Die Cosa-Nostra-Reihe

Er ist nicht bei ihr, um sie zu beschützen. Er ist bei ihr, um sie zu töten.

Saphira De Angelis Herz schlägt für ihren engsten Vertrauten Madox. Doch als Erbin der mächtigsten Mafiafamilie in Palermo kann sie niemandem vertrauen. Aber als ein Anschlag auf sie verübt wird, muss sie mit Madox untertauchen und ihr Leben – wie ihr Herz – in seine Hände legen ...

»Düster, sexy und voller Intrigen: Vanessa Sangue weiß, wie man verbotene Liebesgeschichten schreibt!« Mona Kasten

Making-of »Cold Princess«

Im Sommer 2016 war es Zeit für einen Besuch bei LYX - ich fuhr zur Besprechung eines neuen Projekts nach Köln.

Gerade war No Limits – Berauschende Sehnsucht erschienen, und die Vorbereitungen für Dark Hope – Gefährte der Einsamkeit liefen. Bis dato waren alle meine Romane als E-Book erschienen. Als ich dann gemeinsam mit meiner Lektorin und dem LYX-Team an einem Tisch saß, sprach Katharina die goldenen Worte:

„Wir wollen von dir ein Buch fürs Printprogramm!“

Die ersten Ideen lauteten: Dublin, Irland, Whiskey-Brennerei, Rache, Familienfehde. Was von Anfang an feststand, war, dass dieses Mal die Frau die Machtposition innehaben sollte. Und dass es düster werden würde. (Tut mir leid, Prince Charming, aber du bist raus!)

Nach einigen weiterten E-Mails und Telefonaten wurde aus Irland Italien und aus der Whiskey-Brennerei eine Wein-Kellerei - die Rachegeschichte spielte nun im Mafia-Milieu. Aber die Grundidee des Romans blieb, und ich stellte mich darauf ein, das Buch irgendwann zu schreiben.

Ein paar Wochen später kam ein weiterer Anruf, Katharina schlug vor: „Lass uns doch mehr Bände daraus machen!“

Und nach weiterem Hin und Her war klar, dass es zwei Bände geben sollte und dass diese 2018 erscheinen würden. Bevor ich mich diesem Projekt jedoch widmen konnte, wollte erst noch Dimitris Geschichte geschrieben werden. Gesagt, getan. Im neuen Jahr (also 2017) begann ich mit dem Print-Projekt.

Damit stand ich auch direkt vor der ersten großen Herausforderung: Entwickle einen Plot! Dieses … Ding wurde mein Folterinstrument, und meine arme Lektorin Ann-Kathrin hatte es bestimmt nicht leicht, bis schließlich die Handlung des Projekts stand. Zu Plotten - für alle die das noch nie gemacht haben - bedeutet, eine Art Fahrplan für die Handlung zu erstellen. Jede überraschende Wendung sollte erklärt sein, wir achteten auf den Spannungsaufbau und die Figurengestaltung.

Vorher habe ich nie geplottet, und so war es nun eine große Herausforderung für mich. Wer mir schon ein bisschen länger folgt, weiß, dass ich normalerweise einfach drauf los schreibe und dann im Laufe der Geschichte den Plot entwickle. Allerdings ist Cold Princess mit all den verschiedenen Handlungssträngen und Intrigen so komplex, dass es dieses Mal einiger Vorausplanung bedurfte.

Dann ging es los mit der Schreiberei – und es lief zum ersten Mal irgendwie schleppend. Normalerweise fällt mir der Anfang einer Geschichte immer sehr leicht, aber diesmal schwiegen die Stimmen beharrlich. Nach dem ein oder anderen minimalen (in Wahrheit: großen) Nervenzusammenbruch ging es dann endlich etwas einfacher.

Sobald die ersten siebzig Seiten geschrieben waren, schickte ich diese an Ann-Kathrin, danach stand das erste Lektorats-Telefonat an. Wir besprachen ein paar Details, Änderungen, welche die Geschichte flüssiger machen würden, und schließlich fragte sie mich: „Was magst du eigentlich an Madox?“ (Weil ich mich vorher darüber beklagt hatte, was für ein Arschloch er ist.) Und ich antwortete: „Er ist vielleicht ein Arschloch, und das ist er wirklich, aber er würde alles für die Menschen tun, die ihm etwas bedeuten.“

Ann-Kathrin überlegte eine Weile und meinte dann, dass wir etwas bräuchten, um Madox nahbarer zu machen. Und schließlich sagte sie einen Satz, den ich wohl nie wieder vergessen werde:

„Wir brauchen etwas, das ihn weicher macht ... so eine Art Welpen, natürlich nur im übertragenen Sinne!“

Als ich mir den düsteren Killer mit einem Hundebaby auf dem Arm vorstellte, musste ich lachen. Und Ann-Kathrin stimmte sofort mit ein. Nachdem wir uns die Lachtränen abgewischt hatten, legten wir auf, und ich machte mich an die Arbeit, um Madox seinen „Welpen“ zu geben. Und er bekam ihn. Ich bin gespannt, ob ihr erraten könnt, um wen es sich dabei handelt. So viel sei gesagt: Es ist nicht Saphira.

Auf einmal konnte ich in die Geschichte eintauchen, und nachdem ich gefühlte hundert Mal meinen Browserverlauf gelöscht hatte (mal ehrlich, der sah ganz schön komisch aus. BDSM-Suche folgte auf Suchanfragen wie „Wie sprenge ich am besten ein Auto in die Luft?“ und „Wie weit kann ein Scharfschütze schießen?“ – dazu kamen dann noch Suchen zu Kampftechniken und Waffen. Ich hatte das Gefühl, der BND könnte jeden Moment vor der Tür stehen), näherte ich mich irgendwann dem Punkt, an dem ich mir - laut Plot! - selber zum ersten Mal in dieser Geschichte das Herz brechen musste.

Ich kann euch versichern, dass es mir nicht leicht gefallen ist - am liebsten hätte ich die Worte gleich nach dem Tippen sofort wieder gelöscht. Aber das ging nicht - sonst hätte ich wieder umplotten müssen. Also zog ich meine big girl panties an und machte weiter.

Schließlich kam ich dann zum Ende. Das hatte ich bereits geschrieben, bevor ich überhaupt die Hälfte des Romans stehen hatte (frag mich nicht, wieso – irgendwann habe ich das Ende einfach vor mir gesehen und musste es aufschreiben). Ich wusste also ganz genau, was mich erwartete. Was es allerdings nicht einfacher machte.

Und als ich die vier magischen Buchstaben – E N D E – unter das Manuskript setzte, war ich unglaublich erleichtert.

Ich hoffe, dass ihr Cold Princess genauso lieben werdet, wie ich! Und dass ihr genauso gespannt seid auf den zweiten Teil!

Eure

Vanessa Sangue

Exklusive Bonusszene zu Saphira

Saphira De Angelis, 15 Jahre alt

Eine Krankenschwester schob ihren Rollstuhl bis zum Eingang des Krankenhauses. Saphira blickte zu ihrem Onkel Vito auf. Hinter ihm stand ein junger Mann, gerade achtzehn Jahre alt. Dennoch hatte sein Gesicht nichts Jugendliches an sich. Sein Kiefer zu stark, die Augen zu dunkel. Er war verdammt groß für sein Alter und viel muskulöser, als die meisten jungen Männer in seinem Alter.

Allerdings war Emilio auch kein gewöhnlicher junger Mann. Er war ein uomo d’onore, ein Kind der Cosa Nostra. Und er wurde seit Jahren dafür ausgebildet, sein Leben für ihres zu opfern, sollte es nötig sein.

Die Krankenschwester, die sie bis hierher begleitet hatte, redete nun mit leiser Stimme auf Saphiras Onkel ein, während Emilio Saphira aus dem Rollstuhl half. Ein Arm steckte noch immer in einer Schlinge, ihre Rippen wurden von einem Verband gestützt, und die Narbe der OP, bei der sie ihre Milz entfernt hatten, schmerzte, als sie aufstand. Eigentlich sollte sie das Krankenhaus noch nicht verlassen. Aber hier war es zu gefährlich, sie wäre ein leichtes Opfer.

Emilio fing ihren Blick auf.

„Bereit?“, fragte er.

Sie nickte.

1 Jahr später

Saphira seufzte leise, als die Rasierklinge in die Haut direkt oberhalb ihres Hüftknochens schnitt. Einen Moment lang beobachtete sie, wie das Blut hervorperlte und über ihre Haut lief. Erst dann nahm sie die bereitliegende Mullbinde und stoppte die Blutung.

Seit zwölf Monaten fügte sie sich selbst Schmerzen zu. Seit sie erfahren hatte, dass ihre Eltern und ihr kleiner Bruder ausgelöscht worden waren. In einem zerquetschten Auto. Gerammt von jemandem, der die Familie De Angelis zerstören wollte. Beinahe wäre es diesem Angreifer gelungen und er hätte sie alle getötet. Aber Saphira hatte überlebt.

Jetzt war sie sechzehn Jahre alt, Thronerbin einer der mächtigsten Mafiafamilien in Palermo. Eine der ehemals mächtigsten Mafiafamilien. Denn im Moment waren die De Angelis schwach, angreifbar. Genauso verletzlich wie Saphiras Körper es immer noch war. Bis sie sich einigermaßen von dem Unfall erholt hatte, war sie mit den Mitgliedern ihrer famiglia untergetaucht.

Das Anwesen, das einmal ihr Zuhause gewesen war, stand jetzt leer und verlassen. Stattdessen versteckten sie sich in Syrakus, das beinahe 300 Kilometer von ihrer Heimatstadt entfernt lag.

Saphira blickte auf, als sie Schritte hörte. Das war sicher ihr Onkel Vito. Hastig versteckte sie die Rasierklinge und ihre verletzte Hüfte unter einem Handtuch.

Sie lag am Pool des kleinen Ferienhauses, in dem sie sich bis zu ihrer Rückkehr nach Palermo versteckten. Sie verzog abfällig den Mund. Sie sollte sich nicht verstecken müssen. Sie sollte in ihre Stadt zurückkehren und zurückerobern, was rechtmäßig ihr gehörte.

Saphira sah Vito abwartend an, als er sich auf die Sonnenliege neben ihr setzte.

„Nachrichten aus Palermo. Eine Drogengang, sie nennen sich The Vipers, hat einen Teil unseres Territoriums übernommen.“ Er rieb sich mit der Hand über die Stirn. „Sie verkaufen alles. Marihuana, Kokain, Meth, Ecstasy. Es gibt vermehrte Berichte über Drogendeals auf offener Straße. Bisher sind zehn Menschen an einer Überdosis gestorben.“

Sie ballte eine Hand zur Faust. „Behalte das im Auge.“ Es hatte nicht lange gedauert, bis sie gewohnt gewesen war, Befehle zu erteilen. Schließlich hatte ihr Vater sie vor seinem Tod gut darauf vorbereitet. Saphira war immer dazu bestimmt gewesen, einmal die Geschäfte der famiglia zu führen.

Im Moment konnte sie das jedoch nicht in vollem Umfang tun, zuerst musste sie stärker werden. Musste lernen, sich selbst zu helfen, um nie wieder ein Opfer zu sein.

Und dann würde sie zurückkehren und alle töten, die sich ihr in den Weg stellten.

5 Jahre später

Saphira beobachtete, wie die Sonne am Horizont unterging. Als nur noch ein dunkelroter Schimmer auf dem Wasser zu sehen war, sah sie Emilio an, der neben ihr an der Wand lehnte. Vor ihnen erstreckte sich ein alter Supermarkt, der seit Jahren nicht mehr in Betrieb war. Dafür hatte sich dort eine Drogengang eingenistet. Mitten auf dem Gebiet der De Angelis.

„Auf dein Kommando“, sagte Emilio. Die vergangenen Jahre hatten auch die letzten jungenhaften Züge seines Gesichts abgeschliffen und einen harten Mann zum Vorschein gebracht. Saphira checkte, ob die Klinge an ihrem Unterarm richtig befestigt war, bevor sie ihre Pistole entsicherte. Dann nickte sie Emilio zu.

Er hob den Arm und gab seinen Männern ein Zeichen, die sich binnen eines Herzschlags in Bewegung setzten. Saphira rannte mit ihnen zum Eingang des Supermarkts. Sie war immer mit an vorderster Front, forderte von ihren uomini d’onore nichts, wozu sie nicht auch selbst bereit war.

Sobald sie im Markt waren, brach die Hölle los. Schüsse hallten durch die leeren Gänge, schmerzerfülltes Stöhnen tönte durch den Raum. Ein dumpfer Aufprall, als leblose Körper auf den Boden auftrafen.

Der Kampf war hart, blutig, gnadenlos. Schließlich stand Saphira dem Anführer der Gang gegenüber. Fast alle seine Männer waren tot, der Rest wurde von Saphiras Männern in Schach gehalten. Jetzt kniete er vor ihr und starrte sie hasserfüllt an.

„Du weißt, wer ich bin?“, fragte sie.

„Die Schlampe, die ich heute Nacht ficken werde?“ Er grinste sie an, und sie schlug ihm mit der Faust ins Gesicht.

„Ich bin Saphira De Angelis. Und du wirst dein Dreckszeug nicht länger auf meinen Straßen verticken. Ich verlange Gehorsam, oder ich bringe dir den Tod. Also: Bist du für oder gegen mich?“

Sie starrte ihm in die blutunterlaufenen Augen, und er spuckte vor ihr auf den Boden.

„Du kannst mich mal!“

Saphira lächelte, und der Mann erblasste. Wahrscheinlich war ihm in diesem Moment erst bewusst geworden, dass er wirklich seinem eigenen Tod in die Augen sah. Sie zog ihr Messer und schnitt ihm in einer fließenden Bewegung die Kehle durch. Blut spritzte ihr entgegen, benetzte ihre ohnehin schmutzige Kleidung. Der Mann fiel gurgelnd zu Boden.

Saphira sah Emilio an. „Tötet den Rest. Brennt den verdammten Supermarkt nieder. Ich will, dass nichts von den Drogen übrig bleibt.“

Kurz danach verließen sie das Gebäude wieder, hinterließen ein blutiges Schlachtfeld. Saphira fuhr gerade vom Parkplatz, als der Supermarkt hinter ihr in Flammen aufging.

Sie lächelte.

Sie war Saphira De Angelis. Capo der De Angelis.

Sie war durch die Hölle gegangen und hatte überlebt. Jetzt würde sie alle, die sich gegen sie stellten, aus dem Weg räumen. Sie hatte Blut an ihren Händen und Rache im Herzen. Und sie würde keine Gefangenen nehmen.

Sie war die Prinzessin dieser Stadt. Und wenn der Feldzug vorüber war, würde sie ihre verdammte Königin sein.

Exklusive Bonusszene zu Madox

Madox, 8 Jahre alt

Er kannte den Mann nicht, der neben ihm herlief. Aber der Griff, mit dem der Fremde seine Schulter gepackt hatte, war schmerzhaft fest. Madox verstand nicht, was hier vor sich ging. Hatte sein Vater nicht gesagt, dass er in ein gutes amerikanisches Internat kommen würde? Aber das Gebäude, in dem sie sich befanden, sah gar nicht aus wie ein Internat.

Er konnte nicht sagen, wie lange sie schon den dunklen Gang entlang gingen, aber er schätzte, dass es mehr als eine Viertelstunde war. Immer wieder bogen sie links oder rechts ab, und Madox hatte inzwischen vollkommen die Orientierung verloren. Es war kalt. Alle paar Schritte hing eine einfache Glühbirne von der Decke, die den Weg spärlich erleuchtete.

„Wo gehen wir hin?“, fragte er.

Der Mann warf ihm einen bösen Blick zu und schob den Jungen weiter vorwärts. Madox war es nicht gewohnt, so behandelt zu werden. Normalerweise versuchte man ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Hier behandelte man ihn beinahe wie einen Sträfling.

Irgendetwas stimmte nicht.

„Dahin, wo nur die Hälfte aller Jungs den ersten Tag überlebt.“

Diese Worte ließen Madox aufhorchen, Angst verknotete seinen Magen.

„Überleben?“, fragte er mit zittriger Stimme. „Ich dachte, das hier ist eine Schule?“

Der Mann lachte, gehässig, wie es Madox schien, sagte aber nichts weiter. Bevor Madox sich überlegen konnte, was er jetzt tun sollte, hörte er die Geräusche.

Schreie. Weinen. Metall, das auf Metall traf. Noch mehr Schreie.

Plötzlich öffnete sich vor ihnen ein großer, runder Raum. An den Wänden standen Männer, ähnlich wie sein Begleiter, Schulter an Schulter. Vor ihnen standen Jungen. Madox schätzte, dass die meisten in seinem Alter sein mussten. In der Mitte stand ein runder Käfig. Gitterstäbe so dick wie sein Oberarm ragten über zwei Meter in die Höhe, wo weitere, waagerechte Stäbe ein flaches Dach bildeten. Es gab zwei gegenüberliegende Türen, vor denen jeweils ein Mann stand. Das Metall wirkte stumpf, getrocknetes Blut und anderes, von dem Madox nicht einmal wissen wollte, was es war, klebte an den Gitterstäben und bedeckte den rauen Zementboden.

In dem Käfig waren zwei weitere Jungen. Einer hielt ein blutiges Messer in der Hand. Der andere lag auf dem Boden. Langsam breitete sich eine rote Pfütze unter ihm aus.

Madox begann zu zittern. Was ging hier nur vor sich? Wo war er gelandet? Er wollte zurück zu seinem Vater! Zurück nach Italien!

Er versuchte sich von seinem Begleiter los zu machen, aber der hielt ihn nun mit beiden Händen an den Schultern fest. Währenddessen traten zwei der Männer in den Käfig. Der Junge wurde weggeführt. Sein Gesicht war tränenüberströmt. Die Leiche des anderen wurde achtlos über den Boden geschleift und verschwand kurz danach aus Madox‘ Blickfeld.

„Du bist dran“, sagte sein Wächter und drückte ihm ein Messer in die Hand. Bevor Madox reagieren konnte, wurde er mit einem anderen Jungen in den Käfig geschoben. Der andere war ein wenig größer als Madox, sein blondes Haar lang und dreckig.

„Nur einer von euch wird diesen Käfig lebend verlassen. Kämpft!“, rief einer der Männer. Madox starrte ihn fassungslos an, dann sah zu dem anderen Jungen hinüber, der genauso verwirrt und verängstigt wirkte wie er sich fühlte.

Ein metallisches Klicken ertönte. Madox war in der italienischen Mafia aufgewachsen. Er kannte dieses Geräusch. So hörte es sich an, wenn eine Pistole entsichert wurde.

Als er sich umdrehte, richtete sein Begleiter eine Waffe auf ihn. Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihm, dass der Begleiter des anderen Jungen das ebenfalls tat.

„Entweder ihr kämpft oder ihr sterbt beide!“

Madox‘ Herz schlug so schnell, dass es ihm jeden Moment aus der Brust springen musste. Seine Hände waren schweißnass. Das hier war kein Scherz. Dieser Ort war kein Eliteinternat. Es war eine Kampfschule. Und es gab nur einen Ausweg.

Madox drehte sich um und starrte den blonden Jungen an. Er kannte Gewalt, hatte bereits gesehen, wie andere mordeten. Und hier ging es um sein eigenes Überleben. Er umfasste das Messer fester und traf eine Entscheidung.

Danach versank alles in einem dunklen Nebel, aber als er wieder zu sich kam, starrte der blonde Junge mit leblosen Augen zu ihm auf. Er selbst war blutbefleckt.

Eine starke Hand landete auf seiner Schulter, das Messer wurde ihm aus der Hand genommen. Madox blickte zu seinem Begleiter auf.

„Gut gemacht, Kleiner“, sagte dieser, und zum ersten Mal klang so etwas wie Wertschätzung aus seiner Stimme. „Willkommen in der Schule des Lebens.“ Damit wurde er aus dem Käfig und dem Raum geführt. Direkt in eine winzige, dunkle Zelle, in der sich nichts außer einem Eimer und einer Matratze befand. Es gab kein Fenster. Keine Lampe. Hinter ihm lachte sein Begleiter.

„Und willkommen in deinem neuen Zuhause.“

12 Jahre später

Das Messer glitt über seinen Oberschenkel. Dann erneut. Und noch einmal. Schließlich zogen sich fünf gleichmäßige Schnitte über seine Haut.

Madox konzentrierte sich auf seine Atmung und ließ sich die Schmerzen nicht anmerken. Es würde nur dazu führen, dass er noch mehr Qualen ertragen musste.

„Warum wirst du heute bestraft, cerbero?“

Nach zwölf Jahren in diesem gottverfluchten Drecksloch hatte man ihm einen Beinamen verpasst. Cerbero. Höllenhund. Weil er aus der Hölle kam und seine Opfer mit sich dorthin zurückschleppte. Ein passender Name, wie er fand.

„Ich habe mein Zielobjekt nicht rechtzeitig getötet.“

„Wie viel Zeit hattest du?“

„Fünf Minuten.“

„Wie lange hast du gebraucht?“

„Sechs Minuten und zweiundvierzig Sekunden.“

„Genau.“

Der Mann lächelte ihn an, streifte sich einen Schlagring über und schlug ihm damit direkt ins Gesicht. Der Schmerz ließ Madox Sterne sehen, aber er hielt seinen Mund dennoch geschlossen. Das hatte er nach all dieser Zeit gelernt. Sei kalt. Nichts darf zu dir durchdringen. Du bist ein Killer. Ein Monster. Du kennst keine Schmerzen, du fügst anderen welche zu. Du bist geboren worden, um zu töten.

Und genau das war er. Ein verfluchtes Monster. Mit zwanzig Jahren hatte er bereits unzählige Menschen getötet. Und es würden noch viele folgen.

Einige Jahre später

Madox trat aus dem Käfig und blickte direkt in den Lauf einer Pistole.

„Die Waffen.“

Er blickte auf die klingenbesetzten Schlagringe, die immer seine Waffen der Wahl waren, und streifte sie sich von den blutigen Fingern. Vier Männer eskortierten ihn mit gezückten Waffen zurück zu seiner Zelle. Es war noch immer dieselbe Zelle, in der er all die Jahre geschlafen hatte, seit er ein unschuldiger Junge gewesen war. Jetzt war er eine Tötungsmaschine.

Mit dem Kampf an diesem Abend hatte er allen, die auf ihn gesetzt hatten, eine Menge Geld beschert. Seine Quoten lagen immer sehr weit oben. Schließlich war er bis jetzt ungeschlagen.

Hinter ihm rastete das Schloss mit einem metallischen Klicken ein. Schweiß und Blut vermischten sich auf seiner Haut, wurden zu seiner Rüstung. Er würde noch die nächsten vierundzwanzig Stunden in dieser Zelle sein, bevor man ihn zurück in eine Wohnung brachte. Nicht, dass er dort unbewacht war, aber seine Besitzer, denen sowohl dieses Drecksloch gehörte, als auch das Haus, in dem die Wohnung lag, schätzten ihn. Deswegen gab es für ihn ein paar Annehmlichkeiten, die anderen nicht vergönnt waren. Dazu gehörte, dass er nicht die ganze Zeit in einer Zelle hocken musste und sich hin und wieder eine Frau besorgen konnte.

Madox lehnte sich mit dem Rücken an die kalte Wand und lauschte auf die Geräusche, die von außen zu ihm drangen. Durch die Gitterstäbe, die seine Zelle abriegelten, konnte er Schatten über den Boden tanzen sehen. Er schloss die Augen und versuchte die Aufregung, die nach dem Kampf noch immer durch seine Adern pulsierte, zu ignorieren.

Vor einigen Jahren schon hatte er in Erfahrung gebracht, dass das Drecksloch, in dem er ausgebildet worden war, einem Zweig der amerikanischen Mafia gehörte. Die meiste Zeit kämpfte er im Käfig für sie. Manchmal ließen sie ihn nach draußen, um dort jemanden zu töten. Er hätte längst fliehen können, aber das interessierte ihn schon lange nicht mehr. Dieser Kerker war sein Zuhause. Hier konnte er seine Mordlust ausleben.

Ein leiser Pfiff und danach das Geräusch von Papier, das über den Boden glitt, brachten ihn dazu die Augen zu öffnen. Er sah gerade noch, wie ein dunkler Schatten im nächsten Gang verschwand.

Madox starrte das Stück Papier an, das unter der Tür durchgeschoben worden war, bevor er sich vorbeugte und es aufhob. Vier kleine Worte waren darauf gekritzelt.

Dein Vater ist tot.

Seine Hand ballte sich zur Faust, während er seine Zellentür anstarrte.

Jetzt hatte er einen Grund zu fliehen. Er konnte ohne Mühe jeden töten, der sich ihm in den Weg stellte. Und dann würde er den Mörder seines Vaters finden und ihm zeigen, was es bedeutete, wenn man cerbero verärgerte.

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