Pia Lamberty - Autor
© Gordon Welters Photography

Autorin

Pia Lamberty

Pia Lamberty ist Psychologin und leitet als Geschäftsführung gemeinsam mit Josef Holnburger den gemeinnützigen Thinktank CeMAS. Ihre Forschung führte sie an die Universitäten in Köln, Mainz und Beer Sheva (Israel). Lamberty forscht seit mehreren Jahren zu Verschwörungserzählungen, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus und verortet sich an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft.

Download Autorinnen-Foto

Interview

"Lange Zeit wurde das Thema nicht ernst genug genommen und oft belächelt." | 15.05.2020

In Ihrem neuen Buch FAKE FACTS geht es um das, was wir Verschwörungstheorien oder Fake News nennen. Warum wollten Sie ein Buch über dieses Thema schreiben? Ich beschäftige mich in meiner Forschung schon seit einigen Jahren mit den psychologischen Gründen, wieso Menschen überall Verschwörungen witter...

In Ihrem neuen Buch FAKE FACTS geht es um das, was wir Verschwörungstheorien oder Fake News nennen. Warum wollten Sie ein Buch über dieses Thema schreiben?
Ich beschäftige mich in meiner Forschung schon seit einigen Jahren mit den psychologischen Gründen, wieso Menschen überall Verschwörungen wittern und welche Konsequenzen das hat. Lange Zeit wurde das Thema nicht ernst genug genommen und oft belächelt. Als ich für einen Forschungsaufenthalt in Israel war, haben Katharina Nocun und ich einen Ausflug in die Wüste unternommen und dann bei einer Oase über das Thema diskutiert. Wir haben gemerkt, dass unsere beiden Expertisen sich hier sehr gut ergänzen. Die Idee für ein Buch, dass Menschen sowohl über psychologische Erklärungen als auch die Rolle des Internets aufklärt, war geboren.
Wen und was würden Sie gern mit dem Buch erreichen?
Uns war es wichtig, ein Buch zu schreiben, das auch Menschen lesen, die sich bisher nicht so sehr mit dem Thema befasst haben und mehr wissen wollen. Durch die aktuelle Pandemie haben viele gemerkt, wie stark solche Mythen in der Gesellschaft verbreitet sind. Viele berichten, dass plötzlich auch Menschen, die vorher nicht an Verschwörungserzählungen geglaubt haben, solche Inhalte verbreiten.
Warum sind manche Menschen besonders anfällig für Verschwörungserzählungen und manche weniger?
Interessanterweise spielen die klassischen Dimensionen der Persönlichkeit eher keine Rolle, wenn es darum geht zu erklären, warum Menschen an Verschwörungen glauben. Auch Alter oder Ost-/West sind hier weniger relevant. Einige Studien zeigen eine größere Affinität bei Männern, Verschwörungen zu wittern. Besondere Verbreitung findet der Glaube an Verschwörungen bei Menschen, die sich politisch rechts verordnen. Das bedeutet aber keinesfalls, dass er nur da vorzufinden wäre. Es ist ein Phänomen der gesamten Gesellschaft. Ein Drittel der deutschen Bevölkerung meint beispielsweise, Politiker*innen und andere Führungspersönlichkeiten seien nur Marionetten dahinterstehender Mächte. Knapp zwanzig Prozent sind überzeugt, dass die negativen Effekte von Impfungen absichtlich verschwiegen werden würden, und ebenso viele glauben an eine Verschwörung rund um 9/11.
Was für eine Art von Ereignissen liefern die beste Vorlage für solche Erzählungen?
Prinzipiell ist es so, dass gesellschaftliche Umbrüche und Krisen oftmals zu einem Anstieg an Verschwörungserzählungen geführt haben. Das zeigt sich an verschiedenen Punkten in der Geschichte – auch in Bezug auf Krankheitsausbrüche wie Ebola, Zika, AIDS oder die Spanische Grippe. Tiefgreifende und schnelle gesellschaftliche Umbrüche stellen die eigene Lebenswirklichkeit dann fundamental in Frage. Verschwörungserzählungen sprechen genau diese Gefühle an.
Welche psychologische Funktion haben solche Erzählungen?
Wenn Menschen das Gefühl haben, keine Kontrolle zu haben, versuchen sie Strategien zu finden, damit umzugehen – und Verschwörungserzählungen können so eine Strategie sein. Die Verschwörungserzählung strukturiert die Welt. Es gibt in dieser Logik die bösen Verschwörer und die, die scheinbar die Wahrheit sehen. Dadurch wird die Welt begreifbarer. Wenn Menschen in Unsicherheit leben, sind sie empfänglicher für Verschwörungsdenken. Wer beispielsweise seine Arbeit verliert oder unter unsicheren Bedingungen arbeitet, meint eher, dass Strippenzieher im Geheimen das Weltgeschehen lenken. Darüber hinaus kann man sich über den Verschwörungsglauben aufwerten. Man ist dann scheinbar die Person, die die "Wahrheit" sieht, während die anderen zu „Schlafschafen“ oder als Teil der Verschwörung degradiert werden.
Was können wir tun, um uns besser gegen Fake Facts zu wappnen? Kann man das trainieren?
Ich denke, dass dieses Phänomen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, vor der wir gerade stehen. Mir scheint es, als würde der Gesellschaft gerade oft noch eine Handlungssicherheit fehlen, wie mit Verschwörungserzählungen und Fake Facts umgegangen werden soll. Und das ist keine einfache Aufgabe. Es braucht eine gute Medienbildung, und auch einen stärkeren Fokus auf wissenschaftliches Denken bereits in der Schule – aber natürlich nicht nur da. Auch steht die Politik vor der Frage, wie sie demokratische Prozesse beispielsweise transparenter gestalten kann, um das Vertrauen der Menschen zu behalten, die noch nicht in diese apokalyptische Welt der Verschwörungserzählung abgetaucht sind. Es braucht eine klare Haltung immer dann, wenn die Verschwörungserzählung menschenfeindlich wird, wenn sie antisemitische und rassistische Inhalte transportiert. Es gibt mittlerweile einige Ansätze, bei denen man trainieren kann, Fake Facts zu erkennen. Dazu gehören beispielsweise Computerspiele wie "Bad News", die eigens von Wissenschaftlern für solche Zwecke konzipiert und evaluiert werden. Auch haben Initiativen wie die Amadeu Antonio Stiftung Bildungsmaterialien erstellt, die genutzt werden können.
Wie gehen Sie selbst mit Nachrichten und Storys um, die fragwürdig sein könnten? Welcher Verschwörungserzählung haben Sie sofort geglaubt – sofern das mal passiert ist?
Ich versuche immer als erstes mehr über die Quelle und die Autoren herauszufinden. Das hilft in vielen Fällen schon enorm weiter. So kann man sehen, ob die Person in der Vergangenheit vielleicht schon problematische Inhalte geteilt hat oder ob das Medium seriös ist. Mittlerweile gibt es auch gute Faktenfinder, die die gängigen Fake News, die im Netz herumschwirren, einordnen können. Wenn ich über WhatsApp Sprachnachrichten weitergeleitet bekomme, die irgendetwas behaupten, ich aber die Person dahinter nicht kenne, bin ich erst einmal skeptisch. Ähnliches gilt natürlich für andere "Kettenbriefe", die in solchen Medien kursieren.
Wie können wir Freunden, Bekannten oder Nachbarn begegnen, die an Chemtrails oder Hitler auf dem Mond glauben? Wie kommt man gegen Verschwörungserzählungen an?
Prinzipiell sind die Ratschläge je nach Situation und Kontext natürlich sehr unterschiedlich, je nachdem in welchem Verhältnis man steht und wie sehr die Person einer Ideologie anhängt. Für Angehörige bedeutet es oft einen Leidensdruck, wenn der eigene Partner oder nahestehende Menschen plötzlich überall dunkle Mächte am Werk sehen und für rationale Argumente immer weniger zugänglich werden. Diskussionen enden dann oft in Streit über die Weltanschauung, und Beziehungen können daran in die Brüche gehen. Ich würde hier allgemein raten, versuchen zu verstehen, welche Rolle diese Ideologie für die Person spielt. Teilweise gab es eine Krise vorher, und der Mensch versucht dann durch den Glauben an Verschwörungen wieder Struktur und Sinn in seinem Leben zu finden. Ich würde empfehlen, sich externe Hilfe zu suchen, wenn man merkt, dass die Situation einen belastet und die Person sich immer mehr entfernt.
Anders sieht die Situation aus, wenn es um solche Inhalte in sozialen Medien bei fremden Personen geht. Hier kann man oft nicht mehr überzeugend wirken und sollte dann eher überlegen, dass man das Gesagte für die Mitlesenden einordnet. Wichtig finde ich, dass man Gegenrede leistet, wann immer die Verschwörungserzählung antisemitisch oder rassistisch wird.
Alle Verlage