Dr. Dr. Matthias Marquardt - Autor
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Dr. Dr. Matthias Marquardt

Dr. Matthias Marquardt, Jahrgang 1977, ist Internist, Sportarzt und Sachbuchautor. In seiner Praxis in Hannover kümmert er sich immer häufiger um Menschen, die ihre Vitalität zurückgewinnen wollen. Als Autor hat er zahlreiche Bücher zu Fragen des Laufsports und der Gesundheit veröffentlicht. Sein bekanntestes Werk ist DIE LAUFBIBEL. Sie erschien 2019 in der 17. Auflage und brachte ihm den Beinamen »Laufpapst« (BILD) ein.

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Interview

»Alles was Ihnen gut tut, braucht eine gewisse Startenergie. Aber nicht nur Netflix und Pizza bestellen machen süchtig, auch das echte Leben. Holen Sie es sich zurück!« | 26.02.2021

Sie diagnostiziere eine erschöpfte Gesellschaft. Was sind die Symptome und woran erkennen Sie diese?Die Symptome sind Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Unzufriedenheit und immer größere Unlust den Herausforderungen des Tages entgegenzutreten. Die Menschen, die das verspüren, können einfach nicht mehr. D...

Sie diagnostiziere eine erschöpfte Gesellschaft. Was sind die Symptome und woran erkennen Sie diese?
Die Symptome sind Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Unzufriedenheit und immer größere Unlust den Herausforderungen des Tages entgegenzutreten. Die Menschen, die das verspüren, können einfach nicht mehr. Der Beruf, die Partnerschaft, die Familie, die Freunde, die vielen Termine, das Training, das man unlängst wieder aufnehmen wollte und dann noch die Urlaubsplanung – alles wird zu viel. Oft sitzen diese Patienten in meiner Sprechstunde, erzählen ihre Geschichte und enden damit, dass sie sagen: „Ich bin erschöpft. Bin ich krank? Ich weiß nicht mehr was ich machen soll.“
Wie sind die Trennungslinien zwischen Müdigkeit, Erschöpfung und Burnout?
Natürlich gibt es eine physiologische Müdigkeit beispielsweise nach einen sportlichen 5km-Lauf oder einem langen Bürotag. Die physiologische Müdigkeit geht aber nach einer angemessenen Regenerationszeit wieder vorbei. So fühlt man sich nach einem anstrengenden Workout oder Bürotag normalerweise nach der Nachtruhe wieder erholt und frisch. Das Burnout-Syndrom beschreibt ein Gefühl von Erschöpfung, eine negative Haltung zum Beruf und ein reduziertes berufliches Leistungsvermögen. Die Definition ist aber schon vor ihrem Inkrafttreten im Jahr 2022 sehr umstritten, da auch außerhalb des Berufs Burnout-Syndrome entstehen können, weil Anspruch und Erwartungen an sich selbst und sein Umfeld befriedigende Beziehungen und Tätigkeiten stören. Aber die oben genannten Patienten haben oft kein eindeutiges Burnout-Syndrom und auch keine physiologische Müdigkeit, weshalb sich der Begriff Erschöpfung für einen Zustand von anhaltender Kraftlosigkeit und Müdigkeit, der in nicht angemessener Zeit vorbei geht, etabliert hat.
Von Smartphones und Fernsehern sind Sie kein so großer Fan. Warum?
Einen Fernseher besitze ich tatsächlich nicht. Ein Smartphone allerdings schon, denn natürlich lebe auch ich in unserer digitalisierten Welt und kann mich davon nicht vollständig entkoppeln. Aber in der Tat erlebe ich weder Fernseher noch Smartphone als Gegenstände, die meine Lebensqualität signifikant steigern könnten. Wir verlieren die zwischenmenschlichen und körperlichen Erfahrungen von immer mehr alltäglichen Begebenheiten, indem wir nur noch auf Bildschirme starren und auf diesen wischen. Körperliche und zwischenmenschliche Aspekte schwinden also, während die mentalen Anforderungen immer weiter steigen. Ein Ungleichgewicht, das es in der Menschheitsgeschichte nie gab, und das in den letzten 50 Jahren erst entstanden ist. Das führt zu großen Störungen, die wir nun erleben. Nicht jeder kann und mag da mitgehen.
In der Corona-Krise ist die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit durch das Home-Office noch schwieriger geworden. Was ist Ihr Ratschlag in dieser aktuellen Situation?
Die Herausforderungen sind nicht nur für Familien mit Kindern immens und in vielen Fällen kaum leistbar. Patienten brechen in meiner Praxis inzwischen weinend zusammen. Sie empfinden die glorifizierenden Berichte über die neue “Home-Office-Freiheit” inzwischen als Hohn. Wer seit 12 Monaten seine Kollegen nicht gesehen hat und jeden Tag daheim hockt, will von dieser vermeintlichen Freiheit oft nichts mehr wissen. Ich rate diesen Menschen zum täglichen Lauf- oder Walkingtraining. In der Natur! Nicht drinnen auf dem Laufband. Die Natur, das Licht, die Luft und die Sonne bewirken so viel mehr als das Training allein. Und ich rate zu Yoga oder Meditation. Um die Einstiegsschwelle niedrig zu halten, weise ich hier auf Apps hin. Das fällt den meisten Menschen am leichtesten.
Und was sind ihre drei zentralen Tipps gegen die Erschöpfung?
  1. Gehen Sie täglich raus und trainieren Sie ihren Körper. Wir leben in einer Welt mit zu wenig körperlichen Ansprüchen und zu großen mentalen Ansprüchen. Nur durch körperliche Aktivität schaffen Sie wieder eine Balance zwischen Körper und Geist.
  2. Defragmentieren Sie Ihre Freizeit. Ein Wochenende, an dem kein Familienmitglied auch nur einen einzigen Termin annehmen darf, gibt ihnen ein Gefühl von Freiheit und Spontaneität zurück. Nur so finden Sie Muße für die guten Dinge des Lebens, die Ihnen wirklich Erholung nicht nur versprechen.
  3. Tappen Sie im Urlaub nicht in die Konsumfalle. Sie werden sich bei einer Wanderung oder einer Radtour mit Licht, Luft, Sonne, Regen und Wind ganz anders erholen als bei einer Kreuzfahrt mit 5 Mahlzeiten, Einkaufen und WLAN inklusive.
Merke: Alles was Ihnen gut tut, braucht eine gewisse Startenergie. Aber nicht nur Netflix und Pizza bestellen machen süchtig, auch das echte Leben. Holen Sie es sich zurück
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