Sophie Jones - Autor
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Autorin

Sophie Jones

Sophie Jones, geboren 1995, war bis zu ihrem 18. Lebensjahr Mitglied der extremistischen Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Mit 23 Jahren outet sie sich auf YouTube als Sektenaussteigerin und klärt auf. Sophie Jones hat einen Bachelor in Bibliothekswissenschaften und genießt ihr Leben bei Leipzig.

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Interview

»Ich bin keine Marionette mehr, sondern habe eine eigene Persönlichkeit.« | 24.03.2021

Dein Buch heißt „Erlöse mich von dem Bösen“ – was bedeutet dieser Titel und warum hast Du Dich für diesen Titel entschieden? Der Titel ist angelehnt an eine bekannte Bibelstelle und deutet auf meine religiöse Vergangenheit hin. Das Flehen im Gebet zu Gott und das Bitten um Erlösung haben mich in mei...

Dein Buch heißt „Erlöse mich von dem Bösen“ – was bedeutet dieser Titel und warum hast Du Dich für diesen Titel entschieden?

Der Titel ist angelehnt an eine bekannte Bibelstelle und deutet auf meine religiöse Vergangenheit hin. Das Flehen im Gebet zu Gott und das Bitten um Erlösung haben mich in meiner Kindheit und Jugend oft begleitet, deswegen ist dieser Vers so perfekt. Er fängt den Schmerz aber auch die Hoffnung auf poetische, melancholische Weise ein. Ich wollte einen Titel, der zum Nachdenken anregt, neugierig macht und nicht gleich alles preisgibt.
Worum geht es in Deinem Buch?

Es handelt von meinem Aufwachsen bei den Zeugen Jehovas. Je älter ich wurde, umso mehr Herausforderungen musste ich mich aufgrund meines Glaubens stellen. Ein Auf und Ab zwischen dem Streben eine perfekte Christin zu sein und meinem Doppelleben als „rebellischer Teenager“, wie meine Mutter mich gern nannte. Zu dem Druck und der Manipulation seitens der Gemeinschaft kamen familiäre Probleme, Mobbing und Suizidversuche. Im Nacken immer die Angst vor Gottes Strafe, Satan und dem Weltuntergang. Mit 18 Jahren habe ich dann endlich den Ausstieg gewagt.

Wie funktioniert die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas? Was sorgt dafür, dass Mitglieder nur selten die Entscheidung treffen, zu gehen?

Als Zeuge Jehovas ist man meist isoliert, Kontakte zu „normalen“ Menschen sind auf das Nötigste beschränkt, das komplette soziale Umfeld besteht aus anderen Zeugen. Wird ein Zeuge Jehovas aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, müssen alle aktiven Zeugen den Kontakt zu der Person abbrechen, egal ob Familie oder Freunde. Man darf den Ausgeschlossenen nicht einmal grüßen. Durch diese Ächtung steht man völlig alleine da und die meisten sind nicht bereit, diesen Preis zu zahlen. Durch die jahrelange Indoktrination und emotionale Abhängigkeit ist kaum ein Mitglied bereit, seinen Lebensinhalt aufzugeben.

Was hat für Dich den Ausschlag gegeben, Dich gegen die Sekte und damit auch gegen Dein ganzes privates Umfeld zu entscheiden?

Nach meiner Taufe musste ich den Kontakt zu meinem Vater abbrechen, weil er ein Ausgeschlossener ist. Danach wurde auch meine beste Freundin ausgeschlossen und das hat den Stein ins Rollen gebracht. Ich bin in ein tiefes Loch gefallen und habe all die Dinge infrage gestellt, nach denen ich mein bisheriges Leben ausgerichtet hatte. Ich wollte nicht mehr fremdbestimmt funktionieren, so wie es andere von mir erwarten und dabei todunglücklich sein. Ich wollte leben.

Was oder wer hat Dir bei der Entscheidung und bei Deinem Start in Dein neues Leben geholfen?

Während ich meinen Ausstieg geplant habe, habe ich versucht, mir parallel neue Kontakte aufzubauen. Ich habe Freunde gefunden, aber habe meine Situation nicht kommuniziert und alles mit mir selbst ausgemacht. Es hat schon geholfen zu wissen, dass ich nicht alleine dastehe, sobald ich diesen Schritt gegangen bin. Ich wollte ein neuer Mensch werden und habe deswegen erst nach dem Ausstieg meine neuen Freunde über meine Vergangenheit als Zeugin Jehovas eingeweiht.
Was sind die größten Unterschiede zwischen Deinem Leben heute und damals, als Du noch in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas gelebt hast?

Alles. Alles ist anders, viel realer und echter. Ich kann jede noch so kleine Entscheidung bewusst treffen. Mein persönliches Glück ist nun das Wichtigste, ich muss mich nicht mehr aufopfern, um anderen zu gefallen. Ich bin keine Marionette mehr, sondern habe eine eigene Persönlichkeit, habe an Stärke gewonnen und mein Leben neu gestalten.
Warum war es Dir wichtig, das Buch zu schreiben?

Vor ungefähr drei Jahren bin ich das erste Mal mit meiner Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen. Damals hat mir dieser Schritt geholfen, mich und meine Vergangenheit endlich zu akzeptieren. Seitdem hat sich viel verändert, ich habe viele Menschen kennengelernt, die ein ähnliches Schicksal teilen und Hilfe benötigen. Mir ist klar geworden, dass ich etwas dazu beitragen kann, die Welt in der wir leben, ein klein wenig besser zu machen. Ich möchte aufklären, zum Nachdenken anregen und ein Vorbild sein. Dieses Buch bietet mir selbst, aber auch vielen anderen Menschen neue Möglichkeiten. Ich hinterlasse damit einen Fußabdruck und gebe all denen eine Stimme, die keine haben.

Gab es Teile Deiner Geschichte, die besonders schwer zu erzählen waren?
Absolut. Das Schreiben war an einigen Stellen wirklich hart und auch aufwühlend. Aber das wusste ich und das ist auch gut so, denn man kann sich nur entwickeln, wenn man sich aus der Komfortzone heraus bewegt. Bei anderen Stellen, war ich mir nicht sicher, ob ich das wirklich der ganzen Welt preisgeben kann. Aber warum nicht? Ich bin auch nur ein Mensch, mit Fehlern und falschen Entscheidungen – so wie wir alle.
Wie hast Du Dich gefühlt, als Du wusstest: „Das Buch ist jetzt fertig, die Geschichte ist erzählt“?
Als hätte ich all meine Energie, mein Innenleben in dieses Buch gesteckt. Erschöpft aber befreit, denn ich wusste, ich habe alles gegeben um etwas zu erschaffen – ein großartiges Gefühl.

Wer sollte das Buch unbedingt lesen?

Jeder ;) Es ist nicht nur für Menschen, die Ähnliches erlebt haben, sondern ich möchte auch vielen anderen die Augen öffnen, sie dazu ermutigen, nicht nur auf sich selbst zu schauen, sondern auch auf Menschen, die vielleicht Hilfe benötigen. Die breite Masse muss aufgeklärt werden, damit sich langfristig etwas ändert.
Was kannst Du anderen raten, die in einer ähnlichen Situation sind wie Du damals?
Durchhalten. Kämpfen. Hilfe suchen. Sich nicht schuldig fühlen oder schämen. Niemals aufgeben, sich trauen und Menschen suchen, die einem helfen möchten. Immer an das Leben glauben, dass man sich erträumt.
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