Inga Liebig - Autor
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Autorin

Inga Liebig

Inga Liebig, 1984 in Amberg geboren, leitet seit vier Jahren Integrationskurse und hat bereits an mehreren Schulen in Bayern und Berlin unterrichtet. Zudem gab sie Alphabetisierungskurse, hat eine lokale Flüchtlingsinitiative mitgegründet und war zwischenzeitlich auch Stadträtin. Dass ihr Job nicht ohne Nebenwirkungen ist, merkte sie an der israelischen Grenze, als sie auf die Frage, ob sie Kontakt zu Palästinensern, Iranern oder Syrern habe, fröhlich mit „Ja, natürlich“ antwortete und in verdutzte Gesichter schaute.

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Interview

Im Interview: Inga Liebig zu ihrem Buch "Ich kann, du kannst, Erkan" | 02.11.2016

Frau Liebig, in Ihrem Buch erzählen Sie aus dem Klassenzimmer – Sie unterrichten Flüchtlinge. Wann und wie sind Sie zu dem Job gekommen?Ohne Plan – aber mit viel Glück. Nach dem Abitur wusste ich nicht, was ich tun soll und flog erstmal nach Südamerika, lernte dort erstaunlich schnell Spanisch, von...

Frau Liebig, in Ihrem Buch erzählen Sie aus dem Klassenzimmer – Sie unterrichten Flüchtlinge. Wann und wie sind Sie zu dem Job gekommen?
Ohne Plan – aber mit viel Glück. Nach dem Abitur wusste ich nicht, was ich tun soll und flog erstmal nach Südamerika, lernte dort erstaunlich schnell Spanisch, von einer Frau, die kein Wort Deutsch konnte. Als ich nach gefühlten hundertmal ihre Worte „por ejemplo“ plötzlich verstehen konnte, war das für mich ein absolutes AHA-Erlebnis und mir war klar, das will ich auch: Sprache vermitteln, fremde Kulturen verstehen und kennenlernen.
Jetzt erscheint Ihr Buch „Ich kann, du kannst, Erkan“, das voller Geschichten und Anekdoten aus dem Unterricht ist. Wann hatten Sie das erste Mal die Idee, die Geschichten für ein Buch aufzuschreiben?
Die Idee kam nicht von mir, sondern vielmehr von meinem Freund, der es leid war, meine ganzen Anekdoten anzuhören. Also brauchte ich eine andere Zuhörerschaft. Außerdem sah ich eine großartige Chance darin, Vorbehalte und Verständnislosigkeit gegenüber unseren neuen Mitbürgern dadurch zu verringern.
Welches ist Ihre Lieblingsstelle im Buch und warum?
Ich mag besonders das Ende. An dieser Stelle war meine Schülerin Lucy fast schon philosophisch, als sie zu folgender Erkenntnis kam: „Aber manchmal man muss öfter hingucken, damit man sieht, wie schön etwas ist.“
Können Sie sich noch an Ihre erste Integrationskursstunde erinnern?
Ich erinnere mich an die ersten Wochen, die waren schrecklich. Ich hatte plötzlich 20 mehr oder weniger wissbegierige Erwachsene vor mir sitzen und war völlig auf mich alleingestellt. Noch dazu hatte ich den Kurs nicht von Anfang an, sondern von einer Kollegin, die in den Ruhestand gegangen ist, übernommen. Wer schon mal unterrichtet hat, weiß wie lehrerfixiert die Lernenden teilweise sind und da sie meine Vorgängerin am liebsten zurückgehabt hätten, haben sie mir anfänglich das Leben schwergemacht. Davon habe ich gelernt – niemals Unsicherheit zeigen!
Bei Schülern aus der ganzen Welt muss es zu sprachlichen Missverständnissen kommen, oder? Ist es überhaupt möglich, immer alle Irrtümer aufzuklären?
Selbstverständlich nicht! Aber definitiv sind die Missverständnisse, die gar nicht als solche entlarvt werden, am schlimmsten.
Ein Kapitel in Ihrem Buch „Ich kann, du kannst, Erkan“ heißt „Deutsche Sprache ist wie Mathematik“. Was ist damit gemeint?
Auf diesen Satz, bzw. diese Definition kommen vor allem meine arabischen Teilnehmenden regelmäßig. Einerseits soll das sicherlich ein Kompliment für unsere logische, komplizierte aber vor allem exakte Sprache sein. Andererseits wollen sie mich darauf aufmerksam machen, dass es quasi unmöglich ist, alles richtig zu machen. Wenn man in einem Satz ein kleines Wort hinzufügt, kann das die Reihenfolge ändern und ein Präfix kann die komplette Bedeutung modifizieren.
Was ist Ihr schönstes Erfolgserlebnis als Integrationskursleiterin?
Die Frage am Ende eines fünfstündigen Unterrichtstages: „Was schon fertig?“ (Dann weiß man, dass man alles richtig gemacht hat.)
Bekommen Sie als Lehrerin auch die persönlichen Geschichten und Probleme der Flüchtlinge mit? Wie gehen Sie damit um?
Ja, immer wieder. Frau und Kinder stecken in Libyen fest und können nicht nachkommen. Die 7-köpfige Familie des Ehepartners ist auf der Flucht gestorben, weshalb er zwei Wochen nicht in den Unterricht kommt. Aber auch Schreckensmitteilungen, die während des Unterrichts per Whats App reinkommen. Es passiert immer irgendetwas, ich helfe wo ich kann, nehme diese Probleme aber, so gut es geht, nicht mit nach Hause, sonst könnte man seines Lebens nicht mehr froh werden. Dafür erscheinen einem die eigenen Probleme absolut belanglos.
Gab es besonders berührende, lustige oder überraschende Begegnungen im Klassenzimmer, die Sie in Erinnerung behalten werden?
Unzählbar viele: Warum alle bei dem Wort „Suppe“ lachen müssen, was FKK ist, warum Popeye so heißt, wie man Kotletten und Rhabarber in den unterschiedlichsten Sprachen sagt, wie sehr gemeinsames Lachen verbindet, dass selbst die hoffnungslosen Fälle nach 600 Stunden ein bisschen was können und dass jeder einzelne Mensch unterschiedlicher nicht sein kann.
Worüber wundern sich die Flüchtlinge am meisten, wenn sie nach Deutschland kommen?
Über die bücherlesenden U- und S-Bahnfahrenden, dass die Deutschen seltener lachen und vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln immer so leise sind.
Was gefällt Ihren Schülern am meisten, wenn Sie nach Deutschland kommen?
Dass die Züge so wahnsinnig pünktlich kommen und die tollen Weihnachtsmärkte, denn auch die, die nicht daran glauben, genießen die Lichter der Stadt zur Weihnachtszeit.
Hat Sie der Job verändert?
Außer, dass ich verrückt viele Silvestertraditionen übernommen habe... eher nicht, aber wer weiß, wie ich wäre, wenn ich einen anderen Job hätte?!
Wem empfehlen Sie Ihr Buch?

Allen, die sich für unsere neuangekommenen Mitmenschen interessieren, die neugierig auf fremde Kulturen sind. Mein Wunschtraum wäre es allerdings auch, dass gerade diejenigen, die am liebsten eine Mauer um Deutschland bauen wollen, auch mal einen Blick hineinwerfen würden.

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