem HYPNOTISEUR in der Hauptrolle fokussieren, der erste Kinofilm wird DER SANDMANN sein. Wir haben schon Verträge mit PARAMOUNT PICTURES und ANONYMOUS CONTENT unterzeichnet. Zurzeit arbeiten zwei Drehbuchautoren an dem Filmskript. Wir sind sehr gespannt und klopfen auf Holz, dass alles klappt.
Text: Margarete von Schwarzkopf