Text: Margarete von Schwarzkopf

Arttu Tuominen im Porträt

Pori ist eine alte Industrie- und Handelsstadt im Südwesten Finnlands am Fluss Kokemäenjoki. Rund 250 Kilometer von der Hauptstadt Helsinki entfernt, die genau auf der anderen Seite des Landes liegt. In Pori lebt Arttu Tuominen, von Haus aus Umweltingenieur, Vater von drei Kindern und begeisterter Fußballfan. Doch die wahre Leidenschaft des 40jährigen gehört dem Schreiben. In Finnland erschien von ihm schon eine vierteilige Krimireihe, die, so Arttu, „in einem sehr kleinen Verlag herauskam, ohne Chance, jemals international verlegt zu werden“.

„Es ist eine faszinierende Geschichte um Schuld, Sühne, Rache und Vergebung und um die Frage, was Freundschaft bedeutet.“


Doch schon während Arttu an seiner früheren Serie arbeitete, bewegte ihn eine Idee. „Drei Jahre habe ich an dem Ausgangspunkt für mein Buch ‚Was wir verschweigen‘ gefeilt. Und dann habe ich das Buch innerhalb von acht Wochen geschrieben, es wurde in Finnland von einem großen Verlag veröffentlicht und bekam den finnischen Krimipreis“. Dieser Roman ist der erste einer auf sechs Bände konzipierten Reihe. Arttu hat gerade in seiner Heimat den dritten Band herausgebracht. Was aber war die Grundidee zu WAS WIR VERSCHWEIGEN? „Mich fesselte der Gedanke über die Freundschaft zwischen zwei Jungen, die aus völlig unterschiedlichen Milieus stammen, der eine, Jari, hat ein schönes Zuhause, tolerante, freundliche Eltern, der andere, Antti, dagegen lebt in einem sozialen Ghetto mit einem alkoholsüchtigen Vater. Dennoch sind diese beiden Jungen eng befreundet, teilen sich Freud und Leid, schwören sich ewige Freundschaft, selbst wenn das Schicksal sie trennen sollte. Und genau das geschieht“.


Jari Paloviita geht zur Polizei, sein Jugendfreund Antti Mielonen dagegen versinkt in einem Morast aus Elend und Gewalt. Dreißig Jahre später treffen sie wieder aufeinander. Ein Mann wird bei einer Saufparty in einer Wochenendhütte erstochen, der Täter scheint eindeutig Antti zu sein. Und auf einmal wird die Vergangenheit wieder lebendig. Jari Paloviita muss sich den Dämonen seiner Jugend stellen. Und sich vor allem mit dem Opfer auseinandersetzen, das einst schon einmal eine Rolle im Leben der Freunde Jari und Antti gespielt hatte. Keine gute Rolle.


Es ist eine faszinierende Geschichte um Schuld, Sühne, Rache und Vergebung und um die Frage, was Freundschaft bedeutet und welche Werte und Wünsche die Zeit überdauern. Dass der Tote während eines Saufgelages erstochen wird, ist, wie Arttu, sagt, „in Finnland nichts Ungewöhnliches. Ein Großteil der bei uns begangenen Tötungsdelikte haben mit Alkohol und der damit verbundenen Gewalt zu tun. Das ist Polizeialltag. Aber ich wollte daraus eine etwas andere Geschichte machen. Der Fall scheint schnell gelöst, doch daraus entwickelt sich eine Lawine an Ereignissen, die alle Ermittlungen in Frage stellt“.

„Meine Romane sind sicher keine Werbung für den Tourismus. Zu viel Alltag, zu wenig Essen und Trinken“.

Ein dunkler Roman, der zudem auch noch zum größten Teil im November spielt, wenn die Tage bereits wieder kurz geworden sind. Jeder Autor, so sagt man, verarbeitet in seinen Werken eigene Erlebnisse. So auch Arttu. Einige der Erlebnisse der beiden Freunde basieren auf seiner Kindheit. Jari und sein Freund gehen zum Beispiel gerne fischen. „Da Pori am Wasser liegt, habe ich auch als Kind viel gefischt. Aber glücklicherweise sind die Dramen der beiden Jungen nicht autobiografisch. Doch ich kenne die Gegend um Pori, ich liebe diese Stadt und diesen Teil Finnlands, und deshalb spielen meine Bücher hier und ich versuche nicht, sie irgendwo anders anzusiedeln“. Ob er glaubt, dass durch seine Romane, ähnlich wie bei Autoren, die durch die Einbeziehung bestimmter Gegenden Europas als Krimischauplätze diese attraktiv für Touristen machen, auch in und um Pori plötzlich ein Touristenboom entstehen könnte? „Nein, das glaube ich nicht. Ich mache ja keine Idylle aus dieser Gegend. Pori ist eine Stadt mit rund 85 000 Einwohnern in einer schönen Gegend Finnlands, aber meine Romane sind sicher keine Werbung für den Tourismus. Zu viel Alltag, zu wenig Essen und Trinken“.


Das Ende von Büchern darf man bekanntlich nicht verraten, aber so viel sei gesagt: Es ist Arttu gelungen, eine überraschende Wendung einzubauen, die den Eigenschaften der im Mittelpunkt stehenden ambivalenten Charaktere gerecht wird. Dazu Arttu: „Ehrlich gesagt, bin ich persönlich sehr viel mehr an meinen Charakteren interessiert und an ihrer Entwicklung als an der Frage des ‚Who dunnit‘. Natürlich ist der Plot wichtig, aber das tragende Element bleiben für mich die Figuren. Und da habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass diese oft ihren eigenen Willen entwickeln und sich manches Mal nicht von mir gängeln lassen. Ich lasse das dann auch zu, selbst wenn ich damit Teile der Handlung verändern muss“.

„Jeder meiner Ermittler hat seine Geheimnisse, die in den Büchern aufgeschlüsselt werden.“


In jedem der sechs Bände spielt eine andere Figur die Hauptrolle. In WAS WIR VERSCHWEIGEN ist es Jari, im zweiten Band dann ein Ermittler namens Oksman, dessen Geheimnisse und dunkle Seiten thematisiert werden. „Jeder meiner Ermittler hat seine Geheimnisse, die in den Büchern aufgeschlüsselt werden. Im dritten Band wird das Linda sein, Oksmans Partnerin. Auch sie, die auf den ersten Blick eher harmlos wirkt, hat etwas zu verbergen“. Am Ende sollen, so Arttu, alle sechs Bücher zusammen wie ein einziges umfangreiches Werk wirken – ein „dickes Buch mit sechs Kapiteln. Dann kennt der Leser alle Zusammenhänge, die familiären Hintergründe, die dunklen und die hellen Seiten meiner Charaktere, ein breites Panorama mit vielen Aspekten“.


Arttu hofft, dass er eines Tages nur noch schreiben kann. Trotz seines Berufs arbeitet er jeden Tag sehr diszipliniert an seinen Büchern. Meistens abends, wenn seine drei Kinder, zehn, acht und sechs Jahre alt, zu Bett gegangen sind. „Ich schreibe jeden Tag 500 Wörter. Ganz konsequent, egal, was kommt. Wenn ich das nicht so eisern durchhalten würde, könnte ich mein Pensum nicht schaffen“. Der Druck ist natürlich inzwischen gewachsen, da er den wichtigsten finnischen Krimipreis gewonnen hat und sich und seine Leser nicht enttäuschen möchte. „Ich versuche deshalb immer neue Ideen und Tricks einzubauen und habe inzwischen ziemlich hohe Ansprüche an mich selbst. Schon als Kind habe ich Geschichten und Figuren erfunden. Umso schöner, dass dies jetzt ist Teil meines Lebens geworden ist“.
Obwohl er ernste und auch dunkle Themen nicht scheut, wird Arttu Tuominen über eines nicht schreiben: „Ich vermeide Covid-19. Das ist eine Thematik, die uns alle zu lange bedrückt und unterdrückt hat, obgleich wir in Pori recht gut davongekommen sind. Das Thema mögen andere Autoren in ihre Bücher einbauen. Ich habe genügend spannende Ideen, die meine Leserschaft unterhalten und nicht mit dieser Art Realität konfrontieren sollen“.