Zwei Familien, arm und reich, über ein Jahrhundert miteinander verbunden
Michaela Grünig erzählt mit Einfühlsamkeit und Wucht von Schuld, Verlust und Menschlichkeit, die alle Schicksalsschläge überdauert
Leseprobe vom 1. Band der Blankenese-Reihe
Hörprobe
Band 2 der großen Blankeneser Familiengeschichte
Vorab in Band 2 reinlesen
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Zitate aus »BLANKENESE – ZWEI FAMILIEN: LICHT UND SCHATTEN«
Die Autorin
Fotos: © Inga Sommer
Michaela Grünig, geboren und seelisch beheimatet in Köln, war lange Jahre im Ausland tätig. Dort kam sie nicht nur mit interessanten Menschen und ihren Geschichten zusammen, sie entdeckte auch ihre große Liebe zum Reisen, die sie aber immer wieder zu ihren Lieblingsorten in Deutschland zurückführte. Seit 2010 hat sie ihr Hobby, das Schreiben, zum Beruf gemacht. Dabei ist es Michaela Grünig eine Herzensangelegenheit, ihren Leser:innen die deutsche Geschichte etwas näherzubringen.
Michaela Grünig im Interview
„Es gibt nichts Spannenderes, als über die Lebenswege der Menschen zu lesen, auf deren Schultern unser eigenes Dasein fußt“ | 29.11.2022
Blankenese hat schon auf früheren Reisen einen unglaublichen Eindruck auf mich gemacht. Dieses fast mediterrane Flair der Elbgemeinde mit den bunten Fischerhäuschen, verwinkelten Gassen und weißen Villen ist einzigartig. Zudem bin ich durch meine Recherchen für die „Palais Heiligendamm“-Reihe auf die Biographie von Max Warburg gestoßen, einem bedeutenden deutschen Bankier, der in Blankenese gelebt hat und mit unglaublichem Mut und unter größtem persönlichen Einsatz 75.000 Juden zur sicheren Auswanderung verholfen hat. Das hat mich inspiriert, besonders nachdem ich das Warburg-Archiv auf dem Kösterberg besuchen durfte, in dem alle Vorgänge zu dieser Rettung lagern. Er war es auch, der mich zu der Figur Max Wehrmann, dem Patenonkel von John Casparius, inspiriert hat. Er weist viele Ähnlichkeiten zu der realen Figur auf.
Wovon handelt Ihre neue Familiengeschichte?Vom Schicksal zweier Familien, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch durch Liebe, Hass, Intrigen und Geheimnisse aufs Engste miteinander verbunden sind: auf der einen Seite die Familie Casparius, vornehme Reedereibesitzer, die eine herrschaftliche Villa an der Elbchaussee bewohnen, zum anderen die Hansens, eine Kapitänswitwe und ihre Kinder, die aus ärmlichen Verhältnissen stammen und in einer Tweehus-Hälfte im Treppenviertel leben. In diesem ersten Band, der sich den Ereignissen der Jahre 1919 bis 1939 widmet, erzähle ich von John Casparius, einem desillusionierten Kriegsheimkehrer, der lebenslustigen und tatkräftigen Lena Hansen und ihrer Mutter Irma, die alles tut, um ihre Lieben über Wasser zu halten.
Blankenese ist ein ehemaliges Fischerdorf und heutzutage als Hamburger Ortsteil bekannt für seine schöne Architektur und die Nähe zur Elbe. Was fasziniert Sie persönlich, wenn Sie durch Blankenese spazieren?Blankenese hat sich erst über viele Jahrzehnte zu dem großbürgerlichen Villenviertel entwickelt, das wir heute kennen. Diese Historie ist daher voller spannender Kontraste, die meinem Roman die perfekte Kulisse bieten. Neben dem unglaublichen Ausblick auf die Elbe und der Schönheit der Umgebung, fasziniert mich, wie sich die Menschen in diesem Mikrokosmos verhalten haben. Welche Umstände haben beispielsweise dazu geführt, dass damals die Mehrheit der Blankeneser:innen die Machtübernahme durch die NSDAP begrüßt hat?
Ihr Roman beginnt im Jahr 1919, woher stammt Ihr Wissen über diese Zeit?Ich habe generell große Freude daran, durch die Recherchen zu meinen Büchern in die Vergangenheit zu reisen. Es gibt viele gute Quellen, um sein Wissen über diese Zeit aufzufrischen und zu erweitern, zum Beispiel durch Tagebucheinträge von Zeitzeug:innen oder Aufsätze von Historiker:innen. Diesmal bin ich aber auf eine wahre Goldader gestoßen: Der Förderkreis Historisches Blankenese hat die Lokalgeschichte in mehreren Büchern auf das Wunderbarste dokumentiert. Dadurch konnte ich meine Figuren noch tiefer mit dem realen Zeitgeschehen verflechten.
Die Geschichte von Leni und John spielt in etwa zur gleichen Zeit wie Ihre dreiteilige Reihe „Palais Heiligendamm“, was genau interessiert Sie an dieser Zeit?Ist es nicht faszinierend, dass zwischen 1919 bis 1971 und 1971 bis 2023 genau die gleiche Anzahl von Jahren liegt? Für die jüngere Generation scheint 1919 ferne Vergangenheit zu sein, aber im Grunde haben die Menschen damals wie heute mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Nehmen wir doch nur die Inflation. Der erste Weltkrieg war durch Anleihen finanziert, in denen die Bevölkerung ihre ganzen Ersparnisse investiert hatte. Die Geldentwertung von 1923 hat diese Schulden des Staates dahinschmelzen lassen, ohne für einen Ausgleich zu sorgen. Das hat den Glauben der Menschen in ihre demokratisch gewählte Regierung zerstört und sie nach einem „starken Mann“ rufen lassen. Führt die Verzweiflung der Menschen über die heutige Inflation nicht ebenfalls zu politischen Verwerfungen und einem Zulauf bei den Randparteien? Auch die plakativen Schwarz- Weiß-Argumente der heutigen Zeit waren damals schon geläufig.
Ehrlich gesagt, lese ich selbst am liebsten Familiengeschichten. Die Figurenkonstellation „Vater, Mutter, Geschwister“, das Miteinander, aber auch die Konflikte sind mir vertraut, und ich finde es inspirierend zu erleben, wie es in anderen Familien zugeht. Gleichzeitig erlauben die verschiedenen Perspektiven eines solchen Charakterensembles und die Zeitspanne einer Reihe, die Ursachen für die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen Deutschlands widerzuspiegeln. Man kann selbst gegensätzliche Beweggründe plausibel darstellen und animiert die Leser:innen dadurch, sich selbst Gedanken zu machen.
Immer wieder taucht Hamburger Plattdeutsch im Roman auf. Die Charaktere benutzen Wörter wie „Törfkopp“ oder „Botterbroot“. Woher kennen Sie den Dialekt so gut?Vielen Dank … aber ehrlich gesagt, spreche ich kein Wort Platt! Die Einschübe im „O-Ton Nord“ verdanke ich einigen guten Hamburger Freunden und dem plattdeutschen Konversationshandbuch „Nich lang schnacken“ von Olaf Wolkenhauer.
Warum haben Sie das Cinderella-Motiv (reicher Mann/arme Frau) in der Liebesbeziehung zwischen John und Leni aufgegriffen?Es hat mich schon früher geärgert, dass eine solche Beziehung selten realistisch mit all ihren Schwierigkeiten geschildert wird. Friede, Freude, Eierkuchen herrscht eher selten, wenn so unterschiedliche Welten wie die von John und Leni kollidieren. Deshalb ging es mir darum, alle Schwierigkeiten eines solchen gesellschaftlichen Aufstiegs auszuloten: Die mangelnde Akzeptanz der feinen Gesellschaft einerseits, aber auch die Unsicherheiten, die aus der unterschiedlichen Bildung und Erfahrung stammen. Gegen Ende des Buchs gibt es dann eine Umkehr des Schicksals, und aus der armen Leni wird die gesellschaftlich akzeptierte Arierin, aus dem vermögenden John der verachtete „Halbjude“.
Was möchten Sie mit Ihren Romanen bei Ihren Leser:innen erreichen?Natürlich möchte ich meine Leser:innen in erster Linie so gut wie möglich unterhalten. Ich würde mir wünschen, dass das Schicksal meiner Figuren emotional berührt und mitfiebern lässt. Darüber hinaus fände ich es schön, wenn meine Bücher den Leser:innen die deutsche Geschichte etwas näherbringen. In meinen Augen gibt es nichts Spannenderes, als über die berührenden Lebenswege derjenigen Menschen zu lesen, auf deren Schultern unser eigenes Dasein fußt.
Geht es mit Blankenese weiter? Wenn ja, werden wir bekannte Figuren wiedersehen?Ich sitze gerade an der Recherche für den zweiten Band der Reihe. Darin geht es unter anderem um ein Gebäude der Warburgs, in dem von 1945 bis 1947 ein Heim für jüdische Kinder eingerichtet wurde, die das KZ Bergen-Belsen überlebt haben. In 2005 gab es eine Zusammenkunft dieser ehemaligen Kinder, die über die ganze Welt verstreut leben und sich alle in Blankenese wiedergetroffen haben. Und natürlich wird es ein Wiedersehen mit den hoffentlich liebgewonnenen Figuren geben. Allerdings wird diesmal der Fokus auf der jüngeren Generation liegen, genauer gesagt auf Fanni, Kurt und Sonja.
Ein Historiker berichtet
Vorwort von Dr. Jan Kurz aus:
Blankenese in der Weimarer Republik. Kulturelle Entfaltung – Wirtschaftliche Not – Politische Radikalisierung
Herausgegeben vom Förderverein Historisches Blankenese e. V., Klaas Jarchow Media Buchverlag GmbH & Co. KG, Hamburg 2019
»Blankenese ist Kleinod, Ruhm und Gipfel hoher Elbufer unterhalb Hamburgs, Weite und Freiheit am Strom, Ziel, Erfüllung …. Oder ist es nicht so?«
Als der Blankeneser Journalist, Lehrer und Musiker Rudolf Klutmann diese Frage stellte, wusste er nicht, was in den folgenden Jahren geschehen sollte. Blankenese im Jahr 1928, das war für ihn der Platz, an dem es sich zu leben lohnte. Fünf Jahre später war dies nicht mehr der Fall – zumindest nicht für Rudolf Klutmann. Aufgrund angeblicher Mitarbeit an der »sozialistischen Presse« verlor er seine Dozentur an der Volkshochschule; seine Frau, die Blankeneser Geigerin Annemarie Klutmann, geborene Heß, hatte als »Halbjüdin« ab 1935 Berufs- und Auftrittsverbot. Im gleichen Jahr wurde auch Rudolf aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, da er sich weigerte, die Scheidung von Annemarie einzureichen – »Blankenese .. Freiheit am Strom«?
Annemarie und Rudolf Klutmann erlebten die turbulenten Anfangsjahre der Weimarer Republik in Blankenese so, wie sie heute in den Geschichtsbüchern beschrieben wird: Auf Revolution, Demokratisierung und Abwehr des Kapp-Putsch 1921 folgte die Währungsreform im November 1923 und eine Phase relativer Stabilität. Jahre, in denen Rudolf oben erwähnte Frage schrieb, in denen die Geburtsfehler der Republik aber nicht überwunden wurden. Dieser Abschnitt endete mit der Weltwirtschaftskrise, an deren Folgen die Republik zerbrach: Adolf Hitler wurde im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt; der Blankeneser Elektromeister Eduard Seeburg, Parteigenosse seit 1930, ein Jahr später zum Ratsherrn in Altona – das eine folgte auf das andere, während doch das andere das eine bedingte: Hitler gewann in Blankenese alle Wahlen seit 1930.
Informationen zum Buch finden Sie auf der Internetseite des KJM Buchverlags
Eine Zeitreise ins Blankenese des 20. Jahrhunderts ...
Fotos: © www.hamburg-bildarchiv.de