Christian Schärf - Autor
© © Olivier Favre

Autor

Christian Schärf

Christian Schärf, geboren 1960 in Ludwigshafen am Rhein. Lehrt seit 1989 Literaturwissenschaft, Philosophie und Kreatives Schreiben an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland,  seit 2013 leitet er das Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft der Universität Hildesheim. „Ein Winter in Nizza“ ist sein Romandebüt.

Download Autorenfoto

Interview

Interview | 06.08.2014

Auf den Spuren Friedrich Nietzsches: Christian Schärf liefert mit seinem Debütroman »Ein Winter in Nizza« eine ganz neue Perspektive auf die Geisteswelt des berühmten Philologen. Im Mittelpunkt steht die Pensionswirtin Cécile, die den sonderbaren und hochkomplexen Fremden beherbergt. Ein spannendes ...

Auf den Spuren Friedrich Nietzsches: Christian Schärf liefert mit seinem Debütroman »Ein Winter in Nizza« eine ganz neue Perspektive auf die Geisteswelt des berühmten Philologen. Im Mittelpunkt steht die Pensionswirtin Cécile, die den sonderbaren und hochkomplexen Fremden beherbergt. Ein spannendes Kabinettstück, das den Geist Nietzsches auf die Sehnsuchtslandschaft Nizzas treffen lässt. Im Interview erklärt Christian Schärf, wie er es geschafft hat, die Tatsachen über Nietzsches Aufenthalt in Nizza mit seiner Fiktion zu verknüpfen, und welches Bild er von ihm zeichnen wollte.
Im Mittelpunkt Ihres Romans steht Friedrich Nietzsche. Wie ist die Idee zu »Ein Winter in Nizza« entstanden?
Die Idee zu dem Buch ist vor Jahren während einiger Aufenthalte in Nizza entstanden, als ich eher zufällig in der Stadt und ihrer Umgebung auf die Spuren Nietzsches geriet. Ich bin diesen Spuren gefolgt und habe immer mehr Hinweise und Materialien entdeckt, die sich zu einem eigenen Stoff verdichtet haben, ohne dass mir dafür gleich eine bestimmte Form vor Augen gestanden hätte.

Wie viel Reales vom wahren Nietzsche steckt in Ihrer Romanfigur? Wie groß ist der biografische Anteil? Und welche Änderungen haben Sie bei der Entwicklung der Figur vorgenommen?
Vielleicht ist es das Spezielle an dem Text, dass er bis auf ganz wenige Ausnahmen auf Tatsachen zurückgeht, die historisch erforscht sind und mit Figuren arbeitet, die es wirklich gegeben hat. Der biografische Anteil ist also sehr groß, und das war es, was mich bei der Arbeit besonders gereizt hat. Daten und Konstellationen sind weitgehend beibehalten worden, von den Ereignissen, von denen im Roman erzählt wird, ist bis auf wenige Ausnahmen so gut wie keine erfunden. Die Frage, die sich mir gegenüber einem biografischen Sachtext irgendwann gestellt hat, lautet: Was geschieht, wenn man einem belegten historischen Szenario eine einzige fiktive Figur hinzufügt? Die Antwort lautet: Dadurch wird alles andere auch fiktiv.
Aus welchem Grund beleuchten Sie insbesondere seine Zeit in Nizza? Welches besondere Verhältnis hatte Nietzsche zur damaligen Zeit zu Nizza und die Stadt heutzutage zu dem großen Denker?
Nietzsches Aufenthalte in Nizza werden in den Biografien zumeist nur am Rande erwähnt. Sils-Maria im Engadin, wo Nietzsche die Sommer verbrachte, hat immer viel größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Was Nietzsche in Nizza so gemacht hat, war zwar bekannt, aber anscheinend nicht annähernd so interessant. Doch das Gegenteil ist der Fall. Nizza war Nietzsches Schicksalsstadt, in der er große Teile des »Zarathustra« schrieb, mit seinem Projekt der Umwertung aller Werte umher ging, wo er im Licht des Südens immer wieder Hoffnung schöpfte und Schübe von Gesundheit und großer Produktivität genoss. Heute erinnert eine Tafel am Haus 38, rue Ségurane an seine Ankunft und seinen ersten Aufenthalt im Winter 1883. In Èze ist der Pfad, der vom Bahnhof am Meer ins Bergdorf führt, als Sentier Frédéric Nietzsche ausgezeichnet.
Welches Bild wollten Sie von dem Philologen und Philosophen Friedrich Nietzsche vermitteln?
Von der Gestalt Nietzsches geht der Reiz aus, dass er uns fern zu sein scheint und in manchen Aspekten, Fragen und Problemen doch auch noch ganz nah. Daraus ergibt sich für unsere Sicht auf ihn eine Mischung aus Komik und Tragik, deren Elemente unentwirrbar ineinander verzahnt sind. Es ging darum, das Leben und das Leiden einer historischen Persönlichkeit ernst zu nehmen und zugleich zu zeigen, dass vieles, was diese Person wollte, dachte oder tat nicht mehr ganz nachzuvollziehen ist. So wird niemand mehr ernsthaft heute als Philosoph die Umwertung aller Werte verfolgen oder sich phasenweise bis zur Besinnungslosigkeit mit Napoleon identifizieren, wenn er ernst genommen werden will. Na ja, davon geht man wenigstens aus. Man muss bedenken, dass Nietzsche trotz seiner teils abstrusen Projektionen das 20. Jahrhundert erheblich beeinflusst hat, nicht nur auf dem Gebiet der Künste. Was uns heute in Teilen grotesk erscheint, hat vor hundert Jahren eine ganze Generation mit heiligem Ernst zu ihrer Sache gemacht.
Warum haben Sie hierfür die Romanform gewählt?
Ich habe zunächst nicht an die Romanform gedacht und das Material unabhängig von dem Plan, einen Roman zu schreiben, erforscht. An einem bestimmten Zeitpunkt, an den ich mich noch genau erinnere, war mir plötzlich klar, dass es nichts anderes als ein Roman sein konnte. Das wertete ich als gutes Zeichen. Wenn sich der Stoff sozusagen von selbst als Roman erkennt, dann sind viele Zweifel schlagartig beseitigt, die sich beim Fantasieren einstellen können. Der Stoff wollte, dass ich aus ihm einen Roman mache. Diesen Befehl habe ich ausgeführt. So muss es eigentlich sein.
Welche Wertschätzung bzw. auch Ablehnung erfuhr Nietzsche zu Lebzeiten von seinen Zeitgenossen wie u. a. Sigmund Freud und Richard Wagner?
Mit Wagner verband ihn anfangs eine tiefe Freundschaft, die später aus vielerlei Gründen zerbrach. Wagner hat dann wohl ein bisschen mit Nietzsche gespielt, während dieser innerlich nie von Wagner losgekommen ist. Es wurde zu einer schlimmen Konstellation. Das Phänomen ist noch weitaus komplizierter, denn auch Wagners Ehefrau Cosima spielt darin eine große Rolle. Freud hat Nietzsche im vollen Umfang wohl erst etwas später wahrgenommen. Zu dem Zeitpunkt, an dem mein Roman spielt, war Nietzsche nicht mehr als ein Geheimtipp für eine Handvoll Intellektueller. Die Idee, in Nizza Nietzsches verschwindend kleine Urgemeinde wiederzufinden, steckt ja auch in dem Buch.
Haben Sie literarische Vorbilder?
Ich bewundere einige Schriftsteller, lebende und tote. Ich habe aber den Eindruck, dass ich gar nicht so schreibe, wie einer von ihnen. Vielleicht muss das so sein. Man darf nicht schreiben wie jemand anders. Man darf es nicht einmal wollen. Und trotzdem geht es ohne diesen Wunsch auch nicht. Schließlich kommt Literatur nicht aus dem Nichts, sondern auch von Literatur.
Bei »Ein Winter in Nizza« handelt es sich um Ihren Debütroman. Sie haben bereits vorher wissenschaftliche Bücher u. a. zum kreativen Schreiben, zur Theorie der Modernen Prosa und zur Geschichte des Essays verfasst. Wann und wie ist der Wunsch entstanden, einen fiktionalen Text zu schreiben?
Dieser Wunsch entstand an einem heißen Nachmittag im Juni 2007 mitten in Nizza. Ich habe mir vorher einen Roman gar nicht zugetraut. Zwischen dem Nachdenken über das Erzählen und dem Erzählen liegt eine Art Marianengraben. Nicht breit, aber sehr tief. Man sieht immer die andere Seite, aber traut man sich auch hinüberzuschwimmen? Ich war sehr lange auf der einen Seite und bin froh auch die andere kennengelernt zu haben.
Gibt es weitere Romanprojekte, an denen Sie zurzeit arbeiten?
Ja, aber es wäre jetzt wohl noch zu früh, darüber zu sprechen.

Alle Verlage