Ken Follet ist einer der großen Autoren unserer Zeit und ich oute mich ganz offen als Fan seiner Werke. Mit der Jahrhundertsaga (Sturz der Titanen, Winter der Welt, Kinder der Freiheit) hat er ein beeindruckendes ...
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Ken Follet ist einer der großen Autoren unserer Zeit und ich oute mich ganz offen als Fan seiner Werke. Mit der Jahrhundertsaga (Sturz der Titanen, Winter der Welt, Kinder der Freiheit) hat er ein beeindruckendes Werk geschaffen, das praktisch alle relevanten Ereignisse der (westlichen) Welt des 20. Jahrhunderts durch persönliche Geschichten erlebbar macht.
„Never“ steht hier in einem klaren Zusammenhang - ohne Zeitangabe spielt es in einer (nahen) Zukunft, stilistisch klar an die Jahrhundertsaga angelehnt und als Fortsetzung zu verstehen. Im Vorwort nimmt der Autor Bezug auf „Sturz der Titanen“ und seine Recherchen zum Ausbruch des ersten Weltkriegs. Ein Krieg, den eigentlich niemand wollte, und der durch eine Verkettung von Ereignissen unvermeidlich wurde. Wer sich mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat, kommt unweigerlich zur Frage, ob sich dies wiederholen kann. Follet greift diesen Gedanken auf und skizziert auf fast 900 Seiten, wie wenige Schritte notwendig sind, bis die Welt am Rande eines Atomkriegs steht - kann er verhindert werden?
Wie in seinen Werken üblich, erzählt Follet zunächst unabhängige Handlungsstränge unterschiedlicher Protagonisten - wobei in „Never“ einige Verbindungen schnell sehr eng werden, bevor am Ende alles zusammenläuft. Starke Frauen stehen dabei wie in seinen früheren Büchern im Mittelpunkt, dazu hat das Buch einen starken Geheimdienst-Fokus: Die US-Präsidentin Pauline Green, die CIA-Agentin Tamara Levit, die Witwe Kiah aus dem Tschad. Dazu kommen der CIA- Agent Abdul John Haddad sowie der chinesische Vizeminister Chang Kai.
Follet gelingt es in seiner unnachahmlichen Art, eine persönliche Beziehung zwischen seinen Figuren und dem Publikum aufzubauen. Sein Erzählstil macht es schwer, das Buch aus der Hand zu legen - es ergeben sich keine Längen und auch „Never“ wird seinem Anspruch gerecht, dass ein guter Roman 50 dramatische Szenen enthalten müsse (nein, ich habe nicht nachgezählt).
Dabei werden die drängenden Fragen unserer Zeit angesprochen: Der Klimawandel und die sich daraus ergebende Migration, Terrorismus, Menschen- und Drogenhandel, der Kampf zwischen Demokratie und autoritären Regimes. Es wird deutlich, dass es keine einfachen Lösungen für die komplexen Fragestellungen geben kann - und dass es keine einzelne Heldin gibt, die im Alleingang die Welt rettet.
Im Gegensatz zu den Kingsbridge-Romanen, der Jahrhundertsage oder seinen anderen Spionage-Thrillern existiert in „Never“ kein historischer Kontext, der Follet-typisch akkurat abgebildet werden müsste, dennoch merkt man auch diesem Roman die akribische Recherchearbeit von Follets Team an. Handwerklich und stilistisch spielt Follet in der Champions League.
Kritisch kann man anmerken, dass Follet ein klassisch europäisch-amerikanisches Weltbild wiedergibt: Die amerikanische Präsidentin (natürlich eine Frau), die sich um ihre Familie, ihr Volk und die Welt (in dieser Reihenfolge) sorgt, steht den chinesischen Parteikadern gegenüber, denen Ideologie (Kommunismus, Partei, Ehre) über alles geht. Dazu europäische Geheimdienste, die Terroristen in Afrika bekämpfen. Zwar gelingt es ihm, auch Zwischentöne einzubauen - aber das grobe, holzschnittartige Weltbild, das in Gut und Böse unterteilt, bleibt sichtbar.
Nichtsdestotrotz ein Buch, das man gelesen haben sollte. Es ist spannend und beklemmend - und spätestens nach dem Angriff von Putin auf die Ukraine absolut aktuell und konkret.
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