Veröffentlicht am 25.09.2024
Ein Herzensbund <3
BAD BOY X GOOD GIRL
Von außen betrachtet scheint die Geschichte um Sadia und Ibrahim stereotyp zu sein. Sie, das brave Mädchen mit dem Jurastudium; Er, der Typ mit dem Haifischlächeln und einem Drang nach Provokation. Ibrahim ist eine wandelnde Herausforderung an die ganze Welt; Sadia ist die warme Umarmung in einer kalten Regennacht. Ibrahim treibt etwas ziellos durch seine Existenz, weiß nicht wohin mit sich, will nicht enttäuschen. Sadia ist pflichtbewusst, aber am liebsten in der Küche kreativ, wo sie beängstigend große Messer schwingt und im Kochen ihre Gefühle verarbeitet. Sie kommen aus zwei so unterschiedlichen Ecken des junge-Erwachsenen-Spektrums und finden doch so vieles, was sie verbindet.
Like words on our skin ist der offiziell zweite Band in der Like-this-Reihe von Mehwish Sohail. Band 1, Like water in your hands, folgte den Figuren Arwa und Tariq, die auch in diesem Buch wieder auftauchen. Wenn ihr also Band 1 noch nicht kennt, könntet ihr ein bisschen gespoilert werden.
Man kann keine Rezension zu Like words schreiben, ohne nicht auch über die Gesellschaftskritik darin und besonders den Rassismus zu sprechen, den die Figuren erfahren. Mehwish Sohail geht sehr offen ins Gericht mit dem Alltagsrassismus Österreichs, der ganz ähnlich auch auf Deutschland übertragen werden kann. Von der rassistischen Lehrerin, die keinen Sinn darin sieht Migrakinder zu fördern, bis zu den kleinen Sticheleien im Café/ der Bar/ dem Club über Diversitäts-Quoten, die weißen Menschen die Jobmöglichkeiten verbauen. Dieses Buch ist so stark und so laut, wenn es darum geht Rassismen aufzuzeigen und stolz auf die eigene Kultur zu sein, die in den Augen „weißer Zivilisation“ nur etwas wert ist, wenn man sie ausbeuten kann.
Ibrahim antwortet zu Beginn des Buches auf diese Aussagen sehr direkt – mit einer Prügelei, einer Provokation. Er hat über die Jahre gelernt, dass nichts was er sagt, egal wie „korrekt“ er sich verhält, die rassistische Wahrnehmung seiner selbst ändern kann. Der Schmerz dieser jahrelangen Behandlung und Herabwürdigung geht nicht spurlos an ihm vorbei, zusätzlich zu seinen Lernschwierigkeiten und dem verpatzten Schulabschluss. Ibrahim schleppt eine Menge Schmerz mit sich herum, der ihn schon seit Jahren erdrückt, den er allerdings nur wegignoriert, anstatt sich ihm zu stellen. Ibrahim könnte man als klassischen Bad Boy beschreiben, aber er ist so viel mehr als das, wofür dieser Begriff steht. Ibrahim ist jemand, der lieber Menschen wegstößt, anstatt ihnen eine Bürde zu sein, der seinen Schmerz lieber in sich selbst reinfrisst, als ihn mit jemandem zu teilen, der darunter zerbrechen könnte.
Ibrahims Geschichte ist die Große, Wuchtige. Die aufmerksamkeitsfordernde, bedrohliche Erinnerung daran was passieren kann, wenn wir nicht genug aufeinander acht geben.
Aber Sadias Geschichte ist die Stillere, die, von der wir alle so viel lernen können, weil wir alle irgendwo eine Sadia sind. Sie hat immer genau das getan, was von ihr erwartet wurde, hat nie Probleme gemacht, sich ganz darauf konzentriert alles richtig zu machen und landet an einem Punk in ihrem Leben, wo sie nicht weiß, was sie ausmacht. Eine Art späte Rebellion setzt bei Sadia ein, als Ibrahim erneut in ihr Leben tritt. Sie schließt einen Pakt mit ihrer Mutter über ihre Lebensplanung (ergo: Ehemann), entschließt sich ihren geradlinigen Werdegang ein bisschen aufzuwühlen. Sadias Entwicklung ist eine langsame, unauffällige, sie schleicht sich an Sadia und die Leser*innen heran, bis plötzlich am Ende des Buches eine andere Sadia erzählt, als noch zu Beginn. Die eigenen Zähne zu finden, wenn man sein ganzes Leben lang nur nett gelächelt hat, ist mindestens genauso schwer, wie das Herz zu öffnen, wenn zuvor nur auf ihm herumgetrampelt wurde.
Als diese zwei einander erneut begegnen ist da eine Menge zwischen ihnen: Anziehung, Schmerz, Wut. So viel steht zwischen ihnen und doch können sie einander nicht fernbleiben und für einige Zeit geben sie es auf gegen die Vernunft anzukämpfen. Sich mit ihnen zusammen zu verlieben war so einfach, so mühelos. Das Herzflattern war sofort wieder da, dass ich bereits aus Like water kannte und liebte. Mehwish Sohail beschreibt auf unglaublich nahbare Art, wie es ist sich zu verlieben, wie der Taumel, der Übermut, die Intimität sich miteinander verschränken.
Like words ist nicht nur eine Liebesgeschichte, es ist ein Ausschnitt aus dem Leben zweier migrantischer Familien in Wien, ein Blick auf junge und alte (Familien-)Beziehungen und wie diese sich verwachsen und entwickeln; ein roher, nahbarer Einschnitt in die mentale Gesundheit eines jungen Mannes. Diese Elemente fordernd auch eine andere Struktur als man es von sonstigen New Adult Romance Büchern gewohnt ist.
Das Buch hat keinen third-act-Breakup, weil Sadia und Ibrahim bevor sie zusammenkommen realisieren, dass sie etwas an sich ändern müssen und sich erstmal auf ihre eigene Heilung konzentrieren, anstatt einen anderen Menschen mit sich in den Abgrund zu reißen. Als Trope würde ich das mit right person, wrong time beschreiben, aber mit der Aussicht auf right person, right time, weil Heilung eine Option ist und beide Protagonisten dafür kämpfen. Nach einer solchen Trennung wieder zueinander zufinden ist besonders bittersüß, weil so viel zuvor Ungesagtes angesprochen werden muss, wenn die Beziehung eine Zukunft haben soll. Das ist der vielleicht verletzlichste Teil des Buches, als Sadia und Ibrahim einander ihre tiefsten Wunden offenbaren müssen, eine seelische Entblößung hinlegen, um für ihr Miteinander zu kämpfen.
FAMILIENBANDE
Like words on our skin ist, wie auch schon Like water in your hands, nicht einfach eine Liebesgeschichte mit einem klaren Anfang und Ende, Like words lässt sich nicht in steife Genrevorgabe quetschen. Man merkt den Büchern von Mehwish Sohail an, wer die Autorin inspiriert: Große Familien-Erzählungen wie die von Nino Haratischwili kommen in den Sinn, wenn man über die Sadeems liest, diese liebevolle, komplizierte Familie, die sich über die ganze Like-This-Reihe erstreckt. Das Zusammenleben der Familie, dem so viel Wert in dem Buch beigemessen wird, zeigt auf detaillierte, aber subtile Art wie die Beziehung zwischen und zu unseren Eltern unser Leben beeinflussen. Es wird komplizierten Geschwisterbeziehungen Raum gegeben, die irgendwo zwischen Verantwortung und Fürsorge hängen, zwischen aufeinander aufpassen und füreinander da sein. Jedes Mal, wenn alle Geschwister (Tariq, Nuh, Maya, Ibrahim und Uzair) zusammenkamen, schwirrte der Raum von den verschiedenen Beziehungssträngen, die sie miteinander verbinden und es ist eine pure Freude diese als Leser*in aufzudröseln.
Allgemein ist das Buch in drei Abschnitte geteilt: Die Liebesgeschichte, Vergebung und Heimkehr. Vergebung ist mein vielleicht liebster Teil, weil er sich sehr intensiv mit Therapie beschäftigt und die Darstellung mich sehr stark an meine eigene erinnert hat und was für ein aufreibender, anstrengender, aber doch befreiender Prozess das sein kann. Ich habe noch nie eine so realitätsnahe und eindringliche Darstellung mentaler Gesundheit (und Gesundung) gelesen, allein das ist ein Grund, warum ich dieses Buch jedem ans Herz lege.
FAZIT
Die Geschichte von Sadia und Ibrahim beginnt und endet nicht mit diesem Buch, es gab Momente vor dem Einsetzen des offiziellen Erzähltextes und es wird Momente nach dem letzten Kapitel geben, die ihre Beziehung weiter vorantreiben werden. Es warten noch Heilung und Hürden auf Sadia und Ibrahim, wir durften sie nur einen einschneidenden Teil davon begleiten. Ein realistisches, aber dennoch hoffnungsvolles Ende für dieses Buch.
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