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Armin Nagel

Armin Nagel ist Comedy-Redner und Serviceexperte. Mit dem Team der „Servicepioniere“ entwickelte er ein Projekt über die Kunst des Wartens für das Schauspiel Köln und eine Performance für die Ruhrfestspiele Recklinghausen. Das ZDF bezeichnet ihn als »Deutschlands ersten Service-Comedian« und SAT 1 meint: „Seine Mission ist besserer Service!“.

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Interview

WARUM DUMM RUMSITZEN GAR NICHT MAL SO BLÖD IST | 01.08.2023

Ihr Buch „Schöner Warten - Über den Umgang mit einem unvermeidlichen Zustand“ fällt einigermaßen aus der Reihe. Wie würden Sie selbst es beschreiben?Es ist ein leichtes, unterhaltsames und trotzdem gehaltvolles Buch über das Warten – einen Zustand, der uns alle immer wieder mal nervt. Mit inspiriere...

Ihr Buch „Schöner Warten - Über den Umgang mit einem unvermeidlichen Zustand“ fällt einigermaßen aus der Reihe. Wie würden Sie selbst es beschreiben?
Es ist ein leichtes, unterhaltsames und trotzdem gehaltvolles Buch über das Warten – einen Zustand, der uns alle immer wieder mal nervt. Mit inspirierenden Texten und Übungen, humorvollen Illustrationen und in Interviews mit zahlreichen Warteexperten, versuche ich zu ergründen, was schön sein kann am Warten. Das Buch macht die positive Kraft des Wartens spürbar. Wer sich Zeit fürs Lesen nimmt, erfährt auf vielstimmige Weise, warum dumm rumsitzen gar nicht mal so blöd ist.
Wie ist das Buch entstanden?
Das Buch ist die literarische Fortsetzung eines erfolgreichen Kunstprojektes: Mit meinem Team habe ich eine Telefonhotline entwickelt, in der man während des Wartens die Kunst des Wartens erlernt. Unter 0180 3 105 105 landet man (auch heute noch) in einem interaktiven Hörspiel: Die Anrufenden erfahren etwas über die Geschichte der Warteschleife, üben sich bei einer Siesta im Müßiggang, oder können sich ein Medley der schönsten Wartesongs anhören. Das Projekt wurde sogar mit dem deutschen Callcenterpreis ausgezeichnet :-) (Mehr Infos unter www.warteberater.de)

Mittlerweile gibt es auch eine interaktive Haltestelle, mit der wir auf Festivals oder an ungewöhnlichen Orten auf Tour sind. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel in einer Kooperation mit der DB Bahnhöfe mit „Schöner Warten“ bespielt. Die gestressten Reisenden fanden unsere Aktion super :-)

„Schöner Warten“ ist zu Coronazeiten entstanden. Wie hat die Pandemie die Entstehung und den Inhalt des Buches beeinflusst?
Durch Corona wurden wir auf vielen Ebenen zum Warten gezwungen. Für mich als Künstler war plötzlich Raum da, um Ideen umzusetzen, für die ich mir sonst keine Zeit genommen hätte. Im Coronasommer 2020 startete ich eine „Schöner Warten Telefonaktion“ mit prominenten Warteberatern: Zu ausgewählten Zeiten konnte man sich bei einem Anruf in der Hotline in einem Live-Gespräch beim Warten helfen lassen, z.B. von Torsten Sträter, Bernhard Hoëcker oder Reiner Calmund.

Als im Coronawinter 2021 wieder nichts mit Auftritten lief, dachte ich mir: „Komm, das ist eine wunderbare Gelegenheit ein Buch über die Schönheit des Wartens zu schreiben.”

Wen und was lernen wir noch kennen im Buch?
Alle Warteberater, die im Buch dabei sind, haben einen persönlichen Bezug zu mir oder meinem Thema, z.B. Jürgen Becker. Außerdem war für mich direkt klar, dass das Buch mit einer Hebamme beginnen und einem Bestatter enden muss. Im ersten Kapitel telefoniere ich deshalb mit Andrea Wehling. Sie war die Hebamme bei der Geburt meines Sohnes. Daneben kommen auch mehrere Bestseller-Autoren wie z.B. der Gedächtnisweltrekordhalter Boris Nikolai Konrad zu Wort. Auch bei der künstlichen Intelligenz Chat GPT erkundige ich mich nach guten Tipps fürs Warten.

Ganz toll finde ich Ursula Wintgens. Sie ist Deutschlands lustigste Supermarktchefin. Sie überrascht die wartenden Kundinnen und Kunden mit verrückten Ideen an der Kasse: Am Muttertag steht da zum Beispiel ein Wecker. Immer, wenn der alle paar Minuten klingelt, bekommt eine Mutter eine Blumenampel und die Väter am Vatertag ein Fünf-Liter-Fässchen Bier geschenkt. Außerdem nutzt sie die Lautsprecheranlage für lustige Aktionen. Wenn sich an der Kasse eine Warteschlange bildet, ruft sie durchs Mikro Sachen wie „Christoph, wo bleibst du? Die Kunden haben nicht mit Übernachtung gebucht!“ oder „Wenn du endlich kommst, bring gleich ne Axt mit, die Kundin hat Wurzeln geschlagen!“

Was haben Sie selbst durch das Buch gelernt?
Sehr vieles, unter anderem wieviel Geduld und Ausdauer es braucht, um ein Buch zu vollenden. Von der allerersten Idee bis zur Veröffentlichung sind gut zweieinhalb Jahre vergangen.

Außerdem bin ich durch die Beschäftigung mit dem Thema Warten gelassener geworden. Ich muss nicht mehr jedem Trend hinterherlaufen, weil ich gelernt habe, dass Abwarten strategisch oft klüger ist. In seinem Buch „Wait – The Art and Science of Delay“ stellt Frank Portnoy die These auf, dass Profis wissen, wie viel Zeit sie haben, um eine Entscheidung zu treffen. Innerhalb dieses Zeitfensters warten sie so lange wie möglich ab, bis sie handeln. Oft machen wir Dinge nur, damit etwas geschieht, ob es sinnvoll ist oder nicht. Vorschnelles Handeln kann schnell nach hinten losgehen. Das versuche ich mehr und mehr zu beherzigen.

Wie vertreiben Sie sich am liebsten die Zeit, wenn der Zug zu spät kommt oder Sie in einem vollen Wartezimmer sitzen?
Im Kapitel „Kunstvoll Warten” geht es unter anderem um den Komponisten John Cage. Für ihn war alles, was man hört, Sound – also Musik. Sein Stück „4’33” besteht aus vier Minuten und 33 Sekunden Stille. Obwohl es für Klavier geschrieben ist, wird darin kein Klavier im klassischen Sinn gespielt. Aber alle Zwischengeräusche, die während der Aufführung entstehen, zum Beispiel das Husten eines Zuschauers, gehören zum Sound des Werks.

Wenn ich also am Bahnhof länger auf einen Zug warte und mich ein wenig entspannen will, dann hole ich mein Handy raus, stelle den Timer der Uhr auf 4 Minuten und 33 Sekunden, schließe die Augen und lausche den Alltagsgeräuschen. Da ist ganz schön was los …

Was bedeutet Wartezeit für Sie?
Obwohl Warten mit Hoffnung verbunden ist, wird es oft als gestohlene Zeit erlebt. Aber das Warten kann einen Freiraum bieten für Reflexion, Kreativität und Entschleunigung.

Wartezeit ist geschenkte Zeit. Wenn man es aber eilig hat und mitten im Warte-Wahnsinn steckt, ist es nicht immer einfach, das Geschenk anzunehmen und auszupacken.

Warten kann also schrecklich schön sein. Schrecklich, wenn es nicht läuft. Schön, wenn der Stillstand etwas bewegt.

Was würde uns fehlen in einer Welt ohne Warten?
Diese Frage stelle ich im Buch fast allen Warteberatern und alle sind sich einig: es wäre eine deutlich schlechtere Welt. Prof. Birgit Mager antwortet zum Beispiel so: „Durch das Warten entstehen Zeit-Zwischenräume, die mehr Chance als Störung sind. Ich als ungeduldiger Mensch kann aus ganzem Herzen sagen: Warten ist wie das Sandkorn, das in der Auster zur Perle wird.” Und Bernhard Hoëcker meint: „Ohne Warten gäbe es keine Parkbänke. Und was, bitte schön, wäre das Leben ohne Parkbänke?“

Das kann ich beides unterschreiben :-)

Was wünschen Sie sich, was Lesende aus dem Buch mitnehmen?
Dass sie die nächste Wartesituation nicht genervt, sondern mit einem Lächeln ertragen, denn alles hat seine Zeit, auch das Warten.
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