Eric Sander im Interview zu seinem Thriller-Debüt DIE LETZTE WAHL

Neben Ihrer Tätigkeit als Autor sind Sie Journalist. Sie arbeiten unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Was hat Sie dazu bewogen, einen Thriller zu verfassen?

Ich lese selbst sehr gerne Polit-Thriller. Da war das Genre für mich naheliegend, und so kann ich auch meine Erfahrungen als Journalist einfließen lassen. Außerdem eignet sich der Thriller hervorragend, um unterhaltsam über aktuelle politische und gesellschaftlich relevante Themen zu schreiben.

Ohne zu viel zu verraten – worum geht es in DIE LETZTE WAHL?

Der Journalist Nicholas Moor bekommt zufällig mit, dass eine rechtspopulistische Partei nach ihrem Sieg bei der Bundestagswahl einen Staatsstreich plant. Doch niemand glaubt ihm. Also beschließt er, sie ganz allein zu stoppen. Mich interessiert daran vor allem die Frage: Was würde ich tun, wenn ich der Einzige wäre, der einen Umsturz verhindern könnte? Wie weit würde ich gehen?

Warum haben Sie sich gerade für das Thema Rechtspopulismus entschieden?

Das Thema beschäftigt mich schon lange. Die Zeit des Nationalsozialismus war bei uns in der Familie immer sehr präsent. Vom Balkon meiner Eltern konnte man direkt auf das ehemalige „Reichsparteitagsgelände" in Nürnberg sehen. Da habe ich als Kind automatisch Fragen gestellt. Ich habe mich schon früh für Politik interessiert und deshalb später auch Politikwissenschaft studiert. Spätestens seit dem Wahlsieg von Trump in den USA und dem Aufstieg rechter Politiker in ganz Europa hat das Thema wieder große Aktualität.

Am 26. September 2021 ist Bundestagswahl. Für wie wahrscheinlich halten Sie ein politisches Szenario, wie Sie es in DIE LETZTE WAHL beschreiben?

Es wird ziemlich sicher keine rechte Partei bei dieser Bundestagswahl die Mehrheit bekommen, so wie in meinem Roman. Aber was ist mit den nächsten Wahlen? Man muss sich nur ansehen, wie stark rechtsextreme Parteien etwa in Ungarn und Österreich schon sind. In Frankreich hat die rechtsradikale Marine Le Pen erschreckend gute Chancen, nächstes Jahr Präsidentin zu werden. Wer hätte das noch vor einiger Zeit für möglich gehalten? Und auch in Deutschland gewinnt die AfD seit Jahren Wählerstimmen hinzu.

Teile des Romans basieren auf Szenarien, die so tatsächlich möglich wären, etwa die Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts und die Abschaffung des Grundgesetzes.

Was macht Ihnen persönlich Angst?

Unsere Demokratie wirkt gefestigt, aber sie ist fragiler als viele denken. Historische Studien zeigen, dass sich nur 3,5 Prozent der Bevölkerung aktiv beteiligen müssen, um einen Umsturz herbeizuführen. Das kann positiv sein, wenn etwa ein Diktator oder eine Diktatorin verjagt wird, aber eine kleine, radikale Minderheit kann auch die Demokratie abschaffen, wenn sich die Mehrheit zu passiv verhält.

Wie würden Sie Ihren Thriller einordnen?

Mich haben „Was-wäre-wenn“-Geschichten immer fasziniert. In diesem Fall: Was wäre, wenn in Deutschland eine rechtspopulistische Partei kurz davor wäre, an die Macht zu kommen? Margaret Atwood hat dafür den Begriff der Speculative Fiction geprägt, die ein „Was-wäre-wenn“-Szenario in einer nicht ganz so fernen Zukunft heraufbeschwört und eine Bedrohung, die im Bereich des Möglichen liegt. Robert Harris, den ich sehr schätze, hat mit Vaterland gezeigt, dass dieses Prinzip auch bei Thrillern gut funktionieren kann. Bei aller Lust an der politischen Fiktion geht es mir am Ende aber immer darum, eine spannende Geschichte mit glaubwürdigen Charakteren zu erzählen.

Die Erregung der sozialen Medien bezeichnet Ihr Protagonist, der Journalist Nicholas Moor, als den Motor zur Verbreitung der Botschaften der rechtspopulistischen Volkspartei, weil sie Klicks und Likes versprechen. Sehen Sie eine Lösung, um diese Spirale zu durchbrechen?

Das ist ein riesiges Problem. Bei Facebook, Instagram und Twitter ist der Algorithmus darauf ausgelegt, maximale Aufmerksamkeit zu erregen. Extreme Meinungen passen perfekt in dieses Schema. Ich glaube dagegen helfen letzten Endes nur neue digitale Plattformen, die nicht nach diesem Prinzip funktionieren. Zumindest die grundlegende Infrastruktur dafür müsste wahrscheinlich öffentlich-rechtlich sein.