Herr Pilz, wie ist die Idee zu Ihrem Roman entstanden?Es war nach einem Abend bei guten Freunden. Wir hatten viel über unsere Familien, unsere Eltern gesprochen. Eltern, die krank werden, die vielleicht auch schon gestorben waren. Und wir haben uns gefragt, wie wir leben wollen, wenn wir alt sind. A...
Herr Pilz, wie ist die Idee zu Ihrem Roman entstanden?
Es war nach einem Abend bei guten Freunden. Wir hatten viel über unsere Familien, unsere Eltern gesprochen. Eltern, die krank werden, die vielleicht auch schon gestorben waren. Und wir haben uns gefragt, wie wir leben wollen, wenn wir alt sind. Allein, zu zweit, mit anderen? Das waren die Ausgangsfragen, die mich dann durch die kommenden Tage und Wochen begleiteten. Und die dann immer weitere Kreise zogen.
Warum ein Buch mit starken Frauen im Mittelpunkt?
Wie will man leben? Was will man noch erleben, machen, entdecken, wenn man jenseits der 60, der 70 ist? Was ist möglich, was vielleicht weniger? Als sich diese Gedanken zu einer Geschichte formten, war mir sofort klar, dass ich sie über Frauen erzählen wollte. In meinem privaten Umfeld, aber auch, was ich bei Freunden beobachten konnte, waren es vor allem Frauen, die interessierter, agiler, abenteuerlustiger auf Neues waren. Plötzlich viele Dinge umkrempelten, reisten, anfingen zu studieren, sich engagierten. Trotz oder vielleicht sogar wegen eines gewissen Alters. Männer erschienen mir dagegen grauer, müder, vielleicht auch einfach nur zufriedener mit dem, was sie hatten, was bereits da war. Da fehlte weniger. Wie gesagt, das war nicht das Ergebnis einer großen, soziologischen Studie, sondern reine Privatempirie.
Sie haben Ihren Roman Ihrer „Mutter, Brigitte, Käte, Gerlinde, Eleonore, Marianne, Barbara, Heike und all den anderen“ gewidmet. Haben diese Personen Sie zu Charlotte, Gesine, Sabine und Bente inspiriert?
Nein, eigentlich nicht. Vielleicht unbewusst. Aber es ist nicht so, dass ich bestimmten realen Personen die Figuren in meinem Roman zuordnen könnte. Vieles hat sich erst beim Schreiben selbst ergeben, bestimmte Eigenschaften, Vorlieben, Sehnsüchte. Das war ein spannender Prozess.
Ihre Protagonistinnen sind alle über 60 und haben in ihren Leben Erfahrungen mit Krankheit und Tod gemacht. Wie haben Sie es geschafft, dass nicht der wehmutige Blick zurück auf bessere Zeiten in Ihrem Buch überwiegt, sondern der mutige Blick nach vorn?
Natürlich schleppt man immer sein ganzes Leben mit sich herum. Und je älter man wird, desto schwerer wird das Gepäck an Enttäuschungen, Verletzungen, Schicksalsschlägen. All das verdichtet sich immer mehr. So ergeht es auch den Figuren in dem Roman. Ich wollte aber, dass all der Ballast, all die Erfahrungen nicht den Blick auf das Neue, Unbekannte verstellen, es vielleicht sogar unmöglich machen. Der Aufbruch, der Mut, etwas Anderes zu wagen, sich selbst seinem Leben zu stellen – ich war mir von Anfang an sicher, Charlotte, Gesine, Bente und Sabine sollten dafür belohnt werden.
Eine zentrale Beziehung im Buch ist die zwischen den Schwestern Charlotte und Gesine. Wie würden Sie deren Verhältnis beschreiben?
Das Verhältnis zwischen Geschwistern ist immer etwas Besonderes. Anders als bei Freunden – seine Geschwister sucht man sich nicht aus. Die sind da, ob man nun will oder nicht. Und man glaubt, nach all den Jahren, den Anderen, die Andere gut zu kennen.
So ist das auch bei Charlotte und ihrer sechs Jahre jüngeren Schwester Gesine. Charlotte, die Vernünftige, die von Gesine immer etwas auf Distanz gehalten wird, ohne genau zu wissen, warum. Im Laufe des Romans ändert sich deren Verhältnis dann auf dramatische Weise und eröffnet erst dadurch die Möglichkeit, die Andere neu zu betrachten und sich ihr auf ganz andere Weise als bislang anzunähern.
Charlotte, Gesine, Sabine und Bente sind sehr unterschiedlich. Vernünftig, exzentrisch, Hausfrau, Künstlerin, Mutter, kinderlos – welche Figur ist Ihnen im Laufe des Schreibprozesses am meisten ans Herz gewachsen?
Tatsächlich sind mir alle vier Frauen beim Schreiben mehr und mehr ans Herz gewachsen. Schon allein deswegen, weil ich immer mehr über sie erfahren habe. Und so setzte sich langsam ein Bild zusammen. Ein Bild, mit einigen Kratzern versehen und nicht immer zum eigenen Vorteil ausgeleuchtet. Aber dafür ein ganzes Bild. Zum Beispiel Charlotte: Mit Anfang 70 muss sie feststellen, dass sie ihr eigenes Leben noch einmal ganz neu denken – und leben muss. Sie macht sich dann langsam auf, freut sich auch über diese neuen, aufregenden „Gehversuche“ – und wird gleichzeitig hart gegen das, was ihr altes Leben ausmachte: das Haus, ihre Schwester, ihre Kinder. Es ist ein wenig wie in Joni Mitchells Song „Both Sides now“: „Well, something`s lost, but something`s gained, in living every day.”
Während die vier Frauen beim Schreiben immer präsent waren, hat sich im zweiten Teil des Romans eine Figur langsam danebengestellt. Immer im Hintergrund, leise und doch mit seinem wachen Herzen präsent: Troels, der jüngere Bruder von Bente. Erst beim wiederholten Lesen habe ich festgestellt, wie gern ich diese Figur mag.
Im Laufe des Lebens machen alle Fehler – auch die vier Frauen in Ihrem Roman. Was ist schwieriger? Sich selbst oder anderen zu verzeihen?
Ganz klar: sich selbst. Ich glaube, bei anderen ist man immer nachsichtiger, kann Fehler der Anderen eher verzeihen. Die eigenen schleppt man mit durchs ganze Leben, ärgert sich über sie, verzweifelt vielleicht. Sich selbst verzeihen zu können, will gelernt sein.
Der Großteil Ihres Romans spielt in Hamburg, in der Stadt Ihres eigenen Lebensmittelpunkts, ein weiterer Teil in Dänemark. Was verbindet Sie mit unserem Nachbarland?
In den 1970er-Jahren verbrachten wir regelmäßig unseren Sommerurlaub an der jütländischen Westküste, mit Pølser, Softeis und unendlich scheinenden Sandstränden. Die pure Idylle. Und auch wenn sich mein Blick im Laufe der Jahre etwas entromantisiert hat, bestimmte Dinge trage ich immer in meinem Herzen: das Licht in Skagen, dort, wo Nord- und Ostsee zusammenfließen, die laute Entspanntheit in den Bars von Kopenhagen, den Sonnenuntergang an der Westküste Bornholms und das Strandbad in Klampenborg, das auch in dem Roman vorkommt. Pølser und Softeis esse ich übrigens immer noch gerne.
Gibt es noch weitere Geschichten, die Sie erzählen möchten? Schreiben Sie bereits an einem weiteren Buch?
Ich arbeite an einigen Ideen, aber noch ist das, wie eine Freundin gern sagt, nothing to write home about.
Pressestimmen
Für Sie, 07.06.2023