_"Gold zu Asche."_
Schon "Die Perfekten" hat mich überrascht und begeistert, doch mit "Die Vereinten" hat Caroline Brinkmann das Beste vieler bekannter Dystopien (ein bisschen von "Legend" von Marie Lu, ein wenig von den berühmten "Hunger Games" von Susanne Collins, ein Hauch von "Die rote Königin" von Victoria Aveyard und noch ganz viel Neues) vereint und gut ausgearbeitet und nachvollziehbar in einem mitreißenden, spannenden und gefühlsbetonten Epos auf den Punkt gebracht. Die Handlung verwirrt, verstört, verzaubert wie die großen Reihen der Dystopien - jedoch ohne diese kopieren zu wollen. Obwohl unsere Wirklichkeit (noch) nicht dem entspricht, was hier beschrieben wird, kann man sich doch zumindest vorstellen, dass wir uns irgendwann dorthin entwickeln könnten – und das ist eine unbehagliche Vorstellung, die genau das erfüllt, was ich mir von einer guten Dystopie erwarte: sie geht ins Herz, lässt die Hände zittern und das Hirn rattern.
_„Unwetter haben keine Angst.
Unwetter toben.
Unwetter stürmen.
Unwetter weichen nie zurück.“
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Schon im Cover sieht man, dass die Geschichte "erwachsen" geworden ist. Insgesamt ist das Cover sehr im Stil des ersten Teiles gehalten, wodurch die Zusammengehörigkeit der Dilogie sehr gut erkennbar wird. Anstatt in grellem Pink ist der Titel hier in strahlendem Grün gehalten, das zu den einnehmenden, gleichfarbigen Augen des Gesichts passt, welches das gesamte Cover ausfüllt. Während das Mädchen in Band 1 mit der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze aussah, als wolle sie sich verstecken und die strahlendgrünen Augen mit dem Titel die einzigen Farbklecke auf dem sonst grauen Hintergrund waren, sieht man hier die leuchtendroten Haare, die das Gesicht umspielen. Schon auf den ersten Blick wird hier also gezeigt: aus dem unscheinbaren, abgetauchten Mädchen Rain aus den Aschewolken von Greys nie erlöschenden Schornsteinen ist die strahlende Gesegnete und Prinzessin Rajana geworden, die jedoch genauso zu kämpfen hat, wie es Rain tun musste. Der Unterschied: sie kämpft jetzt nicht nur im Dunkeln für sich sondern muss im Licht der Öffentlichkeit für ihre Lieben und das gesamte Land Hope kämpfen, ohne sich dabei aus den Augen zu verlieren. In diesem Sinne finde ich die Gestaltung mehr als passend und zusammen mit dem farbig abgestimmten Lesebändchen ergibt sich eine stimmige Konstellation.
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Erster Satz: „Du wirst deinen Job lieben“, hatten sie gesagt."
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Mit diesem Satz beginnt der erste von vier Teilen, in die die Geschichte geteilt ist: "Die Verlorenen" ist der erste Abschnitt betitelt und führt uns ganz diesem Titel folgend zurück nach Hope, wo alle Beteiligten ihre Wunden lecken, Verstorbene betrauern und doch gleichzeitig wissen, dass die Rebellion noch lange nicht vorbei ist. Während Rain noch um ihre Mutter Storm und ihre Freundin Andromeda trauert und den Verlust ihres Zirkels, den Verlust ihrer Heimat Grey hinnehmen muss, der von BoomBots in Schutt und Asche gelegt wurde, zieht ihr Vater Tiberius schon die nächsten Fäden einer Intrige, die ihn, den mächtigen Protektor, auf den Thron von Hope bringen soll. Vom Ghost zur Gesegneten geworden verkörpert sie eine unmögliche Hoffnung, die sie zur wertvollen Verbündeten werden lässt. Doch wem kann sie in diesem eiskalten, kalkulierenden Käfig aus Macht vertrauen? Ihrem machthungrigen Vater Tiberius, dem attraktiven Cassian, der sie mit neuen Geheimnissen über den vergessenen Krieg lockt und was ist mit Lark, dem sie trotz seines Verrats ihr Herz geschenkt hat?
Denn nicht nur Rain gerät wieder unter die Räder des Kampfes um Macht und Ansehen, auch Lark wird zunehmend ein Spielball zwischen Rebellion und Machterhaltung des Regimes, zwischen skrupellosen, verzweifelten Rebellen und mächtigen, eiskalten Gesegneten. Nachdem er sowohl die Spines als auch die Sentinal im letzten Kampf verraten hat, ist er für beide Seiten vor allem eines: der Verräter. Von Schuld und Trauer zerfressen will er nichts mehr als endlich Frieden und einen sicheren Platz für ihn, seine geliebte Schwester Rose und seine Familie. Doch solange Rose als kranke Drei vom Schutz und Wohlwollen der gesegneten abhängig ist, ist Lark verletzlich und der Willkür ausgeliefert.
Doch während sich sowohl Lark als auch Rain wieder in das gefährliche Spiel um ein Land am Rand der Rebellion begeben, taucht außerhalb der Mauer eine neue Gefahr auf, mit der keiner gerechnet hat - eine lang ignorierte Bedrohung aus der Zeit des vergessenen Krieges…
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"Ihr wartet nicht länger darauf, dass sich jemand aus der goldenen Stadt um euch kümmert und euch rettet. Niemand wird kommen, und nichts wird sich ändern. Außer wir ändern es. Heute legen wir die Dornen an und kämpfen. Denn heute ist der Tag der Spines. Der Tag der Rebellion." (…) "Sie wollen kämpfen?", flüsterte Cassian. "Das wird ein Massaker. Sie werden es niemals schaffen."
"Das ist kein Kampf", flüsterte Rain vor Panik wie erstarrt, als sie verstand.
"Das ist ein Selbstmordkommando."
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Sehr gerne habe ich mich wieder in die Irrungen und Wirrungen Hopes ziehen lassen, auch wenn ich zugeben muss, zu Beginn sehr schlecht in die Geschichte reingekommen zu sein. Zu viele Personen, mit zu vielen Motiven, Hintergründen, Intrigen und Geheimnissen warten darauf, dass man sich ihrer annimmt, sich an sie erinnert und sich mit ihnen in das nächste Abenteuer stürzt. Aufgrund der Komplexität des ersten Teils, der immerhin schon ein Jahr zurücklag, musste ich erst nochmal in diesen hineinlesen, bevor ich mich dieser Geschichte widmen konnte. Neben der sehr hilfreichen Übersicht über die Stadtzirkel des Landes Hope hätte mir hier eine kurze Personenübersicht (gerade über die verschiedenen Gesegneten mit all ihren exotischen Namen und Positionen) sehr geholfen!
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"Wie mutig bist du, Sonnenschein?"
"So mutig wie das Herz rät und die Klugheit erlaubt", antwortete Rain. Das hatte Storm zum Thema Mut gesagt.
"Und was raten dir Herz und Verstand?", fragte Cassian und drehte sich zu ihr um. In seinen dunkelbraunen Augen leuchtete die Lust nach Abenteuer und sie spürte, wie die Flamme übersprang.
"Willst du wissen, was hinter der Mauer ist?"
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Als ich es geschafft hatte, mich in dem Wirrwarr aus Intrigen und Namen zurecht zu finden, konnte ich mich ganz auf die Geschichte einlassen und bin wieder sehr gerne in die ungerechte Welt eingestiegen, in der die Menschen nach der Qualität ihrer Gene ihren Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekommen. Nachdem wir in Band 1 vor allem ausführlich die Welt der unteren Genklassen, den Zweien und Dreien, denen der Zugang zu genug Nahrung, sauberem Trinkwasser, Medikamenten und Bildung versperrt bleibt, erfahren haben, widmen wir uns hier erstmal den Gesegneten, den perfekten Herrschern Aventins. Die goldene Hauptstadt, in der die Reichen, Schönen und Privilegierten wohnen und von dort aus regieren erinnerte mich schon im ersten Teil an das "Kapitol" aus "Die Tribute von Panem". Auch die verschiedenen Zirkel, die jeweils für einen bestimmten Bereich zuständig sind und dementsprechend benannt wurden, sind den "Distrikten" sehr ähnlich. Neben der goldene Hauptstadt der Gesegneten und Begabten, den landwirtschaftlich geprägten Gebieten wie Green oder Azure, dem reichen Kultursektor Ruby, dem Techniksektor Silver, den Minenzirkeln Pitch, dem Wissenschaftszentrum White Pearl und dem Ausbildungsort der Sentinal Black Shell, blicken wir hier jedoch auch über den Tellerrand von Hope hinaus auf eine neue Spezies, die sich "die Vereinten" nennt. Doch was sind sie wirklich: Bedrohung, Verbündete, Nachbarn, Feind oder Freund?
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"Wir kommen.
Wir helfen.
Wir sind eins.
Nein, dachte Lark. Ich bin Lark.
Du bist wir.
Wir sind du
Ich bin ich. Lark schüttelte den Kopf.
Noch... sagten die Stimmen."
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Die Idee mit der Unterteilung nach Genen, also das Anstreben einer Welt, in der Zweien und Dreien ausgestorben und alle ein perfektes Genmaterial vorzuweisen haben, hat mich in Band 1 schon fasziniert. Denn diese Idee ist evolutionsbiologisch eigentlich sinnvoll und auch gut erklärt, bietet aber vor allem Stoff für viele Diskussionen. Wie kann man Gene nach Qualität unterscheiden? Kann man so etwas wie die chemische Basenfolge der DNA als Grund dafür nennen, dass wunderschöne, gesunde, starke und intelligente Supermenschen das Land regieren, gottgleich verehrt werden und im Luxus leben, während die Arbeiter in den ärmeren Zirkeln sich die Lunge verätzen, weil in den Fabriken keine Filteranlagen installiert sind? Und ist der gesamte Genpool der Menschheit, die Ausrottung von Krankheiten und der Aufbau einer stabilen, friedlichen Welt nur zu schaffen, in dem "minderwertige Menschen" durch Geringschätzung aussortiert werden, indem sie früher sterben und sie sich nicht fortpflanzen dürfen?
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"Kennst du den Geist,
der sich nachts umhertreibt?
Er singt mit dem Regen,
wild und verwegen.
Er trommelt den Takt,
den Takt, den die Freiheit,
nur für ihn bereit hat."
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Die Entdeckung, dass die Gesegneten selbst sich nicht fortpflanzen können und dass auch ihre ursprüngliche Entstehung im vergessenen Krieg einen ganz anderen Hintergrund hatte, als der Bevölkerung weiß gemacht werden sollte, setzt dieses Denken einer neuen Zerreißprobe aus. Obwohl Grey, der kleine Fabrikzirkel, der wie der Name schon verrät grau, trist und trostlos ist und mit der vom Smog der Maschinen verseuchten Luft, der Asche auf den Straßen, der hungernden Bevölkerung und den vielen krankheitsverbreitenden Werratten keineswegs ein schöner Ort zum Verweilen und deshalb die Brutstädte des Widerstandes der Spines war, zerstört wurde, sind die Dornen der Rebellion keineswegs bekämpft. Die heftigen Unterschiede in der Bevölkerung waren nicht nur auf Grey beschränkt; die Unzufriedenheit und der Unmut über die Regierung treiben Menschen aller Bevölkerungsschichten und aller Zirkel in die Arme der Rebellen. Doch dass die Spines, die sich die "Wilden, Freien, Echten und Gerechten" nennen und endlich mehr Gerechtigkeit von der Herrschern aus Aventin fordern, vor nichts zurückschrecken um ihre Ziele zu erreichen und in ihrer Zerstörungswut selbst Angst, Schrecken, Tod und Ungerechtigkeiten verbreiten, war schon nach der Bombe aus Band 1 klar. Doch wie viele Dornen selbst in Aventin schon gewachsen sind, wird erst klar, als die blutige Revolution schon durch die Straßen zieht...
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"Es ist zu spät. Wir befinden uns bereits in einem Krieg, den wir nicht stoppen können. Der Krieg zwischen Sicherheit und Chaos. Der Krieg zwischen Dornen und Genen. (…) Alles, wofür Hope einst stand, alle Visionen von einer friedvollen Zukunft sind zerstoben wie Sand im Wind. Die Dornen werden täglich mehr. Wir haben ihnen den Kopf abgeschlagen, aber die Blume ist nicht verwelkt, sondern wuchert wie Unkraut und überzieht das Land. Es gilt, Macht zu demonstrieren, und das tut man nicht mit Worten. Nicht mehr. Denn wenn die Feuer einmal brennen, kann man sie nicht mehr löschen."
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In diesem Roman werden alle schon aufgebauten Ränke der Welt weiterverwendet, gestärkt und mit neuen Details unterfüttert. Das ist eine große Stärke des Werks, denn anders als in anderen Dystopien befindet sich alles in ständiger Dynamik und Weiterentwicklung und wird nicht nach einer kurzen Aufbauphase als statische Kulisse für viel Handlung genutzt. Der Roman streckt seine Fühler gleichzeitig tiefer in die Gefühlswelt der Charaktere, weiter zurück in die Vergangenheit Hopes, hin zum vergessenen Krieg und der Rolle der Vereinten, weiter hinter die Grenzen von Hope in das Land der Verdammten, tiefer in das kollektive Bewusstsein der Vereinten und verzwickter in die kranke Intrigenwelt der goldenen Hauptstadt der Gesegneten Aventin. Dabei kann man viele Verbindungen zur heutigen Zeit und den erhobenen Zeigefinger in vielerlei Hinsicht klar sehen: die Angst vor Einwanderung Fremder, die Kategorisierung von Menschen, die Ausbeutung des Planeten, zunehmender Erfolg von Populismus und einfachen Lösungen, die Radikalisierung und zunehmende Salonfähigkeit von rassistischen und rechten Ansichten, überfüllte Flüchtlingscamps, der Zwang der "niederen Gene" ihren Status erkennbar unter dem Haaransatz zu tragen, das Berufen der Elite auf die eigene Überlegenheit und das Ausblenden des Leids der anderen, wenn es nur weit genug entfernt ist. Na, klingelt es da? Bei mir hat es auf jeden Fall geklingelt und mit diesem bitteren Beigeschmack der Wahrheit dieser Dystopie ist das Ganze noch schmerzlicher zu lesen.
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"Das tut mir Leid, Lark." Die Wut in Wren hatte sich gelegt. "Deswegen sind wir hier." Sie nickte, als würde sie ihn verstehen. "Wir rächen uns bei den Gesegneten für das, was sie uns angetan haben. Wir sind die Wilden. Die Freien. Die Echten. Die Gerechten."
Doch Lark wusste, sie hatte ihn nicht verstanden. Möglicherweise würde sie es auch nie verstehen. Das Böse kannte keine Seiten. Ebenso wenig wie der Tod."
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Der Mittelpunkt dieser düsteren Geschichte voll Hoffnung, Andersartigkeit, Ungerechtigkeit und einem Kampf um die Freiheit bilden jedoch die Charaktere. Wieder wird hier die personale Erzählperspektive gewählt, wodurch wir Einblick in mehrere Sichtweisen erhalten. Dabei kommen neue Protagonisten wie zum Beispiel die Rebellen Wren und Moth, der abenteuerlustige Gesegnete Cassian, der eingebildete Cabman Eros oder die beiden Soldaten Mur und Cem, während wir uns von anderen leider verabschieden müssen.
Klar im Fokus stehen hier jedoch wieder Lark und Rain, die hier wieder einiges durchmachen müssen und darüber lernen, was Stärke wirklich bedeutet, wie schwer es ist, das Richtige zu tun und dass es manchmal das Schwierigste auf der Welt ist, sich selbst treu zu bleiben. Doch bevor sie das erkennen tun sie vor allem eines: leiden. Schön ist, dass hier zwar tiefe Gefühle zwischen den beiden anklingen, es hier aber keine breitgetretene Liebesgeschichte gibt, die irgendwie im Vordergrund steht. Die beiden Protagonisten verbindet zwar etwas, das stärker ist als Freundschaft und das können wir auch wunderbar nachfühlen, doch wir bleiben von dem berühmten Gesülze verschont.
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"Der Regen hatte nachgelassen, dafür kämpfte der Sturm noch heftiger. "Hörst du nicht?", brüllte Rose gegen das Toben an. "Er ruft nach ihr" (…) "Sie sollte nicht eingesperrt sein", stimmte Rain ihr zu und tief im Inneren spürte sie, dass es das Richtige war, loszulassen. Vorsichtig öffnete sie die Urne und hob sie durch das Blätterdach. Die Asche wurde aus dem Gefäß gezogen und stob ich die Luft. Rain sah zu, wie die schwarzen Körner vom Wind empfangen und weggerissen wurden. Eine kleine graue Wolke, die um die Weide tanzte. Höher, dann wieder tiefer und sich schließlich aufteilte und in alle Richtungen davongetragen wurde. Sie spürte Roses Hand, die nach ihrer griff und sie festhielt. "
Er trägt Storms Seele um die Welt. Wohin sie will. Spürst du es?"
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Rain ist eine starke Protagonistin, die für uns in überspitztem Maße das durchlebt, was wir alle irgendwann durchmachen: Gefangen zwischen den beiden Polen von dem gesetzlosen Ghost Rain und der gesegneten Prinzessin Rajana muss sie sich entscheiden, wer sie sein will und wer sie sein kann. Tief im Herzen schlummert die tiefe Trauer um ihre Mutter Storm und ein Hass auf die Spines und das System, doch um des Friedens willen kann sie dem nicht nachgeben, auch wenn es ihr schwer fällt. Denn trotz ihrer Unsicherheit, ihrer Trauer und ihrer Identitätskrise ist sie jedoch vor allem eines: eine Kämpferin, die für ihre Prinzipien einsteht und versucht, das Richtige zu tun. Durch ihre ehrliche und aufrichtige Art wurde ich sehr berührt und habe diese Frau, die im Herzen ein Unwetter ist, sich nach außen hin jedoch der Verantwortung einer Prinzessin stellen muss, fest ins Herz geschlossen.
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"Ich vermisse dich so sehr, Mom.
ei stark mein Herz, hörte sie Storms Stimme in ihrem Kopf. Egal wo du bist, bin auch ich. Wir sind eins. Sturm und Regen. Ein unbezwingbares Unwetter."
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Lark leidet unter seiner Herabstufung auf eine F3 nach dem er durch die Folter Bolts seine Beine nicht mehr benutzen kann. Als Vertrauter Rains wurde ihm und seiner Familie zwar eine Wohnstatt außerhalb der giftigen Dämpfen Greys zugewiesen, um die gesundheitliche Versorgung für seine kleine Schwester Rose - eine kranke G3 - zu gewährleisten, ist er wieder gezwungen, die zu verraten die er liebt und gegen alles zu handeln, was er selbst denkt. Nicht zuletzt wieder gegen die junge Frau, die so anders als alle anderen ist und mit der er abgemacht hat, dass sie aufeinander aufpassen - Rain. Wir können hier wieder in sein Denken und Handeln einsteigen und verstehen, wie sehr er von seiner Vergangenheit und der Dunkelheit Greys geprägt wurde und sich als Familienmensch um seine kranke Schwester kümmert, die er über alles liebt, auch wenn er für sie auf dunkle Deals eingehen muss. Er ist motiviert, stark und bereit, alles für die zu tun, die er liebt: Koste es, was es wolle. Und dafür hat auch er einen Platz in meinem Herzen.
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"Ich war so dumm und naiv... Ich habe so viel falsch gemacht." Ja, er hatte sich verändert. Aber dumm und naiv hatte sie ihn nicht in Erinnerung. In ihrem Herzen trug sie das Bild eine mutigen Jungen, der für seine Schwester alles tun würde. Die Welt war im stetigen Wandel und die verschiedenen Seiten so verwirrend, dass man schnell den Überblick verlor. Er aber kämpfte für die, die er liebte. Das war nicht kompliziert, nicht verlogen und nicht naiv. Es war das einzig Richtige!"
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Neben beiden Hauptprotagonisten bezaubern uns noch eine ganze Reihe super gezeichneter Nebencharaktere, die alle einen schönen Teil der Geschichte einnehmen. Mein Liebling ist mit Abstand Rose, die kleine, süße Schwester von Lark. Mit ihrer herzlichen, leicht schrägen und unschlagbar positiven Art ist sie einfach liebenswert. Obwohl sie es nicht leicht hat, lässt sie den Kopf nicht hängen und ihre übersprudelnde Fantasie zauberte mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht. Auch Pi, Rains kleine Fuchsmanguste, ist mir sehr ans Herz gewachsen, genau wie Rains chaotischer Party-Bruder Morpheus, der sich lieber in Exzesse stürzt, als sich mit seinen Problemen zu beschäftigen. Sie alle vervollkommnen das tiefgründige, komplexe Bild eines gespaltenen, verunsicherten Landes in einer Krise, die uns gar nicht so weit entfernt scheint.
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"Immerhin haben wir uns noch", flüsterte Rain und kraulte die Manguste hinter den Ohren. Dank Cassiopaio fühlte sie sich gleich ein bisschen weniger einsam. Silk folgte und versuchte ebenfalls Rains Aufmerksamkeit zu erhaschen. Das Knurren der Fuchsmanguste ignorierend legte sich der Hase neben ihre Beine und presste seinen warmen Körper an ihren Oberschenkel. Ob das Seidenhäschen Daphne vermisste? "Rarrrr."
"Lass ihn, Pi. Er ist wie wir... Einer der übrig geblieben ist."
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Einmal angelaufen scheint die Handlung schier loszurennen, als könne sie es gar nicht mehr erwarten, endlich bei einem glücklichen Ende angelangt zu sein. Zu diesem Eindruck trägt auch der sehr lebhafte Schreibstil seinen Teil bei. Wie bei vielen Jugendbüchern ist er recht schlicht gehalten, schafft es jedoch immer auf erstaunliche Art, Szenen zu raffen und immer wieder um 180 Grad zu drehen, sodass man sich nie zurücklehnen kann und es nie langweilig wird. Ganz besonders schätze ich die Art und Weise, wie Caroline Brinkmann es immer wieder schafft, mit ein paar Worten genau das auszudrücken, was man schon immer gedacht hat, es aber nie passend artikulieren konnte. So bin ich über eine krasse Vielzahl an zitierungswürdigen Passagen gestoßen, wie ihr vielleicht auch an der mit Zitaten überschwemmten Rezi erkennen könnt ;-)
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"Wir sind die Wilden, die sich gegen die festgefahrene Gesellschaft auflehnen. Wir sind die Freien, die sich gegen die Unterdrückung durch die falschen Menschen wehren. Wir sind die Echten, die Lügen entlarven. Wir sind die Gerechten, die dem Unrecht entgegentreten."
Er trug schlichte Kleidung, und über seinen Schultern lag ein Banner der Rebellion.
"Wild. Frei. Echt. Gerecht.", schallte es aus dem Publikum."
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Das Netz um Rain und Lark zieht sich im Laufe der Handlung immer weiter zu, die Spannung steigt konstant an und die Handlung gipfelt auf ein Finale zu, als Hope in einem inneren und äußeren Kampf entzweit da liegt und ein glückliches Ende denkbar weit entfernt scheint. Mit einer Menge krasser Wendungen und Enthüllungen steigen wir in den letzten Kampf ein, der mich sprachlos, wütend und hilflos machte, so sehr fieberte ich mit. Es war spannend, aufwühlend und nervenzerreißend und ich konnte kaum atmen - man weiß nicht, was als Nächstes geschieht, es ist absolut nicht vorhersehbar. Dann kommt das Ende und es ist so bittersüß, dass man gleichzeitig hasst und liebt. Es ist offen und abgeschlossen zugleich, irgendwie verständlich und doch skurril, traurig aber doch erlösend. Allgemein das einzig stimmige Ende für diese berührende, wahrhaftige, intelligente Science-Fiction-Geschichte, die so fesselnd war wie kaum eine andere Dystopie zuvor!
*
Fazit:*
Dieses Finale vertieft die Problematik des ersten Teiles noch und bringt alles auf berührende, wahrhaftige und intelligente Weise auf die Spitze: Liebe, Opfer, Leid, Freude, die Suche nach der eigenen Rolle, Trauer, Bewältigung, Krieg, Verantwortung, Verlust, Vertrauen, Freundschaft und die Entscheidung, für das Richtige zu kämpfen.
Eine düstere Geschichte voll Hoffnung, Andersartigkeit, Ungerechtigkeit und einem Kampf um Freiheit, die das komplexe Bild eines gespaltenen, verunsicherten Landes in einer Krise illustriert, die uns gar nicht so weit entfernt scheint.
Diese Rezension stammt aus unserer Community Lesejury,
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