Markus Thiele - Autor
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Autor

Markus Thiele

Der Jurist und Schriftsteller Markus Thiele studierte an der Georg-August-Universität in Göttingen und arbeitet seit 2000 als promovierter Rechtsanwalt. Spezialisiert auf Arbeits- und Baurecht, vertritt er Mandanten in der gesamten Republik. Seine Erfahrungen im Gerichtsaal prägen ihn genauso wie sein großes Interesse an gesellschaftlichen Entwicklungen. 2020 erschien sein Debütroman Echo des Schweigens. Er ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und lebt in Göttingen.

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Steckbrief

Markus Thiele zu seinem Kriminalroman „Zeit der Schuldigen“

Lieblingssatz aus dem Buch: Oh je, da gibt es schon ein paar. Vielleicht der hier: „Die Ritze war in den letzten Tagen für Hans Larsen zu einer Art amputiertem Bein geworden – Es gehörte nicht mehr zu ihm, und doch machte es sich unentwegt bemerkbar.“Die Stelle im Buch, die am schwierigsten zu schre...

Lieblingssatz aus dem Buch:
Oh je, da gibt es schon ein paar. Vielleicht der hier: „Die Ritze war in den letzten Tagen für Hans Larsen zu einer Art amputiertem Bein geworden – Es gehörte nicht mehr zu ihm, und doch machte es sich unentwegt bemerkbar.“
Die Stelle im Buch, die am schwierigsten zu schreiben war:
Kapitel 30. Eine der Hauptfiguren liegt im Krankenhaus und stirbt. Die Szene trägt viele autobiographische Züge …
Der optimale Soundtrack zum Buch:
Hans Zimmers Soundtrack zu „Inception“ oder der Soundtrack zu „Rain Man“, weil ein Teil der Geschichte in den 1980er-Jahren spielt.
Der perfekte Ort, um das Buch zu lesen:
Überall. Und am besten mit etwas Zeit und Ruhe.
Welchem Prominenten würden Sie Ihr Buch gern überreichen und welche Widmung stünde drin?
Oliver Berben – „Auf dass es ein guter Film wird.“
Wie wichtig sind Freunde, Familie und Berater:innen beim Schreiben?
Sehr wichtig, vor allem meine Frau Marion. Sie ist nicht wegzudenken, wenn es um das erste Entwickeln von Szenen oder Personen geht. Oft hat sie spontane Ideen, von denen meist etwas hängen bleibt. Und irgendwann im Schreibprozess sitzt dann das gesamte Romanpersonal bei uns im Wohnzimmer und wartet darauf, dass es mit ihm weitergeht.
Was darf beim Schreiben auf keinen Fall fehlen – abgesehen von Rechner, Schreibmaschine oder Stift?
Viel Kaffee, gelegentlich ein Glas Wein und jede Menge Ruhe. Ach ja, und Regen. Regen ist gut, wenn er draußen so vor sich hinfällt und ich es drinnen warm und trocken habe.
Was ist schöner: den letzten Satz zu Ende gebracht zu haben oder das fertige Buch in den Händen zu halten?
Das kann ich nicht wirklich sagen. Es sind beides wahninnig erfüllende Momente. Wenn der letzte Satz geschrieben ist, weiß ich zwar, dass noch immer eine Menge Arbeit vor mir liegt, bevor ich das fertige Buch in Händen halte. Dennoch fällt erst einmal eine Last ab, die Hauptarbeit ist erledigt. Wenn ich dann später allerdings das vollständige Buch vor mir habe, dann ist das natürlich auch sehr befriedigend.
Was hilft, wenn es mal schwierig ist, weiterzuschreiben?
Definitiv Sport. Sport und Sauna. Und Sauerstoff. Ein längerer Spaziergang etwa oder joggen. Ein Gespräch mit meiner Frau, ein paar Tage Auszeit vielleicht, in denen nicht über das Buch gesprochen wird.
Welche Farbe hätte das Cover auf keinen Fall haben dürfen?
Pink.
Wer das Buch liest, fühlt sich nach der letzten Seite …?
… hoffentlich glücklich, es gelesen zu haben. Und vielleicht ein wenig nachdenklich über die Themen und die Personen, die im Buch behandelt werden.

Interview

Markus Thiele im Interview zu seinem Roman "Zeit der Schuldigen" | 02.11.2023

Lieber Herr Thiele, Ihr Roman basiert auf dem realen Mord an Frederike von Möhlmann, dessen rechtliche Konsequenzen die Justiz bis heute beschäftigen. Was ist das Besondere an diesem Fall?Mein Doktorvater sagte immer, der Rechtsstaat sei die Geißel des Rechtsstaats und meinte damit, dass das Verbrec...

Lieber Herr Thiele, Ihr Roman basiert auf dem realen Mord an Frederike von Möhlmann, dessen rechtliche Konsequenzen die Justiz bis heute beschäftigen. Was ist das Besondere an diesem Fall?
Mein Doktorvater sagte immer, der Rechtsstaat sei die Geißel des Rechtsstaats und meinte damit, dass das Verbrechen der Strafverfolgung immer zwei Schritte voraus sei. Ermittler:innen haben sich an Recht und Gesetz zu halten, Straftäter:innen nicht. Und wie sehr sich der Rechtsstaat selbst im Weg stehen kann, zeigt der Fall Möhlmann mit einer Dramatik, die in der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte einzigartig ist: Ein Mörder, dessen Tat erwiesen ist, bleibt wegen eines (jahrtausendealten) Verfassungsgrundsatzes, wonach niemand für dieselbe Tat zweimal verfolgt bzw. vor Gericht gestellt werden darf, auf freiem Fuß. Straf- und verfassungsrechtlich ist das erklärbar, mit dem Gerechtigkeitsempfinden aber kaum zu vereinbaren.
Am 31. Oktober 2023 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der mutmaßliche Mörder von Frederike von Möhlmann nicht erneut vor Gericht gestellt werden darf. Auch wenn belastende Beweise vorliegen. Können Sie das Urteil nachvollziehen – als Jurist und als Schriftsteller, der sich eingehend mit dem Fall beschäftigt hat?
Ich kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachvollziehen, hätte aber gleichwohl anders geurteilt. Es ist zwar dem Grundsatz nach richtig, was das Gericht sagt: Bürger:innen müssen darauf vertrauen können, wegen einer Straftat nicht wieder und wieder verfolgt zu werden. Der Staat hat eine Chance, die Täter:innen zu überführen. Gelingt das nicht, und wird ein Freispruch rechtskräftig, dann muss Schluss sein. Hierauf besteht eine Rechtssicherheit, eine Rechtsgarantie. Aber eben nur im Grundsatz; Ausnahmen sollten zugelassen werden. Karlsruhe argumentiert, mit der Entscheidung solle Rechtsfrieden einhergehen. Das ist meines Erachtens aber gerade nicht der Fall. Ein rechtskräftig Freigesprochener soll sich auf den Freispruch endgültig verlassen können. Was aber ist mit dem Mörder, dessen Tat erst nach Jahrzehnten entdeckt wird? Gegen ihn kann ohne Weiteres ermittelt werden, und er kann auch verurteilt werden. Für ihn besteht lebenslang das Risiko der Strafverfolgung, weil Mord nicht verjährt. Warum soll dann ein (man muss ja sagen: irrtümlich) freigesprochener Mörder in den Genuss der ewigen Unantastbarkeit wegen seiner Tat kommen? Das ist für mich ein Wertungswiderspruch und mit meinem Gerechtigkeitsempfinden nicht zu vereinbaren. Von den acht Richtern im 2. Senat haben zwei dies genauso gesehen, sie konnten sich gegen die Senatsmehrheit aber nicht durchsetzen.
Als die Entscheidung fiel, war ihr Roman, der am 29. Februar 2024 erscheint, bereits fertiggestellt. Würden Sie mit dem Wissen um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gern etwas an Ihrer Geschichte ändern?
Der Text war in der Tat bereits fertiggestellt, durchlief zu diesem Zeitpunkt jedoch die üblichen Korrekturgänge. In diesem Stadium ist es zwar unüblich, inhaltliche Änderungen vorzunehmen, aber der Verlag und ich haben entschieden, das Ergebnis aus Karlsruhe noch mit einzubinden. Ich hatte allerdings davor bereits mit dem Ergebnis gerechnet und den Text daran in weiten Teilen ausgerichtet.
Denken Sie, die Gesetzgebung wird die Strafprozessordnung erneut anfassen? Immerhin hatte sie das Gesetz angepasst, nachdem die Familie des Opfers mit ihrer Petition fast 200.000 Unterstützer:innen gefunden hatte. Oder werden es Bundestag und Bundesrat dabei belassen?
Es ist schwer zu sagen, was die Politik nun aus diesem Urteil macht. Allein eine (erneute) Änderung der Strafprozessordnung wäre nicht zielführend, weil einer Doppelbestrafung bzw. Doppelverfolgung nach Rechtskraft eines Urteils immer Artikel 103 Absatz 3 Grundgesetz – auf den das Bundesverfassungsgericht ja richtigerweise entscheidend abstellt – entgegenstehen wird. Wenn man es also konsequent und rechtssicher machen wollte, müsste genau dieser Jahrtausende alte Grundsatz in unserer Verfassung geändert werden. Dazu braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag – und mit der rechne ich nicht. Nicht heute und nicht in Zukunft. In Frederike von Möhlmanns Fall bedeutet das, dass ein nachgewiesener Mörder dauerhaft auf freiem Fuß bleibt – für mich ist das nur sehr schwer erträglich, auch wenn es die Konsequenz aus unserer Verfassung ist.
Was reizt Sie als Jurist daran, sich in fiktiver Form mit prominenten Justizfällen auseinanderzusetzen?
Vielleicht sind es – etwas pathetisch gesagt – der Wunsch und der Gedanke daran, den Opfern eine Stimme zu geben. Wenn wir von „Justizskandal“ reden, sprechen wir in allererster Linie von den Täter:innen, die (aus unserer Sicht) zu Unrecht freigesprochen wurden. Die Opfer bleiben dabei oft blass, sie bleiben in der zweiten Reihe, alles dreht sich um die Täter:innen. Hier setze ich mit meinen Geschichten an. Mich interessieren Täter:innen weniger, mich interessieren das Opfer, seine Angehörigen, Freund:innen, die allesamt großes Leid erfahren haben. Denken Sie nur an Frederikes Vater, der mehr als vierzig Jahre gekämpft hat für die endgültige Aufklärung der Tat. Das ist umso tragischer, als er im Juni 2022 gestorben ist, und das Ende der Geschichte nicht mehr miterleben wird. Und daneben interessiert mich die Belastbarkeit unseres Rechtsstaats, seine Verlässlichkeit auch bei schwierigsten Fragen.
Warum erzählen Sie Ihren Roman aus verschiedenen Perspektiven?

Das macht für mich eine Geschichte vielschichtiger, komplexer. Der Ich-Erzähler bleibt immer derselbe, und berichtet er über andere Figuren, bleiben wir als Leser:innen bei eben diesen Figuren immer außen vor. Multiperspektivisches Erzählen hat demgegenüber den Vorteil, in mehrere Personen eintauchen zu können. Was fühlen sie, was denken sie, warum handeln sie so und nicht so?

Eine zentrale Figur in Ihrem Roman ist die junge Polizistin Anne Paulsen. Wie würden Sie Ihre Protagonistin Anne Paulsen beschreiben?

Anne ist mir über die Zeit hinweg ans Herz gewachsen. Sie ist klug, attraktiv, selbstbewusst, durchsetzungsstark. Und sie ist – das finde ich für die Geschichte mit am wichtigsten – gewissenhaft und eine unbedingte Kämpferin für die Gerechtigkeit. Das macht ihr Leben nicht immer leicht, da sind Konflikte vorprogrammiert. Zu sehen, wie sie da rauskommt, finde ich wahnsinnig interessant. Ein kantiger Mensch, aber ein guter.

„Zeit der Schuldigen“ ist nicht Ihr erster True-Crime-Roman. Wie entscheiden Sie, welches juristische Thema, welchen Fall Sie in einem Roman verarbeiten möchten?

Ich wähle meine Themen zumeist nach dem, wie ich es nenne, „Kopfschüttel-Prinzip“ aus. Wenn ich von Verfahren lese, die mich – auch und vor allem als Jurist – kopfschüttelnd, ja sprachlos zurücklassen, ist das ein starkes Indiz für einen infrage kommenden Sachverhalt. Denken Sie an den Schwarzafrikaner Oury Jalloh, der 2005 im Dessauer Polizeigewahrsam angezündet wurde und verbrannte – ein Täter ist bis heute nicht ermittelt. Oder Amadeu Antonio Kiowa, der 1990 in Eberswalde von Neonazis mit Kampfstiefeln zu Tode getrampelt wurde. Die Gerichte verurteilten den Haupttäter nicht wegen Mordes zu lebenslanger Haft, sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu lediglich ein paar Jahren Freiheitsentzug. Aus meiner Sicht bis heute eines der größten Fehlurteile unserer Justiz. Und nicht zuletzt – wie im aktuellen Roman ZEIT DER SCHULDIGEN – der Mord an Frederike von Möhlmann.

Wie lief die Recherche?

Das Gute an der heutigen Zeit ist, dass man fast alles, was man an Informationen braucht, im Internet bekommt. Und falls nicht, findet sich zumindest ein Hinweis auf eine Quelle, die man anzapfen kann. Soweit es die juristische Recherche anbelangt, habe ich Zugriff auf die üblichen Datenbanken mit Urteilen von Gerichten, Beschlüssen, Gesetzeshistorien. Von der Seite des Deutschen Bundestages war ich im positiven Sinne überrascht. Hier findet man jedes Sitzungsprotokoll, jeden Bundestags- oder Bundesratsbeschluss und kann einzelne Gesetzgebungsverfahren mit den unterschiedlichen Meinungen aus den Fraktionen nachlesen.

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