Die Stars der finnischen Krimiszene
Max Seeck und Arttu Tuominen über ihre Folgebände: »Feindesopfer« und »Was wir verbergen«
Der eine schreibt aus Prinzip nicht über Covid, der andere baut den Beginn der Pandemie in seinen vierten Roman ein, der gerade in Finnland erschienen ist. Der eine hat drei schulpflichtige Kinder, der andere zwei noch sehr kleine Sprösslinge. Der eine lebt in Pori, 250 Kilometer von der finnischen Hauptstadt entfernt, der andere in Helsinki. Der eine schreibt Kriminalromane, die sich sehr intensiv mit persönlichen Geheimnissen und Gefühlen seiner Figuren beschäftigen, der andere Thriller, die vor allem Themen streifen, die ein Spiegelbild der finnischen Gesellschaft sind. Viele Unterschiede, doch Arttu Tuominen, Jahrgang 1981, und Max Seeck, geboren 1985, haben auch viel gemein. Sie sind derzeit sozusagen die Stars der finnischen Krimiszene und begegnen einander mit höchster Achtung und freundschaftlichen Gefühlen.
„Ich gönne Arttu von Herzen, dass er Nummer eins auf der SPIEGEL-Bestsellerliste wird“, sagt Max Seeck, der übrigens in Helsinki die deutsche Schule besucht hat und fließend Deutsch spricht. Und sein Kollege bemerkt: „Max ist der Vorreiter des modernen finnischen Krimis. Ihm verdanken wir, dass das Genre inzwischen auch außerhalb unseres Landes Anerkennung gefunden hat.“ In der Tat sind es nicht länger nur die Schweden und Norweger, die für den skandinavischen Krimi stehen. Immer häufiger mischen sich die Namen finnischer Autoren darunter. Max Seeck sieht die Erklärung dafür weniger als persönlichen Verdienst, sondern vielmehr in der simplen Tatsache, dass „wir heute im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten gute Agenten haben, die für uns Autoren die Auslandsverträge abschließen. Es hat schon immer viele finnische Kriminalschriftsteller gegeben, doch leider blieben sie meist unübersetzt. Das hat sich glücklicherweise inzwischen geändert“.
Von Max Seeck liegt der dritte Band seiner Reihe um die Ermittlerin Jessica Niemi vor, die zuvor schon in „Hexenjäger“ und „Teufelsnetz“ recherchiert hat und dabei schwer traumatisiert wurde. Es scheint zunächst, als ob ihr Kollege Jusuf das Heft in die Hand nimmt, um den Mord an einem höchst unbeliebten Geschäftsmann namens Eliel Zetterberg aufzuklären. Ein rätselhafter Fall von Anfang an, da, als Hommage an die guten alten Agatha-Christie-Romane, das Verbrechen in einem verschlossenen Raum stattfindet. Dass Jusuf als Ermittler mit dunkler Haut zunächst stärker im Vordergrund steht, soll, so Seeck, untermauern, dass es noch immer auch in Finnland Rassismus gibt und Jusufs Figur deshalb eine Ausnahme bedeutet. „Wir haben auch bei uns im Land viele Emigranten, und Jusuf gehört zu einer Minderheit, die es nicht immer leicht hat.“
Aber Jessica spielt auch in diesem dritten Buch eine wichtige Rolle, und, wie Max Seeck sagt, verstärkt im vierten Band. Im Original lautet der Titel vom dritten Roman ins Deutsche übertragen „Groll“. Und um Zorn, lang unterdrückte Emotionen und um die Schatten der Vergangenheit geht es in dem Buch. Seeck hängt an seinen Charakteren, auch an denen, die, wie er sagt, auf „der dunklen Seite der Macht stehen“. Dass er neben den klassischen Krimi-Fragen nach dem Motiv eines Verbrechens und dem „Wer war’s“ stets soziale Themen wie unter anderem Außenseitertum und Mobbing und das Verhältnis der Gesellschaft zu mental beeinträchtigten Personen in seine Handlung einbringt, ist für ihn selbstverständlich. „Mich interessieren diese Themen, die längst universal sind, mehr noch als die Kriminalfälle.“
Arttu Tuominen meint von seinen Büchern, er entwickele im Vergleich zu Max seine Plots eher gemächlich. „Aber wer die Bücher von Max mag, der greift vielleicht auch gerne zu meinen. Wir sind sehr unterschiedlich, aber unsere Bücher spiegeln den Facettenreichtum des Genres wider und ergänzen sich.“ In seinem zweiten Roman aus der Reihe um das Team der Ermittler Linda und Jari, in Finnland schon vor zwei Jahren erschienen, steht wieder das Geheimnis eines der Polizisten aus der Gruppe im Mittelpunkt. Nach Jari ist es jetzt Henrik Oksman, der in den Fokus rückt. Der Titel „Was wir verbergen“ deutet an, dass auch Oksman ein Geheimnis hat, dass er nicht freiwillig preisgeben will. Doch als auf einen Nachtclub, Treffpunkt für Homosexuelle, ein Anschlag mit fünf Toten und zahlreichen Verletzten verübt wird, begangen von einem Fanatiker, der sich in einem Bekennervideo als „Abgesandter“ bezeichnet, übernimmt Oksmann von der Kripo in Pori die Ermittlungen. Oksman war kurz vor dem Anschlag auch in dem Club – wovon niemand etwas wissen darf. Zumal er dort in Frauenkleidern auftrat, wie in einem Video belegt ist. Und Oksman gerät auf die Liste der Verdächtigen. Er aber muss mögliche weitere Anschläge verhindern, eine gewaltige Herausforderung. Doch Jari und Linda unterstützen ihn.
„In jedem meiner auf sechs Bände angelegten Serie tritt ein jeweils anderer Ermittler aus dieser Gruppe in den Vordergrund. Aber das heißt nicht, dass die anderen Mitglieder des Teams nicht auch dabei sind“, sagt der Autor. Fünf Ermittler, fünf Bücher, und Band sechs, so Arttu, „bringt die Synopsis und Auflösung noch ungeklärter Geheimnisse“. In Finnland ist Band vier im August veröffentlicht worden. „Eines Tages, so hoffe ich, kann ich mich ganz auf das Schreiben konzentrieren und muss nicht Lücken in meinem Alltag für diese Beschäftigung finden.“ Vier Tage in der Woche arbeitet er als Umweltingenieur, am Freitag ist dann vor allem „Schreibtag“.
Wichtig ist für ihn besonders die Umgebung, in der seine Bücher spielen. Vor „Was wir verschweigen“ hatte er schon vier Bücher veröffentlicht, „bei einem kleinen Verlag, aber kein so großer Erfolg“, wie er ehrlich zugibt. Mit seinem fünften Roman, der in und um seine Heimatstadt Pori angesiedelt ist, kam dann der Durchbruch. Pori, eine alte Industriestadt, in der Tuominen aufgewachsen ist, kennt er in- und auswendig und könnte sich keinen anderen Schauplatz vorstellen. Und das scheinen seine Leser anzunehmen. Dennoch ist er jedes Mal, wenn ein neuer Roman kurz vor der Veröffentlichung steht, nervös. Auch bei seinem vierten Roman um die Fälle von Jari und Linda. „Eine Art Lampenfieber“ nennt er das.
Sein Kollege Max Seeck wirkt dagegen gelassener. Kritiker bezeichneten ihn schon als Meister des „Finnisch noir“. Er hat als Filmproduzent, Regisseur und Drehbuchautor gearbeitet. Mit seinem 2019 erschienenen ersten Roman um Jessica Niemi, „Hexenjäger“, der in 35 Länder verkauft wurde, gelang ihm der internationale Durchbruch. Hollywood sicherte sich die Rechte für eine zwölfteilige Serie. Die Dreharbeiten in Finnland mit einer amerikanischen Crew sollten noch in diesem Jahr beginnen. „In Hollywood mahlen die Mühlen langsam“, hat Max Seeck erkannt. Er selbst wird demnächst mit den Dreharbeiten zu einem seiner Bücher beginnen.
Auch Arttu Tuominen wartet, dass sein Buch WAS WIR VERSCHWEIGEN verfilmt wird. „Der Vertrag steht, die Praxis muss noch folgen.“ Genug Stoff für zahlreiche Mehrteiler bieten die Romane der beiden finnischen Autoren allemal. Dass Finnland viele spannende Schauplätze für die Umsetzung der oft sehr dunklen Dramen um Hass und Rache, Groll und Verrat, Gier und Neid bietet, hat auch schon die Serie „Bordertown“ bewiesen, die an der Grenze zu Russland entstand. Auch Pori und Umgebung und die sehr internationale Großstadt Helsinki eignen sich als Settings für die fesselnden Thriller von Arttu Tuominen und Max Seeck, die sich zwar in manchem unterscheiden, aber eines gemeinsam haben: Beide meistern ihr Genre und werden damit hoffentlich auch in den kommenden Jahren Finnlands Ruf als ernst zu nehmende „Krimi-Nation“ unterstützen.
Text: Margarete von Schwarzkopf